Hier sind alle Beiträge zu aktuellen Themen aus der zweiten Hälfte des Jahres 2019 gesammelt.
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20.12.2019
Enttäuschung, Desaster, Katastrophe - die Urteile über die
Klimakonferenz COP25 in Madrid sind weitgehend einhellig und drastisch. Bei allen wichtigen Tagesordnungspunkten gab es
keinerlei Fortschritt, sondern nur eine Vertagung um ein weiteres Jahr. Nachdem schon im September einige sektorale Gipfel, darunter die
Generalversammlung der internationalen Zivilluftfahrt-Organisation ICAO, weitgehend
gescheitert sind, steht die internationale Klimapolitik vor einem Scherbenhaufen, der
den UN-Generalsekretär veranlasst, Durchhalteappelle zu formulieren. Selbst die diplomatisch äusserst zurückhaltende
Stellungnahme der EU zu den Ergebnissen macht das Ausmass des Versagens deutlich.
Verantwortlich für diese Entwicklung sind zwar in erster Linie eine begrenzte Anzahl von Staaten, die die Verhandlungen
bewusst sabotieren, allen voran die USA, Australien, Brasilien und Saudi-Arabien. Aber die Gründe für das Scheitern internationaler Zusammenarbeit liegen tiefer und wecken grundlegende Zweifel, ob diese Konferenzen insbesondere für die Hauptbetroffenen der Klimakatastrophe, die Gruppe der besonders gefährdeten Entwicklungsländer,
noch angemessen sind, und werfen die Frage auf, ob gegebenenfalls für engagiertere Länder ein
paralleler Prozess zu den UN-Konferenzen eingeführt werden müsste.
Insbesondere die nun schon
zweite Vertagung des Beschlusses über die Regeln für den internationalen Handel mit Treibhausgas-Zertifikaten stellt auch das ICAO-Kompensationssystem CORSIA vor zusätzliche Probleme. Die Luftfahrtindustrie selbst hatte im Vorfeld der COP
deutlich gemacht, dass eine Einigung über diese Regeln ihr sehr wichtig ist, u.a. um zu verhindern, dass "das internationale Luftfahrt-Klima-Übereinkommen teilweise 'nationalisiert' wird", d.h. dass jeder beteiligte Staat seine eigenen Regeln dafür beschliesst, welche Zertifikate für die Kompensation der Emissionen der bei ihnen registrierten Airlines anerkannt werden. Genau das droht nun.
Zwar hat ICAO die Standards für akzeptable Zertifikate immerhin so hoch angesetzt, dass nach einer
Studie des Öko-Instituts alle 14 Bewerber für die Lieferung solcher Zertifikate in der ersten Runde
durchgefallen sind, und ICAO tut vorläufig auch noch so, als wollten sie das
durchhalten, aber letztendlich entscheidet ohne international verbindliche Vorgaben eben jeder Staat für sich, wie er die ICAO-Vorgaben umsetzt. Entsprechend intensiviert sich auch die Arbeit von Lobbygruppen, die
fragwürdige Zertifikate im Markt unterbringen wollen. Und zumindest Australien hat ja in Madrid noch einmal deutlich gemacht, dass es an seinen alten,
wertlosen Zertifikaten aus der Kyoto-Runde festhalten will. Der Druck, dem aus 'Wettbewerbsgründen' zu folgen, wird entsprechend gross werden.
Zusammen mit der Tatsache, dass wichtige Staaten wie China, Russland, Indien und andere immer noch nicht verbindlich erklärt haben, inwieweit sie überhaupt an CORSIA teilnehmen werden, droht dieses System seine Glaubwürdigkeit nun vollends zu verlieren. Die Konsequenzen für den Kampf gegen die Klimakatastrophe würden sich aber auch dann in Grenzen halten.
Nicht nur steht die Wirksamkeit solcher "markt-basierter Lösungen"
generell in Zweifel, die Luftfahrtindustrie macht in ihren
eigenen Dokumenten deutlich, dass sie in allen umwelt-relevanten Bereichen ihre
negativen Folgen nicht in den Griff bekommt und der Schutz von Klima, Umwelt und Gesundheit ohne Einschränkung des Flugverkehrs nicht funktioniert.
Das gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass einerseits in der internationalen Diskussion die Notwendigkeit des
Verzichts auf fossile Brennstoffe immer stärker betont wird und die
'Keep it in the ground'-Kampagnen immer stärker werden, andererseits die Rolle der sogenannten 'nachhaltigen Treibstoffe' (im ICAO-Slang 'sustainable aviation fuels', SAF)
immer deutlicher in Frage gestellt wird.
Andererseits wird hier auch deutlich, dass die Blockierer für wirksamen Klimaschutz nicht nur in ausländischen Regierungen sitzen. Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft BdL
äussert zwar vordergründig Unterstützung für den den europäischen 'Green New Deal' der von der Leyen-Kommission, wehrt sich aber heftig gegen alle konkreten Maßnahmen, die den Luftverkehr betreffen, und fordert stattdessen massive Subventionen für Erforschung, Entwicklung und Markteinführung eben jener SAFs, die bestenfalls langfristig und in sehr begrenzten Mengen zur Verfügung stehen können. Der Bundesverband der Deutschen Industrie
wettert auch noch gegen das extrem schwache Klima-Päckchen der Bundesregierung und sieht die Wettbewerbsfähigkeit aller deutschen Unternehmen in Gefahr. Und führende Manager der Autoindustrie
bestätigen, dass sie unwillig und unfähig sind, die notwendigen Änderungen vorzunehmen, denn "Was wir können, ist Strukturwandel. Was wir nicht können, ist Strukturbruch". Genau Letzterer ist aber dringend notwendig.
Die Konsequenz aus dem Scheitern der Konferenz in Madrid und der Blockadehaltung der fossilen Wirtschaft, die von
Vertretern der Zivilgesellschaft recht einheitlich formuliert wird, kann also auch für die Bewegung gegen die Gefährdung von Gesundheit, Umwelt und Klima durch den Luftverkehr nur sein: der Widerstand muss weitergehen, und zwar vermehrt auf der Strasse, in öffentlichen und direkten Aktionen. Die Hoffnung, dass die Politik es schon richten werde, zeigt sich immer deutlicher als Illusion. Die
notwendige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft muss von den Betroffenen gegen den Widerstand der Konzerne, die vom Status quo profitieren, durchgesetzt werden.
Möglichkeiten, dafür aktiv zu werden, gibt es auch in unserem Umfeld. Die Initiative
Am Boden bleiben plant für Anfang Februar ein
Aktionstreffen in Frankfurt, in dem "die Planung einer fetten, kreativen und ungehorsamen Aktion oder Aktionsreihe 2020" voran gebracht werden soll. Dabei soll Fraport im Zentrum der Aktionen stehen. Nähere Details und Möglichkeiten zur Anmeldung wird es im Januar geben.
So uhrwerk-artig möchte die DFS die Abläufe erscheinen lassen,
aber wehe, die Realität spielt nicht mit ... (Quelle: FLK-Präsentation der DFS)
... dann passiert mindestens sowas: das auf der Centerbahn startende Flugzeug fliegt direkt
über Raunheim, weil die auf der Südbahn landende Maschine durchstarten muss. Hier befinden sich während des Starts gleich zwei Flugzeuge in der angeblichen 'Tabuzone'.
(Quelle: Fraport Noise Monitor, FraNoM)
Und dass das Konzept schon heute geflogen wird, zeigt dieser (bearbeitete, s. Text) Screenshot
(Quelle: Fraport Noise Monitor, FraNoM, verändert)
10.12.2019
Die DFS hat in der Sitzung der Fluglärmkommission am 04.12. einen für Februar/März 2020 vorgesehenen ‚Probebetrieb‘ bei Betriebsrichtung 25 (Anflug aus Osten) präsentiert, der ein "Konzept zur optimierten Nutzung des Start- und Landebahnsystems" testen soll. Bei genauerer Betrachtung handelt es sich aber weder um die Erprobung eines neuen Verfahrens noch um eine „Optimierung der Tabuzonenverfahren“ oder gar um eine „Umsetzung der BFU-Sicherheitsempfehlung“. Vielmehr ist es ein Versuch, die im laufenden Jahr bereits vielfach genutzten Verfahrenselemente in einem neuen Konzept zusammenzuführen und legitimieren zu lassen. Dabei wird die dem ‚Tabuzonenverfahren‘ zugrunde liegende Sicherheitsphilosophie endgültig aufgegeben.
Die ‚Tabuzone‘ wurde 2011 eingeführt, um nach Eröffnung der Nordwestbahn und Einführung der Südumfliegung Konflikte zwischen einem Fehlanflug auf die Südbahn und einem Start auf der Centerbahn zu vermeiden. 2015 wurde der Staffelungsabstand zur Einhaltung dieser Zone aufgrund von Empfehlungen der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) von 5 auf 6 Nautische Meilen (von 9 auf 11 Kilometer) erhöht. Die Empfehlungen waren Bestandteil der
BFU-Untersuchung einer
schweren Störung, die sich bereits im Dezember 2011 ereignet hatte. Damals war ein auf der Centerbahn startender Airbus A320 aufgrund eines Lotsenfehlers zweimal der Wirbelschleppenzone eines auf der Südbahn durchstartenden A380 gefährlich nahe gekommen.
Natürlich sollte auch im Norden gewährleistet sein, dass Starts nicht in Konflikt mit Durchstartmanövern auf der Nordwestbahn geraten können, aber da gemäß Planfeststellung der Nordwestabflug von der Centerbahn nur noch in Ausnahmefällen genutzt werden sollte, schien dafür keine besondere Regelung erforderlich. Wegen
Problemen mit der Südumfliegung wird er allerdings nach wie vor häufiger genutzt als geplant.
Beide Regelungen führen zu Beschränkungen in der möglichen Staffeldichte von An- und Abflügen und damit zu Kapazitätseinschränkungen. Aufgrund des Wiederanwachsens der Zahl der Flugbewegungen in den letzten beiden Jahren werden sie daher zunehmend, und nicht nur in Spitzenzeiten, missachtet.
Spektakulär deutlich wurde das am 13.07.2019, als sich über dem ehemaligen Ticona-Gelände ein durchstartendes Flugzeug auf der Nordwestbahn und ein von der Centerbahn auf den Nordwestabflug drehendes Flugzeug
unzulässig nahe kamen. Die BFU sah darin allerdings keine „schwere Störung“ (da die Lotsen das Problem rechtzeitig lösen konnten), und die DFS
weigert sich zu erklären, wieso es dazu überhaupt kommen konnte. Einzige Konsequenz daraus war unnötiger Lärm über Eddersheim und Raunheim.
Verletzungen der Tabuzone im Süden sind inzwischen nahezu täglich zu beobachten. Dazu kommen nicht vorgesehene Abläufe wie z.B.
Swings von der Süd- auf die Centerbahn im Landeanflug, während gleichzeitig auf der Centerbahn gestartet wird und der Abstand zwischen Start und Landung gerade einmal eine Bahnlänge beträgt.
Spektakulärer Fall hier am 15.09.2018: ein im Landeanflug von der Süd- auf die Centerbahn ‚geswingtes‘ Flugzeug fliegt stattdessen den zwischen beiden liegenden Rollweg an, startet durch und kreuzt dabei die Abflugroute eines kurz vorher von der Centerbahn auf die Südumfliegung gestarteten Flugzeugs. Auch hier keine Untersuchung und keine Erklärung, da der zeitliche Abstand zwischen beiden am Kreuzungspunkt so groß war, dass keine direkte Kollision drohte.
Das von der DFS vorgestellte Konzept verbessert die heutige Situation im Hinblick auf Kollisionsrisiken nur insofern, als darin der Nordwestabflug nun doch wieder nur in Ausnahmefällen genutzt werden soll. Wieso die Südumfliegung jetzt doch in der Lage sein soll, den kompletten Startverkehr in Westrichtung abzuwickeln, erklärt die DFS allerdings nicht.
Wenn, wie von der DFS dargestellt, der Staffelungsabstand zwischen Anflügen auf die Center- bzw. die Südbahn 4 Nautische Meilen betragen soll, beträgt der zeitliche Abstand zwischen dem Passieren der jeweiligen Landeschwellen bei den üblichen Anfluggeschwindigkeiten weniger als 2 Minuten. Da zwischen dem Passieren der Landeschwelle und der „sichergestellten Landung“ (Aufsetzen und Verzögern) nochmals rund 30 Sekunden vergehen, ist das Zeitfenster für die eingeschobenen Starts kaum größer als 1 Minute.
Die Zeit zwischen Startfreigabe und Beginn des Startlaufs beträgt mindestens 15 Sekunden, der Startlauf dauert ca. 30 Sekunden. Verzögert sich dieser Ablauf nur geringfügig, muss das nachfolgende Flugzeug durchstarten, mit entsprechenden Konsequenzen für die Abläufe auf der Parallelbahn. Statt einer „Entzerrung zur Risikominimierung“ findet hier eine drastische Verdichtung statt. In der Praxis ist das überhaupt nur zu bewältigen, wenn die „sichere Landung“ auf der Parallelbahn nicht abgewartet wird, sondern (wie auch dargestellt) der Startlauf bereits beginnt, bevor der parallel landende Flieger überhaupt aufgesetzt hat. Das ist genau das Szenario, dass die BFU als Hauptursache für die "schwere Störung" 2011 ausgemacht hat.
In der dichtest möglichen Packung, die die Simulation der DFS darstellt, könnten über 160 Flugbewegungen pro Stunde durchgeführt werden - ein Wert, der weit über dem bisher diskutierten Höchstwert von 126 liegt und auf absehbare Zeit nicht dauerhaft erreicht werden kann. Das Modell könnte also absehbar nur in kurzen Spitzenphasen in dieser Form zum Tragen kommen, dennoch bleibt auch damit genug Raum für drastische Konsequenzen.
Zusammenfassend dient das neue Konzept also einer Erhöhung der Kapazität des Bahnensystems des Flughafens Frankfurt, die allein schon aufgrund der Klimaschäden, die durch den Flugverkehr bewirkt werden, nicht akzeptabel ist. Es nimmt dafür eine deutliche Erhöhung der Lärm- und Schadstoff-Belastung im Allgemeinen und bei Störungen für Raunheim und andere Gemeinden westlich des Flughafens im Besonderen in Kauf. Das Risiko für Konflikte mit Gefährdung der beteiligten Flugzeuge bis hin zu Abstürzen wird deutlich erhöht.
03.12.2019
Anlässlich der gerade beginnenden Weltklimakonferenz COP25 in Madrid hat das Netzwerk 'Stay Grounded' einen neuen
Bericht vorgelegt, der eine wichtige Lücke füllt. Luftverkehr ist die klimaschädlichste Fortbewegungsart, soll aber dennoch in den nächsten Jahren stark anwachsen. Die Luftverkehrswirtschaft hat mehrfach demonstriert, dass sie kein Konzept hat, um die klimaschädigenden Wirkungen des Fliegens in ausreichendem Maß einzudämmen. 'Grüner fliegen' ist auf absehbare Zeit unmöglich.
Die einzige Möglichkeit, den Flugverkehr im Einklang mit den Zielen des Pariser Abkommens zu entwickeln, ist, ihn einem negativen Wachstum ("degrowth") zu unterwerfen, d.h. ihn schrumpfen zu lassen. Wie das sozial gerecht geschehen kann, erklärt dieser Bericht.
In neun Kapiteln wird das Thema umfassend betrachtet. Zunächst wird noch einmal zusammengefasst, warum weiteres Wachstum des Flugverkehrs nicht klimaverträglich möglich und ein Schrumpfen unverzichtbar ist. Als ein erster Schritt wird dargestellt, welche steuerlichen Maßnahmen möglich sind, um externen Kosten des Flugverkehrs den Verursachern anzulasten und die steuerliche Bevorzugung gegenüber umweltverträglicheren Verkehrsmitteln wie dem Zugverkehr aufzuheben.
In einem weiteren Kapitel wird diskutiert, wie die Belohnung des Vielfliegens durch 'Miles and More'-Programme o.ä. abgeschafft und durch ein System ersetzt werden kann, das häufigeres Fliegen sukzessive immer teurer macht und damit diejenigen besonders belastet, die das Klima am meisten schädigen. Dabei wird auch diskutiert, wie die damit gewonnenen Mittel eingesetzt werden können, alternative Transport-Infrastrukturen dort zu schaffen, wo das Fliegen bisher einzige Option ist. Weiterhin wird diskutiert, wie Angebote auf bestimmten Flugstrecken reduziert werden können, indem z.B. Kurzstreckenflüge dort, wo Bahnverbindungen existieren, ganz verboten werden, oder auf anderen Strecken die Zahl der Verbindungen limitiert wird.
Zwei weitere Kapitel widmen sich dem notwendigen Umbau der Infrastruktur, indem die ständige Erweiterung der Airport-Infrastruktur durch Aus- und Neubauten gestoppt und stattdessen Alternativen wie die Bahn ausgebaut werden. Weiter wird diskutiert, welchen Einfluss die jeweiligen Reise-Politiken grosser Institutionen wie Städten, Firmen, Universitäten etc. haben kann und welche Möglichkeiten es gibt, auf das öffentliche Bewußtsein einzuwirken, das Reiseverhalten zu verändern.
Das abschließende Kapitel fasst schließlich zusammen, wie all diese Maßnahmen zusammengebracht, aufeinander abgestimmt und durchgesetzt werden können. Der Bericht schließt mit der Erkenntnis, dass Fortschritte in diesem Bereich Schritt für Schritt durchgesetzt werden können, wenn sie von einer breiten Bewegung getragen werden, die sich die notwendige sozial-ökologische Transformation, die zur Eindämmung der Klimakatastrophe notwendig ist, zum Ziel gesetzt hat.
Damit legt der Bericht noch lange kein fertiges Konzept vor, wie mit dem Luftverkehr in den kommenden Jahrzehnten umzugehen ist. Er entwickelt vielmehr eine Vision für einen nachhaltigen Luftverkehr, die weder wie
die des UBA im 'politisch Machbaren', aber völlig Unzureichenden steckenbleibt, noch pure Wunschträume formuliert. Sie beschreibt vielmehr, wie das, was notwendig ist, tatsächlich auch erreicht werden könnte. Dass es nur mit größter Anstrengung und gegen heftigsten Widerstand durchgesetzt werden kann, dürfte allen Beteiligten klar sein.
16.11.2019
Vor Kurzem hat das Umweltbundesamt ein
Konzept dafür vorgestellt, wie der Luftverkehr nachhaltiger gestaltet werden könnte. Es enthält eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation, eine in acht zusammengehörigen 'Bausteinen' beschriebene 'Vision', wie es 2050 sein sollte und ein Bündel von Instrumenten und Maßnahmen, die dahin führen sollen.
Die öffentliche Resonanz war wohl nicht allzu umfangreich. Der Spiegel zählt
exklusiv für Abonnenten einige vorgeschlagene Maßnahmen auf und weist darauf hin, dass "grüneres Fliegen ... auch Verzicht" heissen müsse, während Fachblätter eher hervorheben, dass das Konzept eine "Diskussionsgrundlage" sei und den Flugverkehr nicht in Frage stelle.
Was kann man von einem solchen Papier erwarten? Das UBA ist weder eine radikale Umweltorganisation noch eine revolutionäre Partei, es ist eine Fachbehörde eines Bundesministeriums. Als solche sollte es zwar in der Erarbeitung und Darstellung wissenschaftlicher und technischer Fakten frei sein, ist aber in der politischen Bewertung mit Sicherheit an Vorgaben des Ministeriums bzw. der Regierung gebunden. Aber selbst unter Berücksichtigung dieser einschränkenden Bedingungen bleibt das Papier in einigen wichtigen Punkten hinter den Erwartungen zurück.
Positiv zu vermerken ist, dass die Bestandsaufnahme eine Reihe von Fakten beschreibt, die sonst nicht erwähnt oder sogar geleugnet werden. So sieht sie den "Anteil des Luftverkehrs an der globalen Klimawirkung bei fünf bis acht Prozent", anstelle der 2-3%, die sonst gerne mit Bezug auf den reinen CO2-Anteil genannt werden. Auch weist sie auf die Klimaschäden hin, die mit der geplanten Wiedereinführung des Überschallfluges im Geschäftsflugverkehr drohen, sowie darauf, dass all das in den bisher formulierten Klimazielen der Luftfahrtbranche für 2050 nicht berücksichtigt ist. Und auch die Luftbelastung durch Ultrafeinstaub und Stickoxide, der Fluglärm, der Flächenverbrauch und die Belastung von Wasser und Boden finden angemessene Erwähnung.
Schon mit der 'Vision' wird es aber problematisch. Zwar decken die acht 'Bausteine' durchaus einen brauchbaren Rahmen ab bis hin zu "Weniger fliegen", aber ob die jeweils dazu genannten Konkretisierungen pures Wunschdenken ("Deutschland und Europa werden Instrumente einführen, die bis 2030 die CO2-Emissionen des Luftverkehrs auf das Niveau von 2010 zurückführen") oder durch glaubwürdige Szenarien hinterlegt sind, ist nicht erkennbar.
Zwar wird eingangs gesagt, die "acht Bausteine der Vision basieren auf einer Palette von Instrumenten und Maßnahmen", von denen "manche ... einfacher, andere schwerer zu realisieren" sind, aber sie seien "keine Utopie, denn die Ziele und Szenarien sind erreichbar: mit den richtigen ökonomischen Rahmenbedingungen, mit ehrgeizigen Zielvorgaben und abgestimmten, ambitionierten Maßnahmenpaketen". Wer nun aber hofft, dass diese Rahmenbedingungen, Zielvorgaben und Maßnahmepakete im Folgenden konkret benannt würden, der wird bitter enttäuscht.
Tatsächlich ist das Kapitel zu "Instrumenten und Maßnahmen" der deutlich schwächste Teil des Papiers. Schon zu Anfang wird gewarnt: "Die Empfehlungen und Handlungsvorschläge heben das bekannte System Luftverkehr nicht aus den Angeln. Vielmehr sind die meisten davon bereits Gesetz oder zumindest bekannt, in Ansätzen erprobt oder in Entwicklung" ... oder haben bereits versagt, müsste man ergänzen.
Zur Verbesserung der 'Rahmenbedingungen' ist die Aufhebung der Steuerprivilegien des Luftverkehrs durch 'Reform der Luftverkehrssteuer' und 'Einführung einer Kerosinsteuer' noch die positivste Forderung. Es sollte aber klar sein, dass die Wirkung beider Maßnahmen
sehr begrenzt bleiben würde, erst recht, wenn die Einnahmen daraus über einen 'Innovationsfond Luftverkehr' wieder in den Sektor zurückfliessen und die Kosten für die Airlines reduzieren sollen. Die Forderung, den EU-Emissionshandel für den Luftverkehr bis 2030 zu verschärfen und das ICAO-Kompensationssystem CORSIA "zu einem weltweiten Emissionshandelssystem" weiterzuentwicklen, wirkt dagegen weltfremd angesichts der Tatsache, dass aktuell
völlig unklar ist, ob CORSIA überhaupt im vorgesehenen Umfang starten kann, ob das EU-ETS daneben bestehen bleiben wird, und ob CORSIA, wie von ICAO geplant, 2035 schon wieder endet.
Die Forderung, die Luftverkehrs-Infrastruktur, insbesondere Flughafenstandorte und Flugrouten, nach einer zentralen Planung zu entwickeln, "die soziale, ökonomische aber vor allem auch ökologische Kriterien berücksichtigt", ist sicherlich richtig. Schon das vor einigen Jahren entwickelte
NGO-Luftverkehrskonzept
hatte diese Notwendigkeit aufgezeigt, und eine
aktuelle Studie hat die möglichen Effizienzgewinne auch quantifiziert. Wie das aber nur durch Einfluss auf künftige Planungen und ohne massive Umbauten des bestehenden System bis 2050 wirksam werden soll, bleibt völlig unklar.
Vollends ins Reich der Illusionen führt aber der nächste Abschnitt, in dem auch das UBA die technische Wunderwaffe der Luftverkehrswirtschaft, die 'alternativen Treibstoffe', propagiert, hier in Form von 'Power-to-Liquid-Kerosin', also von Flüssigtreibstoffen, die synthetisch aus Kohlendioxid, Wasser und Strom aus erneuerbaren Quellen hergestellt werden. Aber während ICAO & Co. so tun, also könnten klimaneutrale Treibstoffe heute schon getankt werden, ist das UBA immerhin so realistisch, zwar einerseits viel (Steuer-) Geld in die Erforschung dieser Treibstoffe stecken, andererseits aber bis 2030 nur eine bescheidene 'Beimischungsquote' von 10% erreichen zu wollen. Damit sollen dann allerdings 'Marktkräfte' angestossen werden, die bis 2050 eine 100%ige Versorgung ermöglichen. Dabei bleibt jedoch völlig unklar, wo der viele erneuerbare Strom, der ja auch noch die riesigen Elektroauto-Flotten, die ausgebauten Bahnsysteme und vieles andere mehr antreiben soll, herkommen könnte. Bei der Herstellung von Flüssigtreibstoff geht rund die Hälfte der Energie, die im Strom steckt, verloren.
Einen Hinweis, wie diese 'Visionen' einzuschätzen sind, gibt auch ein Vergleich mit Szenarien, die versuchen, die Entwicklung der Umweltbelastungen durch den Flugverkehr auf der Basis von Annahmen über die Entwicklung der technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen zu berechnen. Einen Satz solcher Szenarien für die weltweite Entwicklung hat die
ICAO vorgelegt, und da zeigt ein Vergleich, dass die UBA-Vision in etwa den 'Wunschszenarien' entspricht, die laut den ICAO-Experten unwahrscheinlich bis unmöglich zu erreichen sind (wenn man nicht drastische Umbauten des Luftverkehrs annimmt, die ICAO natürlich ausschliesst). Beschränkt auf Europa ergibt die
Analyse der europäischen Umweltagentur ebenfalls, dass die gewünschten Ziele mit Maßnahmen, die "bekannt, in Ansätzen erprobt oder in Entwicklung" sind, nicht zu erreichen sind.
Zugleich weisen diese Studien auch noch darauf hin, dass einige von den Zielen, die in der UBA-Vision relativ unverbunden nebeneinander stehen, tatsächlich auch im Widerspruch zueinander stehen können. So sind einige der neu entwickelten Triebwerkstypen, die besondere Effizienzgewinne bringen sollen, deutlich lauter als die bisherigen. Und eine
andere Studie zeigt, dass eine Reduzierung der Stickoxid-Emissionen, mit der eine deutliche Reduzierung der gesundheitlichen Folgen dieser Emissionen erreicht werden könnte, zu einem, wenn auch geringen, Ansteigen der Treibhausgas-Emissionen führen würde.
Erst recht illusionär erscheinen die UBA-Annahmen, wenn man betrachtet, wie die Akteure, die die Maßnahmen umsetzen müssten, aktuell handeln. So hat gerade
BBC aufgedeckt, dass British Airways unnötige Emissionen erzeugt, indem sie unnötig viel Treibstoff dort tankt, wo er billiger ist, und damit überflüssiges Gewicht durch die Gegend fliegt. In vielen Fällen sind die dabei erzielten finanziellen Ersparnisse minimal, aber die unnötigen Emissionen hoch. BA verteidigt sich mit dem Hinweis, dass sie nach einer EUROCONTROL-Studie nur für zwei Prozent der durch diese Praxis unnötig erzeugten Gesamtemissionen verantwortlich seien - ein klarer Hinweis, dass dieser Unsinn weit verbreitet ist.
Lufthansa baut derweil gerade sein Vielflieger-Programm um, und eine
Analyse kommt zu dem Schluss:
"Belohnt wird mit dem Statusprogramm insbesondere das häufige Einsteigen", anders gesagt, wer kurz und viel (und vielleicht auch noch billig) fliegt, profitiert mehr, als wer selten, aber dafür weit fliegt. Und dass die Luftverkehrswirtschaft generell ihr gesetzte
Grenzen nicht akzeptieren will und das primäre Ziel hat, Menschen
billig und viel fliegen zu lassen, hat sie in den letzten Jahren deutlich genug bewiesen. Von der herrschenden Politik bekommt sie dafür
weitgehende Unterstützung.
Damit ist aber auch klar, was dem UBA-Papier im Wesentlichen fehlt. Ein echter Mangel ist die Tatsache, dass keine technischen und rechtlichen Maßnahmen genannt werden, die die gewünschten Veränderungen tatsächlich schnell genug und im notwendigen Umfang herbeiführen könnten. Was noch notwendiger wäre, aber von einem Amt wohl nicht erwartet werden kann, wäre eine Analyse der wirtschaftlichen und politischen Widerstände gegen diese Veränderungen und das Aufzeigen von
Lösungen, die mit geeigneten Strategien erreicht werden könnten.
Der Nutzen beschränkt sich also auf eine gute Analyse der schlechten Situation und ein grobes Bild dessen, was sein sollte. Wie man vom einen zum anderen kommt, müssen wohl andere ausarbeiten. Natürlich sind etliche der Einzelforderungen richtig und unterstützenswert (z.B. die nach Erweiterung der Nachtflugverbote), aber nichts davon ist neu und woanders besser begründet. Durch das Zusammenschreiben der Forderungen Illusionen darüber zu wecken, was damit insgesamt erreicht werden könnte, hilft niemandem weiter.
... aber es kommen immer wieder neue Puzzleteile dazu.
12.11.2019
Auch wenn die
Expertenanhörung des Umwelthauses eher den Eindruck vermittelte, als sei völlig unklar, wie es jetzt mit der Erforschung und Bewertung des Risikos durch Ultrafeinstaub aus Flugzeugtriebwerken weitergehen könnte, führen die andernorts erzielten Forschungsergebnisse zunehmend dazu, dass sich die Puzzleteile allmählich zu einem Bild zusammenfügen, das zumindest die Ausbreitung dieser Partikel recht gut beschreibt.
Jüngstes Beispiel sind die nun vorliegenden
Auswertungen der Messungen, die am Flughafen Salzburg durchgeführt wurden.
Salzburg hat einen recht kleinen Flughafen, auf dessen einziger Bahn Flugzeuge aller Grössen starten und landen, in der Regel in Zeitabständen von mehreren Minuten. Als weitere grössere UFP-Quellen in der Umgebung kommen nur einige wenige Strassen in Frage. Dort wurden über mehrere Monate an zwei Stationen auf verschiedenen Seiten und Enden der Bahn im Abstand von rund 150 Metern die Ultrafeinstaub-Anzahlkonzentrationen zeitlich hoch auflösend gemessen.
Im Ergebnis war es möglich, gemessene Peaks in der Anzahl-Konzentration einzelnen Bewegungen von Flugzeugen zuzuordnen und sie in Abhängigkeit von der Art der Bewegung (Start, Landung, Taxiing) und der Windrichtung zu interpretieren. Dabei konnten sogar unterschiedliche Triebwerksmodi anhand der Peak-Formen unterschieden werden.
Damit wurde ein weiteres Mal sehr deutlich gezeigt, dass jedes Flugzeug in Bewegung eine hohe Anzahl ultrafeiner Teilchen in einer charakteristischen Abgasfahne ausstösst, die sich, abhängig von den atmosphärischen Bedingungen, in ganz spezifischer Weise in der Umgebung ausbreitet. Das ergänzt gut andere Messungen wie z.B. die, die die DLR an der Startbahn West durchgeführt hat, um die
Real Driving Emissions, d.h. die realen Emissionen von Flugzeugen beim Start zu bestimmen.
Unter Flugbedingungen müssten natürlich noch die Wirkungen der Wirbelschleppen einbezogen werden, deren Wirkungen auf den Transport von Abgasen im Reiseflug
gut modelliert werden können, deren Ausbreitung in Bodennähe allerdings komplizierter ist und deren Wirkung auf ultrafeine Partikel wenig untersucht ist. Es ist zu hoffen, dass ein gerade begonnenes
EU-Projekt diese Fragen realistisch aufgreift. (Zu dem EU-Konsortium gehören auch wesentliche Teile der Gruppe, die das UBA-Modellierungsprojekt in Frankfurt
in den Sand gesetzt hat; sie werden hoffentlich dieselben Fehler nicht nochmal machen.)
Dass sich die Puzzle-Teile immer besser zusammenfügen, gilt nicht nur für UFP aus Flugzeugabgasen, sondern für Ultrafeinstäube ganz allgemein. So haben sich auf einer Tagung im Mai dieses Jahres in Brüssel, deren
Proceedings inzwischen in der Bibliothek des 'Karlsruher Institut für Technologie' zur Verfügung stehen, mehrere Vorträge damit befasst, wie die bisherigen Erkenntnisse
politisch wirksam gemacht werden können, und vor ein paar Wochen ist das angekündigte
White Paper veröffentlicht worden.
Darin wird erklärt, welche Schlussfolgerungen aktuell aus den vorliegenden Erkenntnissen gezogen werden können. Die Kernaussagen sind, dass menschliche Aktivitäten, insbesondere Verbrennungsprozesse, sowohl die Menge der ultrafeinen Teilchen in der Atemluft deutlich erhöhen als auch die Zusammensetzung verändern; dass es genügend Hinweise auf die Schädlichkeit dieser Art und Menge gibt und dass es Wege gibt, in absehbarer Zeit zu einer Regulierung dieser Emissionen zu kommen. Dabei zielt das Papier insbesondere auf die derzeit stattfindende Überarbeitung der Luftqualitäts-Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation, deren neue Fassung für 2020 erwartet wird und die ein Kapitel zu UFP enthalten soll.
Eine Aufgabe besteht nun also darin, politischen Druck zu entwickeln, dass diese wissenschaftlich begründeten Vorschläge weder in den WHO-Arbeitsgruppen noch in der anschliessenden Umsetzung in europäische und nationale Regeln allzu sehr verwässert werden. Den beteiligten Wissenschaftler*innen ist diese Gefahr durchaus bewusst, wie in der oben genannten Konferenz in einem eigenen, sehr deutlichen Vortrag über die Wirkung von
Fake News Kampagnen zur Durchsetzung gegenläufiger wirtschaftlicher Interessen gezeigt wurde.
Die zweite Aufgabe vor Ort bleibt natürlich weiterhin, dafür zu sorgen, dass das von der hessischen Landesregierung so vollmundig angekündigte neue Projekt in Frankfurt diese Fragen ebenfalls richtig aufgreift und insbesondere die Untersuchungen veranlasst, die jetzt am dringendsten gebraucht werden, um die noch offenen Punkte anzugehen. Dass das 'Forum Flughafen und Region' das von ganz alleine hinbekommt, darf man getrost bezweifeln.
Die Erde brennt, aber das Spiel soll weitergehen.
31.10.2019
War der September noch hauptsächlich durch
viele Initiativen zur Bekämpfung der Klimakatastrophe gekennzeichnet, so treten aktuell mehr die Aktivitäten der Gegner einer aktiven Klimapolitik in den Vordergrund. Das beginnt mit der Landtagswahl in Thüringen, wo die hohe Stimmenzahl für die AfD nicht nur, aber auch wegen ihrer
Polemik gegen Klimaschutz-Maßnahmen besorgniserregend ist.
Hier kann man immerhin noch darauf verweisen, dass die eindeutige Gewinnerin der Wahl, die Linke, eine deutlich bessere (wenn auch immer noch unzureichende) Klimabilanz vorweisen kann und (auch dafür?) deutlich mehr Stimmen erhalten hat. Zugleich sind allerdings die Grünen, die mit dem Klima-Thema punkten wollten, weit hinter ihren Erwartungen zurückgeblieben. Und die bisherige rot-rot-grüne Koalition, die noch einige entsprechende Maßnahmen im Programm hatte, hat keine Mehrheit mehr.
Dieses Resultat passt leider nicht nur ins Bild der jüngsten Landtagswahlen im Osten Deutschlands, wo die AfD-Klimaleugner massiv Stimmen geholt haben, sondern auch in einen sehr viel weiteren Rahmen.
Schon vor der Europawahl im Mai, deren Ergebnis ja durchaus auch
positive Elemente enthielt, hatte z.B. eine
Adelphi-Studie darauf hingewiesen, dass die Klimapolitik ein wesentliches Feld rechter Propaganda ist. Und obwohl das Spektrum der Aussagen von der primitiven Leugnung des menschengemachten Klimawandels bis zur Infragestellung des Nutzens von Maßnahmen zur Emissionsminderung reicht, kommt es vielfach zu einem gemeinsamen Vorgehen. Und eine
aktuelle Analyse aus Yale weist insbesondere darauf hin, dass die Ultrarechten nicht nur knapp ein Viertel der Stimmen im Europaparlament haben, sondern politische Wirkung hauptsächlich dadurch erzielen, dass sie die Diskussionen bei der 'gemässigten' Rechten und der sog. Mitte immer weiter nach rechts rücken.
International sind diese Kräfte teilweise bereits an der Macht und setzen ihre Politik um. Aktuell wollen die USA unter der Trump-Regierung aus dem Pariser Klimaabkommen austreten, die legalen und illegalen Regenwald-Rodungen im Amazonas haben unter dem neugewählten brasilianischen Präsidenten Bolsonaro
völlig neue Dimensionen erreicht, und in Australien setzt die Morrison-Regierung auf neue Kohleminen und
verhöhnt ihre pazifischen Nachbarn, die vom steigenden Meeresspiegel in ihrer Existenz bedroht sind. In Kanada konnten die Konservativen mit einem Anti-Klimaschutz-Programm allerdings nicht punkten, stattdessen legten eher linke Parteien mit Klimaschutz-Ideen zu. Wie die Klima-Frage die Wahlen in Großbritannien am 12.12.
beeinflussen wird, bleibt abzuwarten.
Wie sich das auf die Politik hier auswirkt, zeigt z.B. ein Beitrag einer niederländischen Europaabgeordneten von 'Renew Europe', dem Bündnis der ehemaligen Liberalen mit der Bewegung des französischen Präsidenten Macron, den die 'Airlines for Europe' (mit dabei: Lufthansa) verbreiten. Darin wünscht sie alle zur Hölle, die 'Flugscham' verbreiten, weil sie es liebt zu fliegen und der Luftverkehr so viel für die Völkerverständigung und den freien Handel tut. Die Klimawirkungen des Luftverkehrs sind garnicht so schlimm, weil der Sektor im EU-Emissionshandelssystem (das bei Weitem nicht alle Flüge erfasst) nur eine geringe Rolle spielt, und die Forderung, keine fossilen Brennstoffe mehr zu nutzen, ist unvernünftig, weil Flugzeuge nun mal nicht elektrisch fliegen können. Die Airlines müssen die "Nachhaltigkeitswelle" nutzen und eine "fantastische Geschichte erzählen", die ihr Image verbessert und die Öffentlichkeit glauben lässt, dass "das Rennen zu einem nachhaltigen Luftverkehr möglich ist". Ihren politischen Auftrag sieht sie darin, alle Hindernisse für das weitere Wachstum des Luftverkehrs zur Seite zu räumen, und falls doch etwas schief geht, ist ja doch jeder Einzelne dafür verantwortlich.
Dieses Pamphlet ist vorwiegend deswegen interessant, weil es in ungewöhnlicher Deutlichkeit eine Reihe von Mechanismen zeigt, die die oben zitierten Analysen eher theoretisch trocken herleiten. Erstens ist es ein Musterbeispiel für populistische Argumentation, die einfache, scheinbar einleuchtende Zusammenhänge behauptet und sich um den Wahrheitsgehalt nicht weiter kümmert. Zweitens wird der Klimawandel nicht direkt geleugnet, aber in seiner Bedeutung kleingeredet und gegen angeblich viel grössere Vorteile in anderen Bereichen ausgespielt. Drittens wird die Verantwortung für eventuelle Schäden von den Verursachern weg zu den Nutzern verlagert, die einerseits aufgefordert werden, mehr und häufiger zu fliegen und kaum Alternativen dazu angeboten bekommen, aber voll für die dadurch angerichteten Schäden verantwortlich sein sollen. Vor allem aber macht er deutlich, worum es rechter Klimapolitik im Kern geht: das Spiel muss weitergehen wie bisher, es darf keine Einschränkung im Konsum, im Wachstum und im Profit geben. Zurecht weist daher die oben zitierte Analyse im 'klimareporter°' darauf hin, dass Herr Gauland, der jetzige AfD-Vorsitzende und frühere Mitarbeiter des ersten CDU-Umweltministers Wallmann, seine Position in diesem Bereich nicht groß verändern musste. Es ging und geht darum, "Umweltauflagen abzuwenden" und "den Bürgern immer wieder klarzumachen, dass es zur Politik stetigen Produktionswachstums keine Alternative gibt".
Und noch etwas wird aus der Begeisterung, mit der dieser Beitrag formuliert ist, deutlich. Es ist nicht die Angst vor einem Erstarken der Ultrarechten, die die Rechten (womöglich noch widerwillig) solche Thesen formulieren lässt. Sie nutzen im Gegenteil die Tatsache, dass die Ultrarechten früher geächtete Positionen wieder salonfähig machen, um ihre eigenen Auffassungen auch wieder unverblümter äussern zu können.
Und wenn es die 'politische Mitte' schon übernimmt, die Airlines gegen klimabedingte Einschränkungen ihres Geschäftsmodells zu verteidigen, können die Rechtsaussen noch einen Schritt weitergehen und der Umweltbewegung auch noch die tödlichen Folgen der Profitgier im Wettbewerb der Luftfahrtindustrie in die Schuhe schieben. Obwohl inzwischen völlig klar ist, dass der Flugzeugbauer Boeing bei der Entwicklung seines Modells 737MAX aus Kostengründen Sicherheitsrisiken ignoriert, aber die Schuld für zwei Abstürze mit 346 Toten lange geleugnet hat, versucht ein Beitrag in der 'New York Post' (nicht zu verwechseln mit der 'New York Times', die seriöser ist), dafür den "Ökowahnsinn" der "Weltuntergangspropheten" um Greta Thunberg verantwortlich zu machen. Die hätten die arme Firma Boeing so unter Druck gesetzt, ein 'klimafreundliches' Flugzeug zu bauen, dass sie dafür Sicherheitsaspekte vernachlässigen musste. Die Autorin schliesst daraus, dass "Klimaideologie fatale Konsequenzen haben" kann, weil "der Tod von ein paar armen Flugreisenden ein geringer Preis ist, um die Klimagötter zu beschwichtigen". Ist so etwas wirklich nur in Trumps USA möglich?
Inzwischen greifen einige europäische Airlines die Aufforderung auf, "fantastische Geschichten" zu erzählen, allerdings überwiegend in einer Weise, die selbst den Chefredakteur eines durch und durch luftfahrt-freundlichen Fachblattes veranlasst, festzustellen, es gehe
auch glaubwürdiger. Einigen PR-Maßnahmen, wie z.B. der aktuellen KLM-Kampagne zum 'verantwortungsvollen Fliegen', gelingt es aber durchaus, auch kritische Menschen zu verunsichern, und es bedarf einer
gründlichen Analyse, zu klären, was davon wirklich zu halten ist: es handelt sich um "Rückzugsgefechte der fossilen Industrie", die mit "Greenwashing den notwendigen Rückbau vermeiden" will.
Derweil gehen die Dachverbände der europäischen Industrie gegen die schüchternen Versuche der Bundesregierung, Klimaschutz zu simulieren und die Luftverkehrssteuer moderat zu erhöhen, mit den üblichen
abgedroschenen Argumenten vor: wenn die Airlines mehr Abgaben zahlen müssen, haben sie kein Geld mehr, um in effizientere Flugzeuge und alternative Treibstoffe zu investieren. Abgesehen davon, dass sie in den meisten Fällen die erhöhten Beträge zwischen 13 und 60 Euro ohne Weiteres auf den Ticketpreis aufschlagen können und nur das Anbieten von Dumping-Preisen schwieriger wird, rechnen sich Investitionen in effizientere Flugzeuge ohnehin, und die Forschung und Entwicklung alternativer Treibstoffe sollen ja sowieso die Staaten finanzieren.
Die US-Verbände gehen noch dreister vor. Sie nutzen die gleichen Argumente, aber unter Verweis auf Luftverkehrsabkommen zwischen den USA und der EU, und unter Hinweis auf den
Monopol-Anspruch von CORSIA, verlangen sie, solche Maßnahmen generell
für illegal zu erklären. Es ist leider durchaus denkbar, dass sie damit Erfolg haben.
Und um den Wahnsinn komplett zu machen, geraten auch noch die Bemühungen der UN, den Klimaschutz international voran zu bringen, in Schwierigkeiten. Die nächste UNFCCC-Konferenz COP 25, die im Dezember eine Bestandsaufnahme der nationalen Klimaschutzbemühungen liefern und eine Anpassung an das zur Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens Notwendige bringen sollte, ist in Gefahr. Chile, das als Veranstalter eingesprungen war, nachdem Brasilien nach der Wahl eines rechtsradikalen Präsidenten die Durchführung abgelehnt hatte, hat wegen massiver innerer Unruhen ebenfalls
kurzfristig abgesagt. Die chilenische Regierung leugnet den Klimawandel nicht und hat anspruchsvolle Ziele vorgelegt, aber
die Proteste richten sich neben aktuellen Preiserhöhungen auch gegen die Privatisierung der Wasserversorgung, das Verschleudern von Rohstoffen, Reduzierung von Umweltauflagen für Konzerne, Waldrodungen und andere Umweltprobleme.
Wie es nun weitergehen kann, ist im Moment völlig unklar. Geprüft wird, ob Bonn
eine Alternative als Veranstaltungsort sein kann, denn die UN-Regeln besagen, dass die COP am Sitz des Sekretariats (das ist Bonn) tagt, "wenn kein Staat sich als Gastgeber anbietet". Natürlich ist das innerhalb von fünf Wochen schwierig zu organisieren, aber wohl nicht nur deswegen schlägt CSU-Minister Müller vor, die Konferenz doch lieber ab sofort nur noch alle zwei Jahre stattfinden zu lassen. Die Reisen dahin seien doch auch klimaschädlich, und, unausgesprochen, es gäbe doch sowieso zuviel Hektik um den Klimaschutz. Weltweit stösst diese Idee allerdings auf Ablehnung, und nun hat sich auch noch
Madrid als Tagungsort ins Spiel gebracht.
Frei nach Shakespeare gilt aber auch hier: "Und ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode". Das Leugnen und Relativieren der Klimakatastrophe ist (meistens) kein Ausdruck geistiger Verwirrtheit, sondern der Versuch, ein überkommenes und zerstörerisches System, das Wenigen große Privilegien bietet, solange wie möglich am Leben zu erhalten. Wobei die Vorstellungen darüber, wie lange das gelingen kann und was danach passieren wird, durchaus illusionär und extrem unrealistisch sein können - der Horror vor grundlegenden Veränderungen läßt alles andere als das kleinere Übel erscheinen.
Die Aussagen der Wissenschaft sind allerdings eindeutig. Damit überhaupt etwas von dem, was die Menschen heute schätzen und brauchen, übrig bleibt, muss sich fast alles ändern - und zwar sehr, sehr schnell.
Dazu heisst es im
Aufruf von 'Fridays for Future' zum Aktionstag am 29. November:
"Es muss endlich Schluss sein mit Pillepalle und business as usual. Wir fordern Klimagerechtigkeit – und zwar jetzt! Doch dafür braucht es ein komplettes Umsteuern und Maßnahmen, die uns wirklich auf den Weg der Klimaneutralität bis 2035 bringen. Einen Ausstieg aus der Kohle, der nicht noch 19 Jahre auf sich warten lässt, eine Neuauflage der Energiewende so schnell wie nötig und das Ende von Subventionen für Kohle, Öl und Gas." Was auch nur erste Schritte wären - aber es lohnt sich, dafür (mit) auf die Strasse zu gehen. Auch der längste Weg beginnt bekanntlich mit dem ersten Schritt, man darf nur das Ziel nicht aus den Augen verlieren.
Auch Wasser und Boden sind durch die Fraport-Aktivitäten gefährdet.
17.10.2019
Beim Bau von Terminal 3 am Frankfurter Flughafen zeichnet sich der nächste Skandal ab. Wie die Frankfurter Rundschau meldet, ist der Bodenaushub "stärker mit polyfluorierten Chemikalien (PFC) belastetet als bei Baubeginn angenommen", und Fraport findet aktuell kein Loch, wo er vergraben werden könnte. Daher planen sie "zwei Erdhügel auf dem Flughafengelände", die das kontaminierte Material aufnehmen sollen. Offiziell handelt es sich um ein "Bodenbereitstellungslager" mit einer Betriebsdauer von (zunächst?) fünf Jahren, dann soll eine endgültige Deponie gefunden sein. Das wirft eine Vielzahl von Fragen auf.
Als erstes stellt sich die Frage, warum das Thema erst jetzt aufkommt. Die Baugrube für Terminal 3 wurde von Ende 2015 bis Ende 2017 ausgebaggert. Wenn erst jetzt ein Lager mit einer "versiegelten Sohlenabdichtung" und einer Abdeckung, die Ausschwemmungen verhindern soll, geschaffen wird, wo und wie wurde das Material dann in den vergangenen zwei Jahren gelagert?
Dass der Boden dort mit PFC belastet ist, war schon vor Baubeginn klar. Schon vor mehr als 15 Jahren haben Bodenproben auf der ehemaligen Rhein-Main-Airbase hohe Werte für PFT ergeben, eine Stoffklasse, die Teil der PFCs sind. Seit 2007 sind auf dem Flughafen Grundwasser-Entnahmebrunnen und -Reinigungsanlage in Betrieb, um zu verhindern, dass diese Stoffe Trinkwasserbrunnen und das Mainwasser gefährden. Aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken im Kreistag Groß-Gerau 2015 geht hervor, dass das Grundwasser, das durch dieses Gebiet strömt, stark und mit steigender Tendenz mit PFT belastet ist.
WIe kann es daher sein, dass der Baubeginn für Terminal 3 genehmigt wurde, ohne dass der Boden vorher sorgfältig beprobt und ein Nachweis für einen sicheren Entsorgungsweg verlangt wurde? Bei dieser klaren Ausgangslage hätte es niemals passieren dürfen, dass erst nach mehr als zwei Jahren ein Problem festgestellt wird.
Dann stellt sich natürlich die Frage, was eigentlich das Problem ist. Bei den
Perfluorierte Chemikalien (PFC) handelt es sich um eine Stoffgruppe, die aus einer Vielzahl von Einzelsubstanzen besteht, die normalerweise in der Natur nicht vorkommen. Einige davon haben technisch hoch erwünschte Eigenschaften und werden in großen Mengen produziert (u.a. für Outdoor-Kleidung, Warmhaltebecher und andere lebensnotwendige Produkte), andere entstehen als Neben- oder Zwischenprodukte in diversen chemischen Produktionsprozessen. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie biologisch nicht abbaubar sind und sich in der Umwelt anreichern. Für einige von ihnen ist die Schädlichkeit für Menschen und Tiere, Pflanzen und/oder Mikroorganismen nachgewiesen, für die anderen wird sie vermutet. An vielen diesbezüglichen Fragen wird
derzeit noch geforscht.
Auch die Gewässerüberwachung in Hessen hat sich
vor Jahren mit dem Problem auseinandergesetzt, aber seither nicht mehr viel in diesem Bereich getan. Das war u.a. in Baden, Bayern und Nordrhein-Westfalen anders, weil dort eine Reihe von
Skandalen die Behörden zum Handeln zwangen.
Das größte Problem mit PFC-Belastungen hat hierzulande wohl
die Bundeswehr. Über 100 ihrer Standorte sind belastet oder gelten als Verdachtsfälle. Grund dafür ist in den meisten Fällen der exzessive Einsatz von Löschschäumen, die diese Substanzen enthalten. An einigen dieser Standorte, wie z.B. in Manching in Bayern, wehren sich
Bürgerinitiativen gegen die davon ausgehenden Belastungen der Umgebung und die Verzögerung der notwendigen Sanierungen. Aber auch an zivilen Flughäfen wie in Düsseldorf ist das Problem vorhanden und es wird über Sanierungsmaßnahmen gestritten.
Vor diesem Hintergrund ist es geradezu absurd, dass sich Fraport von der Größe der Belastung des T3-Aushubs überrascht gibt und sich auch noch wundert, dass geeignete Deponien nicht zur Verfügung stehen. Das bundesweite Ausmaß des Problems ist derart, dass schon seit Jahren nach Lösungen gesucht wird, wie PFC in der Umwelt eliminiert werden können, da eine Deponierung aller belasteten Materialien schlicht nicht möglich ist. Wer unter diesen Bedingungen eine hochgradige Verdachtsfläche aushebt, ohne ein Konzept für den sicheren Umgang mit dem Material zu haben, handelt schlicht verantwortungslos.
Fraport steht damit allerdings nicht alleine da. In einer ausführlichen
Analyse in einem US-Nachrichtendienst weist Sharon Lerner nach, dass die beiden US-Konzerne, die diese Substanzen als erste im großen Stil vermarkteten, die 'Minnesota Mining and Manufacturing Company', heute bekannt als 3M, und DuPont, schon in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sehr genau wussten, wie toxisch und umweltschädlich sie waren, aber die Berichte darüber mit staatlicher Unterstützung aktiv unterdrückten. Auch hier und heute ist nicht zu erwarten, dass die zuständigen Behörden konsequent gegen den verantwortungslosen Umgang mit dem belasteten Material vorgehen werden. Widerstand wird auch hier nötig sein.
06.10.2019
In der letzten Septemberwoche gipfelte die Weltpolitik am Sitz der Vereinten Nationen in New York gleich mehrfach. Experten listeten
6 Gipfel auf und formulierten die hohen Erwartungen, die darin gesetzt wurden. Mindestens drei davon beschäftigten sich auch mit Klimapolitik: der Klimaaktionsgipfel des UN-Generalsekretärs am Montag (23.9.), der Gipfel zu den nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) am Dienstag und Mittwoch (24./25.9.) und der Gipfel zur Entwicklungsfinanzierung am Donnerstag (26.9.). Und im kanadischen Montreal tagte vom 24.09.-04.10. die Generalversammlung der internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO, die ebenfalls Klimathemen auf dem Programm hatte.
Natürlich gab es dazu auch grundlegende, aktuelle Berichte. So veröffentlichte das IPCC einen
Spezialreport zu den Ozeanen und der Kryosphäre, die UN-Entwicklungsorganisation UNDP eine
Einschätzung der 'nationalen Beiträge' (NDCs) zum Klimaschutz und die UN-Handelsorganisation UNCTAD einen
Bericht über den notwendigen 'Global Green New Deal'.
Parallel dazu gingen im Rahmen einer
Aktionswoche weltweit Menschen
in nie dagewesenem Ausmaß auf die Straßen und forderten mehr, besseren und sozial gerechteren Klimaschutz.
Und doch muss man in der Woche danach mit 'Fridays for Future' fragen:
Bringt alles nichts?
Ermutigend waren die Ergebnisse in New York und Montreal jedenfalls nicht. Zwar versucht der UN-Generalsekretär, den 'Klimaaktionsgipfel' als wichtigen ersten Schritt darzustellen, aber die Bilanz fällt doch eher bescheiden aus. Und in den Bereichen 'Entwicklung' und 'Finanzierung' beiben die Ergebnisse ebenfalls weit hinter dem zurück, was Gewerkschaften und Klima-Aktivisten fordern. Die größte Enttäuschung war aber, wie schon fast üblich, die ICAO-Versammlung.
Zwar waren auch die Verhandlungen der Generalversammlung, wie immer bei ICAO, in Geheimniskrämerei gehüllt, aber nach einem ersten Bericht der NGO 'Transport & Environment', die im Rahmen der ICSA an den Verhandlungen teilnehmen durfte, haben sich die schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Trotz des aus den eigenen Reihen vorgelegten desaströsen Berichts über die Klimawirkungen des Luftverkehrs gab es keinerlei neue Initiativen, um dem gegenzusteuern. Im Gegenteil hat die Versammlung eine Resolution verabschiedet, die fordert, dass das völlig unzureichende CORSIA-System, das absolut nichts zur Reduzierung der Emissionen beiträgt, das einzig anwendbare Instrument für den Klimaschutz im internationalen Luftverkehr sein soll. Die EU-Staaten, die eigentlich beschlossen haben, an der Einbeziehung des Luftverkehrs in ihr Emissionshandelssystem festzuhalten, haben offensichtlich bisher keinen Vorbehalt gegen die Anwendung dieser Resolution formuliert. Zwar ist dies vermutlich auch im Nachhinein noch möglich, aber ob es passieren wird, ist anscheinend noch offen.
Dazu passt es dann auch, dass in dem generell
völlig unzureichenden Klimapaket der Bundesregierung auch für den Luftverkehr nur Maßnahmen enthalten sind, die auch in den Fachblättern der Luftverkehrsindustrie nur auf sehr
milde Kritik stossen. Hier wie dort sind tatsächlich wirksame Maßnahmen nicht geplant.
Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die herrschenden Eliten nicht bereit oder in der Lage sind, relevante Zugeständnisse zu machen. Die notwendigen Transformationen werden im Konsens nicht möglich sein. Alle, die die notwendigen Änderungen voran bringen wollen, werden sich überlegen müssen, ob sie zu radikaleren Maßnahmen bereit sind. Der nächste
Aktionstag ist für den 29.11. angekündigt.
In Raunheim werden regelmäßig äquivalente Dauerschallpegel von mehr als 60 dB(A) erreicht,
aber der Lärm soll weiter wachsen.
01.10.2019
Der Bericht der Fraport ist meist das trockenste Material, das die Sitzungsunterlagen der Fluglärmkommission zu bieten haben. Er besteht im Wesentlichen aus zwei Tabellen, die die Meßergebnisse der Fraport-Lärmmeßstationen zusammenfassen. Trotzdem ist die Kernaussage dieses Datenwustes aus Raunheimer Perspektive immer wieder erschreckend.
Die September-Ausgabe dieses Jahres enthält die Monatswerte der äquivalenten Dauerschallpegel für die Stationen für den Tag (6-22 Uhr) und die Nacht (22-6 Uhr) sowie zusammengefaßt die Werte für die '6 verkehrsreichsten Monate 2018' (Mai-Oktober). In allen Spalten ist der höchste Wert in Raunheim zu finden, und nur in Raunheim treten Werte über 60 dB(A) auf.
Besonders extrem waren die Verhältnisse bekanntermaßen im Sommer 2018. In den 'verkehrsreichsten Monaten', in denen tagsüber zur Hälfte Betriebsrichtung 07 mit Anflug über Raunheim geflogen wurde, waren wir mit 61,6 dB(A) einsamer Spitzenreiter, danach kommen Flörsheim mit 59,8 und Rüsselsheim-Opelbrücke mit 57,7 dB(A).
Alle anderen Stationen liegen zwischen 50 und unter 57 dB(A), nur Zeppelinheim, Kelsterbach, Okriftel und Groß-Gerau-Nord liegen noch niedriger.
Aber selbst im März 2019, in dem nur knapp über 20% BR07 geflogen wurde, liegt Raunheim mit 59,2 dB(A) eindeutig an der Spitze und mindestens 2 dB(A) höher als die Stationen im Osten. Und im April 2019, wo fast 70% BR07 geflogen wurde, erreichte Raunheim 63 dB(A) und fast 6 dB(A) 'Vorsprung'. (Zur Erinnerung: beim Einzelschallpegel bedeutet eine Erhöhung um 3 dB(A) eine Verdopplung des Lärms.)
Durch die Erhöhung der Zahl der Flugbewegungen treten diese Unterschiede immer krasser zutage. Und wenn es nach Fraport geht, ist ja noch lange keine Grenze erreicht. Auch die Maßnahmen des 'aktiven Schallschutz', die angeblich kommenden leiseren Flugzeuge und was sonst noch so alles versprochen wird, bringt in Raunheim keinerlei Erleichterung. Raunheim ist zu nahe am Flughafen, um umflogen zu werden. Der Lärm beim Anflug kommt weniger von den Triebwerken, die vielleicht noch etwas leiser werden können, sondern vom Flugzeugkörper selbst, der sich sobald nicht ändern wird.
Natürlich muss man berücksichtigen, dass die Fraport-Meßstation im Südosten Raunheims liegt und damit auch den Startlärm von den Abflügen auf der Südumfliegung voll registriert. Nur dort sind die Unterschiede zwischen den Betriebsrichtungen relativ klein. Im Nordwesten Raunheims macht es wesentlich mehr aus, ob BR07 oder BR25 geflogen wird, wie man an den Werten der Fraport-Meßstation 'Rüsselsheim Opelbrücke' oder der
DFLD-Meßstation Raunheim-Nord sehen kann. Aber je weiter man nach Süden kommt, desto schlimmer wird der Anfluglärm, und je weiter nach Osten, desto schlimmer der Startlärm. (Einschränkung: im Nordosten hört man auch den Anfluglärm auf die Nordwestbahn schon ziemlich gut, und auf dem Raunheimer Teil des Mönchhofgeländes dominiert er.)
Die Schlussfolgerung daraus ist natürlich schon lange bekannt. Wenn es in Raunheim wieder leiser werden soll und erträgliche Verhältnisse wieder hergestellt werden sollen, dann hilft keine Kosmetik durch 'technischen Fortschritt' oder 'aktiven Schallschutz'. Es hilft einzig und allein ein Stopp des weiteren Wachstums des Flugverkehrs und eine Reduzierung der Zahl der Flugbewegungen auf ein Maß, dass die Bedürfnisse der Region erfüllt und mit den Erfordernissen des Klimaschutz vereinbar ist. Die Wachstumsphantasien der Fraport sind damit völlig unvereinbar.
Die Präsentationen in der Anhörung lieferten sehr unterschiedliche Ergebnisse, aber es ist nicht erkennbar, ob und wie die Widersprüche aufgearbeitet werden.
(Original-Cartoon: Harm Bengen, Archiv 2015, 6.12.)
29.09.2019
Das Umwelthaus hat einen Teil der Materialien zur UFP-Expertenanhörung am 22./23. August auf seiner Webseite veröffentlicht, weitere sollen folgen. Für einen ersten Überblick ist aber genügend Material vorhanden.
Die ersten Vorträge zum Themenkomplex "Grundwissen zum Ultrafeinstaub" brachten einen guten Überblick, aber wenig Neues. Auch die kurze Rede von Minister Al-Wazir enthielt nichts, was nicht schon in seiner
Pressemitteilung ein paar Tage vorher enthalten gewesen wäre. (Immerhin hat sein Beitrag einige weitere Landespolitiker motiviert, ebenfalls zu erscheinen, sie sind dann allerdings schnell wieder verschwunden.)
Auch die Vorträge zu den UFP-Belastungen in Innenräumen, in ländlichen Gebieten und in Städten gehörten in die Kategorie 'Netter Überblick, aber nicht neu'. Spannend wurde es erst danach mit den Vorträgen, die sich auf Flughäfen und Luftverkehr bezogen.
Da war zuerst Herr Rindlisbacher vom Schweizer Bundesamt für Zivilluftfahrt, der einen Überblick über die dort durchgeführten Messungen an Triebwerken auf Testständen unter verschiedenen Lastzuständen und mit verschiedenen Treibstoffen gab. Leider versäumte er es, verständlich darzustellen, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede es zu den früher durchgeführten Messungen im Realbetrieb, z.B. in Brisbane und Los Angeles, gibt. Für einen Überblick über das Thema wäre das sehr wichtig gewesen, wurde aber auch von niemand anderem geleistet.
Eine besonders undankbare Aufgabe hatte der nächste Vortragende, Herr Lorentz vom Ingenieurbüro Lohmeyer. Als Leiter des Konsortiums, das das UBA-Projekt zur Modellierung der UFP-Belastung durch den Flughafen Frankfurt durchgeführt hat, musste er versuchen, das komplette Scheitern dieses Projektes in einem möglichst milden Licht erscheinen zu lassen. Man kann ihm zugute halten, dass er sich dieser Aufgabe gestellt und den Mißerfolg weitgehend eingeräumt hat (im Vortrag deutlicher als in den
Folien). Und grundsätzlich ist ein negatives Ergebnis in der Wissenschaft ja auch durchaus normal. Wenn man eine Hypothese aufstellt, muss man damit rechnen, dass sie im Test widerlegt wird.
Was man ihm allerdings ankreiden muss, ist, dass er sich nach wie vor weigert, die offensichtlichen Schlussfolgerungen aus diesem Scheitern zu ziehen. Weder mochte er einräumen, dass sein Modellierungsansatz generell nicht für UFP taugt, noch konnte er zugeben, dass die Tatsache, dass sich das Modell auf die Emissionen auf dem Flughafengelände selbst konzentriert und den Flugbetrieb vernachlässigt hat, ebenfalls ein wesentlicher Grund für die völlig fehlende Übereinstimmung zwischen Modell und Meßergebnissen war. So spekuliert er in seinem 'Ausblick' über mögliche Bedeutungen von 'Partikelbildungsprozessen' und 'flüchtigen Partikeln', geht allerdings nicht soweit, den Unsinn zu wiederholen, den er oder jemand aus seinem Team für den Fraport-Bericht zu UFP zusammengeschrieben hat.
Der
Vortrag von Frau Rose vom HLNUG gab erwartungsgemäß im Wesentlichen die Ergebnisse des letzten
Zwischenberichts wieder. Hier lohnt es sich allerdings, sich das
Video ihres Vortrags anzusehen und die teilweise doch recht eigenwillige Interpretation der Daten im Original zu hören. Es ist geradezu skurril zu hören, wie sie den Einfluss der Flugbewegungen auf die Meßdaten diskutiert, ohne diese Daten in Bezug zur jeweils herrschenden Betriebsrichtung und Flugbewegungszahl zu setzen. Ebenso seltsam fällt die Diskussion der Transportprozesse durch Wirbelschleppen aus, und die Frage, warum bodennahe Emissionen vom Flughafen über mehr als zwanzig Kilometer transportiert werden können, während bodennahe Emissionen von der Autobahn schon nach hundert Metern nicht mehr nachweisbar sind, stellt sich ihr anscheinend garnicht.
Ebensowenig stellt sie einen Bezug zwischen den Daten aus London und Amsterdam, die sie anfangs stellvertretend vorgetragen hat, und den eigenen Messungen in Frankfurt her, obwohl von beiden einiges zu lernen wäre. Dennoch gehen die Ankündigungen über das weitere Vorgehen und die Einrichtung neuer Messungen zumindest teilweise in die richtige Richtung.
Direkt anschließend liess es sich Herr Fleuti vom Flughafen Zürich nicht nehmen, mit typisch schweizerischer Zurückhaltung darauf hinzuweisen, dass Frankfurt mit diesen Untersuchungen ziemlich spät dran ist, während in Zürich schon seit 2011 umfangreich gemessen wurde. Allerdings befasste sich sein
Vortrag zunächst hauptsächlich damit, wie schwierig diese Messungen seien, und die vorgestellten Ergebnisse bezogen sich auch nahezu ausschließlich, inklusive einer sog. 'Ausbreitungsrechnung', auf das Flughafengelände selbst. Etwas unvermittelt zeigte er auch noch ein 'Emissionsinventar', aus dem hervorging, dass die vom Flughafen hervorgerufenen UFP-Emissionen zu 41% von Flugzeugen in der Luft, 51% von Flugzeugen am Boden und zu 8% vom ganzen Rest stammen. Wie genau das ermittelt wurde, wurde allerdings nicht klar.
Der zweite Teil seines Vortrages beinhaltete ein nach seinen Worten ganz neues Resultat, und leider gab es zwischen dem, was dazu auf den verschiedenen Folien zu sehen ist, und dem, was er dazu
gesagt hat, ein paar Widersprüche. Das ist sehr bedauerlich, denn es ging um das spannende Thema, wieviel UFP durch Überflüge im Landeanflug im überflogenen Gebiet immittiert werden. Dazu wurde unter einer Anfluglinie über die letzten 10 km ein Meßprofil mit 6 Stationen angelegt, ausserdem gab es noch ein Querprofil mit 5 Stationen. Gemessen wurde über 2 Wochen, die Stationen waren nur gering von anderen Quellen beeinflusst.
Als Ergebnis der Auswertung des Längsprofils hat er auf einer Folie mit der entsprechenden Grafik festgehalten: "Allgemeiner Einfluss des Flugbetriebs ab 5-6km Distanz nicht mehr sichtbar. Einzelereignisse von Überflügen nur bei Wind <1-2m/s und Überflughöhe bis 260m zuordbar.", was bei HLNUG & Co. auf grosse Zustimmung gestossen sein dürfte. Allerdings enthält schon die nächste Folie eine Auswertung des Querprofils, das nach der Übersichtsgrafik in 6 km Entfernung angelegt war (Herr Fleuti vermutete es bei 4 km, aber da gibt es keinen Meßpunkt). Dort ist zu sehen, dass an der Stelle, wo im Längsprofil bei Flugbetrieb nur Werte im Bereich der Hintergrundbelastung zu sehen waren, bei Windstille nun plötzlich mehr als 4mal so hohe Werte und damit ein sehr eindeutiger Einfluss des Flugbetriebs zu sehen sind. Herr Fleuti und sein Team werden sich ihre eigene Einschätzung, wonach der "Windeinfluss äusserst dominant" ist, zu Herzen nehmen und ihre Aussage, wo der Einfluß der Überflüge eine Rolle spielt, überprüfen müssen.
Der Vormittag des zweiten Anhörungstages beschäftigte sich mit gesundheitlichen Fragen. Von der Frage, was es für die Festlegung von Grenzwerten braucht, über vorliegende Erkenntnisse zu Toxikologie und Epidemiologie von UFP bis zu Berichten von zwei laufenden Studien in Amsterdam und Kopenhagen gab es viele interessante Informationen und einen guten Überblick, aber auch hier nichts wirklich Neues. Im Hinblick auf die von der Landesregierung angekündigte Studie war besonders bedauerlich, dass aus keinem der Vorträge zu erkennen war, welche Untersuchungen das Thema jetzt deutlich voran bringen könnten.
Der Nachmittag beschäftigte sich mit "Möglichkeiten zur Minderung von UFP" und war weitgehend enttäuschend. Bill Hemmings von Transport & Environment, der als einziger Vertreter einer Umweltorganisation als Referent eingeladen war, sollte über Al-Wazirs neues Lieblingsthema, die Entschwefelung von Kerosin, referieren. Er überschätzte aber seine Deutschkenntnisse deutlich, und sowohl seine
Folien als auch sein
mündlicher Vortrag waren schwer verständlich und teilweise ärgerlich ungenau. Worum es ihm im Kern ging, kann man besser in den einschlägigen
Beiträgen auf der T&E-Webseite nachlesen: die Luftverschmutzung durch Schwefel ist insbesondere durch die Schifffahrt noch recht hoch, aber es gibt aussichtsreiche Initiativen, dies durch Nachrüstung der Raffinerien zu reduzieren, und das sollte genutzt werden, um in allen Bereichen, auch im Luftverkehr, Schwefel-freie Treibstoffe durchzusetzen. Wieviel das in Europa zur Reduzierung der Belastung durch Ultrafeinstaub beitragen könnte, konnte er nicht sagen.
Auch die beiden DLR-Vertreter enttäuschten. Herr Schripp hielt einen euphorischen Vortrag über die Möglichkeiten alternativer Treibstoffe, der auf kritische Einwände insbesondere gegen Biotreibstoffe nicht ernsthaft einging, und Herr Reichmuth einen erstaunlich oberflächlichen Vortrag über die Möglichkeiten der Optimierung des Bodenverkehrs an Flughäfen.
Zum Schluss wurde es noch einmal politisch. In einer 'Erkenntnisrunde' sollten die 'Themenverantwortlichen' (Frau Dr. Steul, Frau Dr. Brohmann, Frau Barth) gemeinsam mit der Moderatorin noch einmal die Ergebnisse reflektieren, und die Vorsitzenden des FFR, Prof. Wörner, und der Fluglärmkommission, Thomas Jühe, sollten einen Ausblick über das weitere Vorgehen geben. Hier liegen die schriftlichen Fassungen leider noch nicht vor, und vielleicht kann man aus den Formulierungen noch das eine oder andere herauslesen.
Für den BBI-AK 'Feinstaub' haben Joachim Alt und Wolfgang Schwämmlein im Nachgang zu der Anhörung eine
Standortbestimmung verfasst, die Schlussfolgerungen aus den Vorträgen zieht und Forderungen entwickelt.
Insgesamt blieb der Eindruck: eine durchaus interessante Veranstaltung, mit Höhen und Tiefen, wichtigen Informationen und oberflächlichem Geschwätz, aber ohne konkretes Ergebnis. Viele Widersprüche blieben einfach im Raum stehen, viele Fragen blieben offen, und es zeichnete sich kein Konzept ab, wie damit umzugehen sei und wie man weiter voran kommen könne. Im Gegenteil hatte man überwiegend den Eindruck, dass alle mehr oder weniger stolz auf ihre eigene Arbeit waren und kein Interesse an einer irgendwie gearteten Abstimmung oder einem gemeinsamen Vorgehen hatten. Und was über die mitteleuropäischen Grenzen hinaus passiert, war ohnehin an beiden Tagen kein Thema.
Wenn mit dieser Veranstaltung Input für die geplante umfangreiche Studie zu UFP am Flughafen Frankfurt gesammelt werden sollte, dann bleibt es wohl den üblichen Verdächtigen überlassen, dieses Material im Hinterzimmer auszuwerten und die Studienelemente zu konzipieren. Nach einer
Ankündigung des UNH sind das die "Gremien des FFR" und dessen "wissenschaftliche Begleitung", sprich das Öko-Institut.
Und so bleiben die Konfliktlinie so, wie sie vorher auch waren, und der Streit, woher die UFP-Belastung für die Bevölkerung rund um den Frankfurter Flughafen kommt und wie ihr zu begegnen wäre, ist um ein paar Argumente reicher, aber einer Entscheidung nicht näher. Die Auseinandersetzungen müssen und werden weitergehen. Und sie werden zwar auch um die wissenschaftlichen Ergebnisse, im Kern aber um deren Konsequenzen und die notwendigen politischen Maßnahmen gehen - wie in anderen Bereichen auch.
Der 'Frankfurter Fluglärm-Index 2.0' - auch ein Werk dunkler Mächte ?
27.08.2019
Ende Mai dieses Jahres hat das 'Forum Flughafen und Region'
mitgeteilt, dass es den bisherigen 'Frankfurter Fluglärmindex' weiterentwickelt und einen 'FFI 2.0' eingeführt hat. Er
"ersetzt den seit 2009 verwendeten Index",
"berücksichtigt ... neue wissenschaftliche Erkenntnisse aus der NORAH-Studie" und ist
"noch genauer auf die Lärmwirkungen im Umfeld des Flughafens Frankfurt zugeschnitten".
Er dient als Kennzahl dafür,
"wie sich die Lärmwirkung in der Region um den Flughafen Frankfurt entwickelt", und zwar sowohl in der Vergangenheit ('Monitoring') als auch für die Zukunft,
"um zu prognostizieren, wie sich mögliche Maßnahmen des aktiven Schallschutzes auswirken würden". Mit anderen Worten, er soll ein Universal-Instrument "für die Bewertung von Lärmwirkung und Schallschutzmaßnahmen" sein. Ist er das wirklich?
Um das beurteilen zu können, muss man sich ansehen, wie dieser Frankfurter Fluglärmindex definiert ist, wie und wofür er bisher genutzt wurde und was an der Version 2.0 neu ist. Dabei hilft in erster Linie die
Dokumentation, die das FFR bzw. das Umwelthaus bereitstellt.
Dieses Papier erklärt sehr viele Eigenschaften dieses Index sehr ausführlich, lässt aber leider auch einige wichtige Fragen offen. Da dieser Beitrag ohnehin schon zu lang ist, behandeln wir die mehr technischen offenen Fragen demnächst in einem eigenen Beitrag und konzentrieren uns hier im Wesentlichen auf die Geschichte des FFI und Anwendungsfragen. Wichtig zum Verständnis ist allerdings das technische Faktum, dass der FFI (wie auch der FFI 2.0) aus zwei Indexwerten besteht, die sich durch das verwendete Maß für die Belastung unterscheiden: der Tagindex FTI für den Zeitraum von 6:00 - 22:00 Uhr, der die empfundene Belästigung durch Fluglärm zugrunde legt, und der Nachtindex FNI für die gesetzliche Nacht von 22:00 - 6:00 Uhr, der Aufwachreaktionen betrachtet.
Die fünfseitige Einführung der Dokumentation gibt schon einen gut lesbaren Überblick mit ersten Antworten auf die oben gestellten Fragen. Vor allem aber enthält sie die wichtige, sonst häufig untergehende Aussage, dass ein Fluglärmindex
"komplexe Informationen zusammenfassend darstellt und so ein Hilfsmittel bietet, um die Fluglärmentwicklung sowie Maßnahmen zur Lärmvermeidung objektiv zu beurteilen", dafür aber "Setzungen vorgenommen werden ..., [die] aus wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht oder nicht immer direkt ableitbar" sind, und ausserdem "durch diese Vereinfachung vielfältige Informationen verloren" gehen und die notwendige Interpretion des Indexwertes dadurch "umso komplexer" wird.
Mit anderen Worten: es gibt nicht den einen, wissenschaftlich exakten Index, der alle Fragen beantwortet. Es gibt im Gegenteil viele verschiedene Möglichkeiten, Indices zu konstruieren, die dann jeweils auch nur zur Beantwortung spezieller Fragen taugen, und in der Wahl der Parameter stecken subjektive Annahmen, die interessengeleitet sind. Das ist keine politische Bosheit, sondern zwangsläufig so. Im besten Fall kann man darauf hoffen, dass bei der Präsentation von Indexwerten genau beschrieben wird, welche Fragen sie beantworten (und welche nicht), und dass die Interessen, die die Auswahl der Parameter geleitet haben, offengelegt werden. Das ist leider in der Regel nicht der Fall.
Weiter enthält diese Einleitung auch einen Überblick über die Entstehung des Frankfurter Fluglärmindex, der die wichtigsten Eckdaten liefert, aber eine Reihe von Punkten elegant übergeht.
Zum einen geht in der Beschreibung der vielfältigen Diskussions- und Einigungsprozesse ein wenig unter, dass die Tatsache, dass der FFI "im Regionalen Dialogforum (RDF) im Rahmen des sogenannten Anti-Lärm Pakets" entwickelt wurde, eben auch bedeutet, dass er ein Instrument zur Legitimierung des Flughafenausbaus werden sollte, an dessen Entwicklung alle, die den Ausbau ablehnten, also insbesondere die weitaus überwiegende Mehrheit der Umweltverbände und Bürgerinitiativen, nicht beteiligt waren.
Zum anderen wird zwar auf eine
wissenschaftliche Studie zur Bewertung der entwickelten Index-Vorschläge verwiesen, aber nicht erwähnt, dass wichtige Kritikpunkte aus dieser Studie in der weiteren Entwicklung des FFI nicht berücksichtigt wurden und bis heute gültig sind. Dabei stehen die Autoren dem FFI grundsätzlich sehr positiv gegenüber, während externe Kritiken teilweise deutlich drastischer waren.
Nach der Schilderung der Entstehungsgeschichte des FFI werden die Ausführungen plötzlich sehr knapp. "Seit 2009 war der FFI unverändert in Anwendung und diente dem regelmäßigen Monitoring sowie der Beurteilung aktiver Schallschutzmaßnahmen durch das FFR" heisst es dann nur noch, ohne Hinweis auf irgendwelche nachvollziehbaren konkreten Aktivitäten.
Was dann folgt, ist zwar als dritter Abschnitt ausgewiesen, ist aber eigentlich eine alternative Einleitung, die vieles bisher schon Gesagte mit anderen Worten wiederholt. Hier wird immerhin eine konkrete Anwendung des FFI erwähnt: das
Konsultationsverfahren zur Verschiebung einer Abflugroute der Startbahn 18 West, in dem er zur Bewertung der verschiedenen Routen-Varianten genutzt wurde. Die Überarbeitung des FFI sollte die dort geäusserte Kritik aufgreifen. Dazu weiter unten mehr.
Auch an anderer Stelle wird man nicht fündig. Das Umwelthaus
verkündet zwar vollmundig:
"Das UNH berechnet für jedes Jahr den Frankfurter Fluglärmindex (FTI 2.0/FNI 2.0) und veröffentlicht die Ergebnisse in einem Indexbericht." Und wenn dieser Index wiedergeben soll, "wie sich die Lärmwirkung in der Region um den Flughafen Frankfurt entwickelt", dann würde man doch an erster Stelle eine Grafik erwarten, die diese Entwicklung veranschaulicht. Tatsächlich findet man aber nur drei Downloads, die zusammen genommen die Ergebnisse des FFI 1.0 von 2007 bis 2016 abdecken. Für 2017 und 2018 gibt es nichts, und über den FFI 2.0 garnichts. Das 'aktuelle Monitoring', so es denn stattfindet, ist offensichtlich nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Auch Fraport und Landesregierung nutzen den Index nicht für ihre Lärm-Berichterstattung.
Der Grund dürfte darin liegen, dass die Interpretation der Index-Ergebnisse in der Tat "komplex" ist. Die Index-Berichte des Umwelthauses helfen da auch nicht viel weiter, denn sie bestehen nur aus Vortragsfolien ohne erläuternde Texte. Schaut man sich allerdings an, welche Daten dort diskutiert werden, dann kommt man schon einem Konstruktionsfehler dieses Index auf die Spur.
Zeitliche Entwicklung des 'Frankfurter Fluglärm-Index' (1.0), der Zahl der Flugbewegungen (im Jahr und in den '6 verkehrsreichsten Monaten') und der Personen im Indexgebiet insgesamt (oben)
und der Indexpunkte für die Kommunen Raunheim und Flörsheim
für den Zeitraum 2007 bis 2016 (unten).
Stellt man die zeitliche Entwicklung des Tag-Indexwertes (der 'Nacht-Index' hat seine eigenen Probleme) anhand der Berichtswerte grafisch dar (dunkelblaue Kurve), so sieht man, dass er zunächst bis 2011 unregelmäßig, aber tendenziell deutlich, abnimmt, danach aber wieder sprunghaft ansteigt und um ein Niveau knapp über 2007 weiter pendelt. Das ist ein Verhalten, dass sich so in anderen Lärmberichten für diesen Zeitraum nicht ergibt. Um zu verstehen, wie das kommt, muss man sich einige weitere Eingangsdaten für die Indexberechnung ansehen.
Die Daten in unserer Grafik sind, wie der Index auch, auf den Wert des Ausgangsjahres 2007 normiert, um die zeitlichen Veränderungen zu verdeutlichen. Man kann die Zahlen als Prozentwerte des Ausgangswertes 2007 lesen, Zahlen grösser 100 bedeuten eine Zunahme, kleiner 100 eine Abnahme gegenüber diesem Jahr.
Auf den ersten Blick wird deutlich, dass der Indexwert sehr eng der Entwicklung der Anzahl der Personen im Indexgebiet (hellblaue Kurve) folgt. Die schwankt, weil die FFI-Berechnung vorschreibt, dass der Index nur innerhalb einer Fläche zu berechnen ist, die mit einer bestimmten Mindestmenge an Lärm belastet ist. Die Kontur dieser Fläche ändert sich, wenn mehr oder weniger geflogen wird, unterschiedliche Routen genutzt werden, die Betriebsrichtungs-Anteile unterschiedlich sind, und vieles mehr. Daher fallen an der Grenze dieser Fläche Wohngebiete mal hinein, mal heraus, und damit ändert sich die Zahl der Betroffenen insgesamt und infolge dessen auch die Zahl der sog. 'Hochbelästigten', die den Indexwert bestimmt. Anders gesagt: mit der Festlegung des Indexgebietes hat man im Grunde schon bestimmt, wie der Indexwert sich entwickelt, die ganze weitere Rechnerei ist Feinschliff.
Die Frage stellt sich allerdings: ist es das, was man wissen wollte? Welchen Anteil die einzelnen Faktoren jeweils daran haben, dass die Fläche sich ändert und darum der Indexwert fällt oder steigt, lässt sich aus diesen Daten nicht sagen. Man kann versuchen, den Einfluss der schwankenden Gesamt-Personenzahl aus der Darstellung herauszurechnen, und findet dann eine zeitliche Entwicklung (blau-grüne Kurve), die der des nächst-wichtigsten Eingangs-Parameters, der Zahl der berücksichtigten Flugbewegungen (orange-farbene Kurve), zumindest nahekommt. Wie die Zusammenhänge aber wirklich sind, müssten natürlich die Index-Macher erklären.
Generell ist dieser Indexwert kein brauchbares Maß dafür, wieviele Menschen vom Fluglärm stark belästigt sind. Aufgrund der Grenzziehung bei einem bestimmten Wert für den äquivalenten Dauerschallpegel über die 'sechs verkehrsreichsten Monate' fallen Menschen zeitweise aus der Betrachtung heraus, deren subjektives Empfinden sich dadurch, dass der Dauerschallpegel an ihrer Wohnung im Jahresmittel um 1 dB zu- oder abnimmt, um keinen Deut ändert. Ein Großteil der Änderung der Belästigtenzahlen ist also ein berechnungs-technisches Artefakt und spiegelt keine reale Veränderung der Betroffenheit wieder.
Wenn nun aber die Angabe des Gesamt-Index keine brauchbare Aussage liefert, taugen dann wenigstens die Werte für bestimmte Gebiete, die keinen Flächenschwankungen unterliegen und in denen sich die Einwohnerzahl bestenfalls durch Zu- und Weg-Züge ändert? Auch das lässt sich am Besten mit Beispieldaten überprüfen, z.B. mit Angaben der Indexwerte für einzelne Kommunen im Umfeld des Flughafens, die man in den Indexberichten findet.
Betrachtet man die Daten für Raunheim (untere Grafik, grüne Linien), das bestimmt nicht Gefahr läuft, jemals aus dem Indexgebiet heraus zu fallen, so ergibt sich zunächst ein plausibles Bild. In den Jahren vor Eröffnung der Landebahn Nordwest liegt die Belästigung relativ konstant bei einem Wert von im Mittel 7,3 Indexpunkten, in den Jahren nach Eröffnung der Bahn sinkt dieser Wert auf 6,7. Dieses Absinken ist plausibel, da ja die bisherigen Anflüge auf die Centerbahn grösstenteils aus dem Stadtgebiet heraus nach Flörsheim verschoben wurden.
Anders jedoch in Flörsheim (blaue Linien). Dort ist der Mittelwert mit 8,1 Indexpunkten zunächst höher (weil Flörsheim mehr Einwohner hat), aber nach Eröffnung der Nordwestbahn fällt er auf etwa das gleiche Niveau wie Raunheim (6,6 Indexpunkte). Die Nordwestbahn als Schallschutz-Maßnahme für Flörsheim? Es gibt wohl nur wenige Betroffene, die das nachempfinden können. Auch hier also vermutlich wieder ein rechnerisches Artefakt, aber wodurch?
So etwas könnte passieren, wenn nach der Bahneröffnung massenhaft Leute aus Flörsheim weggezogen wären, aber das war nicht der Fall. Denkbar ist aber auch, dass ein vorher hoch belasteter Stadtteil nachher zum Ruhe-Paradies geworden ist und damit die Zunahme der Belastung in den anderen Stadtteilen überkompensiert - oder schlicht wieder durch die unselige Grenzziehung aus der Berechnung herausgefallen ist. Die Karten in den Indexberichten, die die Indexgebiete für jedes Jahr darstellen, sind von so miserabler Qualität, dass man sich nicht sicher sein kann. Aber wenn man sich lange genug mit dem vom Umwelthaus zur Verfügung gestellten Cadenza-Programm herumquält, erkennt man, dass die Stadtteile Weilbach und Wicker ab 2011 sukzessive aus dem Indexgebiet herausfallen, wohl aufgrund der verminderten Nutzung der Nordwest-Abflugroute. Genau wissen, was da passiert, können natürlich auch wieder nur die Herren der Indices.
Auch im Kleinen ist dieser Index also nicht die einfache Kennzahl, die einen schnellen Überblick über die Lärmentwicklung gibt. Im Gegenteil muss man in jedem Einzelfall sehr genau hinschauen, ob die Rahmenbedingungen dafür gegeben sind, dass die zeitliche Entwicklung des Indexwertes überhaupt eine sinnvolle Aussage macht. Hiess es bei der Einführung des FFI im Anti-Lärm-Paket noch: "»Die Etablierung eines Lärmindex hat zum Ziel, ein Kriterium zu definieren, dass die Gesamtbelastung durch Fluglärm in der Region und die jährliche Entwicklung transparent und nachvollziehbar als integrale Größe beschreibt«", so muss man heute feststellen: Ziel verfehlt.
Wird es mit der Version 2.0 diesbezüglich eine wesentliche Verbesserung geben? Genau kann man das noch nicht sagen, denn der Öffentlichkeit werden dessen Ergebnisse noch vorenthalten. Zwar
weiss das Umwelthaus schon: "Der FTI 2.0 unterliegt seit der ersten Berechnung im Jahr 2007 Schwankungen nach oben und unten" und "Der FNI 2.0 ist über die Zeit auf ein Drittel des Ausgangswerts von 2007 zurückgegangen", d.h. er verhält sich qualitativ genauso wie der FFI 1.0, aber konkreter wird es nicht.
Viel Hoffnung darf man sich jedoch nicht machen. Wie die Diskussion der technischen Details zeigt, wird sowohl die Veränderung der sog. Belästigungskurve als auch die Einführung leiserer Flugzeugklassen zwar die Indexwerte verändern, das qualitative Verhalten dürfte davon aber kaum beeinflusst werden. Und die Tatsache, dass die Indexgebiete nun grösser sind und damit mehr Menschen in die Berechnungen einbezogen werden, verliert dadurch an Relevanz, dass der Anteil der Hochbelästigten, der aufgrund der Grenzziehung aus der Berechnung ausgeschlossen wird, sehr wahrscheinlich trotzdem noch grösser wird.
Sonstige Ergebnisse der NORAH-Studie, z.B. über die gesundheitlichen Belastungen durch Fluglärm, die unabhängig von der empfundenen Belästigung objektiv wirken, wurden entgegen der grossartigen Ankündigung auch hier nicht berücksichtigt.
Bliebe noch der sog. 'Maßnahmeindex', also die Anwendung des FFI für die Bewertung von Maßnahmen des aktiven Schallschutz. Hier gab es lange nichts, was öffentlich nachvollziehbar gewesen wäre. Bei den 'großen' Schallschutz-Maßnahmen, auf die die Landesregierung so stolz ist, taucht er nicht auf. Weder bei der Bewertung der Lärmpausen-Modelle noch bei der späteren Bewertung der Lärmpausen-Praxis wurde er eingesetzt. Und er spielt auch bei der Definition und der Kontrolle der Lärmobergrenze keine Rolle - obwohl das eigentlich die Parade-Anwendung für einen Fluglärmindex ist und er im 'Anti-Lärm-Pakt' auch genau dafür vorgesehen war. Der DFLD hatte ja im Auftrag der 'Stabsstelle Fluglärmschutz Frankfurt' auch gezeigt, wie eine wirksame Lärmobergrenze auf der Basis eines sinnvoll konstruierten Lärmindex aussehen könnte. Das Modell scheiterte allerdings, weil es eine Grundvoraussetzung nicht erfüllte: es konnte die "ungehinderte Entwicklung des Flughafens" nicht garantieren.
Auch hier hat der FFI also nicht das geleistet, was ursprünglich von ihm erwartet wurde. Derzeit stehen auch keine weiteren derartigen Pseudo-Schallschutzmaßnahmen an, bei denen der FFI 2.0 zum Einsatz kommen könnte. Kann man sich deshalb nun achselzuckend zurücklehnen und mit der Beurteilung "Taugt nichts, aber schadet auch nicht" zur Tagesordnung übergehen? Eher nicht.
Dass der FFI auch künftig "die Gesamtbelastung durch Fluglärm in der Region" nicht darstellen kann und dafür wohl auch weiterhin nicht kommuniziert werden wird, ist eben nur die eine Seite. Und die großartige öffentliche Ankündigung des neuen Index diente sicher auch nicht nur dazu, nachzuweisen, dass das FFR noch existiert. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, dass die Zielgruppe für diese Aktion nicht die breite Öffentlichkeit ist, sondern vielmehr diejenigen, die in naher Zukunft von den vom FFR geplanten Maßnahmen des 'Aktiven Schallschutz' betroffen sein werden. Sie müssen davon überzeugt werden, dass der FFI das geeignete Instrument ist, darüber zu entscheiden, wie und wo künftig geflogen werden soll.
Dafür spricht, dass das derzeit gültige
Maßnahmeprogramm Aktiver Schallschutz eine Reihe von Lärmverschiebe-Maßnahmen enthält, bei deren Beurteilung Flugrouten-Varianten verglichen werden müssen. Und der
Bericht zu diesem Programm ist auch das einzige uns bekannte relevante Dokument, dass den FFI ausgiebig benutzt, wenn auch in zweifelhafter Weise. Taugen die Indexwerte wenigstens grundsätzlich dafür?
Technisch betrachtet, könnten sie dafür eher geeignet sein. Wenn das betrachtete Gebiet, die Gesamtzahl der betroffenen Personen und die Zahl der zu berücksichtigenden Flugbewegungen gleich bleiben, dann kann der Index ein Maß für die unterschiedlichen Belastungen sein, die durch verschiedene Flugrouten in den betroffenen Wohnbereichen bewirkt wird.
Dass das für die Bewertung der Maßnahmen nicht ausreichen darf und z.B. Naherholungsgebiete, besonders schützenswerte Einrichtungen wie Krankenhäuser, Kitas, Schulen usw. getrennt berücksichtigt werden müssen, spricht nicht gegen den Index. Und die Frage, ob es überhaupt Sinn macht, einige Menschen neu mit Fluglärm zu belasten, damit ein paar mehr andere davon entlastet werden, kann ohnehin durch kein mathematisches Verfahren entschieden werden.
Das ist auch bei der ersten konkreten Maßnahme, bei der der FFI 2.0 in letzter Minute zum Einsatz kam, deutlich geworden. Im Rahmen der
AMTIX-Konsultation
war die vergleichende Bewertung der diversen Flugrouten-Varianten, zuerst mit dem alten FFI, dann wenige Wochen vor Abschluss des Verfahrens mit dem FFI 2.0, ein wichtiges Kriterium. Ein Vergleich der Ergebnisse beider Index-Varianten ist damit allerdings nicht möglich, da nicht nur das Berechnungsverfahren, sondern auch die Routen-Varianten im Ergebnis der öffentlichen Konsultation verändert wurden.
Allerdings kann man bei genauer Betrachtung der Konsultationsergebnisse einiges über die Stärken und Schwächen dieser Index-Anwendung lernen. Basis dafür sind der
Bericht zur Öffentlichkeitsbeteiligung (auf der Basis des 'alten' FFI) und die
Stellungnahme des 'Expertengremiums Aktiver Schallschutz' des FFR (auf der Basis des FFI 2.0). Die genauen Daten für letzteren muss man sich allerdings auf einer anderen Webseite
für den Tag und
für die Nacht zusammen suchen.
Eine ausführliche Analyse dieser Papiere bleibt anderen Texten vorbehalten, aber zwei Dinge werden deutlich. Erstens wird der FFI von vielen Bürger*innen und Politiker*innen keineswegs als transparentes und verständliches Bewertungsmaß empfunden. Im Bericht ist dazu einiges an, teils massiver, Kritik zu finden. Auch fällt auf, dass zwar viele Indexwerte dargestellt sind, aber die naheliegende Grundaussage, wieviele Hochbelästigte es im gesamten möglicherweise betroffenen Gebiet für die verschiedenen Varianten gibt, fehlt. Ebenso fehlt eine Darstellung der jeweiligen Indexgebiete, weil vermutlich schwer zu kommunizieren wäre, warum das gleiche Indexgebiet je nach Route bestimmte Bereiche mal enthält, mal nicht enthält, obwohl dort immer auch Hochbelästigte zu finden sind.
Zweitens wird an der Stellungnahme deutlich, dass durch die Definition mehrerer zu betrachtender Indexgebiete die Abwägungen zwischen den verschiedenen Routen deutlich komplexer und dadurch auch weniger eindeutig werden. Boshaft könnte man auch sagen, dass dadurch der Willkür ein grösseres Einfallstor geöffnet wird.
Darüber hinaus wird auch sehr deutlich, dass für die Betroffenen eine Vielzahl anderer Kriterien eine Rolle spielt, während die FFR-Empfehlung sich auf einige zweifelhafte Basiskriterien stützt (u.a. dass die Maßnahmen Kapazität und Wirtschaftlichkeit des Flugbetriebs nicht gefährden dürfen) und ansonsten nur die Indexwerte betrachtet, wobei auch noch die Gewichtung zwischen Tag- und Nacht-Index spekulativ bleibt.
Man kann davon ausgehen, dass dem FFI deshalb jetzt ein moderneres Outfit verpasst wurde, weil er in der nächsten Zeit verstärkt dafür genutzt werden soll, Flugrouten-Änderungen durchzusetzen. 'Aktualität' und 'wissenschaftliche Fundiertheit' sind zwei Argumente, die die Überzeugungskraft der Entscheidungen stärken sollen. Beides ist allerdings nicht gegeben, denn weder berücksichtigt der Index die Ergebnisse der NORAH-Studie in umfassender Weise, noch ist er ansonsten auf der Höhe der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse, und seine Struktur ist so problematisch wie eh und je.
Warum dieser Index dazu auch noch als Universalinstrument für alle Lärmschutz-Angelegenheiten verkauft wird, wofür er definitv nicht taugt, bleibt ein Rätsel. So wenig, wie er in der Vergangenheit dafür genutzt wurde, so wenig wird er künftig dafür brauchbar sein. Und das wird seine Glaubwürdigkeit erst recht nicht stärken.
Auf der anderen Seite ist aber auch klar, dass anders als im Märchen das Böse nicht dadurch zu besiegen ist, dass man sein Instrument zerstört. Der Index als solcher ist nicht das Problem. Die Frage ist, wofür er gebraucht oder eben auch missbraucht wird.
Die beiden Papiere zur genaueren Kritik der technischen Aspekte des Tag- und des Nacht-Index sind später als geplant, aber doch noch fertig geworden.
Als Webseite können sie hier für den
Tagindex und für den
Nachtindex angesehen werden.
Sie können auch als PDF-Dokument für den
Tagindex und für den
Nachtindex herunter geladen werden.
Herr Brunn vom Öko-Institut hat inzwischen auch die Vortragsfolien zur Verfügung gestellt, mit denen er den FFI 2.0 beim BIFR-Treffen am 11.09. vorgestellt hat.
Das FFR hat in der
Sitzung der Fluglärmkommission am 25.09. noch einmal seine Abwägung zur Routenverlagerung präsentiert und ein paar weiter Details geliefert. Der große Verlierer dieses Prozesses, die Gemeinde Erzhausen, hat mit einer eigenen
Präsentation und mit einem
Offenen Brief noch einmal ausführlich begründet, warum sie damit nicht einverstanden ist.
Geholfen hat es nicht. Die FLK hat mehrheitlich beschlossen, die neue Route ab November für ein Jahr zu testen. Theoretisch könnte das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung als zuständige Genehmigungsbehörde noch Einwände erheben, aber das ist extrem unwahrscheinlich.
Die UFP-Meßstationen des HLNUG. Ausgewertet wurden nur die Daten der Stationen, die mit farbigen Punkten gekennzeichnet sind.
Zum Bericht (PDF) Grafik anklicken.
21.08.2019
Am 20.08. hat das 'Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie' (HLNUG) den 2. Zwischenbericht zu den Messungen ultrafeiner Partikel (UFP) rund um den Frankfurter Flughafen veröffentlicht und dokumentiert darin, dass es weitere Schritte auf dem richtigen Weg zur Erfassung der UFP-Belastung der Anwohner durch den Flugverkehr gegangen ist. Bis zum Ziel ist es aber immer noch ein langer Weg.
In der Zusammenfassung, die dem Bericht vorangestellt ist, wird festgestellt, "dass der Flugbetrieb eine bedeutende Quelle für ultrafeine Partikel darstellt, die zu erhöhten Konzentrationen in der Umgebung führt. Das Gebiet, auf dem ultrafeine Partikel aus Flugzeugtriebwerken freigesetzt werden, die dann auch Auswirkungen auf die bodennahen UFP-Konzentrationen haben können, beschränkt sich nicht nur auf das Flughafengelände selbst, sondern erstreckt sich auch entlang der Anfluglinien, nach erster Schätzung bis zu einem Abstand von etwa 7-8 km vom Aufsetzpunkt. Auf dieser Fläche werden große Mengen an UFP entweder bodennah emittiert (auf dem Flughafengelände) oder auf geringen Flughöhen (unterhalb etwa 400 m), die anschließend auch von Wirbelschleppen zum Boden verfrachtet werden können (entlang der Anflugkorridore)."
Das sind gegenüber dem letzten Bericht gleich zwei Fortschritte. Zum einen wird nun endlich eingeräumt, dass die Überflüge für die Belastung am Boden eine Rolle spielen, und zum anderen auch anerkannt, dass Wirbelschleppen für den Transport der Triebwerks-Emissionen relevant sind.
Zwar folgen dann auch wieder Einschränkungen, die schwer zu verstehen sind. So sollen Überflüge nur "unterhalb einer Flughöhe von ca. 400 m" und "bis zu einem Abstand von etwa 7-8 km vom Aufsetzpunkt" Wirkungen am Boden erzeugen, obwohl diese Aussagen durch die Messergebnisse nicht zu belegen sind. Besonders skurril ist aber die Tatsache, dass für den Nachweis der Wirkungen direkt unterhalb der Anfluglinien ein armer Master-Student der Frankfurter Meteorologie mit einer völlig unzureichenden Ausstattung rund um den Flughafen Partikelanzahl-Konzentrationen in Relation zu Überflügen messen sollte, wenn gleichzeitig im Datenpool des HLNUG drei Jahre zeitlich hochaufgelöster Messungen in Raunheim danach schreien, mit den exakten Überflugdaten der Fraport in Abhängigkeit von den ebenfalls an der Raunheimer Station gemessenen Winddaten korreliert zu werden, um diesen Zusammenhang auf einer viel besseren statistischen Basis und mit wesentlich genaueren Daten zu überprüfen.
Auch andere Aussagen in diesem Bericht sind noch mit Fragezeichen zu versehen oder werfen neue Fragen auf. So wird z.B. nirgendwo der Versuch gemacht, zu erklären, wie denn die bodennahen Emissionen vom Flughafen selbst über mehrere Kilometer im Umland hohe Belastungen erzeugen können, wenn gleichzeitig Messungen belegen, dass die Emissionen des Kfz-Verkehrs auf der vielbefahrenen Autobahn A3 schon nach 100 Metern nicht mehr nachgewiesen werden können.
Alles in allem sind die Aussagen des Berichts aber erfreulich seriös und eine wertvolle Quelle weiterer Informationen. Sie stehen damit in starkem Kontrast zu dem Unsinn, den Fraport nur sechs Wochen vorher verbreitet hat. Immerhin hat auch das Verkehrsministerium die Wende zum großen Teil mitvollzogen. Die Pressemitteilung, die Verkehrsminister Al-Wazir zusammen mit Umweltministerin Hinz aus Anlass der Veröffentlichung des HLNUG-Berichts verbreitet hat, gibt die wesentlichen Inhalte des Berichts wieder und korrigiert damit frühere Aussagen. Die Schlussfolgerungen, die die beiden Minister ziehen, sind allerdings wenig konsequent.
"Ultrafeinstaub reduzieren" ist sicherlich eine richtige und notwendige Konsequenz, aber die von Al-Wazir und Hinz angekündigten Schritte taugen dafür nur sehr bedingt. Natürlich ist es richtig und wichtig, den Schwefelgehalt im Kerosin weiter zu senken, allerdings mehr aus Gründen des allgemeinen Gesundheits- und Umweltschutzes. Untersuchungen des DLR haben schon vor 20 Jahren gezeigt, dass bei niedrigen Schwefelgehalten, wie sie derzeit in Europa schon erreicht werden, die Partikel-Bildung in den Triebwerksabgasen durch andere Komponenten, in erster Linie Aromaten, reguliert wird.
Aber selbst wenn durch Schwefel-Reduktion noch etwas diesbezüglich erreicht werden könnte, würde das nur helfen, wenn es auf internationaler Ebene geschehen würde, weil Flugzeuge nun mal auf der ganzen Welt tanken und mit diesem Sprit nach Europa kommen. Die ICAO hat aber nach fast 10jährigen Bemühungen gerade erst einen (schwachen) Standard für
Partikelemissionen künftiger Triebwerke beschlossen und wird hier nicht so schnell mit weiteren Maßnahmen nachbessern.
Und auch die von den beiden Ministern anvisierte große Lösung, die alternativen Treibstoffe, passt zwar sehr schön zur angestrebten neuen
Luftfahrt-Politik des Bundes, was damit aber wann erreicht werden kann, bleibt völlig offen. Selbst Technik-Optimisten glauben nicht an
schnelle Lösungen, und kritische Stimmen weisen noch auf
viele weitere Probleme hin.
Bleibt noch die Frage, was aus der angekündigten Wirkungsstudie werden soll. Bisher ist nicht erkennbar, dass die durchgeführten und geplanten Messungen in absehbarer Zeit eine ausreichende Datenbasis für eine umfangreiche epidemiologische Studie, die Voraussetzung für die Entwicklung von Grenzwerten wäre, liefern könnten. Aber diese Frage wird vielleicht nach der 'Expertenanhörung', die am Donnerstag und Freitag an der Frankfurter Uni stattfindet, genauer beantwortet werden können.
Die DFS verfügt über ein operatives Beschwerde-Management. Für Bürger*innen funktioniert es wie hier gezeigt.
30.07.2019
Die DFS Deutsche Flugsicherung GmbH präsentiert sich auf ihrer
Webseite als "für die Flugverkehrskontrolle in Deutschland zuständig" und leistet laut
Unterseite Umwelt
"ihren Beitrag zum klima- und umweltgerechten Handeln". Und unter dem Stichwort
Umweltfreundliches Fliegen verpflichtet sie sich sogar, "auch auf den Schutz der Bevölkerung vor unzumutbarem Fluglärm hinzuwirken".
Wenn mal was schief läuft, hat sie auch ein
Beschwerde-Management, dass sich natürlich hauptsächlich an zahlende Kunden richtet, aber ganz am Schluss heisst es auch: "Ein ziviles Flugzeug fliegt aus Ihrer Sicht niedriger als sonst und nicht die gewohnte Strecke? Sie hören es lauter? Sie haben Fragen dazu? Dann können Sie sich gerne an uns wenden" - über ein
Kontaktformular. Was passiert, wenn man das tut, dafür haben wir zwei aktuelle Beispiele.
Am 25. und 26. Juni konnten sich die Raunheimer*innen eigentlich auf zwei relative ruhige Tage freuen, denn laut Prognose sollte Westwind herrschen. Der wehte dann auch, aber trotzdem wurden beide Abende dadurch versaut, dass die Betriebsrichtung gewechselt wurde und bis spät in die Nacht Anfluglärm herrschte. Wir wollten von der DFS wissen, was die Gründe dafür waren. Nach drei Wochen bekamen wir auch eine Antwort, oder besser gesagt, wir bekamen eine Mail. (Den kompletten Mail-Verkehr gibt es als PDF.) Eine inhaltliche Antwort war es nicht.
Zunächst wird uns da erklärt, dass die speziell für den Flughafen erstellten
Wetterdaten nicht relevant sind, vielmehr würden "die aktuell gemessenen Werte an der Landebahn" genutzt bzw. "den Piloten ... durchgegeben", was auch immer das heissen soll. Natürlich sollten die Piloten möglichst genau wissen, unter welchen Bedingungen sie aufsetzen, aber was hat das mit der Betriebsrichtungswahl zu tun? Wenn sie diese Information brauchen und bekommen, ist die Richtung ihres Anflugs längst entschieden.
Weiter heisst es: "Für die Betriebsrichtungswahl ist neben ebendiesen aktuell und fortlaufend gemessenen Windwerten an der Landebahnschwelle und im Endanflug auch die kurzfristige flugwetterspezifische Prognose des DWD ausschlaggebend". Ob damit die zugleich mit den METARs veröffentlichten
TAF gemeint sind, bleibt offen - aus gutem Grund, denn auch diese hätten im konkreten Fall keinerlei Hinweis für einen Betriebsrichtungswechsel geliefert.
Dann folgen noch eine Reihe von Gründen dafür, warum die Betriebsrichtung nicht gewechselt werden kann, obwohl die Frage ja war, warum sie gewechselt wurde.
Zusammenfassend kann man also feststellen: der Herr Wächter, der diese Mail verfasst hat, hat einfach nur die Phrasendreschmaschine angeworfen, um einen Text ohne jeden Bezug zu den konkreten Fragen zu produzieren, und wenn er am Ende "versichert, dass die Entscheidung stets unter Betrachtung aller Faktoren, also auch der Lärmsituation im Westen des Flughafens, getroffen wird", dann kann er sicher sein, absolut nichts dazu beigetragen zu haben, dass irgendwer ihm diese Aussage glaubt.
Der Vorgang an sich ist nicht gerade weltbewegend, aber er dient als Musterbeispiel dafür, dass die DFS, selbst wenn sie einmal auf eine Anfrage reagiert, die Anliegen der Betroffenen meist nicht ernst nimmt. Manchmal teilt sie aber auch nur mit, dass sie nichts sagen wird.
So geschehen am 26.07. in einer
Mail an Frank Wolf von der BfU Eddersheim in Reaktion auf
den Vorfall am 15.07., bei dem sich zwei Flugzeuge zu nahe kamen. Deren Kernaussage: ja, wir haben untersucht, wir haben auch einen Bericht geschrieben, aber wir sagen euch nicht, was drinsteht. Er wird nur "an die untersuchenden Stellen weitergegeben". Welche das sind, wird nicht verraten, aber "deren Veröffentlichungen [werden] ... nach Abschluss aller Untersuchungen öffentlich zugängig sein" - wie das für Veröffentlichungen üblich ist.
Nun hat allerdings die eigentlich zuständige Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen
BFU schon erklärt, dass sie keine offizielle Untersuchung einleiten wird und also auch keine Veröffentlichung veröffentlichen wird. Blieben noch das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung
BAF
und das Luftfahrtbundesamt LBA. Ersteres sitzt Tür an Tür mit der DFS in Langen, ist deren zuständige Aufsichtsbehörde und betreibt ein
Meldesystem, über das insbesondere auch 'Luftfahrzeugannäherungen' (genannt AIRPROX) wie die am 15.07. gemeldet werden sollen. Zur Bearbeitung dieser Meldungen gibt es eine eigene 'Aircraft Proximity Evaluation Group' (APEG), und dort wird der Bericht sicher landen. Problem dabei: die Arbeit dieses Gremiums ist vertraulich, Veröffentlichungen gibt es nicht.
Auch das LBA betreibt ein
Ereignis-Meldesystem, aber auch darüber landet man für solche Fälle wieder bei der APEG und der Konsequenz: keine Veröffentlichung. Wenn die BFU also nicht doch noch ihre Meinung ändert und eine offizielle Untersuchung einleitet, dann sagt die DFS in ihrer Mail letztendlich: ihr erfahrt nichts, aber beschwert euch darüber bitte bei anderen.
(Kleiner Einschub: wie wir aus zuverlässiger Quelle erfahren haben, war die Lotsin, die die Situation am 15.07. aufgelöst hat, mit dem Ablauf nicht glücklich; insbesondere sei die Meldung, dass der Flieger auf der Nordwestbahn durchstarten würde, viel zu spät gekommen. Da sie trotzdem schnell reagiert hat, lief die Angelegenheit glimpflich ab.)
Die beiden Beispiele für Kommunikations-Flops sind keineswegs auf das Versagen unterer Ränge bei der DFS zurückzuführen. Im Gegenteil kann man spätestens, seit ihr Geschäftsführer, Herr Scheurle, sich zum Cheflobbyisten der Luftverkehrswirtschaft aufgeschwungen hat, davon ausgehen, dass sie nur die Firmen-Philosophie umsetzen und dazu beitragen sollen, den Luftverkehr vor allen Zumutungen aus der Öffentlichkeit zu schützen.
Man muss es sich fast mit Gewalt ins Gedächtnis zurückrufen: Die DFS ist eine notwendige und nützliche Einrichtung. Sie schafft es, den wuchernden Luftverkehr sicher und ohne grössere Zwischenfälle abzuwickeln - eine Leistung, die die Bevölkerung, über deren Köpfen dieser Verkehr stattfindet, zwangsläufig anerkennen muss. Man darf wohl auch davon ausgehen, dass viele Mitarbeiter*innen der DFS, auch unter den Fluglotsen, die Bedürfnisse der Anwohner*innen ernst nehmen und versuchen, die Belastungen so gering wie möglich zu halten.
Dass das Management sich alle Mühe gibt, die DFS bei eben diesen Anwohnern in Misskredit zu bringen, ist die andere Seite der Medaille. Eine Kommunikation, die nicht auf Information, sondern auf Täuschung und Beschwichtigung abzielt, führt zwangsläufig zu Misstrauen nicht nur gegenüber den Worten, sondern erst recht auch den Taten.
Die DFS hat die Aussage zur Berichterstattung über die Annäherung am 15.07. korrigiert und mitgeteilt: "Unter der Voraussetzung, dass es keinen anderen Bericht gibt, werden wir Informationen zu dem Vorfall herausgeben, um die Öffentlichkeit zu informieren", allerdings erst, wenn "die Untersuchungen und Bewertungen des Vorfalls abgeschlossen sind".
Das lässt hoffen. Sollte tatsächlich in absehbarer Zeit eine aussagekräftige Beschreibung der Hintergründe dieses Vorfalls vorliegen, geben wir gerne zu, dass wir der DFS in diesem Punkt Unrecht getan haben. Dann würden wir auch gerne nochmal einen neuen Anlauf nehmen, die Vorgänge, die wir
vor zwei Wochen und im März dieses Jahres beschrieben hatten, sachlich und mit dem Ziel eines besseren Verständnisses der aktuellen Entwicklungen zu diskutieren.
Noch wollen wir unsere Erwartungen aber nicht zu hoch schrauben. Die Erfahrungen der Vergangenheit bieten keinen Grund zum Optimismus - aber es kann eigentlich nur besser werden.
Leider haben wir der DFS nicht Unrecht getan. Die 'Information der Öffentlichkeit' besteht in einer Mitteilung des 'Leiter Unternehmenskommunikation' der DFS, Herrn Christian Hoppe, an Frank Wolf von der BFU am 04.09.2019. Der Wortlaut:
Von unten nach oben: es wird lauter (die von Fluglärm über einer bestimmten Schwelle betroffene Fläche rund um Flughäfen wird grösser), dreckiger (der Ausstoss an Stickoxiden in Bodennähe nimmt zu) und klima-schädlicher (der Ausstoss an CO2 nimmt zu).
Für Details Grafik anklicken.
27.07.2019
Alle drei Jahre tritt die ICAO-Vollversammlung zusammen, und im September ist es wieder mal soweit. In Vorbereitung dieser Versammlung stellen die diversen ICAO-Gremien Arbeitspapiere bereit, die grundlegende Informationen für die Diskussion der Politiker in der Vollversammlung liefern. Eines dieser Papiere enthält Szenarien über die Entwicklung der Umweltbelastungen aus der internationalen Luftfahrt bis zum Jahr 2050. Und wie fast immer in diesem Sektor, so auch hier: so demagogisch, schönfärberisch und verlogen die öffentlichen Stellungnahmen auch sind, die technischen Grundlagen für die Beschlussfasung sind meist solide.
Daher lohnt es sich, die Szenarien, die als Ergebnis mehrjähriger Modellierungsarbeiten verschiedener Expertengremien in dem Arbeitspapier präsentiert werden, genauer anzusehen. Zwar enthalten sie alle auch Entwicklungswege, die dazu führen, dass die negativen Auswirkungen nicht oder nicht wesentlich grösser werden als heute (als ob das ausreichen würde!). Von den dafür notwendigen Maßnahmen sagt das Arbeitspapier allerdings selbst diplomatisch aber deutlich, dass sie unmöglich umzusetzen oder extrem unwahrscheinlich sind. Lässt man diese 'Schaufenster-Szenarien' weg, ergibt sich ein durchaus reales Bild des drohenden Desasters.
So zeigen die Basis-Szenarien, die den "business-as-usual"-Weg darstellen und bereits die normale Flottenerneuerung, also die schrittweise Einführung 'sparsamerer' und 'leiserer' Flugzeuge, beinhalten, dass sich damit der Lärm im Flughafenumfeld mehr als verdoppeln und die Stickoxid- und CO2-Emissionen etwa vervierfachen würden. Weitergehende technische Verbesserungen könnten nach diesen Rechnungen dafür sorgen, dass sich die CO2-Emissionen nur verdreifachen und die Stickoxid-Emissionen nur verdoppeln, während beim Lärm je nach Aufwand von einer Verdopplung bis zum Absinken unter das heutige Niveau alles möglich sein soll.
Würden sogenannte 'nachhaltige Treibstoffe' das Kerosin aus Erdöl vollständig ersetzen, wäre sogar ein Verharren der CO2-Emissionen auf dem gegenwärtigen Niveau möglich. Ein Übergang zur Klima-Neutralität, wie er für andere Sektoren bis spätestens 2050 gefordert wird, wäre aber auch mit der maximalen Anwendung dieser Wunderwaffe unmöglich. Ein halbwegs realistisches Szenario sagt denn auch bei optimaler Nutzung dieser Treibstoffe immer noch eine Verdopplung der CO2-Emissionen voraus - und die Klimawirkungen der sonstigen Emissionen werden hier garnicht berücksichtigt.
Sollte jemand an dieser Stelle die Berücksichtigung des vielbeschworenen CORSIA-System vermissen, mit dem die Luftverkehrsindustrie ab 2020 'klimaneutral wachsen' will, so sei hier nochmal daran erinnert: CORSIA hat keinerlei Einfluss auf die tatsächlichen Emissionen des Luftverkehrs. Es soll lediglich dafür sorgen, dass alle Emissionen, die über das Niveau, das 2020 erreicht wird, hinausgehen, durch Einsparungen in anderen Sektoren kompensiert werden. Wie gut das funktionieren kann, ist offen. Nach wie vor ist die Gefahr gross, dass es nur zu Buchhalter-Tricks führt, die vielleicht die Öffentlichkeit, nicht aber den Klimawandel beeinflussen können.
Natürlich wäre an den Szenarien noch vieles zu kritisieren. Generell ist ihre Dokumentation in diesem Arbeitspapier sehr oberflächlich (der ICAO-Umweltreport, der eventuell genauer darauf eingeht, ist noch nicht veröffentlicht), so dass man den Wert dieser Aussagen nicht im Detail beurteilen kann. Auch die gewählten Parameter sind diskussionswürdig. So ist die gewählte Schwelle für Fluglärmbelastung recht willkürlich, und die Grösse der belasteten Fläche sagt nichts darüber, wieviele Menschen betroffen sind. Bei den Stickoxid-Emissionen greift die Beschränkung auf den LTO-Zyklus nur den Aspekt der
lokalen Luftqualität heraus (und unterschätzt die Belastung da wahrscheinlich deutlich), aber Stickoxide spielen auch global eine Rolle. Und CO2 macht eben höchstens
die Hälfte der Klimabelastung durch den Luftverkehr aus, wahrscheinlich aber deutlich weniger.
Das ebenfalls im Papier enthaltene Szenario für 'particulate matter', also Feinstaub, diskutieren wir hier garnicht, weil da nur der 'grobe' Staub beschrieben wird. Der ist zwar nicht unwichtig, aber gerade bei Flugzeugabgasen spielt der
Ultrafeinstaub die viel entscheidendere Rolle.
Eigentlich relevant sind aber die Trends, die man aus den Szenarien ablesen kann, und insbesondere die Tatsache, dass in allen Bereichen die Belastungen (wie auch immer sie genau gemessen werden) so stark wachsen, dass alle denkbaren technischen Gegenmaßnahmen nicht ausreichen, dieses Wachstum zu kompensieren, geschweige denn die heute schon viel zu hohen Belastungen wirksam zu reduzieren.
Es ist ja nicht wirklich neu und wurde gerade in der letzten Zeit oft genug geschrieben: Luftverkehr ist ein Klimakiller und schadet der Gesundheit, und es gibt keine auch nur halbwegs ausreichenden technischen Maßnahmen dafür, das zu ändern. Es hilft wirklich nur, ihn einzuschränken, und das geht nur mit hohem politischen Druck und hartnäckiger Überzeugungsarbeit. Und dafür ist es doch sehr hilfreich, dass die Gegenseite selbst ihr Problem so deutlich und eindrücklich beschreibt.
Die drei UFP-Meßstationen im Frankfurter Süden. Die gerade neu eingeweihte Station auf dem Alten Friedhof in Oberrad (auf der Karte ganz rechts) liegt im Schnittpunkt von An- und Abflugrouten grundsätzlich günstig.
24.07.2019
Die Stadt Frankfurt hatte zur feierlichen Einweihung geladen, und der Oberbürgermeister war persönlich da, aber das Presseecho war gering. Von den grossen Frankfurter Tageszeitungen berichtete nur die Rundschau über die (Wieder-)Inbetriebnahme der zweiten Frankfurter Ultrafeinstaub-Meßstation. Dabei ist der Vorgang durchaus interessant.
Die 'Stabsstelle für Fluglärmschutz' beim Oberbürgermeister hatte ja schon Anfang letzten Jahres zwei Meßgeräte angeschafft, die Ultrafeinstaub messen können, aber erst nach längerem Gerangel um die Zuständigkeit für die Messungen im Magistrat und um die Standorte der Geräte wurde ab Oktober 2018 an zwei Standorten in Sachsenhausen gemessen. Im April dieses Jahres wurden erste Ergebnisse der Station an der Martin-Buber-Schule vorgestellt, allerdings nicht von der Stadt oder der HLNUG, die die Stationen messtechnisch betreut, sondern vom BBI-Arbeitskreis Feinstaub und der BI Sachsenhausen. Die zweite Station, deren ursprünglicher Standort wegen technischer Unzulänglichkeiten besonders umstritten war, wurde irgendwann abgebaut, umgerüstet und nun am neuen Standort wieder in Betrieb genommen.
Dieser neue Anlauf hat eine Reihe von positiven Aspekten. Das Geräte misst die Gesamt-Partikelanzahlkonzentration in einem Größenbereich (ab 7 Nanometer), wie er für Flugzeugemissionen typisch ist, und in einer zeitlichen Auflösung, die ausreicht, um die Wirkung einzelner Überflüge sehen zu können. Der Standort liegt direkt an einem Schnittpunkt einer Anflugroute bei Betriebsrichtung 25 (Anflug aus Osten) und einer Abflugroute bei Betriebsrichtung 07, so dass die Wirkungen von An- und Abflügen dokumentiert werden können. In direkter Nachbarschaft steht eine Fluglärm-Meßstation, so dass Überflüge auch akustisch dokumentiert werden können.
Einen Mangel hat der Standort allerdings. Er ist fast 14 km vom Flughafen entfernt, so dass die Station in relativ grosser Höhe überflogen wird und die Emissionen der überfliegenden Flugzeuge, abhängig von Wind und Wetter, nur mehr oder weniger verdünnt dort ankommen. Zwar wissen wir aus anderen Messungen rund um den Flughafen, dass die Effekte auch in dieser Entfernung noch deutlich zu sehen sind, aber ein Nachweis des Zusammenhangs zwischen Überflug und Messwert gelingt natürlich umso besser, je stärker das Signal ist.
Es ist daher bedauerlich, dass die Station nicht an dem anderen Schnittpunkt von An- und Abflug-Routen, nämlich in Niederrad in der Nähe der Commerz-Arena, aufgestellt wurde. Der ist nur etwas über 6 km vom Flughafen entfernt, und hier würde man den Zusammenhang sicher noch deutlicher nachweisen können. Dass dort keine Lärm-Meßstation steht, kann eigentlich kein Problem sein. Eine solche könnte man für kleines Geld leicht ergänzen. Aber warum auch immer nun dieser Kompromiss gewählt wurde: er wird nicht verhindern, dass auch diese Meßstation die für Fraport so unliebsame Wahrheit dokumentieren wird: der von überfliegenden Flugzeugen emittierte Feinstaub kommt am Boden an und erzeugt dort erhöhte Belastungen. Die Stadt Frankfurt, allen voran der Oberbürgermeister und die Umweltdezernentin, sollten schon mal beginnen, zu überlegen, was sie dagegen tun könnten.
Drei Situationen, die es nach den Sicherheitsregeln eigentlich nicht geben dürfte. Die Bahnen sind so dicht belegt, dass bei Zwischenfällen improvisiert werden muss. Das ist bisher gut gegangen ...
21.07.2019
Brauchte es zum Bekanntwerden des
Vorfalls vom letzten Samstag noch eine direkte Beobachtung, so musste man diesmal einfach nur hinhören. Zwei deutlich hörbare Überflüge von Ost nach West über Raunheim signalisierten ein Problem, und eine Betrachtung der Flugspuren vom Wochenende (bis Sonntag Nachmittag) zeigte recht schnell, dass nicht nur zweimal, sondern dreimal Flugzeuge durchstarten mussten und jedesmal eine problematische Situation entstand.
Zwar kam es nicht zu einer kritischen Annäherung oder gar zu einem Unfall, aber zu Situationen, die ohne rechtzeitiges und richtiges Eingreifen der zuständigen Lotsen dahin hätten führen können.
Es begann am Samstag um kurz nach Zwölf. Ein A320 der Lufthansa musste auf der Nordwestbahn durchstarten (warum, wissen wir nicht). Und obwohl gleichzeitig eine Embraer 190 der Lufthansa zur Landung auf der Südbahn ansetzte, erhielt eine B767-300 der Condor Starterlaubnis auf der Centerbahn, vermutlich für die Nordwest-Abflugroute. Da die aber durch das Durchstartmanöver blockiert war, dröhnte die Boeing geradeaus über Raunheim - mit satten 80 dB(A).
Offenbar war eine kurze Wartezeit, bis die Situation auf der Nordwestbahn geklärt war, schon zuviel - und Krach ist in Raunheim doch sowieso.
Zweieinhalb Stunden später der nächste Fall: eine Boeing 737-800 von Ryanair muss auf der Südbahn durchstarten. Trotzdem starten (unmittelbar vor der Nase der durchstartenden Maschine) ein A330 der Lufthansa auf der Startbahn West und (direkt nebendran) auf der Centerbahn eine Boeing 787-900 der Air Canada.
Auf den Bahnen war es damit enger als erlaubt, aber da die beiden (regulär) startenden Maschinen nach Norden bzw. Süden abdrehten, konnte der Durchstarter sogar südlich an Raunheim vorbei geführt werden.
Der dritte Fall am Sonntag gegen 12:40 wurde dann wieder laut. Wieder musste eine Maschine auf der Südbahn durchstarten, diesmal eine Avro RJ 85 (das ist ein vierstrahliges Kurzstrecken-Flugzeug(!)) der Lufthansa. Die Nordwestbahn war wieder durch eine Landung einer B737-800 der Ukraine Airlines belegt. Und trotzdem startete auch hier wieder ein A320 auf der Centerbahn, der dann anschliessend übers Ort dröhnte.
Auch hier wieder sichere Abflugroute mit vermeidbarem Lärm, weil die Startfreigabe zu diesem Zeitpunkt nicht hätte gegeben werden dürfen - jedenfalls nicht nach den Regeln, zu denen sich die DFS früher mal verpflichtet hatte.
Aber genau hier liegt wohl das Problem. Die Sicherheitsphilosophie, nach der der Betrieb auf FRA organisiert wird, hat sich schleichend verändert. Wurden die ersten Problemfälle nach Inbetriebnahme der Nordwest-Landebahn im Oktober 2011 von der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung BFU noch als "schwere Störung" bewertet und die Einführung von Verfahren gefordert, die "systemisch sicher" sein sollten, ist davon heute keine Rede mehr.
Hatte die DFS noch im Februar 2015 die sog. 'Tabuzone' vor der Südbahn, die von Landeanflügen frei sein musste, wenn eine Startfreigabe für die Centerbahn erteilt werden sollte, von 5 auf 6 nautische Meilen verlängert, so scheint heute ein gleichzeitiger Start- und Landebetrieb auf Süd- und Center-Bahn fast schon der Normalzustand zu sein. Die 'systemische Sicherheit', die durch zeitliche Staffelungen sicherstellen sollte, dass es nicht zu Problemen kommen kann, ist ersetzt durch das Vertrauen darauf, dass die Lotsen schon eine Lösung finden werden, wenn es mal eng wird.
Das alles dient dazu, die wahnwitzigen Kapazitätsanforderungen der Fraport zu erfüllen und Verzögerungen im Betriebsablauf auch dann zu verhindern, wenn das Verkehrsaufkommen das 'normale' Maß übersteigt.
Eine öffentliche Diskussion darüber wurde nach unserem Wissen nie geführt. Verfahrensänderungen und Aufhebung von Beschränkungen hat die DFS nie kommuniziert; die betroffenen Anwohner*innen müssen irgendwann mal zur Kenntnis nehmen, dass es jetzt anders ist, und ob sie das tolerabel finden, ist irrelevant.
Die Rechtfertigung dafür ist, dass die Experten schon wissen, was sie tun, und bisher ja auch alles gut gegangen ist. Zumindest letzteres ist zwar richtig, aber keine zulässige Begründung. Wenn der mögliche Schadensfall darin besteht, dass mehrere hundert Menschen ihr Leben verlieren, dann muss das Risiko, dass dieser Schadensfall eintritt, schon wesentlich deutlicher minimiert werden.
Dass die Sicherheitsphilosophie in der Luftverkehrswirtschaft generell heruntergekommen ist, zeigt auch das Beispiel des Problemflugzeugs 737 MAX. Hier hat Boeing, um Kosten zu sparen, ein veraltetes Flugzeug-Design so umkonstruiert, dass es mehr Kapazität bringt, aber dafür inherent instabil geworden ist. Diese Instabilität sollte durch zusätzliche Sensoren und Software ausgeglichen werden, was nicht funktioniert und zu zwei Abstürzen mit mehreren Hundert Toten geführt hat. Derzeit stehen alle Flugzeuge dieses Typs auf dem Boden, aber Hersteller und Aufsichtsbehörde suchen krampfhaft nach Wegen, dieses inherent unsichere Produkt doch wieder in die Luft zu bringen, und Airlines wie Ryanair wollen die Empfehlung von US-Präsident Trump umsetzen, den Flugzeugtyp einfach umzubenennen, damit die Kunden nicht verunsichert werden.
Auch so etwas wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen, aber diese veränderten Grundhaltungen prägen inzwischen die gesamte Luftverkehrsindustrie. Wenn wir viel Glück haben, werden die derzeitigen Praktiken auf FRA also noch mal überdacht, wenn es mal extrem eng wird, aber noch gut geht. Wenn wir Pech haben, passiert es erst, wenn es mal zu eng geworden ist.
Es wäre wohl an der Zeit, dass die kommunalen Vertreter in der Fluglärmkommission im Interesse der Bürger*innen, über deren Köpfen diese Manöver stattfinden, intervenieren und die DFS zwingen, zumindest offenzulegen, nach welchen Regeln aktuell eigentlich geflogen wird. Daran anschliessen müsste sich eine offene Diskussion darüber, was vertretbar ist und was nicht, und im Ergebnis wären Regeln neu festzulegen. Aber das wäre wohl zu schön, um wahr zu werden.
17.07.2019
CDU-Kultusminister Lorz ist noch nie durch positive Leistungen aufgefallen, aber das Interview, das er als aktueller Vorsitzender der Kultusminister-Konferenz gegeben hat, ist auch für ihn ein Tiefpunkt. Arroganter, dümmer und noch weiter an der Sache vorbei kann man sich mit den Anliegen der streikenden Schüler*innen und Jugendlichen kaum auseinander setzen.
Sein paternalistisches Geschwafel darüber, was die eigentlich noch alles lernen müssten, bevor sie wirklich mitreden könnten, gewürzt mit einer Reihe von Drohungen, gipfelt in der Aussage: "Aber nun haben die Schüler ihr Ziel erreicht. Der Klimaschutz hat auf der politischen Bedeutungsskala einen Riesensatz nach oben gemacht und ist als zentrales Thema in Politik und Medien angekommen. Jetzt noch weiter der Schule fernzubleiben bringt nichts." Statt dessen sollten sie sich in den etablierten Politik-Apparat integrieren, um nach 10 bis 20 Jahren Parteikarriere gelernt zu haben, dass man doch nichts ändern kann.
Die Reaktionen kamen natürlich prompt und vielfältig und wurden z.B. bei den letzten
Frankfurter Freitags-Protesten so auf den Punkt gebracht:
"Wir streiken, bis ihr handelt. Was, Kultusminister Lorz, haben Sie daran nicht verstanden?"
Was Herr Lorz alles nicht verstanden hat, fasst ein
Kommentar in der Frankfurter Rundschau recht gut zusammen. "In Wahrheit aber steckt in Lorz’ Aussage noch viel mehr, nämlich der Wunsch, dass alles so bleibt wie bisher: Die Kinder gehen zur Schule, es gibt Flüge von Frankfurt nach München, und wer will, kann mit seinem Diesel jeden Tag die Straßen verstopfen. So wird es aber nicht weitergehen, so kann es nicht weitergehen. Alexander Lorz hat das nur noch nicht verstanden." Aber da ist er keineswegs der Einzige.
An der Spitze der Ignoranten steht wie immer die Luftverkehrswirtschaft. Was der deutsche Dachverband BdL schon vor zwei Monaten
vorgegeben hat, wird nun vom europäischen Dachverband A4E
wiederholt: die Luftverkehrswirtschaft zahlt ja schon unheimlich viel an Gebühren und Steuern und investiert trotzdem noch gigantische Summen in den Klimaschutz. Dabei ist es ausgerechnet Ryanair-Chef O-Leary, der als amtierender Vorsitzender diese Aussagen verkaufen muss, obwohl er noch vor Kurzem die gesamte Klimadiskussion
als Unsinn bezeichnet hat.
Beide machen sich natürlich nicht die Mühe, auf die Kritik einzugehen, die ja u.a. auch von
Investoren-Gruppen und
der EU-Kommission geäussert wird, sondern jonglieren lieber mit beeindruckenden, aber völlig aus dem Zusammenhang gerissenen Zahlen. Derweil ist mit Blick auf die Fakten deutlich, dass die Maßnahmen, die aktuell diskutiert werden,
nicht geeignet sind, den Beitrag der Luftverkehrswirtschaft zum Klimaschutz auf ein auch nur halbwegs angemessenes Niveau zu bringen, und der Traum von schnellen Innovationen, die
nachhaltiges Fliegen ermöglichen sollen,
so schnell nicht wahr wird. Im Gegenteil zeigen neue Studien, dass die Klimawirkungen von Flugzeug-Emissionen in großen Höhen, die von den bisher diskutierten Maßnahmen garnicht erfasst werden,
drastisch zunehmen werden.
Dass auch die intelligenteren Vertreter der Luftverkehrswirtschaft die Lage als kritisch einschätzen, deutet der fast schon verzweifelt klingende
Appell des ICAO-Umweltchefs Gill an die Mitgliedsstaaten an, sich stärker für den Kompensationsmechanismus CORSIA zu engagieren, eine weitere Verwässerung seiner Kriterien zu verhindern und die darüber hinaus gehenden, für die ferne Zukunft versprochenen Maßnahmen jetzt anzugehen. Er wird wohl wissen, dass inzwischen auch der
letzte Rest von Glaubwürdigkeit dieses Programms auf dem Spiel steht.
Derweil zeigen die
aktuellen Entwicklungen in den verschiedenen Teilen der Erde, von der Arktis bis zur Antarktis, von Lateinamerika über Afrika bis Südostasien, dass selbst die dramatischen Appelle des Weltklimarates Ende letzten Jahres noch
zu optimistisch waren und die Klimaveränderungen immer schneller voran schreiten, während die politischen Reaktionen immer unangemessener werden und viele Menschen hierzulande sich immer noch
so verhalten, als sei ihnen alles egal.
Daher ist es besonders wichtig, dass die Akivist*innen, die schon weiter sind, sich nicht entmutigen lassen und ihre Anstrengungen verstärken. Konsequent ist dabei auch
der Aufruf, die nächste internationale Aktionswoche vom 20. bis 27. September über den Kreis der bisher Aktiven auszudehnen und für den 20. zu einem generellen
Streik für das Klima aufzurufen. Die Vorbereitungen laufen - und sie sind jede Unterstützung wert.
Zu nah dran: eine auf der Nordwestbahn durchstartende und eine auf der Centerbahn startende Maschine überqueren die 'Airport City West' in gleicher Höhe und mit viel zu geringem seitlichem Abstand von unter 1.000 Meter. (für vollständige Flugdaten Grafik anklicken)
15.07.2019
Schon im Frühjahr mussten wir eine Reihe von Beispielen dafür berichten, dass die Sicherheitsregeln am Frankfurter Flughafen nicht mehr ernst genommen werden. Jetzt gibt es einen neuen Fall.
Am Samstag, den 13.07., beobachtete der Sprecher der Bürgerinitiative für Umweltschutz Eddersheim, Frank Wolf, eine
gefährliche Annäherung zweier Flugzeuge im Abflug vom Frankfurter Flughafen über der 'Airport City West' (ehem. Ticona-Gelände). Aus den von DFS und Fraport routinemäßig zur Verfügung gestellten Daten (über die Programme
Stanly Track und den Fraport Noise Monitor
FraNoM) lässt sich der Vorfall zumindest grob rekonstruieren.
Die statische Flugspur-Darstellung der DFS zeigt, dass der Minimalabstand zwischen den beiden Flugbahnen etwa 850 Meter betrug, die Flughöhen waren in diesem Bereich nahezu identisch. Die dynamische Darstellung bei FraNoM macht deutlich, dass die beiden Flieger diesen Punkt der grössten Annäherung nur mit einem zeitlichen Versatz von wenigen Sekunden passiert haben. Insgesamt lässt sich daraus ableiten, dass der seitliche Abstand der beiden Flugzeuge in diesem Bereich weniger als 1.000 Meter betrug und der Höhenabstand äusserst gering war - ein klarer Verstoss gegen die Sicherheitsregeln.
In Reaktion darauf wichen beide Flugzeuge von den vorgegebene Flugrouten ab und flogen direkt über die Wohngebiete von Eddersheim und Raunheim; das eine zum erneuten Landeanflug, das andere auf dem Weg nach China.
Ein solcher Fall sollte normalerweise von der DFS an die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen BFU gemeldet werden, und die Öffentlichkeit sollte zumindest kurz davon in Kenntnis gesetzt werden. Ob das Erste passiert ist, wissen wir nicht, vom Zweiten war jedenfalls nichts zu hören.
Da bleibt zunächst also nur der Versuch, selbst zu bewerten, was von diesem Vorfall zu halten ist und welche Konsequenzen daraus gezogen werden sollten.
Durchstarten ist kein extrem seltener, aber auch kein ganz gewöhnlicher Vorgang; er kann durch relativ triviale Ursachen, aber auch durch schwerwiegende Störungen bedingt sein. Aus Sicherheitsgründen ist daher davon auszugehen, dass eine durchstartende Maschine in ihrer Manövrierfähigkeit stark beschränkt sein kann. Deswegen müssen alle möglichen Abflugrouten von Hindernissen soweit wie möglich freigehalten werden.
Startmanöver gehören zwar zu den notwendigen Flugphasen jedes Fluges, sind aber trotzdem kritische Phasen, in denen von den vorgegebenen Routen nur begrenzt abgewichen werden kann.
Beides zusammen führt dazu, dass nach den geltenden Sicherheitsregeln Starts nur dann zulässig sind, wenn sie ein Durchstarten nicht gefährden können. Dies setzt voraus, dass eine parallel landende Maschine entweder noch weit genug weg oder bereits sicher gelandet sein muss, ehe der Start erfolgen darf. Diese Regel wurde offenkundig verletzt; ob durch einen Fluglotsen, der eine unzulässige Startfreigabe erteilt hat, oder durch den Piloten, der verfrüht oder verspätet gestartet ist, kann nur eine Untersuchung klären.
Die Annäherung war in diesem Fall schon kritisch, aber noch nicht extrem. Die darauf folgenden Ausweichrouten führten nicht nur zu einer ungewöhnlichen Lärmbelastung, sie stellen grundsätzlich auch ein zusätzliches Risiko für die überflogene Bevölkerung dar.
Problematisch an diesem Vorgang ist insbesondere die Tatsache, dass es sich nicht um etwas völlig Ungewöhnliches oder durch einmalige Umstände Bedingtes handelt. Vielmehr ist aufgrund der Häufung solcher Fälle zu befürchten, dass schon der Betrieb auf dem heutigen Niveau immer wieder zu 'Ausnahmesituationen' führt, in denen Sicherheitsregeln gebeugt oder gebrochen werden, um den Betrieb noch irgendwie abwickeln zu können. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Frankfurter Flughafen die Grenzen seines möglichen Wachstums bereits überschritten hat und es dringend erforderlich ist, die Beschränkungen durchzusetzen, die für einen sicheren und nachhaltigen Flugbetrieb notwendig sind. Und das wiederum bedeutet nicht mehr, sondern deutlich weniger Flugbewegungen als heute.
Nicht ganz leicht zu lesen, aber hochkompetent: die Meldungen des Aviation Herald
Am 17.07. hat auch der Aviation Herald, eine Online-Plattform, die Luftverkehrs-Zwischenfälle auf der ganzen Welt registriert und analysiert, den Vorfall
aufgegriffen. Die Analyse bestätigt die von uns ermittelten Daten, liefert aber, zusammen mit der auf der Plattform dazu geführten Diskussion, noch eine ganze Reihe weiterer Infos.
Inzwischen haben auch andere Medien den Fall gemeldet, darunter die
Main-Spitze, die
AZ Mainz und die
Hessenschau. Sie tragen aber partiell eher zur Verwirrung bei, weil sie Aussagen der im Fachjargon formulierten AvHerald-Meldung falsch interpretieren.
Um wirklich Klarheit zu bekommen, muss man wohl die Untersuchungen zunächst der DFS und anschliessend wahrscheinlich der BFU abwarten. Aus dem vom AvHerald ausgewerteten Funkverkehr geht aber zumindest schon hervor, dass die zur Landung ansetzende CRJ durchgestartet ist, weil die Maschine im Landeanflug instabil und "nearly uncontrollable" wurde. Das bedeutet natürlich ein zusätzliches Risikomoment, denn bei einer Maschine, die für ein normales Landemanöver zu instabil ist, kann man natürlich auch nicht sicher sein, dass sie ein nachfolgendes Ausweichmanöver sicher abfliegen kann. Offensichtlich hat das aber funktioniert.
Einige Missverständnisse kann man aber jetzt schon ausräumen. Weder ist "der Cityliner scharf nach unten geflogen, dabei sei es kurzzeitig brenzlig geworden", wie die Hessenschau meldet, noch hat sich die A340-Crew "entschieden, ebenfalls nach rechts abzudrehen", wie die AZ schreibt. Vielmehr haben beide Flieger das getan, was sie tun sollten: die CRJ-900 ist nach dem Durchstarten zunächst geradeaus geflogen, der A340 hat nach dem Abheben nach rechts auf die Nordwest-Abflugroute gedreht. Das Problem ist, das beides nicht hätte gleichzeitig stattfinden dürfen. Warum es dazu kommen konnte, muss die Untersuchung klären. Richtig ist aber: dieser Vorfall reiht sich ein in eine Reihe von mehr oder weniger gefährlichen Situationen, die dadurch bedingt sind, dass die Sicherheit des Flugbetriebs auf FRA nur durch Regeln gewährleistet werden kann, deren Einhaltung in Zeiten hohen Verkehrsaufkommens offensichtlich nicht immer sichergestellt ist. Bisher ist es immer gut gegangen - aber wird das auch so bleiben?
11.07.2019
Dass die Fraport AG auf die Menschen, die in der Umgebung ihrer Flughäfen wohnen, wenig Rücksicht nimmt, wissen alle Betroffenen aus eigener Erfahrung. Dass sie, wenn die Rahmenbedingungen es zulassen, auch Menschenrechte mit Füssen tritt, dürfte weniger bekannt sein.
Zwar war schon, als Fraport zu Beginn letzten Jahres den Betrieb zweier brasilianischer Flughäfen
übernommen hat, klar, dass die geplanten Erweiterungen zu Konflikten führen würden, aber es hat eine Weile gedauert, bis sich die Lage zugespitzt hat. Jetzt ist es soweit.
In der
Fraport-Hauptversammlung am 28. Mai hat ein Vertreter der "Kritischen Aktionäre", die die Machenschaften von Fraport
schon länger begleiten, die versammelten Aktionäre
aufgefordert, den Vorstand wegen des Vorgehens der hundertprozentigen Fraport-Tochter Fraport Brasil in Porto Alegre nicht zu entlasten. Die Vorwürfe, die
auch vom BUND erhoben werden, beinhalten die Missachtung der Wohn- und Eigentumsrechte der Menschen in den Siedlungen, die der Verlängerung der Rollbahn im Weg sind, sowie die Organisation von Zwangsräumungen.
Die Behauptung von Fraport-Chef Schulte, man habe mit diesen Beschlüssen nichts zu tun, wird von der brasilianischen Schwesterorganisation des BUND
strikt zurückgewiesen. Auch die brasilianische Staatsanwaltschaft ist dieser Meinung. Kurz nach der Hauptversammlung hat sie Fraport Brasil
ein Schreiben mit dem Hinweis übergeben, dass Fraport die alleinige, auch finanzielle, Verantwortung für die Umsiedlungen trägt und dass die Menschen dort keinesfalls gegen ihren Willen zwangsumgesiedelt werden dürfen. Fraport will gegen diese Verpflichtung vor Gericht ziehen. Zwar dürfte sie nach einem
Rechtscheck der 'Kooperation Brasilien' dafür eigentlich keine allzu guten Karten haben, aber Recht haben und Recht bekommen sind auch in Brasilien mitunter zwei ganz verschiedene Dinge.
Wohl auch deshalb hat Fraport vor Ort bereits eine Firma engagiert, die die Umsiedlungen organisieren soll und die für ihre ruppigen Methoden bekannt ist. Nach dem derzeitigen Ausbauplan muss das Gelände bis Oktober dieses Jahres geräumt sein, wenn es nicht zu Verzögerungen kommen soll.
Diese Vorgänge müssen vor dem Hintergrund der Geschichte und der aktuellen politischen Vorgänge in Brasilien gesehen werden. Nach Jahrhunderten Kolonialgeschichte, Jahrzehnten von Militär- und anderen Diktaturen haben heftige soziale Kämpfe und ein kurzes Intermezzo einer eher sozialdemokratisch orientierten Regierung zwar einige Fortschritte erzielt, dennoch ist Brasilien weit von einem Rechtsstaat entfernt, und grosse Teile der Bevölkerung leben in Armut. Insbesondere der Landbesitz ist extrem ungleich verteilt, und viele Menschen leben auf Land, für das sie keinen Besitztitel haben.
Auch die Siedlungen, die für den Flughafenausbau geräumt werden sollen, existieren zwar schon seit über 60 Jahren, sind aber im formalen Sinn weitgehend 'illegal'. Genau darauf setzt Fraport-Chef Schulte wohl, wenn er sagt, dass alles 'nach Recht und Gesetz' abgewickelt würde.
Faktisch aber bedeutet es, dass Familien aus ihren angestammten, wenn auch elenden Wohnungen vertrieben und von ihren den Lebensunterhalt sichernden, wenn auch prekären und ungesunden Arbeitsmöglichkeiten getrennt und an die Peripherie abgeschoben werden sollen, wo sie im günstigsten Fall eine stabilere Wohnung, aber auch Arbeitslosigkeit und Kriminalität erwarten. Die Menschenrechte auf soziale Sicherheit und Arbeit werden dabei komplett missachtet.
Staatlichen Widerstand muss Fraport nicht ernsthaft fürchten. Seit Jahresbeginn ist ein rechtsextremer Präsident im Amt, der eine extrem konzernfreundliche Politik betreibt und alle sozialen Errungenschaften der letzten Jahre zurückdrehen möchte. Und die EU, die in Sonntagsreden ihren Einsatz für die Menschenrechte feiert, hat trotz deutlicher Warnungen von
Wissenschaftler*innen,
zivilgesellschaftlichen Organisationen und
Politikern
ein Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten, zu denen auch Brasilien zählt,
ausverhandelt. Die Inhalte sind noch nicht vollständig bekannt, aber nach ersten Analysen von Europaabgeordneten
der Grünen und
der Linken waren die Warnungen mehr als berechtigt.
Und während der deutsche Entwicklungsminister sich schon
darüber freut, dass die neue brasilianische Regierung ihm überhaupt zuhört, bemüht sich Deutschland in der EU, strengere
Regeln für Konzernverantwortung zu verhindern.
Wie schon in Griechenland, kann sich Fraport auch hier auf die Unterstützung der deutschen und europäischen Politik verlassen. Der Antrag der 'Kritischen Aktionäre' wurde in der Fraport-Hauptversammlung ebenfalls abgelehnt, so dass der Fraport-Vorstand für seinen menschenrechts-verachtenden Kurs auch die Rückendeckung der Mehrheit der Aktionäre hat. Bliebe noch der Aufsichtsrat, in dem Vertreter*innen von Gewerkschaften und Parteien, die offiziell ebenfalls die Menschenrechte hochhalten, eine Mehrheit haben. Bisher herrscht aber auch dort Schweigen.
Bleibt auch hier wieder nur die Aktivität der Zivilgesellschaft, die Veränderungen bringen könnte. Die nächste Gelegenheit dazu besteht mit dem
Aktionstag am 12. Oktober, der sich gegen die
Sonderschiedsgerichtsbarkeit für Konzerne, die
Regulatorische Kooperation in den Freihandelsabkommen und gegen die endgültige Verabschiedung des Freihandelsabkommens EU-Kanada,
CETA, wendet.
Warum diese Freihandels-Mechanismen auch für den Kampf gegen die Belastungen durch den Luftverkehr höchst relevant sind, haben wir in der Vergangenheit schon ausführlich begründet, u.a. in Bezug auf die
Förderung des Wachstums des Luftverkehrs oder für die Erhaltung und Ausweitung des
Nachtflugverbots. Es gibt also viele Gründe für die BIs, diesen Aktionstag zu unterstützen.
05.07.2019
Fraport hat vor ein paar Tagen ohne öffentlichen Aufwand den Lufthygienischen Jahresbericht 2018 online gestellt. Er enthält zunächst die Ergebnisse der vorgeschriebenen Luftqualitäts-Messungen, aber wie schon im letzten Jahr auch noch einige Seiten zu Ultrafeinstaub.
Interessant daran ist insbesondere die Grafik, die Messergebnisse der HLNUG-Stationen in Raunheim und Schwanheim zusammenfasst. Man sieht dort, dass in Raunheim die Anzahl-Konzentration an Partikeln der kleinsten gemessenen Größenklasse (wie sie aus Flugzeug-Turbinen emittiert werden) am grössten ist, wenn der Wind aus nordöstlichen Richtungen weht. Grössere Partikel sind deutlich weniger vorhanden und treten bei allen Windrichtungen auf. Die Station in Schwanheim zeigt ein ähnliches Ergebnis, allerdings treten die hohen Konzentrationen bei Wind aus südlichen Richtungen und in den untersten 2-3 Grössenklassen auf.
Die Interpretation dieser Ergebnisse scheint auf der Hand zu liegen. Raunheim wird bei Wind aus nordöstlichen Richtungen von landenden Flugzeugen überflogen; deren Partikelemissionen bestehen überwiegend aus sehr kleinen Teilchen, die an der Meßstation direkt nachgewiesen werden. Wenn Raunheim bei anderen Windrichtungen nicht überflogen wird, sind die Partikelzahlen deutlich niedriger.
In Schwanheim, wo die Station etwas weiter von der nächsten Anfluglinie entfernt ist, steigen die Partikelzahlen, wenn auf der Nordwestbahn aus Richtung Osten gelandet wird und südliche Winde die Emissionen in Richtung der Meßstation wehen. Da die Partikel bis dorthin etwas länger unterwegs sind, 'altern' sie und klumpen teilweise zusammen, so dass auch etwas mehr grössere Partikel dort ankommen.
Im Detail ist das Ganze natürlich komplizierter, aber grundsätzlich stimmen Theorie und Praxis hier recht gut überein. Das Problem ist nur, dass das nicht wahr sein darf.
Fraport versucht nämlich, das Dogma aufrecht zu erhalten, dass UFP in relevanten Mengen nur am Flughafen direkt emittiert werden und die Überflüge für die Immissionen keine Rolle spielen. Die dazu entwickelte Argumentation ist an Kuriosität wohl kaum noch zu überbieten.
Zunächst wird noch ganz korrekt festgestellt, was alles nicht zu diesem Dogma passt. Die Unterschiede in den Grössenverteilungen an den beiden Stationen sind gerade falsch herum, weil Raunheim weiter vom Flughafen entfernt ist als Schwanheim und daher dort mehr 'gealterte', grössere Partikel ankommen müssten. Das verwendete Ausbreitungsmodell kann nicht beschreiben, wie die gemessenen Partikelanzahlen zu den Meßstationen transportiert werden sollten. Die weitaus überwiegende Anzahl der Partikel am Flughafen wird bodennah emittiert und kann sich garnicht über grössere Strecken ausbreiten.
Dann aber beginnt der Bereich wilder Spekulationen - von einer Qualität, bei der man einem Mathematik-Studenten im ersten Semester empfehlen würde, sich doch lieber im Bereich der Künste zu engagieren oder sonst irgendwo, wo ungehemmte Phantasie eine positive Rolle spielen kann. Hier ist sie fehl am Platz.
Zwar wird zunächst zugegeben, dass das verwendete Ausbreitungsmodell einige für die Partikel-Ausbreitung relevante Prozesse nicht darstellen kann. Das wird aber nicht als Mangel gesehen, sondern nur als Hinweis darauf, dass man ja gar keine Übereinstimmung zwischen Modellergebnissen und Realität erwarten darf. Und dann fallen jegliche Hemmungen: der "subjektive Eindruck von gemeinsamen Mustern in den Zeitreihen von Messung und Modell soll quantitativ erhärtet werden", trotz "der nur begrenzt gültigen statistischen Voraussetzungen", und wenn sich auch dabei nur eine "schlechte Korrelation ... mit den gemessenen Partikelanzahlen" ergibt, so "scheint sich hier der starke Einfluss der nicht modellierbaren, flüchtigen, sekundär gebildeten Partikel auf die Messergebnisse bemerkbar zu machen". In Kürze: Wir bilden uns einen Zusammenhang ein, rechnen mit untauglichen Methoden nach, finden ihn trotzdem nicht und haben damit gezeigt, dass er durch andere Mechanismen bewirkt sein muss.
Und so geht es weiter. Auch, wenn die Korrelationen schlecht und die Prozesse nicht modellierbar sind, legen die Ergebnisse "nahe, dass ein beträchtlicher Anteil der gemessenen ultrafeinen Partikel in Raunheim und Schwanheim zwar mit dem Flughafen- bzw. Flugbetrieb verknüpft ist, aber nicht aus primären Triebwerksemissionen, d.h. nicht aus Ruß besteht. Dies hätte auch Konsequenzen für die Beurteilung ihrer Wirkung. Während die gesundheitsschädigende Wirkung von Ruß unbestritten ist, muss dies für andere, sekundär gebildete Partikel nicht oder nicht in gleichem Maß der Fall sein, insbesondere wenn es sich um lösliche Sekundärprodukte der gasförmigen Vorläufer Schwefeldioxid und Stickoxide handelt." Kurz zusammengefasst sagt das: unser Modell taugt nichts, wir können die Meßergebnisse nicht erklären, aber wir nehmen das als Hinweis dafür, dass alles ganz harmlos ist. Sowas muss man sich erst einmal trauen.
Diese Argumentation ist umso erstaunlicher, als es natürlich Modelle gibt, die die genannten (und die verschwiegenen) Mängel nicht haben und die Partikel-Ausbreitung einigermaßen realistisch darstellen können. Aktuell wird z.B. eins am Amsterdamer Flughafen Shipol
eingesetzt, um die Belastung der Bevölkerung im Umland und die daraus resultierenden Gesundheitsrisiken zu bestimmen.
Und es gibt auch zahlreiche
Belege für die Rolle der Überflüge zur Erklärung der Messungen in Raunheim und Schwanheim und anderswo. Ein Forscher hat es in der
23. Konferenz der ETH Zürich zu "Nanopartikeln aus Verbrennungsprozessen", die gerade zu Ende gegangen ist, bescheiden und prägnant
so ausgedrückt:
"Our results suggest that landing aircraft can help explain peak ambient UFP exposures.", in Deutsch: Unsere Ergebnisse legen nahe, dass landende Flugzeuge zur Erklärung lokaler UFP-Spitzenbelastungen beitragen können. Warum also der Widerstand gegen diese Erkenntnis?
Über die Verfasser dieses Berichts kann man spekulieren, dass es die gleichen sind, die damit auch das
UBA-Projekt in den Sand gesetzt haben, aber zumindest solange an ihrem gescheiterten Modell festhalten müssen, bis der Abschlussbericht veröffentlicht und die Rechnung bezahlt ist. Aber warum verbreitet Fraport derartigen Unsinn nun schon zum zweiten Mal?
Grundsätzlich handelt Fraport bezüglich der durch den Flugbetrieb verursachten Schadstoffe ebenso wie beim Lärm und bei den Klimaschäden völlig verantwortungslos. Gemessen wird nur, was gesetzlich erzwungen wird, alles andere wird abgeschoben. Selbst die arbeitsrechtlich eigentlich vorgeschriebene Vorsorge für die eigenen Mitarbeiter*innen
gibt es nicht, weil das zuständige Ministerium keine konkrete Auflage formuliert. Und die ebenfalls betroffenen Passagiere sind ihnen sowieso völlig egal.
Aber Fraport weiss natürlich, dass in der UFP-Diskussion Gefahrenpotential steckt. Schon jetzt gibt es öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema, und sollten sich
Forderungen durchsetzen, die Belastung umfassend zu analysieren und ggf. zu reduzieren, könnte es teuer werden und auch sonstige negative Konsequenzen haben. Daher braucht es eine Argumentation, die solche Forderungen als grundlos erscheinen lässt. Die muss nicht besonders ausgefeilt sein, denn sie richtet sich in erster Linie an die gegenüber Fraport bekanntermaßen extrem gutwilligen Aufsichtsbehörden sowie mit dem Thema befasste Institutionen wie die Fluglärmkommission. Denen aber fehlt in der Regel die notwendige Fachkompetenz und weitgehend wohl auch der Wille, sich mit Fraport und Landesregierung bei so einem Thema anzulegen.
Bleiben also nur die Betroffenen, d.h. hier in erster Linie die Bewohner des Flughafenumlandes und die Beschäftigten am Flughafen. Bei beiden Gruppen kann man davon ausgehen, dass ein gewisses Bewusstsein für die Gefährdung gerade durch Ultrafeinstaub vorhanden ist (wie diffus auch immer). Was fehlt, ist eine Perspektive, dagegen vorzugehen. Die politischen Vertretungen haben hier bisher auf allen Ebenen, von den Kommunen bis zum Bund, völlig versagt. Aber auch die Umweltverbände kommen bei diesem Thema nicht voran, obwohl es perspektivisch durch die hohen UFP-Emissionen auch moderner Kfz-Motoren, die trotz neuer EURO-Normen längst nicht unter Kontrolle sind, immer dringender wird. Da bleibt noch viel zu tun.
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