Volle Deckung !

Autor:  Horst Bröhl-Kerner,     13.04.2013

Nicht nur fliegen wieder gehäuft Ziegel vom Dach, nun kommt auch noch Fraport auf uns zu. Zum Lachen ist das leider nicht. Schon die erste Pressemitteilung deutet an, was Fraport vorhat: der ganz grosse Nebelwerfer wird aktiviert, Situationen analysiert, Ursachen erforscht, Vergleiche gezogen und Erkenntnisse gewonnen, selbstverständlich unter Hinzuziehung aller verfügbaren Experten.

Ist noch irgend etwas unklar? Wie und warum Wirbelschleppen entstehen und sich (auch) zum Boden hin ausbreiten, und was sie da anrichten können, wurde in Gutachten zum Ausbau in aller Klarheit dargestellt, auch in solchen von Befürworter-Seite. Experten haben dann aber das Risiko, dass jemand dadurch zu Schaden kommt, so kleingerechnet, dass es rechtsverbindlich als "vernachlässigbar" planfestgestellt werden konnte. Dummerweise schert sich die Realität nicht um das Expertengeschwätz.

Was getan werden könnte, ist ebenfalls hinreichend bekannt. Je weniger Überflüge es gibt, und je höher geflogen wird, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass Wirbelschleppen am Boden ankommen und Schaden anrichten können. Da es das Risiko praktisch nur auf der Westseite des Flughafens gibt, wäre grundsätzlich ein Wechsel auf Betriebsrichtung 07 soweit als möglich zu vermeiden. Die real geflogenen Höhen sind strikt zu kontrollieren und Unterschreitungen streng zu sanktionieren. Mittelfristig müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, die Überflughöhen zu vergrössern. Bis dahin müssen in besonders gefährdeten Bereichen technische Sicherungsmaßnahmen (Klammerungen) durchgeführt werden, natürlich finanziert vom Verursacher. Wenn das verbindlich umgesetzt ist, können die Experten gerne nach weiteren Lösungen suchen.

Stattdessen droht nun aber, dass, nach einer anfänglichen Phase der Hyperaktivität, auf laufende Analysen verwiesen wird in der Hoffnung, dass dramatische Schadenshäufungen eine Ausnahme bleiben und sich Flörsheim ebenso wie Raunheim daran gewöhnt, mit dem Risiko zu leben. Und so werden nun von Fraport beauftragte Gutachter vier Wochen lang durch halb Raunheim und halb Flörsheim laufen, um mit Blick von der Strasse festzustellen, welche Dachflächen Wirbelschleppen-gefährdet sind. Selbst wenn diese Gutachter nahezu hellseherische Fähigkeiten haben - angesichts der Tatsache, dass von den Schäden Dächer jeder Art, jedes Alters und jedes Zustands betroffen waren, ein völlig absurdes Unterfangen. Im besten Fall werden einige HausbesitzerInnen auf existierende Dachschäden oder Risiken aufmerksam gemacht und einige Dachdecker erhalten zusätzliche Aufträge (Fraport sichert Arbeitsplätze!). Was die Gutachter, ausser Aktivität vorzutäuschen, wohl wirklich tun sollen, dürfte sein, den Aufwand für ein komplettes Klammerungsprogramm in den betroffenen Bereichen etwas genauer abzuschätzen.
Zur Sicherheit vor Wirbelschleppen-Schäden trägt dies höchstens dann (geringfügig) bei, wenn sich HausbesitzerInnen entschliessen, eventuell entdeckte Schäden und Risiken beseitigen zu lassen - dass Fraport das finanzieren würde, davon ist allerdings noch nicht die Rede.

Und was ist von den Untersuchungen zu erwarten, die die DLR jetzt anstellen soll? Mit revolutionär neuen Erkenntnissen ist wohl nicht zu rechnen. Weder sind besondere Formen der Überlagerung von Wirbelschleppen, über die manche spekulieren, besonders wahrscheinlich, noch sind außergewöhnliche meteorologische Bedingungen erkennbar, die eine ungewöhnliche Verstärkung der Wirbelschleppen erklären könnten. Trotzdem muss natürlich damit gerechnet werden, dass versucht wird, die Vorfälle in Flörsheim zu Ausnahme-Erscheinungen zu erklären.
Wenn man optimistisch sein will, kann man aber zumindest ein positives Ergebnis erwarten: mehr Transparenz. Erster Schritt dazu wäre eine detailierte und vollständige Auflistung aller bisherigen Wirbelschleppen-Vorfälle. Bisher weiss nur Fraport, wann, wo und in welchem Ausmaß Schäden aufgetreten sind und reguliert wurden. Zweiter Schritt wäre eine genauere Dokumentation der Endanflüge. Die Variationsbreite von Horizontal- und Sinkgeschwindigkeiten, Überflughöhen usw. sind interessante Parameter nicht nur für die Entwicklung von Wirbelschleppen, sondern auch für die Lärmentwicklung.

Entscheidend aber bleibt, die Grunderkenntnis im Auge zu behalten, die die Wirbelschleppenschäden nur noch einmal auf andere, drastisch sichtbare Weise bestätigen: dieser Flughafen hat seine Grenzen überschritten, er ist den Menschen der Region in dieser Form nicht mehr zuzumuten. Weiteres Wachstum, weiterer Ausbau sind unverantwortlich.



Nachtrag vom 26.04.2013:

Und Fraport zahlt doch ?

Noch bevor die Dachinspektionen beendet sind oder irgendwelche Gutachten vorliegen, kündigt Minister Rentsch vollmundig an, er werde den Plan­feststellungs­beschluss ergänzen und Fraport verpflichten, die notwendigen Sicherungs­massnahmen an Dächern vornehmen zu lassen. Und Fraport protestiert nicht etwa, sondern erklärt, dass sie das ja ohnehin schon vorbereiten würden.

Das Thema ist offensichtlich für Fraport hoch gefährlich. Während sonst der Eindruck erweckt wird, das Ergebnis der Planfeststellung sei für alle Ewigkeit in Stein gemeisselt, möchte der zuständige Minister hier eine höchstrichterlich bestätigte Rechtsposition ("Klammerung nicht notwendig") beseitigen, ohne dafür irgendwelche neuen, rechtlich relevanten Gründe vorlegen zu können - und die Betroffene erklärt sich freudig einverstanden, dafür (voraussichtlich) Millionenbeträge ausgeben zu müssen. Das kann nur bedeuten, dass die Konsequenzen des Nichtstuns noch wesentlich dramatischer werden könnten. Dass der Herr Minister die anstehenden Wahlen fest im Auge hat und Durchsetzungsfähigkeit demonstrieren möchte, kommt nicht unerwartet. Dass Fraport aber (mehr oder weniger) freiwillig zahlen will, ist nur dadurch erklärbar, dass andernfalls noch sehr viel höhere Kosten drohen könnten. Man darf gespannt sein, welche Art der Umsetzung diesen Ankündigungen folgt.



Nachtrag vom 14.05.2013:

Herr Rentsch läßt klammern.

Heute hat der Herr Minister tatsächlich das vorher so verfemte Instrument der Planergänzung benutzt, um Fraport zu verpflichten, allen Hausbesitzern in einem festgelegten Bereich unter den Anfluglinien anzubieten, notwendige Sicherungs­massnahmen an Dächern auf ihre Kosten vornehmen zu lassen. Fraport hat offenbar nur noch ein bißchen darum gefeilscht, den Bereich kleiner zu halten.

Ob das gewählte Verfahren Bestand haben kann (und welche weiteren Änderungen am Planfeststellungs­beschluss auf diesem Weg sonst noch möglich wären), wird sicherlich noch etliche Juristen beschäftigen. Der materielle Inhalt des Beschlusses, der für die Bürger relevant ist, hat es aber auch in sich.
Da ist zunächst die Stichtagsregelung: Das Angebot gilt nur für Gebäude, die vor dem 23.03.2007 errichtet wurden. An diesem Tag wurden die Unterlagen für den Ausbau (erneut) ausgelegt, und "spätestens ab diesem Zeitpunkt konnten die Betroffenen die Zunahme der flugbetrieblichen Auswirkungen durch die Vorhabensplanung absehen und für die normgerechte Dacheindeckung von Neubauten auch unter diesem Aspekt Sorge tragen", so der Minister. Und was wurde da ausgelegt? Unter anderem eben auch ein Gutachten, in dem ausführlich dargelegt wurde, dass für die Bereiche, in denen Bebauung möglich war, keinerlei Wirbelschleppen-Risiko besteht. Sinngemäß sagt der Minister also: "Wer unseren Blödsinn glaubt, gehört bestraft". Politisch kann man dieser Aussage zustimmen, rechtlich ist ein solches Vorgehen natürlich völlig unmöglich.
Zweitens ist da die Festlegung der Anspruchsbereiche. Da der Minister das offensichtlich fehlerhafte Gutachten zu Wirbelschleppen aus den Planfeststellungs­unterlagen nicht in Frage stellen will, fehlt ihm jegliche rationale Grundlage, um den möglichen Einwirkungsbereich am Boden feststellen zu können. Er greift daher auf ein Hilfskonstrukt zurück, das man nur als abenteuerlich bezeichnen kann: der übliche vertikale Mindestabstand von 1.000 ft, den Flugzeuge generell einzuhalten haben, soll (plus Sicherheitszuschlag) auch hier gelten. Das dafür zitierte ICAO-Dokument befasst sich nicht mit Wirbelschleppen, der Abstand ist ein Erfahrungswert zur Kollisionsvermeidung. "Zufällig" (wie lange wurde hier hin und her gerechnet?) deckt sich der daraus errechnete Bereich nun halbwegs mit den Gebieten, in denen bisher Wirbelschleppen-Schäden gemeldet wurden. So einen Unfug wegzuklagen, sollte kein Problem sein. Für die Bevölkerung fehlt aber jede Sicherheit, dass mit diesen Massnahmen nun wenigstens die Gefahr durch fliegende Dachziegel beseitigt werden könnte - von anderen möglichen oder bereits aufgetretenen Schäden ganz zu schweigen.

Wenn jemand geglaubt haben sollte, Herr Rentsch könnte der Bewältigung der Wirbelschleppen-Problematik auch nur annähernd gewachsen sein - dieser Beschluss sollte ihn eines Besseren belehren.



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