FFI-Gebiete

Analyse und Kritik des 'Frankfurter Fluglärm-Index'
- technische Aspekte, Nachtindex

Ende Mai dieses Jahres hat das 'Forum Flug­hafen und Region' der Öffent­lichkeit einen weiter­entwickelten 'Frank­furter Fluglärm­index', den 'FFI 2.0' vorge­stellt. Allge­meine Aspekte des FFI und die besonderen Probleme des FTI 2.0 sind im entspre­chenden Tag­index-Papier beschrieben. Hier geht es noch um die spezi­fischen Probleme des Nacht­index FNI.
Quellen sind auch hier wieder die Dokumen­tation (im Folgenden kurz 'FFR-Doku') und die zuge­hörigen Webseiten, die das FFR bzw. das Umwelthaus bereit­stellen; sowie die wissen­schaft­liche Studie (im Folgenden kurz 'Index-Studie') zur Bewer­tung der im 'Regio­nalen Dialog­forum' im Rahmen des sog. 'Anti-Lärm-Pakts' zum Flug­hafen­ausbau entwick­elten Index-Vor­schläge.

Auch beim FNI liegen die Probleme im Wesent­lichen in zwei Punkten:

       1. Abgrenzung der Auswertegebiete
       2. Auswertung der Lärmwirkung

Diese beiden Punkte sollen im Folgenden näher betrachtet werden. Dazu kommen noch einige spezifische Punkte, die mit der Struktur des Nacht­betriebs zusammen hängen. Dabei geht es insbe­sondere um dringend nötige Anpas­sungen, die nicht vorge­nommen wurden und wohl auch nicht geplant sind.
Wegen der Logik der Argumen­tation werden auch hier die beiden Punkte in umge­kehrter Reihen­folge disku­tiert.

Die Auswertung der Lärmwirkung

Beim Nachtindex wird nicht die subjektiv empfundene Belästigung durch Fluglärm als Wirkung zugrunde­gelegt, sondern die Aufwach­wahr­schein­lich­keit durch einzelne, hin­reichend laute Flug­geräusche. Diese Wahl hat Vor- und Nachteile.
Aufwach-Reak­tionen gelten in der Schlaf­forschung als guter Indi­kator für die Schlaf­qualität. Durch äusseren Einfluss indu­zierte, zusätz­liche Aufwach­reak­tionen sind daher sicher­lich ein gutes Maß für die störende Wirkung. Zudem sind Aufwach­reak­tionen unab­hängig von subjek­tiven Beurtei­lungen der Betrof­fenen objektiv messbar. Die Probleme liegen darin, dass Aufwach­reak­tionen auch im unge­störten Schlaf beim Wechsel der Schlaf­phasen vorkommen und dass ihre Messung und Bewer­tung als 'zusätz­lich' und 'durch äussere Einflüsse bewirkt' sehr aufwändig ist. Auch die Zusammen­fassung von 'Aufwach-Wahr­schein­lich­keiten pro Lärm­ereignis' zu 'zusätz­liche Aufwach­ereig­nisse pro Nacht' ist nicht unproble­matisch.

Wegen des hohen Aufwandes wurden und werden einschlä­gige Studien in der Regel nur mit max. einigen Dutzend Probanden durch­geführt. Eine Übertra­gung der Ergeb­nisse auf die Bewohner­*innen einer ganzen Region ist daher mit grossen Unsicher­heiten behaftet. Ebenso gibt es nur sehr wenige Unter­suchungen darüber, wie die Aufwach­wahr­schein­lich­keit durch Faktoren wie Alter, Geschlecht, Vorbe­lastungen, akuter Gesund­heits­zustand etc. beein­flusst wird.

Die Unter­schiede zwischen den Betrof­fenen werden jedoch für die Index­bildung ebenso­wenig berück­sichtigt wie die Frage, wann innerhalb des betrach­teten Zeitraums das störende Ereignis auftritt. Ein Flug um 3 Uhr morgens wird genauso bewertet wie ein gleich­lauter Flug um 23 Uhr, obwohl es sehr wahr­schein­lich ist, dass der Flug um 3 Uhr sowohl wesent­lich mehr Menschen im Schlaf stört als auch die Störung deutlich stärker ist (selbst wenn es nicht zum voll­ständigen bzw. erinner­baren Aufwachen kommt).
Auch diese Fragen werden bereits in der 'Index-Studie' disku­tiert und Vorschläge ent­wickelt, wie sie wenig­stens ansatz­weise berück­sichtigt werden können. Sie blieben vor zehn Jahren unbe­rück­sichtigt und spielten auch bei der jetzigen Über­arbei­tung offen­sicht­lich keine Rolle.

Grafik FNI-Dosis-Wirkung

Abb. 1: Dosis-Wirkungs-Funktionen für die Wahrscheinlichkeit,
durch ein Fluglärm-Ereignis mit einem bestimmten Maximalpegel
aufzuwachen.

Dies ist umso unver­ständ­licher, als zwischen­zeitlich eine ganz wesent­liche Verän­derung in der Lärmver­teilung einge­treten ist, die unbe­dingt berück­sichtigt werden müsste. Mit der Inbetrieb­nahme der Nordwest­bahn 2011 wurden auch Nacht­flug­beschrän­kungen einge­führt, die zwischen 0 und 5 Uhr nur in Ausnahme­fällen Flugbe­wegungen zulassen und deren Zahl zwischen 23 und 0 Uhr stark begrenzen sollen.
Natur­gemäß haben viele Menschen in der Region ihr Verhalten darauf einge­stellt, was sich auch daran gezeigt hat, dass die drastische Steige­rung der Zahl der Ver­spätungs­flüge nach 23 Uhr im Sommer 2018 erstmals wieder zu massiven öffent­lichen Beschwer­den über den Fluglärm in der Region geführt hat. Im Index bleibt dieser Effekt weit­gehend unbe­rück­sichtigt, da zwar Verschie­bungen aus der Zeit vor 22 Uhr auf Zeiten nach 22 Uhr berück­sichtigt werden, nicht jedoch Verschie­bungen innerhalb der Zeit von 22 bis 6 Uhr.

Die tatsäch­lich vorge­nommenen Ände­rungen sind dem­gegen­über weitaus weniger bedeutend. Zwar wurde aus den NORAH-Ergeb­nissen eine neue Dosis-Wirkungs-Funktion abge­leitet (wie, wird aller­dings nur sehr grob beschrieben), aber wie Abb. 1 zeigt, unter­scheidet sie (dunkel­blaue Kurve) sich nur minimal von der alten Funktion (grüne Kurve), die sich auf Daten aus einer DLR-Studie stützte. Ledig­lich eine weitere Verän­derung hat möglicher­weise deut­lichen Auswir­kungen.
Da die Studien mit Bezug auf den Lärm im Innen­raum durch­geführt wurden ("Pegel am Ohr des Schläfers"), müssen für die Index­berech­nungen Annahmen gemacht werden, welchen Aussen­pegeln das ent­spricht. Hier wurde von Anfang an die Annahme gemacht, dass die meisten Menschen mit gekippten Fenstern schlafen und diese eine Dämm­wirkung von 15 dB haben, so dass die für den Index berech­neten Aussen­pegel zu 15 dB niedri­geren Innen­pegeln führen. Darüber hinaus wird nun aber für Bewohner, die Maßnahmen des passiven Schall­schutzes umge­setzt haben, pauschal "ein Abschlag von 30 dB(A) vom Maximal­pegel vorge­nommen".

Welche Wirkung diese Maßnahme hat, lässt eben­falls Abb. 1 ahnen. Die Dosis-Wirkungs-Funktion (hell­blaue Kurve) wird drastisch zu höheren Pegeln hin verschoben. Maximal­pegel unter­halb von 63 dB(A) führen nun zu keiner Wirkung mehr, die höchsten auftre­tenden Pegel werden in ihrer Wirkung halbiert.
Die Erfahrung zeigt, dass diese Annahme extrem unrea­listisch ist. Eine Pegel­reduzie­rung von 30 dB ist selbst für Neubauten anspruchs­voll, im Bestand werden solche Werte mit dem völlig unzu­reichend ausge­statteten Frank­furter Schall­schutz­programm höchstens in Ausnahme­fällen erreicht. Dazu kommt, dass die vergang­enen Sommer gezeigt haben, dass gerade zu Zeiten höchster Belastung durch Flug­verkehr in nicht voll­klimati­sierten Räumen eine nächt­liche Abküh­lung nur durch wesent­lich stärkere Lüftung (offene Fenster) zu erreichen ist, als die lächer­lichen Fraport-Lüfter erlauben oder mit gekippten Fenstern erreicht werden kann. Die Wirkung einzelner lauter Flug­lärm­ereig­nisse wird daher mit diesen Annahmen deut­lich unter­schätzt, ob mit oder ohne 'passiven Schall­schutz'.

Grafik FNI-Entwicklung

Abb. 1: Zeitliche Entwicklung des 'Frankfurter Nachtindex' (1.0),
der Zahl der Flugbewegungen (in den '6 verkehrsreichsten Monaten')
und der Personen im Indexgebiet insgesamt


Die Abrenzung der Auswertegebiete

Die Abgrenzung sog. Index­gebiete, die den Bereich, in dem der Index berechnet wird, beschränken, führt beim Nachtindex zu ähnlichen Problemen wie beim Tagindex. Wie Abb. 1 zeigt, ist auch hier die sich verän­dernde Zahl der betrof­fenen Personen der wesent­liche Faktor, der den Index­wert bestimmt. Korri­giert man die Index­werte (dunkel­blaue Kurve) um die Änderung der Gesamt­personen­zahl (blau­graue Kurve), so erhält man eine zeit­liche Entwick­lung (blau­grüne Kurve), die sich der Entwick­lung der Zahl der berück­sich­tigten Flug­bewe­gungen (orange­farbene Kurve) annähert.
Auch hier nimmt die Personen­zahl aber nicht ab, weil ein­deutig weniger Personen relevant belastet sind. Vielmehr fallen auch hier belastete Personen aus der Betrach­tung heraus, und die Frage, ob ihre Belas­tung relevant ist, ist umstritten.

Immerhin war die bishe­rige Gebiets­abgrenzung inso­fern konsistent, als versucht wurde, eine Wirkungs­schwelle zu defi­nieren, unter­halb derer die Belastung als nicht mehr relevant gelten sollte. Aber während in der 'Index-Studie' noch eine Aufwach­reaktions­zahl von 0,5 (d.h. eine Aufwach­reaktion jede zweite Nacht) als Schwellen­wert ange­nommen wurde, gibt die FFR-Doku an, dass für den FNI bisher ein Wert von 0,75 benutzt wurde. Der Unter­schied wirkt gering­fügig, aber ange­sichts der Tatsache, dass ein Lärm­ereignis nur um die 5% zu einer Aufwach­reaktion beiträgt, handelt es sich hier um eine Diffe­renz von rund 5 wirkungs­rele­vanten Lärm­ereig­nissen pro Nacht und damit vermut­lich um einen deut­lichen Unter­schied in der Gebiets­ausdehnung.
Das ist aber nun nicht mehr relevant, denn mit der Einführung des FNI 2.0 wird die wirkungs­bezogene Gebiets­abgrenzung ganz abge­schafft. Statt­dessen werden nun auch die Nacht­index­gebiete auf der Basis von Dauer­schall­pegel-Werten abge­grenzt, obwohl der Dauer­schall­pegel für die Bestimmung der Wirkung in der Nacht (zurecht) keine Rolle spielt. Tatsäch­lich ist der Dauer­schall­pegel wegen der Mittelung über sehr unter­schied­liche Belas­tungs­situa­tionen (2 Stunden Hoch­belastung, 1 Stunde redu­zierte Belastung, 5 Stunden Ruhe, 1 Stunde Hoch­belastung) grund­sätz­lich kein brauch­bares Maß für den Nachtzeitraum.

Begründet wird diese Änderung damit, dass das Nacht­index­gebiet im Westen bisher immer deut­lich kleiner ausge­fallen ist als das Tagindex­gebiet und damit Vergleiche schwieriger würden. Anstatt nun aber zu unter­suchen, warum das der Fall ist und ob reale Unter­schiede oder falsche Annahmen über die jewei­ligen Abgren­zungen dahinter stecken, wird die grund­sätzlich sinn­volle Methode der Abgren­zung des Nacht­index­gebiets zugunsten einer formal einfachen, aber sachlich nicht zu recht­ferti­genden Lösung aufgegeben.

Wollte man ernst­haft die Fluglärm­wirkung in der Nacht beobachten und bewerten, hätte man einer­seits die schon lange vorlie­genden Vorschläge für eine Weiter­entwicklung des FNI aufgreifen und an das Nachtflug­regime mit den aktuellen Beschrän­kungen anpas­sen müssen. Wichtige Vorschläge dafür wurden schon in der 'Index-Studie' gemacht, z.B. die stunden­weise Gewich­tung der störenden Ereig­nisse mit der durch­schnitt­lichen Anzahl der in dieser Stunde Schlafenden. Weiter­hin müssten die Erwar­tungen der schlafenden Menschen insofern berück­sichtigt werden, als dass Flüge in Zeiten, in denen keine regel­mäßigen Flugbe­wegungen stattfinden dürfen, wesentlich stärker gewichtet werden müssen. In diesen Zeiten (23 - 5 Uhr) ist nicht nur die subjek­tive Belastung durch trotzdem statt­findende Flug­bewegungen grösser, gerade in diesen Zeiten möchten die Menschen im Sommer die Fenster öffnen, um Abküh­lung zu ermög­lichen, und sind dem Lärm stärker ausge­liefert.
Ausserdem wäre es natürlich dringend nötig, die bekannten Wissens­lücken bezüglich der Wirkung von nächt­lichem Fluglärm zu unter­schied­lichen Zeiten und auf unter­schied­liche Bevöl­kerungs­gruppen durch weitere Forschung allmählich zu schliessen. In dieser Richtung passiert aber offenbar garnichts.

Fazit

Welche Rolle der Nacht­index künftig spielen soll und kann, ist daher ungewiß. Die stief­mütter­liche Behand­lung bei der Über­arbei­tung des FFI und die sach­fremde Anpassung der Nacht­index­gebiete an den Tagindex deuten darauf hin, dass ihm eher eine Neben­rolle zugedacht ist. Dafür spricht auch, dass es keinerlei Regeln dafür gibt, wie dieser Index als Maßnahme­index in der Entschei­dung zu bewerten ist und in welchem Ver­hältnis er zum Tagindex steht.
Für ihn gilt aller­dings noch mehr als für den Tagindex: er ist nicht das Problem. Von der Grund­konzep­tion her erscheint er durchaus anwendbar, aller­dings wäre noch erheb­licher Aufwand notwendig, um ihn wirk­lich zu einem aussage­kräftigen Instru­ment zu machen. Leider gibt es keine Anzeichen, dass er das werden soll.


Diskussionspapier, Stand: 09.09.2019

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