Gleich zwei Initiativen wollen derzeit die rechtlichen Grundlagen
verbessern, um Bürgerinnen und Bürger vor Fluglärm zu
schützen. Woher der plötzliche Eifer, und was ist von den
Vorschlägen zu halten?
Ursprünglich hatte sich die von CDU, CSU und FDP getragene
Bundesregierung schon in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, im
Luftverkehrsgesetz (LuftVG) „eine gleichberechtigte und
konsequente Nachhaltigkeitsabwägung von wirtschaftlichen,
betrieblichen und dem Lärmschutz geschuldeten Erfordernissen
auch bei Nachtflügen“ sicherzustellen. Diese
atemberaubende Wortakrobatik sollte den profanen Kern verschönern:
es ging um „wettbewerbsfähige Betriebszeiten“. Ziel
der Bemühungen war ein relativ schlichter Satz in jenem Gesetz,
der sagt: „Auf die Nachtruhe der Bevölkerung ist in
besonderem Maße Rücksicht zu nehmen.“ (§ 29b
(1) Satz 2 LuftVG). Adressiert ist dieser Satz an die Betreiber von
Flughäfen und Fluggeräten, und das Bundesverwaltungsgericht
(BVerwG) hatte in Urteilen zum Nachtflugbetrieb an den Flughäfen
München, Berlin und Leipzig/Halle konkretisiert, was darunter zu
verstehen sei. Schwer verärgert, stellte die Arbeitsgemeinschaft
Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) fest, dass diese
Rechtsprechung „wieder auf die Grundlagen des Gesetzes
zurückgeführt werden“ müsse, und half der
Koalition mit einem freundlichen Formulierungsvorschlag. Angesichts
zunehmender Proteste gegen den nächtlichen Fluglärm, bis in
die eigenen Fachbehörden hinein, wurde der Vorschlag aber
erstmal zurückgestellt.
Schwarz-Gelb wendet …
Nun also bringt die hessische Landesregierung einen Gesetzentwurf zur
Änderung von § 29b LuftVG im Bundesrat ein, der die
Zielsetzung hat, „dem Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm
… ein wachsendes Gewicht beizumessen“, wobei
insbesondere dem „nächtlichen Lärmschutz …
Vorrang vor wirtschaftlichen Belangen einzuräumen ist“.
Der vorher attackierte Abs.1 Satz 2 bleibt unberührt,
Absatz 2 soll nun heißen
„(2)
Die Luftfahrtbehörden und die Flugsicherungsorganisation haben
auf den Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm hinzuwirken.
Bei der Erarbeitung und Festlegung von Flugverfahren und bei der
Erteilung von Flugverkehrskontrollfreigaben ist auf den Schutz der
Bevölkerung, insbesondere während der Nachtstunden, in
besonderem Maße Rücksicht zu nehmen. Das Nähere wird
durch Rechtsverordnung geregelt.“
Bisher steht da nur
„(2)
Die Luftfahrtbehörden und die Flugsicherungsorganisation haben
auf den Schutz der Bevölkerung vor unzumutbarem Fluglärm
hinzuwirken.“
Was bedeutet diese Änderung? Zunächst mal fällt das
Wörtchen „unzumutbar“ vor Fluglärm weg, was
bedeutet, dass Behörden und Deutsche Flugsicherung (DFS) auf den
Schutz der Bevölkerung vor jeder Art von Fluglärm, nicht
nur dem von wem auch immer als unzumutbar eingeschätzten,
hinzuwirken haben. Das wäre zweifellos eine Erweiterung des
Schutzauftrags und damit positiv für die lärmgeplagte
Bevölkerung. Dann soll bei Festlegung von Flugverfahren
(also Flugrouten, Start- und Landeverfahren usw.) und Freigaben (also
z.B. auch Erlaubnissen an einzelne Flüge, von Standardverfahren
abzuweichen) „auf den Schutz der Bevölkerung, insbesondere
während der Nachtstunden, in besonderem Maße Rücksicht
genommen“ werden. Hier wird es schon juristisch spitzfindig.
Zunächst konkretisiert und verstärkt dieser Satz nur den
Auftrag aus Satz 1, speziell für die Nacht. Während aber in
Absatz 1 auf die „Nachtruhe“ Rücksicht zu nehmen
ist, steht hier der „Schutz der Bevölkerung“. Das
BVerwG macht hier tatsächlich einen Unterschied, der vereinfacht
gesagt bedeutet: Ruhe ist, wenn kein Lärm ist; Schutz ist, wenn
keiner den Lärm hört. Man ahnt, worauf das hinauslaufen
soll.
Genaueres erfährt man aber hier noch nicht, denn „das
Nähere wird durch Rechtsverordnung geregelt“
- irgendwann, vielleicht, mit Sicherheit aber nicht vor den Wahlen.
… Rot-Grün überholt …
Schon eine Woche früher hat die rheinland-pfälzische
Landesregierung einen Gesetzentwurf zum gleichen Thema eingebracht.
Die Zielsetzung liest sich im Kern sehr ähnlich: es ist „
dem
Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm ... ein stärkeres
Gewicht beizumessen“
und dem „nächtlichen
Lärmschutz Vorrang vor wirtschaftlichen Belangen einzuräumen
“.
Neben einem neuen § 10a und Änderungen in § 32
LuftVG, die Planungs- und Verfahrensfragen betreffen, und einer
Änderung der Luftverkehrs-Ordnung, die den Lärmschutz bei
Kunstflügen verbessern soll, geht es auch hier um eine
Erweiterung des § 29b (2). Hier heißt der neue
Formulierungsvorschlag
„
Die Luftfahrtbehörden und die Flugsicherungsorganisationen haben den
Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm angemessen unter
Wahrung der sicheren Abwicklung des Luftverkehrs zu berücksichtigen.
Auf die Nachtruhe der Bevölkerung ist in besonderem Maße
Rücksicht zu nehmen. Dies gilt insbesondere für die
Erarbeitung und Festlegung von Flugverfahren und bei der Erteilung
von Flugverkehrskontrollfreigaben.“
Wie ist das zu interpretieren? Auch hier fällt, wie beim
Hessen-Vorschlag, in Satz 1 das „unzumutbar“ weg, dafür
tauchen aber zwei andere Einschränkungen auf: „angemessen“
und „unter Wahrung der sicheren Abwicklung des Luftverkehrs“.
Erstere eröffnet jedem Gericht einen weiten Ermessensspielraum
in alle Richtungen. Was angemessen ist, ist nirgendwo definiert und
daher Auslegungssache. Das zweite ist eigentlich trivial, weil
Behörden und DFS schon durch ihren gesetzlichen Auftrag auf die
Sicherheit verpflichtet sind, kann aber noch (gewollt oder ungewollt)
eine Nebenwirkung haben: nach dieser Vorschrift ist Lärmschutz
gegen Sicherheit abzuwägen (und verliert dabei immer), andere
Aspekte (wie Wirtschaftlichkeit) sind nicht erwähnt und können
aus der Abwägung ausgeschlossen werden. Aktuelles Beispiel ist
die Diskussion um die Südumfliegung: wenn nicht sicher umflogen
werden kann, muss eben geradeaus geflogen werden, auch wenn es
dadurch lauter wird – wenn man nicht eine geringere Zahl von
Flugbewegungen und damit verschlechterte Wirtschaftlichkeit
akzeptiert. Und dann steht da noch „zu berücksichtigen“
statt „hinzuwirken“. 2011 hatte die SPD-Fraktion ihre
Regierung noch beauftragt, den Schutz der Bevölkerung
„sicherzustellen“, statt nur „hinzuwirken“,
und nun soll er nur noch „berücksichtigt“ werden?
Muss man hier böse Absicht unterstellen? Immerhin wird dann
der Satz wiederholt, der auch in Absatz 1 schon Wirkung gezeigt hat:
auf die „Nachtruhe“ ist Rücksicht zu nehmen. Damit
greift dann auch hier, was das BVerwG schon an Rechtsprechung zum
Schutz vor Fluglärm entwickelt hat.
… aber stimmt die Richtung ?
Beide Landesregierungen nehmen für sich in Anspruch, den Schutz vor
Fluglärm allgemein, aber besonders in der Nacht zu verbessern
und ihm Vorrang gegenüber wirtschaftlichen Interessen
einzuräumen. Beide gehen aber über die bisher geltenden
Formulierung kaum hinaus und erweitern bestenfalls den
Adressatenkreis: nicht nur Betreiber, sondern auch Behörden und
DFS sollen nun den Fluglärm ein bisschen mehr berücksichtigen.
Was wirklich notwendig wäre, lässt sich u.a. daraus
ableiten, was das BVerwG in seiner bisherigen Rechtsprechung
hilfsweise „konkretisiert“ hat, weil das Gesetz es nicht
regelt.
Für den Schutz vor nächtlichem Fluglärm müssten all die
kruden Hilfskonstrukte wie „Nachtkernzeit“,
„Mediationsnacht“ und „Nachtrandstunden“
beseitigt werden durch die Klarstellung, dass auch für den
Luftverkehr die gesetzliche Nacht von 22 bis 6 Uhr dauert und dass da
Ruhe zu herrschen hat. Notwendige Ausnahmen wären strikt zu
reglementieren.
Für den Lärmschutz am Tag müsste explizit klargestellt werden,
dass das Schutzbedürfnis der Bevölkerung Vorrang vor
wirtschaftlichen Interessen hat. Die vorgeschlagenen Formulierungen
lassen das bestenfalls offen. Nun kann ein geplagter Richter
natürlich in die Gesetzesbegründung schauen, wenn er
herausfinden möchte, was der Gesetzgeber mit seinen wolkigen
Worten wohl gemeint haben könnte – er muss es aber nicht.
Nur Gesetz ist Gesetz, der Rest ist Verkaufsverpackung, die
spätestens dann recycelt werden kann, wenn erste rechtskräftige
Urteile vorliegen.
Die von den Regierungen jeweils empfohlene Medizin bekämpft also
bestenfalls einige wenige Symptome und lässt die eigentliche
Krankheit unberührt. Dafür sind Risiken und Nebenwirkungen
nur äußerst schwer zu beurteilen, die möglichen
Schäden sind erheblich. Für eine erfolgreiche Therapie
bleibt also nur, den Kern der Krankheit zu attackieren und weiter
Druck zu machen, um den Wachstumswahn der Luftverkehrswirtschaft und
ihrer Anhänger zu brechen und den Flugverkehr auf das notwendige
Maß zurückzuführen. Dann finden sich sicher auch
fähige JuristInnen, die den für einen umfassenden
Lärmschutz noch notwendigen Rechtsrahmen auch wirklich
formulieren können.
Nachtrag: Rot-Rot ebenfalls auf Abwegen
Als Dritte im Bunde hat die Landesregierung Brandenburg nun ebenfalls noch einen Entwurf vorgelegt.
Danach soll § 29b Absatz 2 wie folgt heissen:
„
„(2) Die Luftfahrtbehörden und die Flugsicherungsorganisationen haben auf den Schutz der Bevölkerung vor unzumutbarem Fluglärm hinzuwirken.
Bei der Erarbeitung und Festlegung von Flugverfahren und bei der Erteilung von Flugverkehrskontrollfreigaben ist unter Wahrung
der sicheren Abwicklung des Luftverkehrs auf die Nachtruhe der Bevölkerung in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen.
Das Nähere wird durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung geregelt.“
Der erste Satz entspricht dem Ist-Zustand, im Gegensatz zu den beiden anderen Entwürfen behält er auch das "unzumutbar"
und damit den eingeschränkten Schutzauftrag bei. Der zweite Satz aber hat es in sich. Die einzelnen Bestandteile entsprechen zwar dem,
was auch die anderen Entwürfe beinhalten (Abwägung nur zwischen Lärmschutz und Sicherheit, Rücksicht auf Nachtruhe), aber die hier
gewählte Kombination legt stärker als die anderen Formulierungen nahe, dass Flugverkehr in der Nacht gesetzt ist ("unter Wahrung der
... Abwicklung des Luftverkehrs auf die Nachtruhe ... Rücksicht zu nehmen" !!!) und bestenfalls da und dort Einschränkungen unterliegen kann.
Will hier wirklich eine rot-rote Landesregierung umsetzen, was die schwarz-gelbe Bundesregierung sich nicht mehr in Angriff zu nehmen traut?
Oder handelt es sich vielleicht doch "nur" um schlichte Unfähigkeit, die unter dem Zwang, Aktion zu demonstrieren, nur Müll produziert?
Der letzte Satz könnte ein Hinweis darauf sein: das LuftVG ist voll mit differenzierten Hinweisen darauf, welche Bestimmungen von wem
und unter wessen Beteiligung umzusetzen sind. Der hessische Entwurf konnte daher auf eine Angabe verzichten, wer die Rechtsverordnung
erlassen soll, weil das weiter hinten ausführlich geregelt ist. Die Angabe im brandenburgischen Entwurf fällt völlig aus der Systematik
und läßt darauf schliessen, dass die Autoren sich nicht die Mühe gemacht haben, das Gesetz bis zum Ende zu lesen.
Wenn man also gutwilliger Weise unterstellen möchte, dass hier nicht beabsichtigt ist, die Drecksarbeit für die Bundesregierung unter einem
besonders wirksamen Deckmantel zu erledigen, so muss man zumindest feststellen, dass es sich hier um eine peinliche Fehlleistung handelt,
die auch ein bezeichnendes Licht auf die neue, nachtruhe-freundliche Rhetorik der rot-roten Landesregierung wirft.
Rechtlicher Schutz vor Fluglärm: schwarz-gelb, rot-grün – oder ernsthaft ?
Autor: Horst Bröhl-Kerner,   18.2.2013,   ergänzt   24.2. 2013
Gleich zwei Initiativen wollen derzeit die rechtlichen Grundlagen verbessern, um Bürgerinnen und Bürger vor Fluglärm zu schützen. Woher der plötzliche Eifer, und was ist von den Vorschlägen zu halten?
Ursprünglich hatte sich die von CDU, CSU und FDP getragene Bundesregierung schon in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, im Luftverkehrsgesetz (LuftVG) „eine gleichberechtigte und konsequente Nachhaltigkeitsabwägung von wirtschaftlichen, betrieblichen und dem Lärmschutz geschuldeten Erfordernissen auch bei Nachtflügen“ sicherzustellen. Diese atemberaubende Wortakrobatik sollte den profanen Kern verschönern: es ging um „wettbewerbsfähige Betriebszeiten“. Ziel der Bemühungen war ein relativ schlichter Satz in jenem Gesetz, der sagt: „Auf die Nachtruhe der Bevölkerung ist in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen.“ (§ 29b (1) Satz 2 LuftVG). Adressiert ist dieser Satz an die Betreiber von Flughäfen und Fluggeräten, und das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hatte in Urteilen zum Nachtflugbetrieb an den Flughäfen München, Berlin und Leipzig/Halle konkretisiert, was darunter zu verstehen sei. Schwer verärgert, stellte die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) fest, dass diese Rechtsprechung „wieder auf die Grundlagen des Gesetzes zurückgeführt werden“ müsse, und half der Koalition mit einem freundlichen Formulierungsvorschlag. Angesichts zunehmender Proteste gegen den nächtlichen Fluglärm, bis in die eigenen Fachbehörden hinein, wurde der Vorschlag aber erstmal zurückgestellt.
Schwarz-Gelb wendet …
Nun also bringt die hessische Landesregierung einen Gesetzentwurf zur Änderung von § 29b LuftVG im Bundesrat ein, der die Zielsetzung hat, „dem Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm … ein wachsendes Gewicht beizumessen“, wobei insbesondere dem „nächtlichen Lärmschutz … Vorrang vor wirtschaftlichen Belangen einzuräumen ist“. Der vorher attackierte Abs.1 Satz 2 bleibt unberührt, Absatz 2 soll nun heißen
„(2) Die Luftfahrtbehörden und die Flugsicherungsorganisation haben auf den Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm hinzuwirken. Bei der Erarbeitung und Festlegung von Flugverfahren und bei der Erteilung von Flugverkehrskontrollfreigaben ist auf den Schutz der Bevölkerung, insbesondere während der Nachtstunden, in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen. Das Nähere wird durch Rechtsverordnung geregelt.“
Bisher steht da nur
„(2) Die Luftfahrtbehörden und die Flugsicherungsorganisation haben auf den Schutz der Bevölkerung vor unzumutbarem Fluglärm hinzuwirken.“
Was bedeutet diese Änderung? Zunächst mal fällt das Wörtchen „unzumutbar“ vor Fluglärm weg, was bedeutet, dass Behörden und Deutsche Flugsicherung (DFS) auf den Schutz der Bevölkerung vor jeder Art von Fluglärm, nicht nur dem von wem auch immer als unzumutbar eingeschätzten, hinzuwirken haben. Das wäre zweifellos eine Erweiterung des Schutzauftrags und damit positiv für die lärmgeplagte Bevölkerung.
Dann soll bei Festlegung von Flugverfahren (also Flugrouten, Start- und Landeverfahren usw.) und Freigaben (also z.B. auch Erlaubnissen an einzelne Flüge, von Standardverfahren abzuweichen) „auf den Schutz der Bevölkerung, insbesondere während der Nachtstunden, in besonderem Maße Rücksicht genommen“ werden. Hier wird es schon juristisch spitzfindig. Zunächst konkretisiert und verstärkt dieser Satz nur den Auftrag aus Satz 1, speziell für die Nacht. Während aber in Absatz 1 auf die „Nachtruhe“ Rücksicht zu nehmen ist, steht hier der „Schutz der Bevölkerung“. Das BVerwG macht hier tatsächlich einen Unterschied, der vereinfacht gesagt bedeutet: Ruhe ist, wenn kein Lärm ist; Schutz ist, wenn keiner den Lärm hört. Man ahnt, worauf das hinauslaufen soll.
Genaueres erfährt man aber hier noch nicht, denn „das Nähere wird durch Rechtsverordnung geregelt“ - irgendwann, vielleicht, mit Sicherheit aber nicht vor den Wahlen.
… Rot-Grün überholt …
Schon eine Woche früher hat die rheinland-pfälzische Landesregierung einen Gesetzentwurf zum gleichen Thema eingebracht. Die Zielsetzung liest sich im Kern sehr ähnlich: es ist „ dem Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm ... ein stärkeres Gewicht beizumessen“ und dem „nächtlichen Lärmschutz Vorrang vor wirtschaftlichen Belangen einzuräumen “. Neben einem neuen § 10a und Änderungen in § 32 LuftVG, die Planungs- und Verfahrensfragen betreffen, und einer Änderung der Luftverkehrs-Ordnung, die den Lärmschutz bei Kunstflügen verbessern soll, geht es auch hier um eine Erweiterung des § 29b (2). Hier heißt der neue Formulierungsvorschlag
„ Die Luftfahrtbehörden und die Flugsicherungsorganisationen haben den Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm angemessen unter Wahrung der sicheren Abwicklung des Luftverkehrs zu berücksichtigen. Auf die Nachtruhe der Bevölkerung ist in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen. Dies gilt insbesondere für die Erarbeitung und Festlegung von Flugverfahren und bei der Erteilung von Flugverkehrskontrollfreigaben.“
Wie ist das zu interpretieren? Auch hier fällt, wie beim Hessen-Vorschlag, in Satz 1 das „unzumutbar“ weg, dafür tauchen aber zwei andere Einschränkungen auf: „angemessen“ und „unter Wahrung der sicheren Abwicklung des Luftverkehrs“. Erstere eröffnet jedem Gericht einen weiten Ermessensspielraum in alle Richtungen. Was angemessen ist, ist nirgendwo definiert und daher Auslegungssache. Das zweite ist eigentlich trivial, weil Behörden und DFS schon durch ihren gesetzlichen Auftrag auf die Sicherheit verpflichtet sind, kann aber noch (gewollt oder ungewollt) eine Nebenwirkung haben: nach dieser Vorschrift ist Lärmschutz gegen Sicherheit abzuwägen (und verliert dabei immer), andere Aspekte (wie Wirtschaftlichkeit) sind nicht erwähnt und können aus der Abwägung ausgeschlossen werden. Aktuelles Beispiel ist die Diskussion um die Südumfliegung: wenn nicht sicher umflogen werden kann, muss eben geradeaus geflogen werden, auch wenn es dadurch lauter wird – wenn man nicht eine geringere Zahl von Flugbewegungen und damit verschlechterte Wirtschaftlichkeit akzeptiert.
Und dann steht da noch „zu berücksichtigen“ statt „hinzuwirken“. 2011 hatte die SPD-Fraktion ihre Regierung noch beauftragt, den Schutz der Bevölkerung „sicherzustellen“, statt nur „hinzuwirken“, und nun soll er nur noch „berücksichtigt“ werden? Muss man hier böse Absicht unterstellen?
Immerhin wird dann der Satz wiederholt, der auch in Absatz 1 schon Wirkung gezeigt hat: auf die „Nachtruhe“ ist Rücksicht zu nehmen. Damit greift dann auch hier, was das BVerwG schon an Rechtsprechung zum Schutz vor Fluglärm entwickelt hat.
… aber stimmt die Richtung ?
Beide Landesregierungen nehmen für sich in Anspruch, den Schutz vor Fluglärm allgemein, aber besonders in der Nacht zu verbessern und ihm Vorrang gegenüber wirtschaftlichen Interessen einzuräumen. Beide gehen aber über die bisher geltenden Formulierung kaum hinaus und erweitern bestenfalls den Adressatenkreis: nicht nur Betreiber, sondern auch Behörden und DFS sollen nun den Fluglärm ein bisschen mehr berücksichtigen. Was wirklich notwendig wäre, lässt sich u.a. daraus ableiten, was das BVerwG in seiner bisherigen Rechtsprechung hilfsweise „konkretisiert“ hat, weil das Gesetz es nicht regelt.
Für den Schutz vor nächtlichem Fluglärm müssten all die kruden Hilfskonstrukte wie „Nachtkernzeit“, „Mediationsnacht“ und „Nachtrandstunden“ beseitigt werden durch die Klarstellung, dass auch für den Luftverkehr die gesetzliche Nacht von 22 bis 6 Uhr dauert und dass da Ruhe zu herrschen hat. Notwendige Ausnahmen wären strikt zu reglementieren.
Für den Lärmschutz am Tag müsste explizit klargestellt werden, dass das Schutzbedürfnis der Bevölkerung Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen hat. Die vorgeschlagenen Formulierungen lassen das bestenfalls offen. Nun kann ein geplagter Richter natürlich in die Gesetzesbegründung schauen, wenn er herausfinden möchte, was der Gesetzgeber mit seinen wolkigen Worten wohl gemeint haben könnte – er muss es aber nicht. Nur Gesetz ist Gesetz, der Rest ist Verkaufsverpackung, die spätestens dann recycelt werden kann, wenn erste rechtskräftige Urteile vorliegen.
Die von den Regierungen jeweils empfohlene Medizin bekämpft also bestenfalls einige wenige Symptome und lässt die eigentliche Krankheit unberührt. Dafür sind Risiken und Nebenwirkungen nur äußerst schwer zu beurteilen, die möglichen Schäden sind erheblich. Für eine erfolgreiche Therapie bleibt also nur, den Kern der Krankheit zu attackieren und weiter Druck zu machen, um den Wachstumswahn der Luftverkehrswirtschaft und ihrer Anhänger zu brechen und den Flugverkehr auf das notwendige Maß zurückzuführen. Dann finden sich sicher auch fähige JuristInnen, die den für einen umfassenden Lärmschutz noch notwendigen Rechtsrahmen auch wirklich formulieren können.
Nachtrag: Rot-Rot ebenfalls auf Abwegen
Als Dritte im Bunde hat die Landesregierung Brandenburg nun ebenfalls noch einen Entwurf vorgelegt. Danach soll § 29b Absatz 2 wie folgt heissen:
„ „(2) Die Luftfahrtbehörden und die Flugsicherungsorganisationen haben auf den Schutz der Bevölkerung vor unzumutbarem Fluglärm hinzuwirken. Bei der Erarbeitung und Festlegung von Flugverfahren und bei der Erteilung von Flugverkehrskontrollfreigaben ist unter Wahrung der sicheren Abwicklung des Luftverkehrs auf die Nachtruhe der Bevölkerung in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen. Das Nähere wird durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung geregelt.“
Der erste Satz entspricht dem Ist-Zustand, im Gegensatz zu den beiden anderen Entwürfen behält er auch das "unzumutbar" und damit den eingeschränkten Schutzauftrag bei. Der zweite Satz aber hat es in sich. Die einzelnen Bestandteile entsprechen zwar dem, was auch die anderen Entwürfe beinhalten (Abwägung nur zwischen Lärmschutz und Sicherheit, Rücksicht auf Nachtruhe), aber die hier gewählte Kombination legt stärker als die anderen Formulierungen nahe, dass Flugverkehr in der Nacht gesetzt ist ("unter Wahrung der ... Abwicklung des Luftverkehrs auf die Nachtruhe ... Rücksicht zu nehmen" !!!) und bestenfalls da und dort Einschränkungen unterliegen kann. Will hier wirklich eine rot-rote Landesregierung umsetzen, was die schwarz-gelbe Bundesregierung sich nicht mehr in Angriff zu nehmen traut? Oder handelt es sich vielleicht doch "nur" um schlichte Unfähigkeit, die unter dem Zwang, Aktion zu demonstrieren, nur Müll produziert? Der letzte Satz könnte ein Hinweis darauf sein: das LuftVG ist voll mit differenzierten Hinweisen darauf, welche Bestimmungen von wem und unter wessen Beteiligung umzusetzen sind. Der hessische Entwurf konnte daher auf eine Angabe verzichten, wer die Rechtsverordnung erlassen soll, weil das weiter hinten ausführlich geregelt ist. Die Angabe im brandenburgischen Entwurf fällt völlig aus der Systematik und läßt darauf schliessen, dass die Autoren sich nicht die Mühe gemacht haben, das Gesetz bis zum Ende zu lesen.
Wenn man also gutwilliger Weise unterstellen möchte, dass hier nicht beabsichtigt ist, die Drecksarbeit für die Bundesregierung unter einem besonders wirksamen Deckmantel zu erledigen, so muss man zumindest feststellen, dass es sich hier um eine peinliche Fehlleistung handelt, die auch ein bezeichnendes Licht auf die neue, nachtruhe-freundliche Rhetorik der rot-roten Landesregierung wirft.