Fluglärm-Umverteilung durch die Rückenwindkomponente

Autor:  Horst Bröhl-Kerner,     2.1.2013

Mit Bau und Inbetriebnahme der Landebahn Nordwest haben sich die An- und Abflugrouten über dem gesamten Rhein-Main-Gebiet und damit auch die Lärmbelastungen verändert. Während einige wenige Gebiete, darunter der Raunheimer Norden, entlastet wurden, werden viele Gebiete neu oder zusätzlich belastet. Dieser Prozess ist nicht abgeschlossen, ebensowenig wie die Reaktionen darauf. Der Protest richtet sich allerdings nicht nur gegen die neu eingeführten Routen, sondern auch gegen seit Jahrzehnten praktizierte Verfahren wie die sog. „5-Knoten-Regel“. Diese besagt, dass in Frankfurt entgegen der allgemeinen Regel, wonach immer möglichst gegen den Wind zu starten und zu landen ist, so lange die Betriebsrichtung 25 (BR25, Anflug aus Osten) geflogen wird, bis die Rückenwindkomponente (d.h. die Windkomponente in Richtung der Anflug-Bahn) größer als 5 Knoten wird.

Für diese Regel gibt es mehrere Gründe. Fraport bevorzugt Betriebsrichtung 25, weil die Startbahn West eben am westlichen Ende des Flughafens liegt und Kreuzungsverkehr am Ende einer Bahn leichter und zeitsparender abzuwickeln ist als am Anfang, d.h. die Kapazität des gesamten Bahnensystems ist bei BR25 (geringfügig) höher als bei BR07 . Der Hauptgrund liegt aber darin, dass westlich des Flughafens die besiedelten Flächen deutlich näher liegen und damit mehr Menschen von extremem Anfluglärm betroffen sind als östlich davon. Bisher galt das hauptsächlich für Raunheim, seit Inbetriebnahme der Nordwestbahn aber auch für Flörsheim. Diese beiden Städte liegen so dicht am jeweiligen Aufsetzpunkt bei Westanflug, dass die einzige Entlastungs­möglichkeit (außer der Schließung der jeweiligen Bahn) eben die ist, auf den Anflug aus Westen, soweit möglich, zu verzichten.

Da die Wahl der Betriebsrichtung aber natürlich nicht nur die Städte unmittelbar am Flughafen, sondern die ganze Region betrifft, handelt es sich hier nicht um einen Konflikt „Raunheim gegen den Rest der Welt“ und auch nicht um einen Ost-West-Konflikt, sondern um eine Problemlage, die von Mainz bis Hanau durch unterschiedliche Interessen gekennzeichnet ist. Belastungen speziell durch BR07 gibt es in Mainz und Rüsselsheim ebenso wie in Neu-Isenburg und Frankfurt. Eine Kampagne gegen die Anwendung der 5-Knoten-Regel, die behauptet, hier würden nur Raun­heimer Partikularinteressen vertreten, ist also sachlich nicht haltbar.

Die Ausformulierung der Regel erlaubt einen erheblichen Spielraum in der tatsächlichen Betriebs­richtungswahl, der von der DFS auch gerne genutzt wird. Wie Horst Weise vom DFLD in einer aktuellen Studie gezeigt hat (und wie auch auf der DFLD-Webseite unter „Wetterstatistik“ nachzusehen ist), legen die sicherheitsrelevanten Bodenwindverhältnisse nur zu etwa der Hälfte der Betriebszeit die Betriebsrichtung eindeutig fest. Die DFS macht gerne „weitere Parameter“ geltend, die die Betriebsrichtungswahl bestimmen, ohne diese je eindeutig festgelegt zu haben. Die meisten der genannten Parameter („Höhenwinde“, „Pilotenmeldungen“ etc.) sind weder dokumentiert, noch ist klar, wie sie in die Betriebsrichtungswahl eingehen. Man darf vermuten, dass auch Aspekte wie ungestörter Betriebsablauf, Kapazitätsfragen u.a. den Entscheidungs­prozess bestimmen.

Die erwähnte DFLD-Studie zeigt auch, dass das Entlastungspotential für alle von BR07 Betroffenen erheblich ist. Würde die Rückenwindkomponente auf 7 Knoten erhöht (wie im ersten Maßnahmenpaket Aktiver Schallschutz geplant) und konsequent (d.h. ohne Anwendung der oben erwähnten DFS-Parameter) durchgesetzt, könnte der Anteil der Betriebsrichtung 07 am Gesamt­betrieb von ca. 30 auf 10% gesenkt werden. 7 Knoten sind dabei durchaus nicht besonders anspruchsvoll: Die Startbahn West wird mit einer Rückenwindkomponente von 10 Knoten betrieben, und auch bei Landungen sollte es damit keine Probleme geben, da die schweren Maschinen ja ohnehin auf die superlange Südbahn gesteuert werden.

Aber darf man eine Erhöhung der Rückenwindkomponente und damit eine Umverteilung der Belastungen fordern, ohne unsolidarisch zu sein? Noch einmal: der Anflug aus Westen erzeugt die höchsten Einzelschallereignisse über den Köpfen von Menschen, und damit die höchsten Belastungen, die am Frankfurter Flughafen gemessen werden – und es gibt keine andere Möglichkeit, diese zu vermeiden, als BR07 nicht zu nutzen.

Raunheim und Flörsheim würden damit auch nicht zu Ruhezonen. Zum einen sind auch 35 Tage Lärmterror im Jahr schwer zu ertragen, zum anderen bleibt der Startlärm, der immer noch so laut ist (und dann eben an 330 Tagen im Jahr vorhanden wäre), dass die gemessenen Werte anderswo im Rhein-Main-Gebiet (zu Recht) als unerträglich gelten.

Diese Überlegungen können denen, die von BR25 betroffen sind, natürlich trotzdem nicht gefallen. Für sie bliebe dann als Perspektive nur, was allen hilft: ein ausreichendes Nachtflugverbot und eine Deckelung der Zahl der Flugbewegungen, plus die eine oder andere Maßnahme des aktiven Schallschutzes, die lokal von Bedeutung sein kann.

Praktisch wird es ohnehin nicht zu dem oben beschriebenen Szenario kommen, auch wenn die 7-Knoten-Regelung eingeführt werden sollte. Horst Weise geht davon aus, dass dann noch zu 15 – 20 % BR07 geflogen würde, die Fluglärmkommission von über 25 %. Aber auch das wäre noch ein kleiner Fortschritt, für den es sich im Interesse deren, die weiter in Raunheim (und Flörsheim) wohnen wollen, einzutreten lohnt.



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