Sicherheit und/oder Lärmschutz durch die Südumfliegung ?

Südumfliegung
Autor:  Horst Bröhl-Kerner,     04.01.2013
Seit Inbetriebnahme der Landebahn Nordwest werden die Abflüge vom bisherigen Parallel­bahn-System Richtung Westen (BR25), die eigentlich nach Norden wollen, zunehmend auf eine neue Abflugroute, die sog. „Südumfliegung“, verlagert. Dadurch werden u.a. Nauheim, Königstädten, Trebur und der Landkreis Mainz-Bingen, die bisher von Fluglärm weitgehend verschont waren, neu und zunehmend belastet.

Mit zunehmendem Lärm mehren sich die Forderungen nach Veränderung oder Abschaffung der Südumfliegung. Die meisten sind einfach nur dagegen (sagen aber nicht, was stattdessen passieren soll), einige weisen dezent darauf hin, wie unökologisch es doch ist, unnötig Treibstoff zu verbrauchen, um einen Bogen zu fliegen, und einige wenige fordern klar und deutlich, doch einfach geradeaus zu starten.
In einem zweiten Diskussions­strang wird viel Aufhebens darum gemacht, dass mit dem BfU-Bericht zu einem Beinahe-Zusammenstoß im Dezember 2011 nun endgültig klar sei, dass die Südumfliegung nicht, wie behauptet, aus Sicherheits­gründen, sondern (nur?) aus Lärmschutz­gründen eingerichtet wurde.

Für Raunheim ist diese Diskussion aus mehreren Gründen wichtig. Zum einen gibt es auch innerhalb Raunheims eine Verschiebung der Betroffenheit: statt des nun bei Landeanflug etwas ruhigeren Nordens bekommt der stärker betroffene Süden auch noch mehr Startlärm ab. Zum anderen steckt aber in der Frage nach Alternativen zur Südum­fliegung eine massive Bedrohung für ganz Raunheim.

Weil Raunheim direkt in der Verlängerung des alten Parallel­bahn-Systems nach Westen und ziemlich nahe dran liegt, drehen Maschinen beim Start nach Westen schon immer frühzeitig ab. Das hatte schon immer hauptsächlich Lärmschutz­gründe: man fliegt (das sagt selbst die ICAO) nicht niedrig über Siedlungs­gebiet, wenn es nicht sein muss. Ein bisschen hat es auch Sicherheits­gründe: da die Startphase eine der kritischeren Flugphasen mit überpropor­tionaler Unfall­häufigkeit ist, möchte man auch die Schäden begrenzen, wenn denn doch mal was passiert.

Seit die Startbahn West in Betrieb genommen wurde, wird sie von fast allen Flügen genutzt, deren Ziel mehr im Süden liegt. Für die Abflüge vom Parallel­bahn-System verblieben die Flüge in Richtung Norden, d.h. bei Starts Richtung Westen wurde möglichst früh nach Norden gedreht. Nur die besonders schweren Maschinen, die längere Steigzeiten brauchten, um über den Taunus zu kommen, schlichen noch eine Weile über dem Main nach Westen, bevor sie abdrehten.
Nachdem die Nordwestbahn nun gegenüber dem Parallel­bahn­system nach Westen verschoben praktisch direkt in die alte Abflugroute gebaut wurde, galten die Nordabflüge, die eventuelle Fehl­anflüge auf die Nordwestbahn sehr bahn-nah kreuzen würden, als zu riskant. Oder genauer gesagt: bei Vollaus­lastung der Nordwestbahn gibt es einfach zu wenig Lücken, in die ein Nordabflug ohne Risiko eingeschoben werden kann.

Aus Gründen, die ich nie genau verstanden habe, soll das Kreuzungs­risiko geringer sein, wenn die Bahnen der landenden (bzw. durchstartenden) und der (normal) startenden Flugzeuge gleichauf liegen. Oder wieder genauer gesagt: das Zeitfenster zwischen zwei (möglicherweise durch­startenden) Landungen, in das ein kreuzender Start ohne Risiko hineingeschoben werden kann, ist größer. Da die exakte Einhaltung der Zeitfenster durch die beteiligten Akteure immer ein bisschen unsicher ist (wir reden hier von Minuten-Takten), ist ein größeres Zeitfenster auch sicherer. So erklärt sich wohl die Behauptung, dass das heutige Abdrehen nach Süden sicherer ist als das früher praktizierte Abdrehen nach Norden.

Die Frage, die der BfU-Bericht dazu (wieder) aufgeworfen hat, lautet: Kann ein System, in dem Starts regelmäßig die Fehlabflug­routen benachbarter Landebahnen kreuzen müssen, überhaupt „systemisch sicher“ sein, d.h. sicher funktionieren, ohne von einer schnellen menschlichen Eingreif-Reaktion abhängig zu sein? Die Antwort ist ja, wenn sichergestellt ist, dass die Flugzeuge nicht gleichzeitig an den Kreuzungs­punkten ankommen können. Konkret heißt das, dass das startende Flugzeug entweder weg sein muss, bevor das eventuell durchstartende den Kreuzungs­punkt (bzw. den Kreuzungs­bereich) erreichen kann, oder so lange warten muss, bis sicher ist, dass kein Durchstarten erfolgt. Da auch, anders als bei Autos oder Zügen, keines von beiden im Kreuzungs­bereich liegen­bleiben kann, ist ein solches Verfahren „systemisch sicher“.
Das Warten ist aber genau das Problem: wer 126 Flugbewegungen pro Stunde (die magische Fraport-Zahl aus dem Plan­feststellungs­verfahren) abwickeln will, muss auf jeder der vier Bahnen durchschnittlich alle zwei Minuten eine Bewegung (Start oder Landung) realisieren. Verzögerungen sind da nicht mehr vorgesehen.

Das Problem ist nicht neu. Bereits bei der Prüfung der Realisierungsmöglichkeiten einer Südum­fliegung hatte die DFS auch die berüchtigten „Alternativen 3 und 4“ geprüft: Geradeausflug der Starts nach Westen über Rüsselsheim bzw. Raunheim und Abdrehen nach Norden hinter Bischofs­heim bzw. Flörsheim und hinter Mainz. Beide erhielten in puncto Sicherheit bessere Noten, wurden aber wegen der horrenden Lärmbelastung verworfen.

Wer jetzt diese Zombies wieder auferstehen lassen möchte und bereit ist, die höhere Lärmbelas­tung (für andere) hinzunehmen und aus Gründen der Sicherheit (und der Treibstoff-Einsparung??) den Geradeausflug propagiert, muss sich darüber im Klaren sein, dass er damit das zugrunde­liegende Kapazitäts-Dogma akzeptiert. Nur wenn die Zahl 126 tabu ist, muss man sich zwischen Pest und Cholera entscheiden: ganzjähriger Höllenlärm über Raunheim, Rüsselsheim und Flörsheim oder permanentes Kollisionsrisiko im Südwesten des Flughafens.

Aus Raunheimer Sicht darf man sich diese Alternativen nicht aufdrängen lassen. Wir wollen weder ganzjährig massiv verlärmt werden noch mit einem erhöhten Absturzrisiko über unseren Köpfen leben. Unsere Forderung an Fraport, DFS und alle anderen Beteiligten ist ganz klar: seht zu, wie ihr euren Flugbetrieb sicher und lärmarm organisiert! Und wenn sich dabei herausstellen sollte, dass auf diesem völlig verkorksten Bahnsystem nicht 126, sondern nur 70 oder noch weniger Flug­bewegungen pro Stunde möglich sind, werden wir nicht jammern.


Nachtrag vom 11.03.2013:

Die Diskussion geht weiter

In ihrer Sitzung im Februar 2013 hat die Fluglärm­kommission noch einmal bekräftigt, dass es unter Lärm-Gesichts­punkten keine Alternative zur Südum­fliegung gibt.
Zugleich hat aber die DFS dort angekündigt, dass wegen noch bestehender technischer Probleme derzeit kein unabhäbgiger Betrieb zwischen den Südabflügen von der Centerbahn und den Starts von der Startbahn West stattfinden kann. Im Klartext heißt das, dass die Flieger, die die Südum­fliegung nehmen, die vorgegebene Route nicht exakt genug einhalten und daher den Starts auf der Startbahn West zu nahe kommen können, so dass auch hier zeitliche Abstände eingehalten werden müssen.
Die DFS hofft, die Probleme durch technische Nachrüstungen in den Griff zu bekommen. Sollte das nicht gelingen, besteht die Gefahr, dass nochmal an der Routen­führung gedreht wird, was wohl eine Verlagerung nach Westen (sprich: Richtung Raunheim) bedeuten würde. Andernfalls nämlich müßte Fraport seine Kapazitäts­träume endgültig in den Wind schreiben.


Südumfliegung
Nachtrag vom 04.06.2013:

Nun wieder unabhängig ?

Nur per Zufall sind wir auf ein Video gestossen, in dem die DFS erklärt, wie sie das Problem lösen will: die neue Prozedur gibt vor, mindestens bis zu einem bestimmten Punkt in der Verlängerung der Centerbahn Richtung Raunheim ("5DME") geradeaus zu fliegen und dann Richtung Navigations­punkt Nauheim abzudrehen. Wo dieser Punkt genau liegt, ist nicht angegeben. Aus der Video-Animation kann man abschätzen, dass er etwa 1 km vor dem Ende der Centerbahn liegt. Sollte allerdings an diesem Punkt noch nicht die Höhe von 800 ft erreicht sein, ist solange weiter geradeaus zu fliegen, bis diese Höhe erreicht ist.
Man kann aus Raunheimer Sicht nur hoffen, dass nicht allzu viele schwere Kisten mit den 800 ft Probleme haben und deswegen näher an Raunheim heranfliegen. Sollten allerdings die von der Lufthansa beabsichtigten Flachstarts dazu führen, dass dies häufiger vorkommt, wäre das ein doppelter Skandal.


Textausschnitt
Nachtrag vom 04.07.2013:

Es wird weiter gebastelt

In der Sitzung der Fluglärm­kommission am 26.04. hat die DFS genauer erläutert, wie sie die Unabhängig­keit zwischen Südum­fliegung und Abflügen von der Startbahn West wieder herstellen will. Im Wesentlichen sollen die Piloten durch ein Bündel von Vorschriften und Hinweisen dazu verpflichtet werden, die vor­gegebene Ideal-Abflug­linie so exakt wie möglich einzu­halten. Abweichungen sollen nur Richtung Westen erlaubt sein, Korrek­turen Richtung Osten unter­bleiben. Die DFS möchte diese Vorgaben bis zum Jahres­ende testen und sich das Verfahren dann vom Bundes­aufsichts­amt für Flug­sicherung genehmigen lassen. Sollte das nicht funktionieren, wird sie die Südum­fliegung, die aus Kapazitäts­gründen unbedingt gebraucht wird, aber nicht aufgeben. Dann müßten "mittelfristig" drastischere Maßnahmen ergriffen werden - und hier spricht die DFS zum ersten Mal offen aus, dass die Route dann näher an Raunheim heran geführt werden müßte (s. Grafik).

Übergangs­weise hat die DFS in der FLK noch eine weitere Regelung beantragt, die Raunheim belasten wird. Da der abhängige Betrieb dazu führt, dass startende Flugzeuge auf der Centerbahn und der Startbahn West aufeinander warten müssen, wird in den Abend­stunden, wenn viel gestartet wird, schon heute ein Kapazitäts­engpaß erreicht. Daher sollen einige Abflüge von der Centerbahn auf die Nordroute (zurück)verlegt und damit aus der Abhängig­keit heraus genommen werden. Das würde bedeuten, dass der Norden der Stadt wieder stärker verlärmt wird - ausgerechnet in der Zeit zwischen 21:30 und 23:00 Uhr, wenn viele Menschen einschlafen wollen.
Die FLK hat dem Antrag nicht zugestimmt, aber sie hat ja nur beratende Funktion. Die DFS kann sich ihre Pläne direkt vom Verkehrs­minister genehmigen lassen - und der wird sich wohl nicht lange zieren, wenn es um das Wohl der Luft­verkehrs­wirtschaft geht.




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