Monitoring by ignoring II - das Ministerium sucht Schadstoffe

Autor:  Horst Bröhl-Kerner,     17.07.2013

Neben dem Lärm ist die Schadstoff­belastung durch den Flugverkehr das zweite wichtige Thema für Flughafen-Anwohner. Während man aber den Lärm unmittelbar registrieren kann, gibt es für das Vorhanden­sein von Luft­schadstoffen bestenfalls Indizien wie Atemprobleme, Augen­brennen oder schmierige Niederschläge. Aber wie in allen anderen Lebens­bereichen sorgt auch hier der Staat für das Wohl seiner Bürger: Luft­schadstoffe unterliegen der Überwachung und werden durch Grenzwerte im Zaum gehalten. In Hessen überwacht das Hessische Landesamt für Umwelt und Geologie die Reinheit der Luft, und für die Anwohner des Flughafens Frankfurt kümmert sich das "Forum Flughafen und Region" um das Schadstoff-Monitoring.
Eine Informations­veranstaltung des FFR zu diesem Thema am 11. Juli in Kelsterbach und die dort präsentierten Ergebnisse bilden den Anlass für diesen Kommentar.

Im Wesentlichen waren es wohl zwei Botschaften, die die Veranstalter dem Publikum und der weiteren Öffentlichkeit vermitteln wollten: Erstens, obwohl der Lerchesberg seit Oktober 2011 dicht überflogen wird, ist die Luft dort besser als in anderen Stadtbereichen, und zweitens, die Verantwortlichen nehmen die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst, bleiben dran und erweitern das Messprogramm sogar noch. Beide Aussagen müssen kritisch hinterfragt werden.

Das erste Ergebnis wurde präsentiert von Prof. Jacobi vom HLUG mithilfe vieler Folien mit langen Messkurven, in denen für die gemessenen Schadstoffe verschiedene Mittelwerte (Halbstunden, Stunden, Tage) für verschiedene Stationen verglichen wurden. Optischer Eindruck: die rote Kurve mit den Lerchesberg-Werten bewegt sich immer am unteren Rand der Messkurven, ausser bei Ozon. Letzteres ist aber eher auf einen Mangel an Schadstoffen zurückzuführen, die Ozon abbauen können. Sein Fazit: "Keine auffällig erhöhte oder ungewöhnliche Immissions­belastung", "Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit werden deutlich unterschritten ...", "In der Summe: ein für den Ballungsraum Frankfurt vergleichsweise gering belasteter Standort". Da der Zweck der Übung die "Dokumentation der Luftqualität unter der Einflug­schneise auf die neue NW-Landebahn des Rhein-Main-Flughafens; insbesondere: Beurteilung in Bezug auf Einhaltung gesetzlicher Vorgaben (Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit)" war, konnte er damit einen vollen Erfolg vermelden.
Kommt das überraschend? Nein. In der Sammlung der Vortragsfolien, die Prof. Jacobi zum Download bereit stellt und von denen er in Kelsterbach nur eine Auswahl präsentiert hat, findet sich auch ein Vergleich der Immissionsmessungen vor, während und nach dem 5tägigen Flugverbot nach einem Vulkan­ausbruch im April 2010. Die Erkenntnis daraus in seinen Worten (Folie 74): "... immissionsseitige Auswirkungen der ... Emissionsausfälle durch das Flugverbot konnten ... nicht nachgewiesen werden." Deutlicher kann man es eigentlich nicht sagen: ob Emissionen oder nicht, die gemessenen Immissionen ändern sich nicht. Entweder kommen die Emissionen also nicht an der Messstelle an (sie werden auf dem Weg nach unten vollständig chemisch verändert oder verschwinden im Weltall) oder die Messung kann sie nicht nachweisen. Da nur die zweite Annahme mit dem Stand der Wissenschaft vereinbar ist, muss man schlussfolgern: die Luft­qualitäts­messungen, die das HLUG standardmäßig durchführt, taugen nicht dazu, durch den Flugverkehr bedingte Immissionen nachzuweisen.[1]
Das sieht auch Herr Lanz vom Umwelthaus in seiner Pressemitteilung so: "Dass die Messungen keine erhöhten Schadstoff­konzentrationen durch den Luftverkehr nachweisen konnten bestätigt nur die Vermutungen der Fachleute, dass Luftverwirbelung und Verwehungen einen „Abtransport“ der Stoffe führen, so dass keine Verursacher­zuordnung möglich ist." Und das ist auch das Ergebnis jahrzehnte­langer Messungen in Raunheim, wo mit einer gleichartigen Mess­station bei zeitweise deutlich höheren Überflugzahlen nie ein Einfluss des Flugverkehrs nachgewiesen werden konnte. Daraus folgt aber auch: der jahrelange Betrieb von Mess­stationen, nur um zu bestätigen, dass man nicht mißt, was man nicht messen kann, ist einerseits Verschwendung von Steuergeldern - und andererseits Betrug an den besorgten Flughafen­anwohnern, denen eine Sicherheit vor Schadstoff-Einwirkungen vorgegaukelt wird, die nicht existiert.

"Niemand, weder die Wissenschaftler des Landesamtes für Umwelt noch das UNH haben behauptet, dass bei der Verbrennung von Kerosin keine Schadstoffe entstehen", betont Herr Lanz. Aber was passiert nach der Entstehung? Nach "Massen-Schadstoffen" wie Feinstaub, Stickoxide, Schwefeldioxid oder Kohlenmonoxid aus den Triebwerken zu suchen, hat offensichtlich keinen Sinn: deren Konzentration in der Atmosphäre, die aus anderen Quellen stammt, ist zu groß und die Vermischung zu schnell, als dass dieser spezielle Input nachverfolgt werden könnte. Nun ist Kerosin aber kein Allerwelts-Sprit, wie er in jedem Dieselmotor verbrannt wird, sondern ein speziell für Triebwerke optimiertes Produkt, das eine ganz eigene Zusammensetzung und auch spezifische Verbrennungs­produkte aufweist. Über 300 verschiedene Stoffe wurden in Triebwerks­abgasen nachgewiesen, 68 davon sicher identifiziert. Aus einigen davon sollte sich ein spezifischer, für Kerosin typischer "Fingerabdruck" zusammenstellen lassen. [2]
Welchen Aufwand man allerdings dafür treiben muss, zeigt eine umfassende, gerade erst veröffentlichte Studie, die für die Flughäfen in Los Angeles erstellt wurde. Die Zusammenfassung liest sich zwar ähnlich beschwichtigend wie der HLUG-Bericht (die Studie wurde vom Flughafen­betreiber finanziert), aber in Einzelstudien, die zum Teil getrennt veröffentlicht, zum Teil in den Technischen Anhängen versteckt sind, finden sich hoch­interessante Informationen. So konnte z.B. gezeigt werden, dass Flugzeug­triebwerke eine wesentliche Quelle für ultrafeine Partikel (<< PM2.5) sind, die insbesondere beim Start ausgestossen werden und auch noch in grösserem Abstand zur Emissions­quelle nachweisbar sind. [3]
Weiss das HLUG von all dem nichts? Vielleicht nicht, vielleicht doch, auf alle Fälle ist es nicht die richtige Adresse für Kritik.

Man muss es noch einmal betonen: das HLUG ist keine Forschungs­einrichtung, die neue Erkenntnisse über Schadstoffe, ihre Messung und ihre Wirkung produzieren soll. Es ist ein Amt, das über die Einhaltung von Grenzwerten wacht. Solange die nicht überschritten werden, ist die Welt in Ordnung. Wer meint, dass die bestehenden Grenzwerte und ihre Nachweis­methoden nicht ausreichen, um die Gesundheit der Betroffenen zu schützen, der muss die Politik dazu bringen, entsprechende Forschungs­ergebnisse zur Kenntnis zu nehmen und die Schluss­folgerungen daraus umzusetzen in neue Schutzregeln.
Erster Adressat für die Kritik ist daher das FFR/Umwelthaus, dessen Aufgabe es ja sein soll, das Monitoring zu koordinieren und das, was politisch als notwendig anerkannt ist, umzusetzen. Herr Lanz müsste also seinen Auftraggeber, das Wirtschaftsministerium, dazu drängen, endlich die Untersuchungen durchzuführen, die Klarheit über die wirkliche Belastung der Flughafen­anwohner bringen.

Für einen kurzen Moment konnte man während der Veranstaltung der Illusion nachhängen, es gäbe vielleicht doch einen Fortschritt, als Frau Dr. Mang vom hessischen Umweltministerium im zweiten Vortrag erweiterte Messungen in Aussicht stellte. Künftig sollen auch Mineralöl-Kohlen­wasser­stoffe (MKW) und poly­zyklische aromatische Kohlen­wasser­stoffe (PAK) gemessen werden, und das gleich an zwanzig Messpunkten! Die Illusion zerstob aber sofort, als klar wurde, wo und wie gemessen werden soll.
In der folgenden Abbildung haben wir die Lage der Mess­stationen in die Grafik eingetragen, in der Janicke im einschlägigen Gutachten für das Plan­feststellungs­verfahren für den Ausbau die erwarteten Konzentrationen für Gesamt­kohlen­wasser­stoffe aus Flugverkehrs-Emissionen für den Ist-Zustand 2005 darstellt (S. 68). Gleiche Karten gibt es für den sog. Prognose­nullfall (S. 86) und den Planungsfall 2020 (S. 104), aber deren Verwendung würde hier zu den gleichen Schluss­folgerungen führen. Würde man die Karten für Benzo(a)pyren als Leitsubstanz für PAK verwenden (S. 64, 82, 101), wären die Aussagen noch deutlicher. Was sieht man daraus?



Immissionsberechnungen und Messstationen


Von den zwanzig Messpunkten liegt keiner in einem Gebiet, in dem Immissionen von mehr als 5 µg/m³ erwartet werden. Nur für drei Messpunkte (2x Kelsterbach und Schwanheim) sind Werte über 2 µg/m³ zu erwarten, für fünf weitere noch Werte über 1 µg/m³. Für zwölf der zwanzig Stationen liegen die erwarteten Werte zwischen 0 und 1 µg/m³.
Gemessen werden soll allerdings nicht die Gesamtmenge der Kohlen­wasser­stoffe, deren Konzentration in der Grafik abgeschätzt wurde, sondern nur die Teilmengen MKW bzw. PAK. Der Anteil der MKW an der Gesamtmenge der KW ist nicht bekannt, für Benzo(a)pyren als Leitsubstanz der fünf bis sieben zu erwartenden verschiedenen PAKs liegt der Anteil im Promille-Bereich. Man befindet sich also an allen Mess­punkten mit ziemlicher Sicherheit in Konzentrations­bereichen, die durch Immissionen aus anderen Quellen überlagert werden. Da fällt es kaum noch ins Gewicht, dass gar nicht Konzentrationen (d.h. der Anteil der Substanzen an der vorhandenen Luft) gemessen werden sollen, sondern Depositionen, d.h. auch nur der Anteil der Moleküle einer Substanz, der sich an vorhandene Staub­partikel anlagert und niederschlägt, was zusätzliche Unsicherheit in die Abschätzung der Quellstärke bringt.

Hält man sich also vor Augen, dass diese Zusatz­messungen, wofür auch immer sie gut sein sollen, mit Flugverkehrs-Immissionen nichts zu tun haben, dann kann man auch leichter darüber hinweg sehen, dass die Auswahl der Messpunkte eine politisch motivierte Frechheit ist. Nur entlang der Anfluglinien der Nordwestbahn zu messen, wenn klar ist, dass die höchsten Schadstoff-Emissionen bei Starts und bei Anflügen der schweren Maschinen zu erwarten sind, die auf der Südbahn landen müssen, macht die Absicht überdeutlich: diejenigen, die derzeit am lautesten protestieren, sollen beruhigt werden. Um Erkenntnis­gewinn geht es dabei nicht.

Auch in diesem Fall lautet also der Vorwurf gegen das vorgeschlagene Monitoring: es ist gezielter Betrug. Die Belastungen, die zu vermuten sind, werden nicht gemessen, was gemessen wird, wird keine Ergebnisse bringen. Wenn die Glaubwürdigkeit dieser "Monitorer" nicht ohnehin schon ruiniert wäre - dies wäre der letzte Baustein dazu.



Anmerkungen

[1] Wenn man es richtig macht, kann man solche Ereignisse allerdings schon nutzen, um den Einfluss der Flugverkehrsemissionen auf die lokale Luftbelastung abzuschätzen, wie z.B. eine Studie aus London zeigt. Sie kommt zu dem Schluss, dass die jährlichen mittleren Stickoxid-Konzentrationen in der Nähe der Flughäfen Heathrow und Gatwick jeweils um ca. zehn Prozent niedriger wären, wenn die Flughäfen geschlossen würden.

[2] Der Autor der ursprünglichen Untersuchung äussert sich diesbezüglich uneinheitlich. Nach der Analyse der Zusammen­setzung der Turbinen­abgase kommt er zu dem Ergebnis (S.127): "Es darf daher angenommen werden, daß das Spektrum organisch-chemischer Verbindungen im Abgas von Flugzeug­triebwerken in einem bestimmten Verhältnis zueinander steht. Die Emissionen organisch-chemischer Verbindungen im Abgas von Flugzeug­triebwerken sind insofern charakteristisch." In der Diskussion der Untersuchungs­ergebnisse heißt es dann allerdings (S. 161): "Das Spektrum der Emissionen organisch-chemischer Verbindungen speziell aus Dieselmotoren zeigt Ähnlichkeiten zu dem der Flugzeug­triebwerke. An Immissions­aufpunkten kommt es daher zu Überlagerungen, die eine eindeutige Zuordnung der Verbindungen zu ihrem Ursprung nicht zuläßt." und nochmal (S.163): "Dies legt den Schluß nahe, daß das Spektrum organisch-chemischer Verbindungen im Abgas von zivilen Flugzeug­triebwerken charakteristisch ist. Diese bei der Emission aus Flugzeug­triebwerken sich ergebenden „Fingerprints“ organischer Stoffe lassen sich jedoch im Rahmen der Immissions­ermittlung nicht nutzen, da es, wie ebenso im Rahmen dieser Arbeit gezeigt werden konnte, durch kraftfahr­zeug­bedingte Emissionen organischer Verbindungen zu stoff­spezifischen Über­lagerungen kommt." Und auch sein Chef betont im Vorwort (S.4): "Eine allein dem Abgas von Flugzeug­triebwerken zuzuordnende chemische Verbindung oder Verbindungs­gruppe zur Unter­scheidung von kraft­fahrzeugs­bedingten Abgasen konnte im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht ermittelt werden." Dieses Resultat schien allen sehr wichtig zu sein. Der Versuch dieser Unterscheidung wird in der Arbeit allerdings gar nicht gemacht. Die Ergebnisse der Abgas-Analyse von Dieselmotoren werden in Kap.3 weitgehend kommentarlos aufgelistet, der Vergleich bleibt dem Leser überlassen. Angesichts durchaus vorhandener Unterschiede und inzwischen beseitigter Mängel in der Analytik kann man da durchaus zu anderen Ergebnissen kommen.

[3] Die Aussage im englischen Original: "the data from this study strongly suggest large jet aircraft taking off from an urban airport, such as LAX, are an important source of UFP. UFP emitted by aircraft pass into populated areas of communities downwind of LAX and persist to nearly 1 km from the end of a runway. It is likely, but not yet shown, that the degradation in air quality continues beyond this distance." (LAX: Los Angeles International Airport, UFP: ultra fine particle)
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie, die am Santa Monica Airport während einer mehrtägigen Betriebsschliessung durchgeführt wurde: "The results obtained from this study and those from our previous measurement campaign in 2006-2007 (AQMD, 2010) seem to suggest that airport impacts on the atmospheric levels of UFP and BC are substantial on short time scales (e.g. 1 to 5-min), but become less significant when long-term averages (e.g. several days to few months) are considered." Hier wird noch einmal auf die Bedeutung zeitlich hoch auflösender Messungen hingewiesen.
Eine weitere Studie findet auch Hinweise auf Belastungen mit UFP unter Anfluglinien: "indirect evidence from the study suggests that approaching aircraft may be a key source of temporal spikes on UFP size-selected profiles, and responsible for the peak of particles in the 10-20 nm range observed in the overall size distribution of UFPs at these locations."



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