Archiv 2019, 2. Halbjahr

Hier sind alle Beiträge zu aktuellen Themen aus der zweiten Hälfte des Jahres 2019 gesammelt.
Die Beiträge aus der ersten Jahreshälfte finden sich hier.
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CORSIA-Logo, modifiziert

20.12.2019

Nach der Netto-Null-Runde in Madrid: CORSIA ohne Basis

Enttäuschung, Desaster, Katastrophe - die Urteile über die Klima­konferenz COP25 in Madrid sind weit­gehend einhellig und dras­tisch. Bei allen wichtigen Tages­ordnungs­punkten gab es keinerlei Fort­schritt, sondern nur eine Vertagung um ein weiteres Jahr. Nachdem schon im September einige sektorale Gipfel, darunter die General­versamm­lung der inter­natio­nalen Zivil­luft­fahrt-Organi­sation ICAO, weit­gehend gescheitert sind, steht die inter­natio­nale Klima­politik vor einem Scherben­haufen, der den UN-General­sekretär veran­lasst, Durch­halte­appelle zu formu­lieren. Selbst die diplo­matisch äusserst zurück­haltende Stellung­nahme der EU zu den Ergeb­nissen macht das Ausmass des Ver­sagens deut­lich.
Verant­wortlich für diese Entwick­lung sind zwar in erster Linie eine begrenzte Anzahl von Staaten, die die Verhand­lungen bewusst sabo­tieren, allen voran die USA, Austra­lien, Brasilien und Saudi-Arabien. Aber die Gründe für das Scheitern inter­natio­naler Zusammen­arbeit liegen tiefer und wecken grund­legende Zweifel, ob diese Konfe­renzen insbe­sondere für die Haupt­betrof­fenen der Klima­katas­trophe, die Gruppe der besonders gefähr­deten Ent­wicklungs­länder, noch ange­messen sind, und werfen die Frage auf, ob gegebenenfalls für engagiertere Länder ein paral­leler Prozess zu den UN-Konfe­renzen eingeführt werden müsste.

Insbesondere die nun schon zweite Verta­gung des Beschlusses über die Regeln für den inter­natio­nalen Handel mit Treib­hausgas-Zertifi­katen stellt auch das ICAO-Kompen­sations­system CORSIA vor zusätz­liche Probleme. Die Luft­fahrt­industrie selbst hatte im Vorfeld der COP deutlich gemacht, dass eine Einigung über diese Regeln ihr sehr wichtig ist, u.a. um zu verhindern, dass "das inter­natio­nale Luft­fahrt-Klima-Überein­kommen teilweise 'nationa­lisiert' wird", d.h. dass jeder beteiligte Staat seine eigenen Regeln dafür beschliesst, welche Zertifikate für die Kompen­sation der Emissionen der bei ihnen regis­trierten Airlines anerkannt werden. Genau das droht nun.
Zwar hat ICAO die Standards für akzeptable Zertifi­kate immerhin so hoch angesetzt, dass nach einer Studie des Öko-Instituts alle 14 Bewerber für die Liefe­rung solcher Zertifi­kate in der ersten Runde durchge­fallen sind, und ICAO tut vorläufig auch noch so, als wollten sie das durch­halten, aber letztend­lich entscheidet ohne inter­national verbind­liche Vorgaben eben jeder Staat für sich, wie er die ICAO-Vorgaben umsetzt. Entsprechend inten­siviert sich auch die Arbeit von Lobby­gruppen, die frag­würdige Zertifi­kate im Markt unter­bringen wollen. Und zumindest Austra­lien hat ja in Madrid noch einmal deutlich gemacht, dass es an seinen alten, wertlosen Zerti­fikaten aus der Kyoto-Runde fest­halten will. Der Druck, dem aus 'Wett­bewerbs­gründen' zu folgen, wird entspre­chend gross werden.
Zusammen mit der Tatsache, dass wichtige Staaten wie China, Russland, Indien und andere immer noch nicht verbind­lich erklärt haben, inwieweit sie über­haupt an CORSIA teil­nehmen werden, droht dieses System seine Glaub­würdig­keit nun vollends zu verlieren. Die Konse­quenzen für den Kampf gegen die Klima­katas­trophe würden sich aber auch dann in Grenzen halten.

Nicht nur steht die Wirk­samkeit solcher "markt-basierter Lösungen" generell in Zweifel, die Luft­fahrt­industrie macht in ihren eigenen Doku­menten deutlich, dass sie in allen umwelt-rele­vanten Bereichen ihre negativen Folgen nicht in den Griff bekommt und der Schutz von Klima, Umwelt und Gesund­heit ohne Einschrän­kung des Flug­verkehrs nicht funktio­niert.
Das gilt insbe­sondere angesichts der Tatsache, dass einer­seits in der inter­natio­nalen Diskus­sion die Notwen­digkeit des Verzichts auf fossile Brenn­stoffe immer stärker betont wird und die 'Keep it in the ground'-Kampagnen immer stärker werden, anderer­seits die Rolle der soge­nannten 'nachhal­tigen Treib­stoffe' (im ICAO-Slang 'sustain­able aviation fuels', SAF) immer deut­licher in Frage gestellt wird.
Anderer­seits wird hier auch deutlich, dass die Blockierer für wirk­samen Klima­schutz nicht nur in auslän­dischen Regie­rungen sitzen. Der Bundes­verband der Deutschen Luft­verkehrs­wirtschaft BdL äussert zwar vorder­gründig Unter­stützung für den den europä­ischen 'Green New Deal' der von der Leyen-Kommis­sion, wehrt sich aber heftig gegen alle konkreten Maßnahmen, die den Luft­verkehr betreffen, und fordert statt­dessen massive Subven­tionen für Erfor­schung, Entwick­lung und Markt­einfüh­rung eben jener SAFs, die besten­falls lang­fristig und in sehr begrenz­ten Mengen zur Verfügung stehen können. Der Bundes­verband der Deutschen Indus­trie wettert auch noch gegen das extrem schwache Klima-Päck­chen der Bundes­regierung und sieht die Wett­bewerbs­fähig­keit aller deutschen Unter­nehmen in Gefahr. Und führende Manager der Auto­industrie bestätigen, dass sie unwillig und unfähig sind, die notwen­digen Ände­rungen vorzu­nehmen, denn "Was wir können, ist Struktur­wandel. Was wir nicht können, ist Struktur­bruch". Genau Letzterer ist aber dringend notwendig.

Die Konsequenz aus dem Scheitern der Konferenz in Madrid und der Blockade­haltung der fossilen Wirt­schaft, die von Vertre­tern der Zivil­gesell­schaft recht einheit­lich formuliert wird, kann also auch für die Bewegung gegen die Gefähr­dung von Gesund­heit, Umwelt und Klima durch den Luft­verkehr nur sein: der Wider­stand muss weiter­gehen, und zwar vermehrt auf der Strasse, in öffent­lichen und direkten Aktionen. Die Hoffnung, dass die Politik es schon richten werde, zeigt sich immer deutlicher als Illusion. Die notwen­dige Trans­formation von Wirt­schaft und Gesell­schaft muss von den Betrof­fenen gegen den Wider­stand der Konzerne, die vom Status quo profi­tieren, durch­gesetzt werden.
Möglich­keiten, dafür aktiv zu werden, gibt es auch in unserem Umfeld. Die Initiative Am Boden bleiben plant für Anfang Februar ein Aktions­treffen in Frankfurt, in dem "die Planung einer fetten, kreativen und ungehor­samen Aktion oder Aktions­reihe 2020" voran gebracht werden soll. Dabei soll Fraport im Zentrum der Aktionen stehen. Nähere Details und Möglich­keiten zur Anmel­dung wird es im Januar geben.




DFS-Präsentation, verändert

So uhrwerk-artig möchte die DFS die Abläufe erscheinen lassen,
aber wehe, die Realität spielt nicht mit ... (Quelle: FLK-Präsentation der DFS)


FraNoM-Screenshot Durchstarter

... dann passiert mindestens sowas: das auf der Centerbahn startende Flugzeug fliegt direkt
über Raunheim, weil die auf der Südbahn landende Maschine durchstarten muss. Hier befinden sich während des Starts gleich zwei Flugzeuge in der angeblichen 'Tabuzone'.
(Quelle: Fraport Noise Monitor, FraNoM)


FraNoM-Screenshot 4xLandung 2xStart

Und dass das Konzept schon heute geflogen wird, zeigt dieser (bearbeitete, s. Text) Screenshot
(Quelle: Fraport Noise Monitor, FraNoM, verändert)

10.12.2019

DFS: Kapazität statt Sicherheit

Die DFS hat in der Sitzung der Fluglärm­kommission am 04.12. einen für Februar/März 2020 vorge­sehenen ‚Probe­betrieb‘ bei Betriebs­richtung 25 (Anflug aus Osten) präsen­tiert, der ein "Konzept zur opti­mierten Nutzung des Start- und Lande­bahn­systems" testen soll. Bei genau­erer Betrach­tung handelt es sich aber weder um die Erpro­bung eines neuen Ver­fahrens noch um eine „Opti­mierung der Tabu­zonen­verfahren“ oder gar um eine „Umset­zung der BFU-Sicher­heits­empfeh­lung“. Vielmehr ist es ein Versuch, die im laufenden Jahr bereits vielfach genutzten Ver­fahrens­elemente in einem neuen Konzept zusammen­zuführen und legiti­mieren zu lassen. Dabei wird die dem ‚Tabu­zonen­verfahren‘ zugrunde liegende Sicher­heits­philo­sophie end­gültig aufge­geben.

Die ‚Tabuzone‘ wurde 2011 eingeführt, um nach Eröffnung der Nordwest­bahn und Einfüh­rung der Südum­fliegung Konflikte zwischen einem Fehl­anflug auf die Südbahn und einem Start auf der Center­bahn zu vermeiden. 2015 wurde der Staf­felungs­abstand zur Einhaltung dieser Zone aufgrund von Empfeh­lungen der Bundes­stelle für Flug­unfall­unter­suchungen (BFU) von 5 auf 6 Nautische Meilen (von 9 auf 11 Kilo­meter) erhöht. Die Empfeh­lungen waren Bestand­teil der BFU-Unter­suchung einer schweren Störung, die sich bereits im Dezember 2011 ereignet hatte. Damals war ein auf der Center­bahn startender Airbus A320 aufgrund eines Lotsen­fehlers zweimal der Wirbel­schleppen­zone eines auf der Südbahn durch­startenden A380 gefähr­lich nahe gekommen.
Natürlich sollte auch im Norden gewähr­leistet sein, dass Starts nicht in Konflikt mit Durch­start­manövern auf der Nordwest­bahn geraten können, aber da gemäß Plan­fest­stellung der Nordwest­abflug von der Center­bahn nur noch in Ausnahme­fällen genutzt werden sollte, schien dafür keine besondere Regelung erforder­lich. Wegen Problemen mit der Südum­fliegung wird er aller­dings nach wie vor häufiger genutzt als geplant.

Beide Regelungen führen zu Beschrän­kungen in der möglichen Staffel­dichte von An- und Abflügen und damit zu Kapazi­tätsein­schränkungen. Auf­grund des Wieder­anwachsens der Zahl der Flug­bewegungen in den letzten beiden Jahren werden sie daher zunehmend, und nicht nur in Spitzen­zeiten, missachtet.
Spektakulär deutlich wurde das am 13.07.2019, als sich über dem ehemaligen Ticona-Gelände ein durch­startendes Flugzeug auf der Nordwest­bahn und ein von der Center­bahn auf den Nordwest­abflug drehendes Flugzeug unzu­lässig nahe kamen. Die BFU sah darin aller­dings keine „schwere Störung“ (da die Lotsen das Problem recht­zeitig lösen konnten), und die DFS weigert sich zu erklären, wieso es dazu über­haupt kommen konnte. Einzige Konse­quenz daraus war unnötiger Lärm über Edders­heim und Raunheim.

Verlet­zungen der Tabuzone im Süden sind inzwischen nahezu täglich zu beobachten. Dazu kommen nicht vorge­sehene Abläufe wie z.B. Swings von der Süd- auf die Center­bahn im Lande­anflug, während gleich­zeitig auf der Center­bahn gestartet wird und der Abstand zwischen Start und Landung gerade einmal eine Bahn­länge beträgt.
Spekta­kulärer Fall hier am 15.09.2018: ein im Lande­anflug von der Süd- auf die Center­bahn ‚geswingtes‘ Flugzeug fliegt statt­dessen den zwischen beiden liegenden Rollweg an, startet durch und kreuzt dabei die Abflug­route eines kurz vorher von der Center­bahn auf die Südum­fliegung gestar­teten Flugzeugs. Auch hier keine Unter­suchung und keine Erklärung, da der zeitliche Abstand zwischen beiden am Kreuzungs­punkt so groß war, dass keine direkte Kollision drohte.

Wir haben darüber hinaus auf dieser Webseite über ein Dutzend Fälle doku­mentiert, in denen Störungen aufgrund der Nicht­beachtung beste­hender Regeln zu Abflügen direkt über das Stadt­gebiet mit entspre­chender Lärmbe­lastung geführt haben, von 2016 bis heute. Die DFS und andere Beteiligte haben in allen Fällen eine Erklärung für die Manöver verweigert.

Das von der DFS vorge­stellte Konzept verbes­sert die heutige Situation im Hinblick auf Kolli­sions­risiken nur insofern, als darin der Nordwest­abflug nun doch wieder nur in Ausnahme­fällen genutzt werden soll. Wieso die Südum­fliegung jetzt doch in der Lage sein soll, den kom­pletten Start­verkehr in West­richtung abzu­wickeln, erklärt die DFS aller­dings nicht.
Für die Situation auf dem Parallel­bahn­system ignoriert das Konzept die Schluss­folge­rungen und Empfeh­lungen aus dem BFU-Unter­suchungs­bericht der Störung 2011 und erhöht das Risiko für ähnliche Vorfälle deutlich. Die BFU benennt als wichtigste Ursache „Die Start­freigabe für den A320 wurde erteilt, als die Landung des A380 auf der Parallel­bahn noch nicht sicher­gestellt war“ und kommt zu der Einschät­zung, „dass Maßnahmen zur Entzer­rung der Abflug- und Fehl­anflug­verfahren durch­geführt werden sollten, die zu einer Risiko­minderung führen“. Beides missachtet das neue Konzept völlig.

Wenn, wie von der DFS dargestellt, der Staf­felungs­abstand zwischen Anflügen auf die Center- bzw. die Südbahn 4 Nautische Meilen betragen soll, beträgt der zeitliche Abstand zwischen dem Passieren der jewei­ligen Lande­schwellen bei den üblichen Anflug­geschwindig­keiten weniger als 2 Minuten. Da zwischen dem Passieren der Lande­schwelle und der „sicher­gestellten Landung“ (Aufsetzen und Verzögern) nochmals rund 30 Sekunden vergehen, ist das Zeit­fenster für die einge­schobenen Starts kaum größer als 1 Minute.
Die Zeit zwischen Start­freigabe und Beginn des Start­laufs beträgt mindestens 15 Sekunden, der Start­lauf dauert ca. 30 Sekunden. Verzögert sich dieser Ablauf nur gering­fügig, muss das nach­folgende Flugzeug durch­starten, mit entspre­chenden Konse­quenzen für die Abläufe auf der Parallel­bahn. Statt einer „Entzer­rung zur Risiko­minimierung“ findet hier eine drastische Verdich­tung statt. In der Praxis ist das überhaupt nur zu bewäl­tigen, wenn die „sichere Landung“ auf der Parallel­bahn nicht abge­wartet wird, sondern (wie auch darge­stellt) der Start­lauf bereits beginnt, bevor der parallel landende Flieger überhaupt aufge­setzt hat. Das ist genau das Szenario, dass die BFU als Haupt­ursache für die "schwere Störung" 2011 ausge­macht hat.

Die harmloseste Konse­quenz einer Störung in diesem System ist, dass der (durch)­startende Flieger von der Center­bahn im Gerade­ausflug über Raunheim dröhnt und dort eine massive Lärm­belästi­gung verursacht. Beispiele dafür gab es in der Vergangen­heit schon genug, eines davon zeigt die Grafik für den 21.07.2019 um 12:40 Uhr.
Der nächst schlimmere Fall wäre, dass, wie 2011 beinahe geschehen, der nach­folgende Flieger in den Wirbel­schleppen­bereich des voraus­fliegenden gerät und je nach Größen­verhält­nissen entspre­chend gefährdet wird. Noch Schlimmeres ist ebenfalls nicht auszu­schließen.
Lärm­mindernde Flugver­fahren wie 'Continuous Descent Operations' werden aufgrund der notwendigen exakten Staf­felungs­abstände unmöglich gemacht.

In der dichtest möglichen Packung, die die Simulation der DFS darstellt, könnten über 160 Flug­bewegungen pro Stunde durch­geführt werden - ein Wert, der weit über dem bisher disku­tierten Höchst­wert von 126 liegt und auf absehbare Zeit nicht dauer­haft erreicht werden kann. Das Modell könnte also absehbar nur in kurzen Spitzen­phasen in dieser Form zum Tragen kommen, dennoch bleibt auch damit genug Raum für drastische Konse­quenzen.
Dass das Konzept umsetzbar ist, zeigt die Grafik mit dem Screen­shot vom 02.12.2019. Aller­dings mussten wir die Grafik etwas bear­beiten. In den Origi­nalen erscheint die auf der Center­bahn startende Maschine erst am linken Rand der Bahn, wenn die auf der Südbahn landende Maschine gerade aus der Darstel­lung verschwunden ist. Wir haben das Bild der startenden Maschine daher im Nach­hinein dahin kopiert, wo sie zum darge­stellten Zeit­punkt ungefähr gewesen sein muss.
Nebenbei übergeht das Konzept mit der Vertei­lung der Landungen auf Center- und Südbahn auch eine Bestim­mung aus dem Plan­fest­stellungs­beschluss, wonach der Anteil der Landungen auf der Center­bahn 4% der Gesamt­anzahl nicht über­steigen soll. Ist der PFB doch so leicht zu ändern?

Zusammen­fassend dient das neue Konzept also einer Erhöhung der Kapa­zität des Bahnen­systems des Flug­hafens Frankfurt, die allein schon aufgrund der Klima­schäden, die durch den Flug­verkehr bewirkt werden, nicht akzep­tabel ist. Es nimmt dafür eine deutliche Erhöhung der Lärm- und Schad­stoff-Belas­tung im Allge­meinen und bei Störungen für Raunheim und andere Gemeinden westlich des Flughafens im Beson­deren in Kauf. Das Risiko für Konflikte mit Gefähr­dung der betei­ligten Flugzeuge bis hin zu Abstürzen wird deutlich erhöht.




Grafik Degrowth-Report

Diagramme: Judith Holzer, Stay Grounded      

03.12.2019

Neuer Bericht: So muss der Luftverkehr schrumpfen

Anlässlich der gerade begin­nenden Welt­klima­konferenz COP25 in Madrid hat das Netzwerk 'Stay Grounded' einen neuen Bericht vorgelegt, der eine wichtige Lücke füllt. Luft­verkehr ist die klima­schäd­lichste Fort­bewegungs­art, soll aber dennoch in den nächsten Jahren stark anwachsen. Die Luft­verkehrs­wirt­schaft hat mehrfach demon­striert, dass sie kein Konzept hat, um die klima­schädi­genden Wirkungen des Fliegens in ausrei­chendem Maß einzu­dämmen. 'Grüner fliegen' ist auf abseh­bare Zeit unmög­lich.
Die einzige Möglich­keit, den Flug­verkehr im Einklang mit den Zielen des Pariser Abkommens zu ent­wickeln, ist, ihn einem nega­tiven Wachstum ("degrowth") zu unter­werfen, d.h. ihn schrumpfen zu lassen. Wie das sozial gerecht geschehen kann, erklärt dieser Bericht.

In neun Kapiteln wird das Thema umfas­send betrachtet. Zunächst wird noch einmal zusammen­gefasst, warum weiteres Wachstum des Flug­verkehrs nicht klima­verträg­lich möglich und ein Schrumpfen unver­zicht­bar ist. Als ein erster Schritt wird darge­stellt, welche steuer­lichen Maßnahmen möglich sind, um externen Kosten des Flug­verkehrs den Verur­sachern anzu­lasten und die steuer­liche Bevor­zugung gegen­über umwelt­verträg­licheren Verkehrs­mitteln wie dem Zug­verkehr aufzu­heben.
In einem weiteren Kapitel wird diskutiert, wie die Belohnung des Viel­fliegens durch 'Miles and More'-Pro­gramme o.ä. abge­schafft und durch ein System ersetzt werden kann, das häufi­geres Fliegen sukzes­sive immer teurer macht und damit die­jenigen besonders belastet, die das Klima am meisten schädigen. Dabei wird auch diskutiert, wie die damit gewon­nenen Mittel einge­setzt werden können, alter­native Trans­port-Infra­struk­turen dort zu schaffen, wo das Fliegen bisher einzige Option ist. Weiter­hin wird diskutiert, wie Angebote auf bestimmten Flug­strecken reduziert werden können, indem z.B. Kurz­strecken­flüge dort, wo Bahn­verbin­dungen exis­tieren, ganz verboten werden, oder auf anderen Strecken die Zahl der Verbin­dungen limitiert wird.
Zwei weitere Kapitel widmen sich dem notwen­digen Umbau der Infra­struktur, indem die ständige Erwei­terung der Airport-Infra­struktur durch Aus- und Neubauten gestoppt und statt­dessen Alter­nativen wie die Bahn ausgebaut werden. Weiter wird disku­tiert, welchen Einfluss die jewei­ligen Reise-Poli­tiken grosser Institu­tionen wie Städten, Firmen, Univer­sitäten etc. haben kann und welche Möglich­keiten es gibt, auf das öffent­liche Bewußt­sein einzuwirken, das Reise­verhalten zu verändern.

Das abschließende Kapitel fasst schließlich zusammen, wie all diese Maß­nahmen zusammen­gebracht, aufein­ander abge­stimmt und durch­gesetzt werden können. Der Bericht schließt mit der Erkenntnis, dass Fort­schritte in diesem Bereich Schritt für Schritt durch­gesetzt werden können, wenn sie von einer breiten Bewegung getragen werden, die sich die notwen­dige sozial-ökolo­gische Trans­formation, die zur Ein­dämmung der Klima­kata­strophe notwendig ist, zum Ziel gesetzt hat.
Damit legt der Bericht noch lange kein fertiges Konzept vor, wie mit dem Luft­verkehr in den kommenden Jahr­zehnten umzu­gehen ist. Er entwickelt viel­mehr eine Vision für einen nach­haltigen Luft­verkehr, die weder wie die des UBA im 'poli­tisch Mach­baren', aber völlig Unzu­reichenden stecken­bleibt, noch pure Wunsch­träume formuliert. Sie beschreibt vielmehr, wie das, was notwendig ist, tatsäch­lich auch erreicht werden könnte. Dass es nur mit größter Anstreng­ung und gegen heftig­sten Wider­stand durch­gesetzt werden kann, dürfte allen Betei­ligten klar sein.




UBA-Grafik, verändert

16.11.2019

UBA-Konzept 'Luftverkehr der Zukunft': Entscheidendes fehlt

Vor Kurzem hat das Umwelt­bundesamt ein Konzept dafür vorge­stellt, wie der Luft­verkehr nach­haltiger gestal­tet werden könnte. Es enthält eine Bestands­aufnahme der aktuellen Situa­tion, eine in acht zusammen­gehörigen 'Bau­steinen' beschrie­bene 'Vision', wie es 2050 sein sollte und ein Bündel von Instru­menten und Maß­nahmen, die dahin führen sollen.
Die öffent­liche Reso­nanz war wohl nicht allzu umfang­reich. Der Spiegel zählt exklusiv für Abon­nenten einige vorge­schlagene Maß­nahmen auf und weist darauf hin, dass "grüneres Fliegen ... auch Verzicht" heissen müsse, während Fach­blätter eher hervor­heben, dass das Konzept eine "Diskus­sions­grund­lage" sei und den Flug­verkehr nicht in Frage stelle.

Was kann man von einem solchen Papier erwarten? Das UBA ist weder eine radikale Umwelt­organi­sation noch eine revolu­tionäre Partei, es ist eine Fach­behörde eines Bundes­ministeriums. Als solche sollte es zwar in der Erar­beitung und Darstel­lung wissen­schaft­licher und tech­nischer Fakten frei sein, ist aber in der poli­tischen Bewer­tung mit Sicher­heit an Vor­gaben des Ministe­riums bzw. der Regie­rung gebunden. Aber selbst unter Berück­sichti­gung dieser einschrän­kenden Beding­ungen bleibt das Papier in einigen wichtigen Punkten hinter den Erwar­tungen zurück.

Positiv zu vermerken ist, dass die Bestands­aufnahme eine Reihe von Fakten beschreibt, die sonst nicht erwähnt oder sogar geleugnet werden. So sieht sie den "Anteil des Luft­verkehrs an der globalen Klima­wirkung bei fünf bis acht Prozent", anstelle der 2-3%, die sonst gerne mit Bezug auf den reinen CO2-Anteil genannt werden. Auch weist sie auf die Klima­schäden hin, die mit der geplanten Wieder­einfüh­rung des Über­schall­fluges im Geschäfts­flug­verkehr drohen, sowie darauf, dass all das in den bisher formu­lierten Klima­zielen der Luftfahrt­branche für 2050 nicht berück­sichtigt ist. Und auch die Luftbe­lastung durch Ultra­feinstaub und Stick­oxide, der Flug­lärm, der Flächen­verbrauch und die Belastung von Wasser und Boden finden angemes­sene Erwäh­nung.

Schon mit der 'Vision' wird es aber proble­matisch. Zwar decken die acht 'Bausteine' durchaus einen brauch­baren Rahmen ab bis hin zu "Weniger fliegen", aber ob die jeweils dazu genannten Konkre­tisie­rungen pures Wunsch­denken ("Deutsch­land und Europa werden Instru­mente einführen, die bis 2030 die CO2-Emis­sionen des Luft­verkehrs auf das Niveau von 2010 zurück­führen") oder durch glaub­würdige Szena­rien hinter­legt sind, ist nicht erkennbar.
Zwar wird eingangs gesagt, die "acht Bausteine der Vision basieren auf einer Palette von Instru­menten und Maß­nahmen", von denen "manche ... einfacher, andere schwerer zu reali­sieren" sind, aber sie seien "keine Utopie, denn die Ziele und Szenarien sind erreichbar: mit den richtigen ökono­mischen Rahmen­bedingungen, mit ehrgei­zigen Zielvor­gaben und abge­stimmten, ambitio­nierten Maßnahmen­paketen". Wer nun aber hofft, dass diese Rahmen­bedingungen, Zielvor­gaben und Maßnahme­pakete im Folgenden konkret benannt würden, der wird bitter enttäuscht.

Tatsächlich ist das Kapitel zu "Instru­menten und Maß­nahmen" der deutlich schwächste Teil des Papiers. Schon zu Anfang wird gewarnt: "Die Empfeh­lungen und Handlungs­vorschläge heben das bekannte System Luft­verkehr nicht aus den Angeln. Vielmehr sind die meisten davon bereits Gesetz oder zumindest bekannt, in Ansätzen erprobt oder in Entwick­lung" ... oder haben bereits versagt, müsste man ergänzen.

Zur Verbes­serung der 'Rahmen­beding­ungen' ist die Aufhe­bung der Steuer­privile­gien des Luft­verkehrs durch 'Reform der Luft­verkehrs­steuer' und 'Einfüh­rung einer Kerosin­steuer' noch die positivste Forde­rung. Es sollte aber klar sein, dass die Wirkung beider Maßnahmen sehr begrenzt bleiben würde, erst recht, wenn die Einnahmen daraus über einen 'Innova­tionsfond Luft­verkehr' wieder in den Sektor zurück­fliessen und die Kosten für die Airlines redu­zieren sollen. Die Forde­rung, den EU-Emissions­handel für den Luft­verkehr bis 2030 zu ver­schärfen und das ICAO-Kompen­sations­system CORSIA "zu einem welt­weiten Emissions­handels­system" weiter­zuent­wicklen, wirkt dagegen welt­fremd angesichts der Tatsache, dass aktuell völlig unklar ist, ob CORSIA über­haupt im vorge­sehenen Umfang starten kann, ob das EU-ETS daneben bestehen bleiben wird, und ob CORSIA, wie von ICAO geplant, 2035 schon wieder endet.
Die Forde­rung, die Luft­verkehrs-Infra­struktur, insbe­sondere Flughafen­standorte und Flug­routen, nach einer zentralen Planung zu entwickeln, "die soziale, ökono­mische aber vor allem auch ökolo­gische Krite­rien berück­sichtigt", ist sicher­lich richtig. Schon das vor einigen Jahren entwickelte NGO-Luft­verkehrs­konzept hatte diese Notwend­igkeit aufge­zeigt, und eine aktuelle Studie hat die mög­lichen Effizienz­gewinne auch quanti­fiziert. Wie das aber nur durch Einfluss auf künftige Planungen und ohne massive Umbauten des bestehenden System bis 2050 wirksam werden soll, bleibt völlig unklar.

Vollends ins Reich der Illu­sionen führt aber der nächste Abschnitt, in dem auch das UBA die tech­nische Wunder­waffe der Luft­verkehrs­wirt­schaft, die 'alter­nativen Treib­stoffe', propagiert, hier in Form von 'Power-to-Liquid-Kerosin', also von Flüssig­treib­stoffen, die synthetisch aus Kohlen­dioxid, Wasser und Strom aus erneuer­baren Quellen herge­stellt werden. Aber während ICAO & Co. so tun, also könnten klima­neutrale Treib­stoffe heute schon getankt werden, ist das UBA immerhin so realis­tisch, zwar einer­seits viel (Steuer-) Geld in die Erfor­schung dieser Treib­stoffe stecken, anderer­seits aber bis 2030 nur eine beschei­dene 'Bei­mischungs­quote' von 10% erreichen zu wollen. Damit sollen dann aller­dings 'Markt­kräfte' ange­stossen werden, die bis 2050 eine 100%ige Versor­gung ermög­lichen. Dabei bleibt jedoch völlig unklar, wo der viele erneuer­bare Strom, der ja auch noch die riesigen Elektro­auto-Flotten, die ausge­bauten Bahn­systeme und vieles andere mehr antreiben soll, herkommen könnte. Bei der Herstel­lung von Flüssig­treib­stoff geht rund die Hälfte der Energie, die im Strom steckt, verloren.

Einen Hinweis, wie diese 'Visionen' einzu­schätzen sind, gibt auch ein Vergleich mit Szena­rien, die versuchen, die Entwick­lung der Umwelt­belas­tungen durch den Flug­verkehr auf der Basis von Annahmen über die Entwick­lung der tech­nischen und orga­nisato­rischen Rahmen­beding­ungen zu berechnen. Einen Satz solcher Szena­rien für die welt­weite Entwick­lung hat die ICAO vorge­legt, und da zeigt ein Vergleich, dass die UBA-Vision in etwa den 'Wunsch­szena­rien' entspricht, die laut den ICAO-Experten unwahr­schein­lich bis unmöglich zu erreichen sind (wenn man nicht drastische Umbauten des Luft­verkehrs annimmt, die ICAO natür­lich aus­schliesst). Beschränkt auf Europa ergibt die Analyse der europä­ischen Umwelt­agentur ebenfalls, dass die gewünsch­ten Ziele mit Maß­nahmen, die "bekannt, in Ansätzen erprobt oder in Entwick­lung" sind, nicht zu erreichen sind.
Zugleich weisen diese Studien auch noch darauf hin, dass einige von den Zielen, die in der UBA-Vision relativ unver­bunden neben­einan­der stehen, tatsäch­lich auch im Wider­spruch zuein­ander stehen können. So sind einige der neu entwickelten Trieb­werks­typen, die beson­dere Effi­zienz­gewinne bringen sollen, deutlich lauter als die bishe­rigen. Und eine andere Studie zeigt, dass eine Redu­zierung der Stick­oxid-Emis­sionen, mit der eine deutliche Redu­zierung der gesund­heit­lichen Folgen dieser Emissionen erreicht werden könnte, zu einem, wenn auch geringen, Ansteigen der Treib­hausgas-Emis­sionen führen würde.

Erst recht illusionär erscheinen die UBA-Annahmen, wenn man betrachtet, wie die Akteure, die die Maß­nahmen umsetzen müssten, aktuell handeln. So hat gerade BBC aufge­deckt, dass British Airways unnötige Emis­sionen erzeugt, indem sie unnötig viel Treib­stoff dort tankt, wo er billiger ist, und damit über­flüssiges Gewicht durch die Gegend fliegt. In vielen Fällen sind die dabei erzielten finan­ziellen Erspar­nisse minimal, aber die unnötigen Emissionen hoch. BA verteidigt sich mit dem Hinweis, dass sie nach einer EURO­CONTROL-Studie nur für zwei Prozent der durch diese Praxis unnötig erzeugten Gesamt­emissionen verant­wort­lich seien - ein klarer Hinweis, dass dieser Unsinn weit verbreitet ist.
Lufthansa baut derweil gerade sein Viel­flieger-Programm um, und eine Analyse kommt zu dem Schluss: "Belohnt wird mit dem Status­programm insbe­sondere das häufige Einsteigen", anders gesagt, wer kurz und viel (und viel­leicht auch noch billig) fliegt, profitiert mehr, als wer selten, aber dafür weit fliegt. Und dass die Luft­verkehrs­wirt­schaft generell ihr gesetzte Grenzen nicht akzep­tieren will und das primäre Ziel hat, Menschen billig und viel fliegen zu lassen, hat sie in den letzten Jahren deutlich genug bewiesen. Von der herr­schenden Politik bekommt sie dafür weit­gehende Unter­stüt­zung.

Damit ist aber auch klar, was dem UBA-Papier im Wesentlichen fehlt. Ein echter Mangel ist die Tatsache, dass keine tech­nischen und recht­lichen Maßnahmen genannt werden, die die gewünsch­ten Verände­rungen tatsäch­lich schnell genug und im notwen­digen Umfang herbei­führen könnten. Was noch notwen­diger wäre, aber von einem Amt wohl nicht erwartet werden kann, wäre eine Analyse der wirt­schaft­lichen und poli­tischen Wider­stände gegen diese Verände­rungen und das Aufzeigen von Lösungen, die mit geeig­neten Strate­gien erreicht werden könnten.
Der Nutzen beschränkt sich also auf eine gute Analyse der schlechten Situation und ein grobes Bild dessen, was sein sollte. Wie man vom einen zum anderen kommt, müssen wohl andere ausar­beiten. Natürlich sind etliche der Einzel­forde­rungen richtig und unter­stützens­wert (z.B. die nach Erweite­rung der Nacht­flug­verbote), aber nichts davon ist neu und woanders besser begründet. Durch das Zusammen­schreiben der Forde­rungen Illu­sionen darüber zu wecken, was damit insgesamt erreicht werden könnte, hilft niemandem weiter.




Grafik Flugzeug-Puzzle mit Wirbelschleppe

... aber es kommen immer wieder neue Puzzleteile dazu.

12.11.2019

Ultrafeinstaub: Neue Puzzleteile vervollständigen das Bild

Auch wenn die Experten­anhörung des Umwelt­hauses eher den Eindruck vermit­telte, als sei völlig unklar, wie es jetzt mit der Erfor­schung und Bewer­tung des Risikos durch Ultra­feinstaub aus Flug­zeug­trieb­werken weiter­gehen könnte, führen die andern­orts erziel­ten Forschungs­ergeb­nisse zuneh­mend dazu, dass sich die Puzzle­teile allmäh­lich zu einem Bild zusammen­fügen, das zumin­dest die Ausbrei­tung dieser Partikel recht gut beschreibt.
Jüngstes Beispiel sind die nun vorlie­genden Auswer­tungen der Mes­sungen, die am Flug­hafen Salz­burg durchge­führt wurden.

Salzburg hat einen recht kleinen Flug­hafen, auf dessen einziger Bahn Flug­zeuge aller Grössen starten und landen, in der Regel in Zeitab­ständen von mehreren Minuten. Als weitere grössere UFP-Quellen in der Umge­bung kommen nur einige wenige Strassen in Frage. Dort wurden über mehrere Monate an zwei Statio­nen auf verschie­denen Seiten und Enden der Bahn im Abstand von rund 150 Metern die Ultra­feinstaub-Anzahl­konzen­trationen zeitlich hoch auf­lösend gemes­sen.
Im Ergeb­nis war es möglich, gemes­sene Peaks in der Anzahl-Konzen­tration einzel­nen Bewe­gungen von Flug­zeugen zuzu­ordnen und sie in Abhängig­keit von der Art der Bewegung (Start, Landung, Taxiing) und der Wind­richtung zu inter­pretieren. Dabei konnten sogar unterschiedliche Triebwerksmodi anhand der Peak-Formen unterschieden werden.

Damit wurde ein weiteres Mal sehr deut­lich gezeigt, dass jedes Flug­zeug in Bewe­gung eine hohe Anzahl ultra­feiner Teil­chen in einer charak­teris­tischen Abgas­fahne aus­stösst, die sich, ab­hängig von den atmos­phärischen Beding­ungen, in ganz spezi­fischer Weise in der Umgebung aus­breitet. Das ergänzt gut andere Mes­sungen wie z.B. die, die die DLR an der Start­bahn West durch­geführt hat, um die Real Driving Emissions, d.h. die realen Emissionen von Flug­zeugen beim Start zu bestimmen.
Unter Flugbe­dingungen müssten natür­lich noch die Wir­kungen der Wirbel­schleppen einbe­zogen werden, deren Wirkungen auf den Transport von Abgasen im Reise­flug gut model­liert werden können, deren Ausbrei­tung in Boden­nähe aller­dings kompli­zierter ist und deren Wirkung auf ultra­feine Partikel wenig unter­sucht ist. Es ist zu hoffen, dass ein gerade begon­nenes EU-Projekt diese Fragen realis­tisch auf­greift. (Zu dem EU-Konsor­tium gehören auch wesent­liche Teile der Gruppe, die das UBA-Model­lierungs­projekt in Frank­furt in den Sand gesetzt hat; sie werden hoffent­lich diesel­ben Fehler nicht nochmal machen.)

Dass sich die Puzzle-Teile immer besser zusammen­fügen, gilt nicht nur für UFP aus Flugzeug­abgasen, sondern für Ultra­feinstäube ganz allgemein. So haben sich auf einer Tagung im Mai dieses Jahres in Brüssel, deren Proceedings inzwischen in der Biblio­thek des 'Karls­ruher Institut für Techno­logie' zur Verfü­gung stehen, mehrere Vorträge damit befasst, wie die bishe­rigen Erkennt­nisse politisch wirksam gemacht werden können, und vor ein paar Wochen ist das ange­kündigte White Paper veröf­fent­licht worden.
Darin wird erklärt, welche Schluss­folge­rungen aktuell aus den vor­liegen­den Erkennt­nissen gezogen werden können. Die Kernaus­sagen sind, dass mensch­liche Aktivi­täten, insbe­sondere Ver­bren­nungs­prozesse, sowohl die Menge der ultra­feinen Teilchen in der Atemluft deutlich erhöhen als auch die Zusammen­setzung verän­dern; dass es genü­gend Hin­weise auf die Schäd­lich­keit dieser Art und Menge gibt und dass es Wege gibt, in abseh­barer Zeit zu einer Regu­lierung dieser Emis­sionen zu kommen. Dabei zielt das Papier insbe­sondere auf die derzeit statt­findende Über­arbei­tung der Luft­quali­täts-Leit­linien der Welt­gesund­heits­organi­sation, deren neue Fassung für 2020 erwartet wird und die ein Kapitel zu UFP enthalten soll.

Eine Aufgabe besteht nun also darin, politi­schen Druck zu ent­wickeln, dass diese wissen­schaft­lich begrün­deten Vorschläge weder in den WHO-Arbeits­gruppen noch in der anschlies­senden Umsetzung in europä­ische und nationale Regeln allzu sehr verwäs­sert werden. Den betei­ligten Wissen­schaft­ler*innen ist diese Gefahr durchaus bewusst, wie in der oben genannten Konferenz in einem eigenen, sehr deut­lichen Vortrag über die Wirkung von Fake News Kampagnen zur Durch­setzung gegen­läufiger wirt­schaft­licher Inter­essen gezeigt wurde.
Die zweite Aufgabe vor Ort bleibt natür­lich weiter­hin, dafür zu sorgen, dass das von der hessi­schen Landes­regierung so voll­mundig ange­kündigte neue Projekt in Frank­furt diese Fragen eben­falls richtig auf­greift und insbe­sondere die Unter­suchungen veran­lasst, die jetzt am dringend­sten gebraucht werden, um die noch offenen Punkte anzugehen. Dass das 'Forum Flug­hafen und Region' das von ganz alleine hinbe­kommt, darf man getrost bezweifeln.




Foto Golf im Waldbrand

Die Erde brennt, aber das Spiel soll weitergehen.

31.10.2019

Klima-Wahnsinn

War der September noch haupt­sächlich durch viele Initia­tiven zur Bekämpfung der Klima­katas­trophe gekenn­zeichnet, so treten aktuell mehr die Aktivi­täten der Gegner einer aktiven Klima­politik in den Vorder­grund. Das beginnt mit der Landtags­wahl in Thüringen, wo die hohe Stimmen­zahl für die AfD nicht nur, aber auch wegen ihrer Polemik gegen Klima­schutz-Maß­nahmen besorgnis­erregend ist.
Hier kann man immerhin noch darauf verweisen, dass die eindeu­tige Gewinne­rin der Wahl, die Linke, eine deutlich bessere (wenn auch immer noch unzu­reichende) Klima­bilanz vorweisen kann und (auch dafür?) deutlich mehr Stimmen erhalten hat. Zugleich sind aller­dings die Grünen, die mit dem Klima-Thema punkten wollten, weit hinter ihren Erwar­tungen zurück­geblieben. Und die bishe­rige rot-rot-grüne Koalition, die noch einige entspre­chende Maßnahmen im Programm hatte, hat keine Mehr­heit mehr.

Dieses Resultat passt leider nicht nur ins Bild der jüngsten Landtags­wahlen im Osten Deutsch­lands, wo die AfD-Klima­leugner massiv Stimmen geholt haben, sondern auch in einen sehr viel weiteren Rahmen.
Schon vor der Europawahl im Mai, deren Ergebnis ja durchaus auch positive Elemente enthielt, hatte z.B. eine Adelphi-Studie darauf hinge­wiesen, dass die Klima­politik ein wesent­liches Feld rechter Propa­ganda ist. Und obwohl das Spektrum der Aussagen von der primi­tiven Leugnung des menschen­gemachten Klima­wandels bis zur Infrage­stellung des Nutzens von Maß­nahmen zur Emissions­minderung reicht, kommt es vielfach zu einem gemein­samen Vorgehen. Und eine aktuelle Analyse aus Yale weist insbe­sondere darauf hin, dass die Ultra­rechten nicht nur knapp ein Viertel der Stimmen im Europa­parlament haben, sondern politische Wirkung haupt­sächlich dadurch erzielen, dass sie die Diskus­sionen bei der 'gemäs­sigten' Rechten und der sog. Mitte immer weiter nach rechts rücken.
Inter­national sind diese Kräfte teilweise bereits an der Macht und setzen ihre Politik um. Aktuell wollen die USA unter der Trump-Regierung aus dem Pariser Klima­abkommen aus­treten, die legalen und illegalen Regen­wald-Rodungen im Amazonas haben unter dem neuge­wählten brasil­iani­schen Präsi­denten Bolso­naro völlig neue Dimen­sionen erreicht, und in Austra­lien setzt die Morrison-Regie­rung auf neue Kohle­minen und verhöhnt ihre pazifi­schen Nachbarn, die vom steigenden Meeres­spiegel in ihrer Existenz bedroht sind. In Kanada konnten die Konser­vativen mit einem Anti-Klima­schutz-Programm aller­dings nicht punkten, statt­dessen legten eher linke Parteien mit Klima­schutz-Ideen zu. Wie die Klima-Frage die Wahlen in Groß­britan­nien am 12.12. beein­flussen wird, bleibt abzu­warten.

Wie sich das auf die Politik hier auswirkt, zeigt z.B. ein Beitrag einer nieder­ländischen Europa­abgeord­neten von 'Renew Europe', dem Bündnis der ehe­maligen Liberalen mit der Bewegung des franzö­sischen Präsi­denten Macron, den die 'Airlines for Europe' (mit dabei: Luft­hansa) verbreiten. Darin wünscht sie alle zur Hölle, die 'Flugscham' verbreiten, weil sie es liebt zu fliegen und der Luft­verkehr so viel für die Völker­verstän­digung und den freien Handel tut. Die Klima­wirkungen des Luft­verkehrs sind garnicht so schlimm, weil der Sektor im EU-Emissions­handels­system (das bei Weitem nicht alle Flüge erfasst) nur eine geringe Rolle spielt, und die Forde­rung, keine fossilen Brenn­stoffe mehr zu nutzen, ist unver­nünftig, weil Flug­zeuge nun mal nicht elektrisch fliegen können. Die Airlines müssen die "Nach­haltig­keits­welle" nutzen und eine "fantas­tische Geschichte erzählen", die ihr Image verbessert und die Öffent­lich­keit glauben lässt, dass "das Rennen zu einem nach­haltigen Luft­verkehr möglich ist". Ihren politi­schen Auftrag sieht sie darin, alle Hinder­nisse für das weitere Wachs­tum des Luft­verkehrs zur Seite zu räumen, und falls doch etwas schief geht, ist ja doch jeder Einzelne dafür verant­wortlich.

Dieses Pamphlet ist vorwie­gend deswegen interes­sant, weil es in unge­wöhn­licher Deut­lich­keit eine Reihe von Mecha­nismen zeigt, die die oben zitier­ten Analysen eher theo­retisch trocken her­leiten. Erstens ist es ein Muster­beispiel für populis­tische Argumen­tation, die einfache, scheinbar einleuch­tende Zusammen­hänge behauptet und sich um den Wahr­heits­gehalt nicht weiter kümmert. Zweitens wird der Klima­wandel nicht direkt geleugnet, aber in seiner Bedeu­tung klein­geredet und gegen angeb­lich viel grössere Vorteile in anderen Bereichen ausge­spielt. Drittens wird die Verant­wortung für even­tuelle Schäden von den Verur­sachern weg zu den Nutzern verlagert, die einer­seits aufge­fordert werden, mehr und häufiger zu fliegen und kaum Alter­nativen dazu ange­boten bekommen, aber voll für die dadurch angerich­teten Schäden verant­wort­lich sein sollen. Vor allem aber macht er deutlich, worum es rechter Klima­politik im Kern geht: das Spiel muss weiter­gehen wie bisher, es darf keine Einschrän­kung im Konsum, im Wachstum und im Profit geben. Zurecht weist daher die oben zitierte Analyse im 'klima­reporter°' darauf hin, dass Herr Gauland, der jetzige AfD-Vorsit­zende und frühere Mitar­beiter des ersten CDU-Umwelt­ministers Wallmann, seine Position in diesem Bereich nicht groß verändern musste. Es ging und geht darum, "Umwelt­auflagen abzu­wenden" und "den Bürgern immer wieder klarzu­machen, dass es zur Politik stetigen Produktions­wachstums keine Alter­native gibt".
Und noch etwas wird aus der Begeis­terung, mit der dieser Beitrag formu­liert ist, deutlich. Es ist nicht die Angst vor einem Erstarken der Ultra­rechten, die die Rechten (womög­lich noch wider­willig) solche Thesen formu­lieren lässt. Sie nutzen im Gegen­teil die Tatsache, dass die Ultra­rechten früher geächtete Posi­tionen wieder salon­fähig machen, um ihre eigenen Auffas­sungen auch wieder unver­blümter äussern zu können.

Und wenn es die 'politische Mitte' schon über­nimmt, die Airlines gegen klima­bedingte Einschrän­kungen ihres Geschäfts­modells zu vertei­digen, können die Rechts­aussen noch einen Schritt weiter­gehen und der Umwelt­bewegung auch noch die töd­lichen Folgen der Profit­gier im Wett­bewerb der Luft­fahrt­industrie in die Schuhe schieben. Obwohl inzwischen völlig klar ist, dass der Flugzeug­bauer Boeing bei der Entwick­lung seines Modells 737MAX aus Kosten­gründen Sicher­heits­risiken igno­riert, aber die Schuld für zwei Abstürze mit 346 Toten lange geleugnet hat, versucht ein Beitrag in der 'New York Post' (nicht zu verwechseln mit der 'New York Times', die seriöser ist), dafür den "Ökowahn­sinn" der "Welt­unter­gangs­propheten" um Greta Thunberg verant­wortlich zu machen. Die hätten die arme Firma Boeing so unter Druck gesetzt, ein 'klima­freund­liches' Flugzeug zu bauen, dass sie dafür Sicher­heits­aspekte vernach­lässigen musste. Die Autorin schliesst daraus, dass "Klima­ideologie fatale Konse­quenzen haben" kann, weil "der Tod von ein paar armen Flug­reisenden ein geringer Preis ist, um die Klima­götter zu beschwich­tigen". Ist so etwas wirk­lich nur in Trumps USA möglich?

Inzwischen greifen einige europä­ische Airlines die Auffor­derung auf, "fantas­tische Geschichten" zu erzählen, aller­dings über­wiegend in einer Weise, die selbst den Chef­redak­teur eines durch und durch luft­fahrt-freund­lichen Fach­blattes veran­lasst, festzu­stellen, es gehe auch glaub­würdiger. Einigen PR-Maß­nahmen, wie z.B. der aktuellen KLM-Kampagne zum 'verant­wortungs­vollen Fliegen', gelingt es aber durchaus, auch kritische Menschen zu verun­sichern, und es bedarf einer gründ­lichen Analyse, zu klären, was davon wirk­lich zu halten ist: es handelt sich um "Rückzugs­gefechte der fossilen Industrie", die mit "Green­washing den notwen­digen Rückbau vermeiden" will.
Derweil gehen die Dach­verbände der europä­ischen Industrie gegen die schüch­ternen Versuche der Bundes­regierung, Klima­schutz zu simu­lieren und die Luft­verkehrs­steuer moderat zu erhöhen, mit den üblichen abge­drosch­enen Argu­menten vor: wenn die Airlines mehr Abgaben zahlen müssen, haben sie kein Geld mehr, um in effi­zientere Flug­zeuge und alter­native Treib­stoffe zu inves­tieren. Abge­sehen davon, dass sie in den meisten Fällen die erhöhten Beträge zwischen 13 und 60 Euro ohne Weiteres auf den Ticket­preis auf­schlagen können und nur das Anbieten von Dumping-Preisen schwie­riger wird, rechnen sich Investi­tionen in effi­zientere Flugzeuge ohnehin, und die Forschung und Entwick­lung alter­nativer Treib­stoffe sollen ja sowieso die Staaten finan­zieren.
Die US-Verbände gehen noch dreister vor. Sie nutzen die gleichen Argumente, aber unter Verweis auf Luft­verkehrs­abkommen zwischen den USA und der EU, und unter Hinweis auf den Monopol-Anspruch von CORSIA, ver­langen sie, solche Maßnahmen gene­rell für illegal zu erklären. Es ist leider durchaus denkbar, dass sie damit Erfolg haben.

Und um den Wahnsinn komplett zu machen, geraten auch noch die Bemüh­ungen der UN, den Klima­schutz inter­national voran zu bringen, in Schwierig­keiten. Die nächste UNFCCC-Konfe­renz COP 25, die im Dezember eine Bestands­aufnahme der natio­nalen Klima­schutz­bemühungen liefern und eine Anpassung an das zur Errei­chung der Ziele des Pariser Abkommens Not­wendige bringen sollte, ist in Gefahr. Chile, das als Veran­stalter ein­gesprun­gen war, nachdem Brasilien nach der Wahl eines rechts­radikalen Präsi­denten die Durch­führung abge­lehnt hatte, hat wegen massiver innerer Unruhen eben­falls kurz­fristig abge­sagt. Die chile­nische Regie­rung leugnet den Klima­wandel nicht und hat anspruchs­volle Ziele vor­gelegt, aber die Proteste richten sich neben aktuellen Preis­erhöh­ungen auch gegen die Privati­sierung der Wasser­versor­gung, das Verschleu­dern von Rohstoffen, Redu­zierung von Umwelt­auflagen für Konzerne, Wald­rodungen und andere Umwelt­probleme.
Wie es nun weiter­gehen kann, ist im Moment völlig unklar. Geprüft wird, ob Bonn eine Alter­native als Ver­anstal­tungsort sein kann, denn die UN-Regeln besagen, dass die COP am Sitz des Sekre­tariats (das ist Bonn) tagt, "wenn kein Staat sich als Gast­geber anbietet". Natür­lich ist das inner­halb von fünf Wochen schwierig zu organi­sieren, aber wohl nicht nur deswegen schlägt CSU-Minister Müller vor, die Konfe­renz doch lieber ab sofort nur noch alle zwei Jahre statt­finden zu lassen. Die Reisen dahin seien doch auch klima­schädlich, und, unaus­gesprochen, es gäbe doch sowieso zuviel Hektik um den Klima­schutz. Weltweit stösst diese Idee allerdings auf Ablehnung, und nun hat sich auch noch Madrid als Tagungsort ins Spiel gebracht.

Frei nach Shake­speare gilt aber auch hier: "Und ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode". Das Leugnen und Relati­vieren der Klima­katastrophe ist (meistens) kein Ausdruck geistiger Verwirrt­heit, sondern der Versuch, ein über­kommenes und zerstöre­risches System, das Wenigen große Privi­legien bietet, solange wie möglich am Leben zu erhalten. Wobei die Vorstel­lungen darüber, wie lange das gelingen kann und was danach passie­ren wird, durchaus illu­sionär und extrem unrea­listisch sein können - der Horror vor grund­legenden Verände­rungen läßt alles andere als das kleinere Übel erscheinen.
Die Aussagen der Wissen­schaft sind aller­dings eindeutig. Damit überhaupt etwas von dem, was die Menschen heute schätzen und brauchen, übrig bleibt, muss sich fast alles ändern - und zwar sehr, sehr schnell.
Dazu heisst es im Aufruf von 'Fridays for Future' zum Aktions­tag am 29. November: "Es muss endlich Schluss sein mit Pille­palle und business as usual. Wir fordern Klima­gerech­tigkeit – und zwar jetzt! Doch dafür braucht es ein komplettes Umsteuern und Maß­nahmen, die uns wirklich auf den Weg der Klima­neutra­lität bis 2035 bringen. Einen Ausstieg aus der Kohle, der nicht noch 19 Jahre auf sich warten lässt, eine Neuauf­lage der Energie­wende so schnell wie nötig und das Ende von Subven­tionen für Kohle, Öl und Gas." Was auch nur erste Schritte wären - aber es lohnt sich, dafür (mit) auf die Strasse zu gehen. Auch der längste Weg beginnt bekanntlich mit dem ersten Schritt, man darf nur das Ziel nicht aus den Augen verlieren.




Grafik Fraport Schadstoff-Logo

Auch Wasser und Boden sind durch die Fraport-Aktivitäten gefährdet.

17.10.2019

Terminal 3: Keine Lösung für kontaminierte Böden

Beim Bau von Terminal 3 am Frank­furter Flug­hafen zeichnet sich der nächste Skandal ab. Wie die Frank­furter Rundschau meldet, ist der Boden­aushub "stärker mit poly­fluor­ierten Chemi­kalien (PFC) belastetet als bei Bau­beginn ange­nommen", und Fraport findet aktuell kein Loch, wo er vergraben werden könnte. Daher planen sie "zwei Erdhügel auf dem Flug­hafen­gelände", die das konta­minierte Material aufnehmen sollen. Offi­ziell handelt es sich um ein "Boden­bereit­stellungs­lager" mit einer Betriebs­dauer von (zunächst?) fünf Jahren, dann soll eine endgül­tige Deponie gefunden sein. Das wirft eine Vielzahl von Fragen auf.

Als erstes stellt sich die Frage, warum das Thema erst jetzt aufkommt. Die Baugrube für Terminal 3 wurde von Ende 2015 bis Ende 2017 ausge­baggert. Wenn erst jetzt ein Lager mit einer "versie­gelten Sohlen­abdich­tung" und einer Abdeckung, die Aus­schwem­mungen verhindern soll, geschaffen wird, wo und wie wurde das Material dann in den vergang­enen zwei Jahren gelagert?
Dass der Boden dort mit PFC belastet ist, war schon vor Baubeginn klar. Schon vor mehr als 15 Jahren haben Boden­proben auf der ehema­ligen Rhein-Main-Airbase hohe Werte für PFT ergeben, eine Stoff­klasse, die Teil der PFCs sind. Seit 2007 sind auf dem Flug­hafen Grund­wasser-Ent­nahme­brunnen und -Reini­gungs­anlage in Betrieb, um zu verhindern, dass diese Stoffe Trink­wasser­brunnen und das Main­wasser gefährden. Aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken im Kreis­tag Groß-Gerau 2015 geht hervor, dass das Grund­wasser, das durch dieses Gebiet strömt, stark und mit steigender Tendenz mit PFT belastet ist.
WIe kann es daher sein, dass der Bau­beginn für Terminal 3 genehmigt wurde, ohne dass der Boden vorher sorgfältig beprobt und ein Nachweis für einen sicheren Entsor­gungsweg verlangt wurde? Bei dieser klaren Ausgangs­lage hätte es niemals passieren dürfen, dass erst nach mehr als zwei Jahren ein Problem festge­stellt wird.

Dann stellt sich natürlich die Frage, was eigent­lich das Problem ist. Bei den Per­fluor­ierte Chemi­kalien (PFC) handelt es sich um eine Stoff­gruppe, die aus einer Vielzahl von Einzel­substanzen besteht, die normale­rweise in der Natur nicht vorkommen. Einige davon haben technisch hoch erwünschte Eigen­schaften und werden in großen Mengen produziert (u.a. für Outdoor-Kleidung, Warm­halte­becher und andere lebens­notwendige Produkte), andere entstehen als Neben- oder Zwischen­produkte in diversen chemi­schen Produk­tions­prozessen. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie bio­logisch nicht abbaubar sind und sich in der Umwelt anreichern. Für einige von ihnen ist die Schäd­lich­keit für Menschen und Tiere, Pflanzen und/oder Mikro­organismen nachge­wiesen, für die anderen wird sie vermutet. An vielen diesbe­züglichen Fragen wird derzeit noch geforscht.
Auch die Gewässer­überwachung in Hessen hat sich vor Jahren mit dem Problem aus­einander­gesetzt, aber seither nicht mehr viel in diesem Bereich getan. Das war u.a. in Baden, Bayern und Nordrhein-Westfalen anders, weil dort eine Reihe von Skandalen die Behörden zum Handeln zwangen.

Das größte Problem mit PFC-Belas­tungen hat hierzu­lande wohl die Bundeswehr. Über 100 ihrer Standorte sind belastet oder gelten als Verdachts­fälle. Grund dafür ist in den meisten Fällen der exzessive Einsatz von Lösch­schäumen, die diese Substanzen enthalten. An einigen dieser Standorte, wie z.B. in Manching in Bayern, wehren sich Bürger­initia­tiven gegen die davon ausge­henden Belas­tungen der Umgebung und die Verzöge­rung der notwen­digen Sanie­rungen. Aber auch an zivilen Flughäfen wie in Düssel­dorf ist das Problem vorhanden und es wird über Sanierungs­maßnahmen gestritten.
Vor diesem Hinter­grund ist es geradezu absurd, dass sich Fraport von der Größe der Belastung des T3-Aushubs über­rascht gibt und sich auch noch wundert, dass geeignete Deponien nicht zur Verfügung stehen. Das bundes­weite Ausmaß des Problems ist derart, dass schon seit Jahren nach Lösungen gesucht wird, wie PFC in der Umwelt eliminiert werden können, da eine Deponie­rung aller belasteten Materia­lien schlicht nicht möglich ist. Wer unter diesen Beding­ungen eine hoch­gradige Verdachts­fläche aushebt, ohne ein Konzept für den sicheren Umgang mit dem Material zu haben, handelt schlicht verant­wortungs­los.
Fraport steht damit aller­dings nicht alleine da. In einer ausführ­lichen Analyse in einem US-Nach­richten­dienst weist Sharon Lerner nach, dass die beiden US-Konzerne, die diese Substanzen als erste im großen Stil vermark­teten, die 'Minnesota Mining and Manufacturing Company', heute bekannt als 3M, und DuPont, schon in den siebziger Jahren des vorigen Jahr­hunderts sehr genau wussten, wie toxisch und umwelt­schädlich sie waren, aber die Berichte darüber mit staat­licher Unter­stützung aktiv unter­drückten. Auch hier und heute ist nicht zu erwarten, dass die zustän­digen Behörden konsequent gegen den verant­wortungs­losen Umgang mit dem belasteten Material vorgehen werden. Widerstand wird auch hier nötig sein.




EU-ETS vs. CORSIA-Logo

06.10.2019

Weltklima: viele Gipfel, aber keiner auf der Höhe der Zeit

In der letzten September­woche gipfelte die Welt­politik am Sitz der Vereinten Nationen in New York gleich mehrfach. Experten listeten 6 Gipfel auf und formu­lierten die hohen Erwar­tungen, die darin gesetzt wurden. Mindestens drei davon beschäf­tigten sich auch mit Klima­politik: der Klima­aktions­gipfel des UN-General­sekretärs am Montag (23.9.), der Gipfel zu den nach­haltigen Entwick­lungs­zielen (SDGs) am Dienstag und Mittwoch (24./25.9.) und der Gipfel zur Entwick­lungs­finan­zierung am Donners­tag (26.9.). Und im kana­dischen Montreal tagte vom 24.09.-04.10. die General­versamm­lung der inter­natio­nalen Zivil­luft­fahrt­organi­sation ICAO, die ebenfalls Klima­themen auf dem Programm hatte.
Natürlich gab es dazu auch grund­legende, aktuelle Berichte. So veröffent­lichte das IPCC einen Spezial­report zu den Ozeanen und der Kryo­sphäre, die UN-Entwick­lungs­organi­sation UNDP eine Einschät­zung der 'nationalen Beiträge' (NDCs) zum Klima­schutz und die UN-Handels­organi­sation UNCTAD einen Bericht über den notwendigen 'Global Green New Deal'.
Parallel dazu gingen im Rahmen einer Aktions­woche weltweit Menschen in nie dagewe­senem Ausmaß auf die Straßen und forderten mehr, besseren und sozial gerech­teren Klima­schutz. Und doch muss man in der Woche danach mit 'Fridays for Future' fragen: Bringt alles nichts?

Ermutigend waren die Ergebnisse in New York und Montreal jeden­falls nicht. Zwar versucht der UN-General­sekretär, den 'Klima­aktions­gipfel' als wichtigen ersten Schritt darzu­stellen, aber die Bilanz fällt doch eher bescheiden aus. Und in den Bereichen 'Entwick­lung' und 'Finan­zierung' beiben die Ergeb­nisse eben­falls weit hinter dem zurück, was Gewerk­schaften und Klima-Akti­visten fordern. Die größte Enttäu­schung war aber, wie schon fast üblich, die ICAO-Versamm­lung.

Zwar waren auch die Verhand­lungen der General­versammlung, wie immer bei ICAO, in Geheimnis­krämerei gehüllt, aber nach einem ersten Bericht der NGO 'Transport & Environment', die im Rahmen der ICSA an den Verhand­lungen teil­nehmen durfte, haben sich die schlimmsten Befürch­tungen bestätigt. Trotz des aus den eigenen Reihen vorge­legten desaströsen Berichts über die Klima­wirkungen des Luft­verkehrs gab es keinerlei neue Initia­tiven, um dem gegenzu­steuern. Im Gegen­teil hat die Versammlung eine Resolution verab­schiedet, die fordert, dass das völlig unzu­reichende CORSIA-System, das absolut nichts zur Redu­zierung der Emissionen beiträgt, das einzig anwendbare Instrument für den Klima­schutz im inter­natio­nalen Luft­verkehr sein soll. Die EU-Staaten, die eigent­lich beschlossen haben, an der Einbe­ziehung des Luft­verkehrs in ihr Emissions­handels­system festzu­halten, haben offen­sicht­lich bisher keinen Vorbehalt gegen die Anwendung dieser Resolution formuliert. Zwar ist dies vermutlich auch im Nach­hinein noch möglich, aber ob es passieren wird, ist anscheinend noch offen.

Dazu passt es dann auch, dass in dem generell völlig unzu­reichenden Klima­paket der Bundes­regierung auch für den Luft­verkehr nur Maßnahmen enthalten sind, die auch in den Fach­blättern der Luft­verkehrs­industrie nur auf sehr milde Kritik stossen. Hier wie dort sind tatsächlich wirksame Maßnahmen nicht geplant.
Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die herrschenden Eliten nicht bereit oder in der Lage sind, relevante Zugeständ­nisse zu machen. Die notwendigen Trans­forma­tionen werden im Konsens nicht möglich sein. Alle, die die notwen­digen Ände­rungen voran bringen wollen, werden sich über­legen müssen, ob sie zu radika­leren Maßnahmen bereit sind. Der nächste Aktionstag ist für den 29.11. angekündigt.




Grafik Warnung >60 dB(A)

In Raunheim werden regelmäßig äquivalente Dauerschallpegel von mehr als 60 dB(A) erreicht,
aber der Lärm soll weiter wachsen.

01.10.2019

Raunheim: höchste Lärmwerte in Rhein-Main - egal, wie der Wind weht

Der Bericht der Fraport ist meist das trockenste Material, das die Sitzungs­unter­lagen der Flug­lärm­kommis­sion zu bieten haben. Er besteht im Wesent­lichen aus zwei Tabellen, die die Meß­ergeb­nisse der Fraport-Lärm­meß­stationen zusammen­fassen. Trotzdem ist die Kern­aussage dieses Daten­wustes aus Raunheimer Perspekt­ive immer wieder erschreckend.
Die September-Ausgabe dieses Jahres enthält die Monats­werte der äquiva­lenten Dauer­schall­pegel für die Stationen für den Tag (6-22 Uhr) und die Nacht (22-6 Uhr) sowie zusammen­gefaßt die Werte für die '6 verkehrs­reichsten Monate 2018' (Mai-Oktober). In allen Spalten ist der höchste Wert in Raunheim zu finden, und nur in Raunheim treten Werte über 60 dB(A) auf.

Besonders extrem waren die Verhält­nisse bekannter­maßen im Sommer 2018. In den 'verkehrs­reichsten Monaten', in denen tagsüber zur Hälfte Betriebs­richtung 07 mit Anflug über Raunheim geflogen wurde, waren wir mit 61,6 dB(A) einsamer Spitzen­reiter, danach kommen Flörsheim mit 59,8 und Rüssels­heim-Opel­brücke mit 57,7 dB(A). Alle anderen Stationen liegen zwischen 50 und unter 57 dB(A), nur Zeppelin­heim, Kelster­bach, Okriftel und Groß-Gerau-Nord liegen noch niedriger.
Aber selbst im März 2019, in dem nur knapp über 20% BR07 geflogen wurde, liegt Raunheim mit 59,2 dB(A) eindeutig an der Spitze und mindestens 2 dB(A) höher als die Stationen im Osten. Und im April 2019, wo fast 70% BR07 geflogen wurde, erreichte Raunheim 63 dB(A) und fast 6 dB(A) 'Vorsprung'. (Zur Erinne­rung: beim Einzel­schall­pegel bedeutet eine Erhöhung um 3 dB(A) eine Verdopp­lung des Lärms.)

Durch die Erhöhung der Zahl der Flug­bewe­gungen treten diese Unter­schiede immer krasser zutage. Und wenn es nach Fraport geht, ist ja noch lange keine Grenze erreicht. Auch die Maßnahmen des 'aktiven Schall­schutz', die angeb­lich kommenden leiseren Flugzeuge und was sonst noch so alles versprochen wird, bringt in Raunheim keiner­lei Erleich­terung. Raunheim ist zu nahe am Flughafen, um umflogen zu werden. Der Lärm beim Anflug kommt weniger von den Trieb­werken, die viel­leicht noch etwas leiser werden können, sondern vom Flugzeug­körper selbst, der sich sobald nicht ändern wird.
Natürlich muss man berück­sichtigen, dass die Fraport-Meß­station im Südosten Raunheims liegt und damit auch den Start­lärm von den Abflügen auf der Südum­fliegung voll registriert. Nur dort sind die Unter­schiede zwischen den Betriebs­richtungen relativ klein. Im Nordwesten Raunheims macht es wesent­lich mehr aus, ob BR07 oder BR25 geflogen wird, wie man an den Werten der Fraport-Meßstation 'Rüssels­heim Opel­brücke' oder der DFLD-Meß­station Raunheim-Nord sehen kann. Aber je weiter man nach Süden kommt, desto schlimmer wird der Anfluglärm, und je weiter nach Osten, desto schlimmer der Startlärm. (Einschrän­kung: im Nordosten hört man auch den Anfluglärm auf die Nordwest­bahn schon ziemlich gut, und auf dem Raunheimer Teil des Mönchhof­geländes dominiert er.)

Die Schlussfolgerung daraus ist natürlich schon lange bekannt. Wenn es in Raunheim wieder leiser werden soll und erträgliche Verhältnisse wieder hergestellt werden sollen, dann hilft keine Kosmetik durch 'technischen Fortschritt' oder 'aktiven Schallschutz'. Es hilft einzig und allein ein Stopp des weiteren Wachstums des Flugverkehrs und eine Reduzierung der Zahl der Flugbewegungen auf ein Maß, dass die Bedürfnisse der Region erfüllt und mit den Erfordernissen des Klimaschutz vereinbar ist. Die Wachstumsphantasien der Fraport sind damit völlig unvereinbar.




Cartoon 'Widersprüche'

Die Präsentationen in der Anhörung lieferten sehr unterschiedliche Ergebnisse, aber es ist nicht erkennbar, ob und wie die Widersprüche aufgearbeitet werden.
(Original-Cartoon: Harm Bengen, Archiv 2015, 6.12.)

29.09.2019

Ultrafeinstaub-Experten: kein Plan, nirgends

Das Umwelthaus hat einen Teil der Materi­alien zur UFP-Experten­anhörung am 22./23. August auf seiner Webseite veröffent­licht, weitere sollen folgen. Für einen ersten Über­blick ist aber genügend Material vorhanden.

Die ersten Vorträge zum Themen­komplex "Grund­wissen zum Ultra­feinstaub" brachten einen guten Über­blick, aber wenig Neues. Auch die kurze Rede von Minister Al-Wazir enthielt nichts, was nicht schon in seiner Presse­mittei­lung ein paar Tage vorher enthalten gewesen wäre. (Immerhin hat sein Beitrag einige weitere Landes­politiker motiviert, eben­falls zu erscheinen, sie sind dann aller­dings schnell wieder verschwunden.)
Auch die Vorträge zu den UFP-Belas­tungen in Innen­räumen, in länd­lichen Gebieten und in Städten gehörten in die Kategorie 'Netter Über­blick, aber nicht neu'. Spannend wurde es erst danach mit den Vorträgen, die sich auf Flug­häfen und Luft­verkehr bezogen.

Da war zuerst Herr Rindlis­bacher vom Schweizer Bundesamt für Zivil­luftfahrt, der einen Über­blick über die dort durchge­führten Messungen an Trieb­werken auf Test­ständen unter verschie­denen Lastzu­ständen und mit verschie­denen Treib­stoffen gab. Leider versäumte er es, verständ­lich darzu­stellen, welche Gemeinsam­keiten und Unter­schiede es zu den früher durch­geführten Messungen im Real­betrieb, z.B. in Brisbane und Los Angeles, gibt. Für einen Überblick über das Thema wäre das sehr wichtig gewesen, wurde aber auch von niemand anderem geleistet.

Eine besonders undankbare Aufgabe hatte der nächste Vortra­gende, Herr Lorentz vom Ingenieur­büro Lohmeyer. Als Leiter des Konsor­tiums, das das UBA-Projekt zur Model­lierung der UFP-Belas­tung durch den Flug­hafen Frank­furt durch­geführt hat, musste er versuchen, das komplette Scheitern dieses Projektes in einem mög­lichst milden Licht erscheinen zu lassen. Man kann ihm zugute halten, dass er sich dieser Aufgabe gestellt und den Mißerfolg weit­gehend einge­räumt hat (im Vortrag deutlicher als in den Folien). Und grund­sätzlich ist ein negatives Ergebnis in der Wissen­schaft ja auch durchaus normal. Wenn man eine Hypo­these aufstellt, muss man damit rechnen, dass sie im Test wider­legt wird.
Was man ihm aller­dings ankreiden muss, ist, dass er sich nach wie vor weigert, die offen­sicht­lichen Schluss­folge­rungen aus diesem Scheitern zu ziehen. Weder mochte er ein­räumen, dass sein Model­lierungs­ansatz generell nicht für UFP taugt, noch konnte er zugeben, dass die Tatsache, dass sich das Modell auf die Emis­sionen auf dem Flug­hafen­gelände selbst konzen­triert und den Flugbetrieb vernach­lässigt hat, eben­falls ein wesent­licher Grund für die völlig fehlende Über­einstim­mung zwischen Modell und Meß­ergeb­nissen war. So spekuliert er in seinem 'Ausblick' über mögliche Bedeu­tungen von 'Partikel­bildungs­prozessen' und 'flüchtigen Partikeln', geht aller­dings nicht soweit, den Unsinn zu wieder­holen, den er oder jemand aus seinem Team für den Fraport-Bericht zu UFP zusammen­geschrieben hat.

Der Vortrag von Frau Rose vom HLNUG gab erwartungs­gemäß im Wesent­lichen die Ergeb­nisse des letzten Zwischen­berichts wieder. Hier lohnt es sich aller­dings, sich das Video ihres Vortrags anzu­sehen und die teil­weise doch recht eigen­willige Inter­preta­tion der Daten im Original zu hören. Es ist geradezu skurril zu hören, wie sie den Einfluss der Flug­bewegungen auf die Meß­daten diskutiert, ohne diese Daten in Bezug zur jeweils herr­schenden Betriebs­richtung und Flug­bewegungs­zahl zu setzen. Ebenso seltsam fällt die Diskus­sion der Transport­prozesse durch Wirbel­schleppen aus, und die Frage, warum boden­nahe Emissionen vom Flughafen über mehr als zwanzig Kilo­meter transpor­tiert werden können, während boden­nahe Emissionen von der Autobahn schon nach hundert Metern nicht mehr nach­weisbar sind, stellt sich ihr anscheinend garnicht.
Ebenso­wenig stellt sie einen Bezug zwischen den Daten aus London und Amsterdam, die sie anfangs stell­vertretend vorge­tragen hat, und den eigenen Messungen in Frankfurt her, obwohl von beiden einiges zu lernen wäre. Dennoch gehen die Ankündi­gungen über das weitere Vorgehen und die Einrichtung neuer Messungen zumindest teilweise in die richtige Richtung.

Direkt anschließend liess es sich Herr Fleuti vom Flughafen Zürich nicht nehmen, mit typisch schweize­rischer Zurück­haltung darauf hinzu­weisen, dass Frankfurt mit diesen Unter­suchungen ziemlich spät dran ist, während in Zürich schon seit 2011 umfang­reich gemessen wurde. Aller­dings befasste sich sein Vortrag zunächst haupt­sächlich damit, wie schwierig diese Messungen seien, und die vorge­stellten Ergeb­nisse bezogen sich auch nahezu ausschließ­lich, inklu­sive einer sog. 'Aus­breitungs­rechnung', auf das Flughafen­gelände selbst. Etwas unver­mittelt zeigte er auch noch ein 'Emissions­inventar', aus dem hervor­ging, dass die vom Flughafen hervor­gerufenen UFP-Emissionen zu 41% von Flugzeugen in der Luft, 51% von Flugzeugen am Boden und zu 8% vom ganzen Rest stammen. Wie genau das ermittelt wurde, wurde aller­dings nicht klar.
Der zweite Teil seines Vortrages bein­haltete ein nach seinen Worten ganz neues Resultat, und leider gab es zwischen dem, was dazu auf den verschie­denen Folien zu sehen ist, und dem, was er dazu gesagt hat, ein paar Wider­sprüche. Das ist sehr bedauer­lich, denn es ging um das spannende Thema, wieviel UFP durch Überflüge im Lande­anflug im über­flogenen Gebiet immit­tiert werden. Dazu wurde unter einer Anflug­linie über die letzten 10 km ein Meßprofil mit 6 Stationen angelegt, ausserdem gab es noch ein Quer­profil mit 5 Stationen. Gemessen wurde über 2 Wochen, die Stationen waren nur gering von anderen Quellen beeinflusst.
Als Ergebnis der Auswer­tung des Längs­profils hat er auf einer Folie mit der entspre­chenden Grafik festge­halten: "Allgemeiner Einfluss des Flug­betriebs ab 5-6km Distanz nicht mehr sichtbar. Einzel­ereig­nisse von Über­flügen nur bei Wind <1-2m/s und Überflug­höhe bis 260m zuordbar.", was bei HLNUG & Co. auf grosse Zustimmung gestossen sein dürfte. Aller­dings enthält schon die nächste Folie eine Auswer­tung des Quer­profils, das nach der Übersichts­grafik in 6 km Entfer­nung angelegt war (Herr Fleuti vermutete es bei 4 km, aber da gibt es keinen Meßpunkt). Dort ist zu sehen, dass an der Stelle, wo im Längs­profil bei Flugbetrieb nur Werte im Bereich der Hinter­grund­belastung zu sehen waren, bei Wind­stille nun plötz­lich mehr als 4mal so hohe Werte und damit ein sehr ein­deutiger Einfluss des Flug­betriebs zu sehen sind. Herr Fleuti und sein Team werden sich ihre eigene Ein­schätzung, wonach der "Wind­einfluss äusserst dominant" ist, zu Herzen nehmen und ihre Aussage, wo der Einfluß der Überflüge eine Rolle spielt, über­prüfen müssen.

Der Vormittag des zweiten Anhörungs­tages beschäftigte sich mit gesund­heit­lichen Fragen. Von der Frage, was es für die Fest­legung von Grenz­werten braucht, über vor­liegende Erkennt­nisse zu Toxiko­logie und Epidemio­logie von UFP bis zu Berichten von zwei laufenden Studien in Amsterdam und Kopen­hagen gab es viele interes­sante Informa­tionen und einen guten Überblick, aber auch hier nichts wirklich Neues. Im Hinblick auf die von der Landes­regierung ange­kündigte Studie war besonders bedauer­lich, dass aus keinem der Vorträge zu erkennen war, welche Unter­suchungen das Thema jetzt deutlich voran bringen könnten.
Der Nachmittag beschäftigte sich mit "Möglich­keiten zur Minderung von UFP" und war weit­gehend ent­täuschend. Bill Hemmings von Transport & Environment, der als einziger Vertreter einer Umwelt­organi­sation als Referent einge­laden war, sollte über Al-Wazirs neues Lieblings­thema, die Entschwe­felung von Kerosin, referieren. Er über­schätzte aber seine Deutsch­kennt­nisse deutlich, und sowohl seine Folien als auch sein münd­licher Vortrag waren schwer verständ­lich und teil­weise ärger­lich ungenau. Worum es ihm im Kern ging, kann man besser in den einschlä­gigen Beiträgen auf der T&E-Webseite nach­lesen: die Luftver­schmutzung durch Schwefel ist insbe­sondere durch die Schiff­fahrt noch recht hoch, aber es gibt aussichts­reiche Initia­tiven, dies durch Nach­rüstung der Raffi­nerien zu redu­zieren, und das sollte genutzt werden, um in allen Bereichen, auch im Luft­verkehr, Schwefel-freie Treib­stoffe durchzu­setzen. Wieviel das in Europa zur Redu­zierung der Belastung durch Ultra­feinstaub beitragen könnte, konnte er nicht sagen.
Auch die beiden DLR-Vertreter ent­täuschten. Herr Schripp hielt einen eupho­rischen Vortrag über die Möglich­keiten alter­nativer Treib­stoffe, der auf kritische Einwände insbe­sondere gegen Biotreib­stoffe nicht ernsthaft einging, und Herr Reichmuth einen erstaun­lich oberfläch­lichen Vortrag über die Möglich­keiten der Opti­mierung des Boden­verkehrs an Flughäfen.

Zum Schluss wurde es noch einmal politisch. In einer 'Erkenntnis­runde' sollten die 'Themen­verantwort­lichen' (Frau Dr. Steul, Frau Dr. Brohmann, Frau Barth) gemeinsam mit der Moderatorin noch einmal die Ergeb­nisse reflek­tieren, und die Vorsit­zenden des FFR, Prof. Wörner, und der Flug­lärm­kommission, Thomas Jühe, sollten einen Ausblick über das weitere Vorgehen geben. Hier liegen die schrift­lichen Fassungen leider noch nicht vor, und viel­leicht kann man aus den Formu­lierungen noch das eine oder andere heraus­lesen.
Für den BBI-AK 'Feinstaub' haben Joachim Alt und Wolfgang Schwämm­lein im Nachgang zu der Anhörung eine Standort­bestimmung verfasst, die Schluss­folge­rungen aus den Vorträgen zieht und Forde­rungen entwickelt.

Insgesamt blieb der Eindruck: eine durchaus interes­sante Veranstal­tung, mit Höhen und Tiefen, wichtigen Informa­tionen und ober­fläch­lichem Geschwätz, aber ohne konkretes Ergebnis. Viele Wider­sprüche blieben einfach im Raum stehen, viele Fragen blieben offen, und es zeichnete sich kein Konzept ab, wie damit umzu­gehen sei und wie man weiter voran kommen könne. Im Gegen­teil hatte man über­wiegend den Eindruck, dass alle mehr oder weniger stolz auf ihre eigene Arbeit waren und kein Interesse an einer irgendwie gearteten Abstimmung oder einem gemein­samen Vorgehen hatten. Und was über die mittel­europä­ischen Grenzen hinaus passiert, war ohnehin an beiden Tagen kein Thema.
Wenn mit dieser Veran­staltung Input für die geplante umfang­reiche Studie zu UFP am Flughafen Frankfurt gesammelt werden sollte, dann bleibt es wohl den üblichen Verdäch­tigen über­lassen, dieses Material im Hinter­zimmer auszu­werten und die Studien­elemente zu konzi­pieren. Nach einer Ankündigung des UNH sind das die "Gremien des FFR" und dessen "wissenschaftliche Begleitung", sprich das Öko-Institut.
Und so bleiben die Konflikt­linie so, wie sie vorher auch waren, und der Streit, woher die UFP-Belastung für die Bevölke­rung rund um den Frank­furter Flug­hafen kommt und wie ihr zu begegnen wäre, ist um ein paar Argu­mente reicher, aber einer Entschei­dung nicht näher. Die Auseinander­setzungen müssen und werden weiter­gehen. Und sie werden zwar auch um die wissen­schaft­lichen Ergeb­nisse, im Kern aber um deren Konse­quenzen und die notwen­digen politi­schen Maß­nahmen gehen - wie in anderen Bereichen auch.




Grafik FFI 2.0

Der 'Frankfurter Fluglärm-Index 2.0' - auch ein Werk dunkler Mächte ?

27.08.2019

FFI 2.0: ein neuer und besserer Fluglärmindex ?

Ende Mai dieses Jahres hat das 'Forum Flug­hafen und Region' mitge­teilt, dass es den bishe­rigen 'Frank­furter Fluglärm­index' weiter­entwickelt und einen 'FFI 2.0' einge­führt hat. Er "ersetzt den seit 2009 verwen­deten Index", "berück­sichtigt ... neue wissen­schaft­liche Erkennt­nisse aus der NORAH-Studie" und ist "noch genauer auf die Lärm­wirkungen im Umfeld des Flug­hafens Frank­furt zuge­schnitten".
Er dient als Kenn­zahl dafür, "wie sich die Lärm­wirkung in der Region um den Flug­hafen Frank­furt ent­wickelt", und zwar sowohl in der Ver­gangen­heit ('Moni­toring') als auch für die Zukunft, "um zu prognos­tizieren, wie sich mögliche Maß­nahmen des aktiven Schall­schutzes auswirken würden". Mit anderen Worten, er soll ein Uni­versal-Instru­ment "für die Bewer­tung von Lärm­wirkung und Schall­schutz­maßnahmen" sein. Ist er das wirklich?

Was der FFI ist

Um das beur­teilen zu können, muss man sich ansehen, wie dieser Frank­furter Fluglärm­index definiert ist, wie und wofür er bisher genutzt wurde und was an der Version 2.0 neu ist. Dabei hilft in erster Linie die Dokumen­tation, die das FFR bzw. das Umwelthaus bereit­stellt.
Dieses Papier erklärt sehr viele Eigen­schaften dieses Index sehr ausführ­lich, lässt aber leider auch einige wichtige Fragen offen. Da dieser Beitrag ohnehin schon zu lang ist, behan­deln wir die mehr tech­nischen offenen Fragen demnächst in einem eigenen Beitrag und konzen­trieren uns hier im Wesent­lichen auf die Geschichte des FFI und Anwen­dungs­fragen. Wichtig zum Verständnis ist aller­dings das tech­nische Faktum, dass der FFI (wie auch der FFI 2.0) aus zwei Index­werten besteht, die sich durch das verwen­dete Maß für die Belastung unter­scheiden: der Tag­index FTI für den Zeitraum von 6:00 - 22:00 Uhr, der die empfun­dene Beläs­tigung durch Flug­lärm zugrunde legt, und der Nacht­index FNI für die gesetz­liche Nacht von 22:00 - 6:00 Uhr, der Aufwach­reak­tionen betrachtet.

Die fünf­seitige Einfüh­rung der Dokumen­tation gibt schon einen gut lesbaren Über­blick mit ersten Ant­worten auf die oben gestell­ten Fragen. Vor allem aber enthält sie die wichtige, sonst häufig unter­gehende Aussage, dass ein Fluglärm­index "komplexe Informa­tionen zusammen­fassend darstellt und so ein Hilfs­mittel bietet, um die Fluglärm­entwick­lung sowie Maßnahmen zur Lärm­vermei­dung objektiv zu beur­teilen", dafür aber "Setzungen vorge­nommen werden ..., [die] aus wissen­schaft­lichen Erkennt­nissen nicht oder nicht immer direkt ableitbar" sind, und ausserdem "durch diese Verein­fachung viel­fältige Informa­tionen verloren" gehen und die not­wendige Inter­pretion des Index­wertes dadurch "umso komplexer" wird.
Mit anderen Worten: es gibt nicht den einen, wissen­schaft­lich exakten Index, der alle Fragen beant­wortet. Es gibt im Gegen­teil viele verschie­dene Möglich­keiten, Indices zu konstru­ieren, die dann jeweils auch nur zur Beant­wortung spezieller Fragen taugen, und in der Wahl der Para­meter stecken subjek­tive Annahmen, die inter­essen­geleitet sind. Das ist keine politische Bosheit, sondern zwangs­läufig so. Im besten Fall kann man darauf hoffen, dass bei der Präsen­tation von Index­werten genau beschrie­ben wird, welche Fragen sie beant­worten (und welche nicht), und dass die Inter­essen, die die Auswahl der Para­meter geleitet haben, offen­gelegt werden. Das ist leider in der Regel nicht der Fall.

Wie er entwickelt wurde

Weiter enthält diese Ein­leitung auch einen Über­blick über die Ent­stehung des Frank­furter Fluglärm­index, der die wichtig­sten Eckdaten liefert, aber eine Reihe von Punkten elegant übergeht.
Zum einen geht in der Beschrei­bung der viel­fältigen Diskus­sions- und Einigungs­prozesse ein wenig unter, dass die Tatsache, dass der FFI "im Regio­nalen Dialog­forum (RDF) im Rahmen des soge­nannten Anti-Lärm Pakets" entwickelt wurde, eben auch bedeutet, dass er ein Instru­ment zur Legiti­mierung des Flug­hafen­ausbaus werden sollte, an dessen Entwick­lung alle, die den Ausbau ablehnten, also insbe­sondere die weitaus über­wiegende Mehrheit der Umwelt­verbände und Bürger­initia­tiven, nicht beteiligt waren.
Zum anderen wird zwar auf eine wissen­schaft­liche Studie zur Bewertung der entwick­elten Index-Vor­schläge verwiesen, aber nicht erwähnt, dass wichtige Kritik­punkte aus dieser Studie in der weiteren Entwick­lung des FFI nicht berück­sichtigt wurden und bis heute gültig sind. Dabei stehen die Autoren dem FFI grund­sätzlich sehr positiv gegenüber, während externe Kritiken teil­weise deutlich drastischer waren.

Nach der Schilde­rung der Ent­stehungs­geschichte des FFI werden die Ausfüh­rungen plötzlich sehr knapp. "Seit 2009 war der FFI unver­ändert in Anwen­dung und diente dem regel­mäßigen Monito­ring sowie der Beur­teilung aktiver Schall­schutz­maßnahmen durch das FFR" heisst es dann nur noch, ohne Hinweis auf irgend­welche nach­voll­zieh­baren konkreten Aktivi­täten.
Was dann folgt, ist zwar als dritter Abschnitt ausge­wiesen, ist aber eigent­lich eine alter­native Einlei­tung, die vieles bisher schon Gesagte mit anderen Worten wieder­holt. Hier wird immerhin eine konkrete Anwen­dung des FFI erwähnt: das Konsul­tations­ver­fahren zur Verschie­bung einer Abflug­route der Start­bahn 18 West, in dem er zur Bewer­tung der verschie­denen Routen-Vari­anten genutzt wurde. Die Über­arbei­tung des FFI sollte die dort geäusserte Kritik auf­greifen. Dazu weiter unten mehr.

Auch an anderer Stelle wird man nicht fündig. Das Umwelthaus verkündet zwar vollmundig: "Das UNH berechnet für jedes Jahr den Frank­furter Fluglärm­index (FTI 2.0/FNI 2.0) und ver­öffent­licht die Ergeb­nisse in einem Index­bericht." Und wenn dieser Index wieder­geben soll, "wie sich die Lärm­wirkung in der Region um den Flug­hafen Frank­furt entwickelt", dann würde man doch an erster Stelle eine Grafik erwarten, die diese Entwick­lung veran­schau­licht. Tatsäch­lich findet man aber nur drei Down­loads, die zusammen genommen die Ergeb­nisse des FFI 1.0 von 2007 bis 2016 abdecken. Für 2017 und 2018 gibt es nichts, und über den FFI 2.0 garnichts. Das 'aktuelle Moni­toring', so es denn statt­findet, ist offen­sicht­lich nicht für die Öffent­lichkeit gedacht. Auch Fraport und Landes­regierung nutzen den Index nicht für ihre Lärm-Bericht­erstat­tung.
Der Grund dürfte darin liegen, dass die Inter­preta­tion der Index-Ergeb­nisse in der Tat "komplex" ist. Die Index-Berichte des Umwelt­hauses helfen da auch nicht viel weiter, denn sie bestehen nur aus Vortrags­folien ohne erläu­ternde Texte. Schaut man sich aller­dings an, welche Daten dort diskutiert werden, dann kommt man schon einem Kon­struktions­fehler dieses Index auf die Spur.

Grafik FFI 2007-2016

Zeitliche Entwicklung des 'Frankfurter Fluglärm-Index' (1.0), der Zahl der Flugbewegungen (im Jahr und in den '6 verkehrsreichsten Monaten') und der Personen im Indexgebiet insgesamt (oben)
und der Indexpunkte für die Kommunen Raunheim und Flörsheim
für den Zeitraum 2007 bis 2016 (unten).

Welche Schwächen er hat

Stellt man die zeit­liche Entwick­lung des Tag-Index­wertes (der 'Nacht-Index' hat seine eigenen Probleme) anhand der Berichts­werte grafisch dar (dunkelblaue Kurve), so sieht man, dass er zunächst bis 2011 unregel­mäßig, aber tenden­ziell deutlich, abnimmt, danach aber wieder sprung­haft ansteigt und um ein Niveau knapp über 2007 weiter pendelt. Das ist ein Verhalten, dass sich so in anderen Lärm­berich­ten für diesen Zeit­raum nicht ergibt. Um zu ver­stehen, wie das kommt, muss man sich einige weitere Eingangs­daten für die Index­berech­nung ansehen.
Die Daten in unserer Grafik sind, wie der Index auch, auf den Wert des Ausgangs­jahres 2007 normiert, um die zeit­lichen Verände­rungen zu verdeut­lichen. Man kann die Zahlen als Prozent­werte des Ausgangs­wertes 2007 lesen, Zahlen grösser 100 bedeuten eine Zunahme, kleiner 100 eine Abnahme gegen­über diesem Jahr.
Auf den ersten Blick wird deutlich, dass der Index­wert sehr eng der Entwick­lung der Anzahl der Personen im Index­gebiet (hell­blaue Kurve) folgt. Die schwankt, weil die FFI-Berech­nung vor­schreibt, dass der Index nur inner­halb einer Fläche zu berech­nen ist, die mit einer bestimm­ten Mindest­menge an Lärm belastet ist. Die Kontur dieser Fläche ändert sich, wenn mehr oder weniger geflogen wird, unter­schied­liche Routen genutzt werden, die Betriebs­richtungs-Anteile unter­schied­lich sind, und vieles mehr. Daher fallen an der Grenze dieser Fläche Wohn­gebiete mal hinein, mal heraus, und damit ändert sich die Zahl der Betrof­fenen insgesamt und infolge dessen auch die Zahl der sog. 'Hoch­belästigten', die den Index­wert bestimmt. Anders gesagt: mit der Fest­legung des Index­gebietes hat man im Grunde schon bestimmt, wie der Index­wert sich entwickelt, die ganze weitere Rech­nerei ist Fein­schliff.

Die Frage stellt sich aller­dings: ist es das, was man wissen wollte? Welchen Anteil die einzelnen Faktoren jeweils daran haben, dass die Fläche sich ändert und darum der Index­wert fällt oder steigt, lässt sich aus diesen Daten nicht sagen. Man kann versuchen, den Einfluss der schwan­kenden Gesamt-Perso­nenzahl aus der Darstel­lung heraus­zurech­nen, und findet dann eine zeit­liche Entwick­lung (blau-grüne Kurve), die der des nächst-wich­tigsten Ein­gangs-Para­meters, der Zahl der berück­sich­tigten Flug­bewegungen (orange-farbene Kurve), zumindest nahe­kommt. Wie die Zusammen­hänge aber wirklich sind, müssten natür­lich die Index-Macher erklären.

Generell ist dieser Indexwert kein brauch­bares Maß dafür, wieviele Menschen vom Fluglärm stark belästigt sind. Aufgrund der Grenz­ziehung bei einem bestimmten Wert für den äquiva­lenten Dauer­schall­pegel über die 'sechs verkehrs­reichsten Monate' fallen Menschen zeit­weise aus der Betrach­tung heraus, deren subjek­tives Empfinden sich dadurch, dass der Dauer­schall­pegel an ihrer Wohnung im Jahres­mittel um 1 dB zu- oder abnimmt, um keinen Deut ändert. Ein Groß­teil der Ände­rung der Beläs­tigten­zahlen ist also ein berech­nungs-tech­nisches Arte­fakt und spiegelt keine reale Verän­derung der Betroffen­heit wieder.

Wenn nun aber die Angabe des Gesamt-Index keine brauch­bare Aussage liefert, taugen dann wenigstens die Werte für bestimmte Gebiete, die keinen Flächen­schwan­kungen unter­liegen und in denen sich die Einwohner­zahl besten­falls durch Zu- und Weg-Züge ändert? Auch das lässt sich am Besten mit Beispiel­daten über­prüfen, z.B. mit Angaben der Index­werte für einzelne Kommunen im Umfeld des Flug­hafens, die man in den Index­berichten findet.

Betrachtet man die Daten für Raunheim (untere Grafik, grüne Linien), das bestimmt nicht Gefahr läuft, jemals aus dem Index­gebiet heraus zu fallen, so ergibt sich zunächst ein plau­sibles Bild. In den Jahren vor Eröff­nung der Lande­bahn Nord­west liegt die Beläs­tigung relativ konstant bei einem Wert von im Mittel 7,3 Index­punkten, in den Jahren nach Eröff­nung der Bahn sinkt dieser Wert auf 6,7. Dieses Ab­sinken ist plau­sibel, da ja die bishe­rigen Anflüge auf die Center­bahn grössten­teils aus dem Stadt­gebiet heraus nach Flörsheim verschoben wurden.
Anders jedoch in Flörsheim (blaue Linien). Dort ist der Mittel­wert mit 8,1 Index­punkten zunächst höher (weil Flörsheim mehr Einwohner hat), aber nach Eröff­nung der Nordwest­bahn fällt er auf etwa das gleiche Niveau wie Raunheim (6,6 Index­punkte). Die Nordwest­bahn als Schall­schutz-Maßnahme für Flörsheim? Es gibt wohl nur wenige Betroffene, die das nach­empfin­den können. Auch hier also vermut­lich wieder ein rechne­risches Arte­fakt, aber wodurch?
So etwas könnte passieren, wenn nach der Bahner­öffnung massen­haft Leute aus Flörsheim wegge­zogen wären, aber das war nicht der Fall. Denkbar ist aber auch, dass ein vorher hoch belas­teter Stadt­teil nachher zum Ruhe-Paradies geworden ist und damit die Zunahme der Belastung in den anderen Stadt­teilen über­kompen­siert - oder schlicht wieder durch die unselige Grenz­ziehung aus der Berech­nung heraus­gefallen ist. Die Karten in den Index­berichten, die die Index­gebiete für jedes Jahr dar­stellen, sind von so mise­rabler Qualität, dass man sich nicht sicher sein kann. Aber wenn man sich lange genug mit dem vom Umwelthaus zur Verfügung gestellten Cadenza-Programm herumquält, erkennt man, dass die Stadt­teile Weilbach und Wicker ab 2011 sukzessive aus dem Index­gebiet herausfallen, wohl aufgrund der verminderten Nutzung der Nordwest-Abflugroute. Genau wissen, was da passiert, können natür­lich auch wieder nur die Herren der Indices.

Auch im Kleinen ist dieser Index also nicht die einfache Kenn­zahl, die einen schnellen Über­blick über die Lärm­entwick­lung gibt. Im Gegen­teil muss man in jedem Einzel­fall sehr genau hin­schauen, ob die Rahmen­beding­ungen dafür gegeben sind, dass die zeit­liche Entwick­lung des Index­wertes über­haupt eine sinn­volle Aussage macht. Hiess es bei der Einfüh­rung des FFI im Anti-Lärm-Paket noch: "»Die Etablie­rung eines Lärm­index hat zum Ziel, ein Krite­rium zu defi­nieren, dass die Gesamt­belas­tung durch Flug­lärm in der Region und die jähr­liche Entwick­lung trans­parent und nach­voll­ziehbar als inte­grale Größe beschreibt«", so muss man heute fest­stellen: Ziel verfehlt.

Wie es mit dem FFI weitergehen könnte

Wird es mit der Version 2.0 dies­bezüg­lich eine wesent­liche Verbesse­rung geben? Genau kann man das noch nicht sagen, denn der Öffent­lich­keit werden dessen Ergeb­nisse noch vorent­halten. Zwar weiss das Umwelthaus schon: "Der FTI 2.0 unter­liegt seit der ersten Berech­nung im Jahr 2007 Schwan­kungen nach oben und unten" und "Der FNI 2.0 ist über die Zeit auf ein Drittel des Ausgangs­werts von 2007 zurück­gegangen", d.h. er verhält sich quali­tativ genauso wie der FFI 1.0, aber konkreter wird es nicht.
Viel Hoffnung darf man sich jedoch nicht machen. Wie die Diskus­sion der tech­nischen Details zeigt, wird sowohl die Verän­derung der sog. Belästigungs­kurve als auch die Einfüh­rung leiserer Flug­zeug­klassen zwar die Index­werte ver­ändern, das quali­tative Verhalten dürfte davon aber kaum beein­flusst werden. Und die Tatsache, dass die Index­gebiete nun grösser sind und damit mehr Menschen in die Berech­nungen einbe­zogen werden, verliert dadurch an Relevanz, dass der Anteil der Hoch­beläs­tigten, der aufgrund der Grenz­ziehung aus der Berech­nung ausge­schlossen wird, sehr wahr­schein­lich trotz­dem noch grösser wird.
Sonstige Ergebnisse der NORAH-Studie, z.B. über die gesundheitlichen Belastungen durch Fluglärm, die unabhängig von der empfundenen Belästigung objektiv wirken, wurden entgegen der grossartigen Ankündigung auch hier nicht berücksichtigt.

Bliebe noch der sog. 'Maßnahme­index', also die Anwendung des FFI für die Bewer­tung von Maßnahmen des aktiven Schall­schutz. Hier gab es lange nichts, was öffent­lich nach­voll­ziehbar gewesen wäre. Bei den 'großen' Schall­schutz-Maß­nahmen, auf die die Landes­regierung so stolz ist, taucht er nicht auf. Weder bei der Bewer­tung der Lärm­pausen-Modelle noch bei der späteren Bewer­tung der Lärm­pausen-Praxis wurde er einge­setzt. Und er spielt auch bei der Defini­tion und der Kontrolle der Lärm­ober­grenze keine Rolle - obwohl das eigent­lich die Parade-Anwen­dung für einen Flug­lärmindex ist und er im 'Anti-Lärm-Pakt' auch genau dafür vorgesehen war. Der DFLD hatte ja im Auftrag der 'Stabsstelle Fluglärmschutz Frankfurt' auch gezeigt, wie eine wirk­same Lärm­ober­grenze auf der Basis eines sinnvoll konstru­ierten Lärm­index aussehen könnte. Das Modell scheiterte aller­dings, weil es eine Grund­voraus­setzung nicht erfüllte: es konnte die "ungehin­derte Entwick­lung des Flug­hafens" nicht garan­tieren.

Auch hier hat der FFI also nicht das geleistet, was ursprüng­lich von ihm erwartet wurde. Derzeit stehen auch keine weiteren derartigen Pseudo-Schallschutzmaßnahmen an, bei denen der FFI 2.0 zum Einsatz kommen könnte. Kann man sich deshalb nun achsel­zuckend zurück­lehnen und mit der Beur­teilung "Taugt nichts, aber schadet auch nicht" zur Tages­ordnung über­gehen? Eher nicht.

Dass der FFI auch künftig "die Gesamt­belastung durch Fluglärm in der Region" nicht dar­stellen kann und dafür wohl auch weiter­hin nicht kommuni­ziert werden wird, ist eben nur die eine Seite. Und die groß­artige öffent­liche Ankün­digung des neuen Index diente sicher auch nicht nur dazu, nachzu­weisen, dass das FFR noch existiert. Viel­mehr liegt die Vermu­tung nahe, dass die Ziel­gruppe für diese Aktion nicht die breite Öffent­lich­keit ist, sondern viel­mehr dieje­nigen, die in naher Zukunft von den vom FFR geplanten Maß­nahmen des 'Aktiven Schall­schutz' betroffen sein werden. Sie müssen davon über­zeugt werden, dass der FFI das geeig­nete Instru­ment ist, darüber zu ent­scheiden, wie und wo künftig geflogen werden soll.
Dafür spricht, dass das derzeit gültige Maßnahme­programm Aktiver Schall­schutz eine Reihe von Lärm­verschiebe-Maß­nahmen enthält, bei deren Beurteilung Flugrouten-Varianten verglichen werden müssen. Und der Bericht zu diesem Programm ist auch das einzige uns bekannte relevante Dokument, dass den FFI ausgiebig benutzt, wenn auch in zweifel­hafter Weise. Taugen die Index­werte wenig­stens grund­sätz­lich dafür?

Der 'Maßnahme-Index'

Technisch betrachtet, könnten sie dafür eher geeignet sein. Wenn das betrach­tete Gebiet, die Gesamt­zahl der betrof­fenen Personen und die Zahl der zu berück­sichti­genden Flug­bewe­gungen gleich bleiben, dann kann der Index ein Maß für die unter­schied­lichen Belas­tungen sein, die durch verschie­dene Flug­routen in den betrof­fenen Wohn­bereichen bewirkt wird.
Dass das für die Bewer­tung der Maßnahmen nicht aus­reichen darf und z.B. Nah­erholungs­gebiete, besonders schützens­werte Einrich­tungen wie Kranken­häuser, Kitas, Schulen usw. getrennt berück­sichtigt werden müssen, spricht nicht gegen den Index. Und die Frage, ob es über­haupt Sinn macht, einige Menschen neu mit Fluglärm zu belasten, damit ein paar mehr andere davon entlastet werden, kann ohnehin durch kein mathe­matisches Verfahren entschie­den werden.

Das ist auch bei der ersten konkreten Maßnahme, bei der der FFI 2.0 in letzter Minute zum Einsatz kam, deutlich geworden. Im Rahmen der AMTIX-Konsul­tation war die vergleichende Bewertung der diversen Flugrouten-Varianten, zuerst mit dem alten FFI, dann wenige Wochen vor Abschluss des Verfahrens mit dem FFI 2.0, ein wichtiges Kriterium. Ein Vergleich der Ergebnisse beider Index-Varianten ist damit allerdings nicht möglich, da nicht nur das Berechnungsverfahren, sondern auch die Routen-Varianten im Ergebnis der öffentlichen Konsultation verändert wurden.
Allerdings kann man bei genauer Betrachtung der Konsultationsergebnisse einiges über die Stärken und Schwächen dieser Index-Anwendung lernen. Basis dafür sind der Bericht zur Öffentlichkeitsbeteiligung (auf der Basis des 'alten' FFI) und die Stellungnahme des 'Expertengremiums Aktiver Schallschutz' des FFR (auf der Basis des FFI 2.0). Die genauen Daten für letzteren muss man sich allerdings auf einer anderen Webseite für den Tag und für die Nacht zusammen suchen.

Eine ausführliche Analyse dieser Papiere bleibt anderen Texten vorbehalten, aber zwei Dinge werden deutlich. Erstens wird der FFI von vielen Bürger*innen und Politiker*innen keineswegs als transparentes und verständliches Bewertungsmaß empfunden. Im Bericht ist dazu einiges an, teils massiver, Kritik zu finden. Auch fällt auf, dass zwar viele Indexwerte dargestellt sind, aber die naheliegende Grundaussage, wieviele Hochbelästigte es im gesamten möglicherweise betroffenen Gebiet für die verschiedenen Varianten gibt, fehlt. Ebenso fehlt eine Darstellung der jeweiligen Indexgebiete, weil vermutlich schwer zu kommunizieren wäre, warum das gleiche Indexgebiet je nach Route bestimmte Bereiche mal enthält, mal nicht enthält, obwohl dort immer auch Hochbelästigte zu finden sind.
Zweitens wird an der Stellungnahme deutlich, dass durch die Definition mehrerer zu betrachtender Indexgebiete die Abwägungen zwischen den verschiedenen Routen deutlich komplexer und dadurch auch weniger eindeutig werden. Boshaft könnte man auch sagen, dass dadurch der Willkür ein grösseres Einfallstor geöffnet wird.
Darüber hinaus wird auch sehr deutlich, dass für die Betroffenen eine Vielzahl anderer Kriterien eine Rolle spielt, während die FFR-Empfehlung sich auf einige zweifelhafte Basiskriterien stützt (u.a. dass die Maßnahmen Kapazität und Wirtschaftlichkeit des Flugbetriebs nicht gefährden dürfen) und ansonsten nur die Indexwerte betrachtet, wobei auch noch die Gewichtung zwischen Tag- und Nacht-Index spekulativ bleibt.

Fazit

Man kann davon ausgehen, dass dem FFI deshalb jetzt ein moder­neres Outfit verpasst wurde, weil er in der nächsten Zeit verstärkt dafür genutzt werden soll, Flug­routen-Ände­rungen durchzu­setzen. 'Aktua­lität' und 'wissen­schaft­liche Fundiert­heit' sind zwei Argu­mente, die die Über­zeugungs­kraft der Entschei­dungen stärken sollen. Beides ist aller­dings nicht gegeben, denn weder berück­sichtigt der Index die Ergeb­nisse der NORAH-Studie in umfas­sender Weise, noch ist er ansonsten auf der Höhe der aktuellen wissen­schaft­lichen Erkennt­nisse, und seine Struktur ist so proble­matisch wie eh und je.
Warum dieser Index dazu auch noch als Universal­instrument für alle Lärm­schutz-Ange­legen­heiten verkauft wird, wofür er definitv nicht taugt, bleibt ein Rätsel. So wenig, wie er in der Ver­gangen­heit dafür genutzt wurde, so wenig wird er künftig dafür brauchbar sein. Und das wird seine Glaub­würdig­keit erst recht nicht stärken.
Auf der anderen Seite ist aber auch klar, dass anders als im Märchen das Böse nicht dadurch zu besiegen ist, dass man sein Instru­ment zerstört. Der Index als solcher ist nicht das Problem. Die Frage ist, wofür er gebraucht oder eben auch miss­braucht wird.


Update 09.09.2019:

Die beiden Papiere zur genaueren Kritik der technischen Aspekte des Tag- und des Nacht-Index sind später als geplant, aber doch noch fertig geworden.
Als Webseite können sie hier für den Tagindex und für den Nachtindex angesehen werden.
Sie können auch als PDF-Dokument für den Tagindex und für den Nachtindex herunter geladen werden.


Update 26.09.2019:

Herr Brunn vom Öko-Institut hat inzwischen auch die Vortrags­folien zur Verfügung gestellt, mit denen er den FFI 2.0 beim BIFR-Treffen am 11.09. vorge­stellt hat.


Update 29.09.2019:

Das FFR hat in der Sitzung der Flug­lärm­kommis­sion am 25.09. noch einmal seine Abwägung zur Routen­verlage­rung präsen­tiert und ein paar weiter Details geliefert. Der große Verlierer dieses Prozesses, die Gemeinde Erzhausen, hat mit einer eigenen Präsen­tation und mit einem Offenen Brief noch einmal ausführ­lich begründet, warum sie damit nicht einver­standen ist.
Geholfen hat es nicht. Die FLK hat mehrheit­lich beschlossen, die neue Route ab November für ein Jahr zu testen. Theoretisch könnte das Bundes­aufsichts­amt für Flug­sicherung als zustän­dige Geneh­migungs­behörde noch Einwände erheben, aber das ist extrem unwahr­schein­lich.




Grafik HLNUG UFP-Stationen

Die UFP-Meßstationen des HLNUG. Ausgewertet wurden nur die Daten der Stationen, die mit farbigen Punkten gekennzeichnet sind.
Zum Bericht (PDF) Grafik anklicken.

21.08.2019

Ultrafeinstaub: wieder ein Schritt vorwärts

Am 20.08. hat das 'Hessische Landesamt für Natur­schutz, Umwelt und Geologie' (HLNUG) den 2. Zwischen­bericht zu den Messungen ultrafeiner Partikel (UFP) rund um den Frankfurter Flughafen veröffent­licht und dokumentiert darin, dass es weitere Schritte auf dem richtigen Weg zur Erfassung der UFP-Belastung der Anwohner durch den Flug­verkehr gegangen ist. Bis zum Ziel ist es aber immer noch ein langer Weg.

In der Zusammen­fassung, die dem Bericht voran­gestellt ist, wird fest­gestellt, "dass der Flugbetrieb eine bedeutende Quelle für ultra­feine Partikel darstellt, die zu erhöhten Konzen­trationen in der Umgebung führt. Das Gebiet, auf dem ultra­feine Partikel aus Flugzeug­triebwerken freige­setzt werden, die dann auch Auswir­kungen auf die boden­nahen UFP-Konzen­trationen haben können, beschränkt sich nicht nur auf das Flughafen­gelände selbst, sondern erstreckt sich auch entlang der Anflug­linien, nach erster Schätzung bis zu einem Abstand von etwa 7-8 km vom Aufsetz­punkt. Auf dieser Fläche werden große Mengen an UFP entweder bodennah emittiert (auf dem Flug­hafen­gelände) oder auf geringen Flughöhen (unter­halb etwa 400 m), die anschließend auch von Wirbel­schleppen zum Boden verfrachtet werden können (entlang der Anflug­korridore)."

Das sind gegenüber dem letzten Bericht gleich zwei Fort­schritte. Zum einen wird nun endlich eingeräumt, dass die Überflüge für die Belastung am Boden eine Rolle spielen, und zum anderen auch anerkannt, dass Wirbel­schleppen für den Transport der Trieb­werks-Emis­sionen relevant sind.
Zwar folgen dann auch wieder Einschrän­kungen, die schwer zu verstehen sind. So sollen Überflüge nur "unter­halb einer Flughöhe von ca. 400 m" und "bis zu einem Abstand von etwa 7-8 km vom Aufsetz­punkt" Wirkungen am Boden erzeugen, obwohl diese Aussagen durch die Mess­ergebnisse nicht zu belegen sind. Besonders skurril ist aber die Tatsache, dass für den Nachweis der Wirkungen direkt unterhalb der Anflug­linien ein armer Master-Student der Frank­furter Meteoro­logie mit einer völlig unzu­reichenden Ausstat­tung rund um den Flughafen Partikel­anzahl-Konzentra­tionen in Relation zu Überflügen messen sollte, wenn gleich­zeitig im Datenpool des HLNUG drei Jahre zeitlich hochauf­gelöster Messungen in Raunheim danach schreien, mit den exakten Überflug­daten der Fraport in Abhängig­keit von den ebenfalls an der Raunheimer Station gemessenen Wind­daten korreliert zu werden, um diesen Zusammen­hang auf einer viel besseren statis­tischen Basis und mit wesent­lich genaueren Daten zu über­prüfen.
Auch andere Aussagen in diesem Bericht sind noch mit Frage­zeichen zu versehen oder werfen neue Fragen auf. So wird z.B. nirgendwo der Versuch gemacht, zu erklären, wie denn die bodennahen Emissionen vom Flughafen selbst über mehrere Kilometer im Umland hohe Belastungen erzeugen können, wenn gleich­zeitig Messungen belegen, dass die Emissionen des Kfz-Verkehrs auf der viel­befahrenen Autobahn A3 schon nach 100 Metern nicht mehr nachge­wiesen werden können.

Alles in allem sind die Aussagen des Berichts aber erfreulich seriös und eine wertvolle Quelle weiterer Informa­tionen. Sie stehen damit in starkem Kontrast zu dem Unsinn, den Fraport nur sechs Wochen vorher verbreitet hat. Immerhin hat auch das Verkehrs­ministerium die Wende zum großen Teil mitvoll­zogen. Die Presse­mittei­lung, die Verkehrs­minister Al-Wazir zusammen mit Umwelt­ministerin Hinz aus Anlass der Veröffent­lichung des HLNUG-Berichts verbreitet hat, gibt die wesent­lichen Inhalte des Berichts wieder und korrigiert damit frühere Aussagen. Die Schluss­folgerungen, die die beiden Minister ziehen, sind aller­dings wenig konsequent.

"Ultrafeinstaub reduzieren" ist sicher­lich eine richtige und notwendige Konsequenz, aber die von Al-Wazir und Hinz angekündigten Schritte taugen dafür nur sehr bedingt. Natürlich ist es richtig und wichtig, den Schwefel­gehalt im Kerosin weiter zu senken, aller­dings mehr aus Gründen des allgemeinen Gesund­heits- und Umwelt­schutzes. Unter­suchungen des DLR haben schon vor 20 Jahren gezeigt, dass bei niedrigen Schwefel­gehalten, wie sie derzeit in Europa schon erreicht werden, die Partikel-Bildung in den Triebwerks­abgasen durch andere Komponenten, in erster Linie Aromaten, reguliert wird.
Aber selbst wenn durch Schwefel-Reduktion noch etwas dies­bezüglich erreicht werden könnte, würde das nur helfen, wenn es auf inter­nationaler Ebene geschehen würde, weil Flugzeuge nun mal auf der ganzen Welt tanken und mit diesem Sprit nach Europa kommen. Die ICAO hat aber nach fast 10jährigen Bemühungen gerade erst einen (schwachen) Standard für Partikel­emissionen künftiger Trieb­werke beschlossen und wird hier nicht so schnell mit weiteren Maßnahmen nachbessern.
Und auch die von den beiden Ministern anvisierte große Lösung, die alter­nativen Treib­stoffe, passt zwar sehr schön zur angestrebten neuen Luftfahrt-Politik des Bundes, was damit aber wann erreicht werden kann, bleibt völlig offen. Selbst Technik-Opti­misten glauben nicht an schnelle Lösungen, und kritische Stimmen weisen noch auf viele weitere Probleme hin.

Bleibt noch die Frage, was aus der angekün­digten Wirkungs­studie werden soll. Bisher ist nicht erkennbar, dass die durch­geführten und geplanten Messungen in abseh­barer Zeit eine ausreichende Daten­basis für eine umfang­reiche epidemio­logische Studie, die Voraus­setzung für die Entwicklung von Grenz­werten wäre, liefern könnten. Aber diese Frage wird vielleicht nach der 'Experten­anhörung', die am Donnerstag und Freitag an der Frankfurter Uni stattfindet, genauer beantwortet werden können.




DFS-Logo, ergänzt

Die DFS verfügt über ein operatives Beschwerde-Management. Für Bürger*innen funktioniert es wie hier gezeigt.


Vor zehn Jahren hatte die DFS noch einen anderen Anspruch. In ihrer Umwelt­broschüre hiess es damals:

"Fluglärm? Wir geben Auskunft
Bürger vor unzumut­barem Fluglärm zu schützen ist ein zen­trales Unter­nehmens­ziel der DFS. Im Rahmen der gesetz­lich vor­gege­benen Aufgabe, den Verkehr sicher, geordnet und flüssig abzu­wickeln, setzt sich die DFS für die Redu­zierung von Flug­lärm ein. Anfra­gen und Beschwer­den von Bürgern werden nicht nur trans­parent und zeit­nah, sondern auch fach­lich umfas­send beant­wortet. Das bedeutet: Bei der DFS gibt es keine Flos­keln zu hören oder stan­dardi­sierte Ant­worten zu lesen. Auf jede Ver­ständnis­frage oder Beschwerde ant­worten die DFS-Sach­bear­beiter indivi­duell – sie nehmen sich Zeit, die an sie heran­getra­genen Kritik­punkte zu ver­stehen und auf sie einzu­gehen. Ziel der DFS ist es, zunächst umfang­reich zu infor­mieren, um auf dieser Basis kon­struk­tive Dialoge mit den Betrof­fenen zu führen."


Lang, lang ist's her ... wenn es je so war.

30.07.2019

Die DFS antwortet - oder auch nicht.

Die DFS Deutsche Flug­sicherung GmbH präsentiert sich auf ihrer Webseite als "für die Flug­verkehrs­kontrolle in Deutsch­land zuständig" und leistet laut Unter­seite Umwelt "ihren Beitrag zum klima- und umwelt­gerechten Handeln". Und unter dem Stichwort Umwelt­freund­liches Fliegen ver­pflichtet sie sich sogar, "auch auf den Schutz der Bevölke­rung vor unzumut­barem Fluglärm hinzu­wirken".
Wenn mal was schief läuft, hat sie auch ein Beschwerde-Manage­ment, dass sich natür­lich haupt­sächlich an zahlende Kunden richtet, aber ganz am Schluss heisst es auch: "Ein ziviles Flugzeug fliegt aus Ihrer Sicht niedriger als sonst und nicht die gewohnte Strecke? Sie hören es lauter? Sie haben Fragen dazu? Dann können Sie sich gerne an uns wenden" - über ein Kontakt­formular. Was passiert, wenn man das tut, dafür haben wir zwei aktuelle Beispiele.

Am 25. und 26. Juni konnten sich die Raun­heimer­*innen eigent­lich auf zwei relative ruhige Tage freuen, denn laut Prognose sollte Westwind herrschen. Der wehte dann auch, aber trotzdem wurden beide Abende dadurch versaut, dass die Betriebs­richtung gewechselt wurde und bis spät in die Nacht Anflug­lärm herrschte. Wir wollten von der DFS wissen, was die Gründe dafür waren. Nach drei Wochen bekamen wir auch eine Antwort, oder besser gesagt, wir bekamen eine Mail. (Den kompletten Mail-Verkehr gibt es als PDF.) Eine inhalt­liche Antwort war es nicht.

Zunächst wird uns da erklärt, dass die speziell für den Flughafen erstellten Wetter­daten nicht relevant sind, vielmehr würden "die aktuell gemes­senen Werte an der Landebahn" genutzt bzw. "den Piloten ... durch­gegeben", was auch immer das heissen soll. Natür­lich sollten die Piloten möglichst genau wissen, unter welchen Beding­ungen sie aufsetzen, aber was hat das mit der Betriebs­richtungs­wahl zu tun? Wenn sie diese Informa­tion brauchen und bekommen, ist die Richtung ihres Anflugs längst entschieden.
Weiter heisst es: "Für die Betriebs­richtungs­wahl ist neben eben­diesen aktuell und fort­laufend gemes­senen Wind­werten an der Lande­bahn­schwelle und im Endanflug auch die kurz­fristige flug­wetter­spezi­fische Prognose des DWD aus­schlag­gebend". Ob damit die zugleich mit den METARs veröffent­lichten TAF gemeint sind, bleibt offen - aus gutem Grund, denn auch diese hätten im konkreten Fall keinerlei Hinweis für einen Betriebs­richtungs­wechsel geliefert.
Dann folgen noch eine Reihe von Gründen dafür, warum die Betriebs­richtung nicht gewechselt werden kann, obwohl die Frage ja war, warum sie gewechselt wurde.
Zusammen­fassend kann man also fest­stellen: der Herr Wächter, der diese Mail verfasst hat, hat einfach nur die Phrasen­dresch­maschine ange­worfen, um einen Text ohne jeden Bezug zu den konkreten Fragen zu produ­zieren, und wenn er am Ende "versichert, dass die Entschei­dung stets unter Betrach­tung aller Faktoren, also auch der Lärm­situation im Westen des Flug­hafens, getroffen wird", dann kann er sicher sein, absolut nichts dazu beige­tragen zu haben, dass irgendwer ihm diese Aussage glaubt.

Der Vorgang an sich ist nicht gerade welt­bewegend, aber er dient als Muster­beispiel dafür, dass die DFS, selbst wenn sie einmal auf eine Anfrage reagiert, die Anliegen der Betrof­fenen meist nicht ernst nimmt. Manchmal teilt sie aber auch nur mit, dass sie nichts sagen wird.

So geschehen am 26.07. in einer Mail an Frank Wolf von der BfU Edders­heim in Reaktion auf den Vorfall am 15.07., bei dem sich zwei Flugzeuge zu nahe kamen. Deren Kern­aussage: ja, wir haben unter­sucht, wir haben auch einen Bericht geschrieben, aber wir sagen euch nicht, was drin­steht. Er wird nur "an die unter­suchenden Stellen weiter­gegeben". Welche das sind, wird nicht verraten, aber "deren Ver­öffent­lichungen [werden] ... nach Abschluss aller Unter­suchungen öffent­lich zugängig sein" - wie das für Ver­öffent­lich­ungen üblich ist.
Nun hat allerdings die eigent­lich zuständige Bundes­stelle für Flug­unfall­unter­suchungen BFU schon erklärt, dass sie keine offizielle Unter­suchung einleiten wird und also auch keine Ver­öffent­lichung ver­öffent­lichen wird. Blieben noch das Bundes­aufsichts­amt für Flug­sicherung BAF und das Luft­fahrt­bundesamt LBA. Ersteres sitzt Tür an Tür mit der DFS in Langen, ist deren zuständige Aufsichts­behörde und betreibt ein Melde­system, über das insbe­sondere auch 'Luft­fahr­zeug­annähe­rungen' (genannt AIRPROX) wie die am 15.07. gemeldet werden sollen. Zur Bear­beitung dieser Meldungen gibt es eine eigene 'Aircraft Proximity Evaluation Group' (APEG), und dort wird der Bericht sicher landen. Problem dabei: die Arbeit dieses Gremiums ist vertrau­lich, Ver­öffent­lichungen gibt es nicht.
Auch das LBA betreibt ein Ereignis-Melde­system, aber auch darüber landet man für solche Fälle wieder bei der APEG und der Konsequenz: keine Ver­öffent­lichung. Wenn die BFU also nicht doch noch ihre Meinung ändert und eine offi­zielle Unter­suchung einleitet, dann sagt die DFS in ihrer Mail letzt­endlich: ihr erfahrt nichts, aber beschwert euch darüber bitte bei anderen.
(Kleiner Einschub: wie wir aus zuver­lässiger Quelle erfahren haben, war die Lotsin, die die Situa­tion am 15.07. aufge­löst hat, mit dem Ablauf nicht glück­lich; insbe­sondere sei die Meldung, dass der Flieger auf der Nordwest­bahn durch­starten würde, viel zu spät gekommen. Da sie trotz­dem schnell reagiert hat, lief die Ange­legen­heit glimpf­lich ab.)

Die beiden Beispiele für Kommuni­kations-Flops sind keines­wegs auf das Versagen unterer Ränge bei der DFS zurück­zuführen. Im Gegen­teil kann man spätestens, seit ihr Geschäfts­führer, Herr Scheurle, sich zum Chef­lobby­isten der Luft­verkehrs­wirtschaft aufge­schwungen hat, davon ausgehen, dass sie nur die Firmen-Philo­sophie umsetzen und dazu beitragen sollen, den Luft­verkehr vor allen Zumu­tungen aus der Öffent­lich­keit zu schützen.

Man muss es sich fast mit Gewalt ins Gedächtnis zurück­rufen: Die DFS ist eine not­wendige und nütz­liche Ein­richtung. Sie schafft es, den wuchernden Luft­verkehr sicher und ohne grössere Zwischen­fälle abzu­wickeln - eine Leistung, die die Bevöl­kerung, über deren Köpfen dieser Verkehr statt­findet, zwangs­läufig aner­kennen muss. Man darf wohl auch davon ausgehen, dass viele Mitar­beiter­*innen der DFS, auch unter den Flug­lotsen, die Bedürf­nisse der Anwohner­*innen ernst nehmen und versuchen, die Belas­tungen so gering wie möglich zu halten.
Dass das Manage­ment sich alle Mühe gibt, die DFS bei eben diesen Anwohnern in Miss­kredit zu bringen, ist die andere Seite der Medaille. Eine Kommuni­kation, die nicht auf Infor­mation, sondern auf Täuschung und Beschwich­tigung abzielt, führt zwangs­läufig zu Miss­trauen nicht nur gegen­über den Worten, sondern erst recht auch den Taten.

Update 31.07.2019:

Die DFS hat die Aussage zur Bericht­erstattung über die Annähe­rung am 15.07. korri­giert und mitge­teilt: "Unter der Voraus­setzung, dass es keinen anderen Bericht gibt, werden wir Informa­tionen zu dem Vorfall heraus­geben, um die Öffent­lichkeit zu infor­mieren", aller­dings erst, wenn "die Unter­suchungen und Bewer­tungen des Vorfalls abge­schlossen sind".
Das lässt hoffen. Sollte tatsäch­lich in absehbarer Zeit eine aussage­kräftige Beschrei­bung der Hinter­gründe dieses Vorfalls vorliegen, geben wir gerne zu, dass wir der DFS in diesem Punkt Unrecht getan haben. Dann würden wir auch gerne nochmal einen neuen Anlauf nehmen, die Vorgänge, die wir vor zwei Wochen und im März dieses Jahres beschrieben hatten, sachlich und mit dem Ziel eines besseren Verständ­nisses der aktuellen Entwick­lungen zu disku­tieren.
Noch wollen wir unsere Erwar­tungen aber nicht zu hoch schrauben. Die Erfahrungen der Vergangen­heit bieten keinen Grund zum Opti­mismus - aber es kann eigent­lich nur besser werden.

Update 09.09.2019:

Leider haben wir der DFS nicht Unrecht getan. Die 'Infor­mation der Öffent­lichkeit' besteht in einer Mit­teilung des 'Leiter Unter­nehmens­kommuni­kation' der DFS, Herrn Christian Hoppe, an Frank Wolf von der BFU am 04.09.2019. Der Wortlaut:

"Am 13. Juli 2019 hat eine Maschine der Lufthansa beim Anflug auf die Piste 25R auf Grund von starken Böen im Endanflug ein Durch­start­manöver durch­geführt. Der zuständige Lotse hat mit sofortiger Wirkung Staffelung zu einem Abflug auf der Piste 25C eingeleitet. Die Bundes­stelle für Flug­unfall­unter­suchung hat das Ereignis unter­sucht und fest­gestellt, dass keine schwere Störung vorge­legen hat und von einer weiter­gehenden Unter­suchung abgesehen.
Das Ereignis wurde von der DFS ebenfalls intern gemäß der fest­gelegten DFS-Prozesse gemeldet und analysiert und kommt im Ergebnis zu der gleichen Bewertung des Ereig­nisses wie die BFU."


Schon die kata­strophale Grammatik zeigt, dass diese dürren Sätze nicht als Kommuni­kation gemeint sind, sondern lediglich einer formalen Verpflich­tung Genüge tun sollen: Wir haben etwas dazu gesagt, und jetzt ist aber gut.
Wenn wir ernsthaft in Erfahrung bringen wollen, nach welchen Regeln der Betrieb auf FRA aktuell geleitet wird, dann braucht es wohl schwerere Geschütze, um die DFS und Fraport zu inhalt­lichen Auskünften zu zwingen.




Grafik ICAO-Szenarien

Von unten nach oben: es wird lauter (die von Fluglärm über einer bestimmten Schwelle betroffene Fläche rund um Flughäfen wird grösser), dreckiger (der Ausstoss an Stickoxiden in Bodennähe nimmt zu) und klima-schädlicher (der Ausstoss an CO2 nimmt zu).
Für Details Grafik anklicken.

27.07.2019

ICAO: so sorry - wir werden lauter, dreckiger und klima-schädlicher

Alle drei Jahre tritt die ICAO-Voll­versammlung zusammen, und im September ist es wieder mal soweit. In Vorbe­reitung dieser Versamm­lung stellen die diversen ICAO-Gremien Arbeits­papiere bereit, die grund­legende Informa­tionen für die Diskus­sion der Politiker in der Vollver­sammlung liefern. Eines dieser Papiere enthält Szenarien über die Entwick­lung der Umwelt­belastungen aus der inter­natio­nalen Luft­fahrt bis zum Jahr 2050. Und wie fast immer in diesem Sektor, so auch hier: so dema­gogisch, schön­färber­isch und verlogen die öffent­lichen Stellung­nahmen auch sind, die tech­nischen Grund­lagen für die Beschluss­fasung sind meist solide.

Daher lohnt es sich, die Szenarien, die als Ergebnis mehr­jähriger Model­lierungs­arbeiten verschie­dener Experten­gremien in dem Arbeits­papier präsen­tiert werden, genauer anzu­sehen. Zwar enthalten sie alle auch Ent­wicklungs­wege, die dazu führen, dass die nega­tiven Auswir­kungen nicht oder nicht wesent­lich grösser werden als heute (als ob das ausreichen würde!). Von den dafür notwen­digen Maß­nahmen sagt das Arbeits­papier aller­dings selbst diplo­matisch aber deutlich, dass sie unmög­lich umzu­setzen oder extrem unwahr­schein­lich sind. Lässt man diese 'Schau­fenster-Szena­rien' weg, ergibt sich ein durchaus reales Bild des drohenden Desasters.

So zeigen die Basis-Szenarien, die den "business-as-usual"-Weg darstellen und bereits die normale Flotten­erneuerung, also die schritt­weise Einführung 'sparsamerer' und 'leiserer' Flugzeuge, bein­halten, dass sich damit der Lärm im Flughafen­umfeld mehr als verdoppeln und die Stickoxid- und CO2-Emissionen etwa vervier­fachen würden. Weiter­gehende tech­nische Verbesse­rungen könnten nach diesen Rech­nungen dafür sorgen, dass sich die CO2-Emissionen nur verdrei­fachen und die Stickoxid-Emissionen nur verdoppeln, während beim Lärm je nach Aufwand von einer Verdopp­lung bis zum Absinken unter das heutige Niveau alles möglich sein soll.
Würden sogenannte 'nach­haltige Treib­stoffe' das Kerosin aus Erdöl vollständig ersetzen, wäre sogar ein Verharren der CO2-Emissionen auf dem gegen­wärtigen Niveau möglich. Ein Übergang zur Klima-Neutra­lität, wie er für andere Sektoren bis spätestens 2050 gefordert wird, wäre aber auch mit der maxi­malen Anwendung dieser Wunder­waffe unmög­lich. Ein halbwegs realis­tisches Szenario sagt denn auch bei optimaler Nutzung dieser Treib­stoffe immer noch eine Verdopp­lung der CO2-Emissionen voraus - und die Klima­wirkungen der sonstigen Emissionen werden hier gar­nicht berück­sichtigt.

Sollte jemand an dieser Stelle die Berück­sichtigung des vielbe­schworenen CORSIA-System vermissen, mit dem die Luft­verkehrs­industrie ab 2020 'klima­neutral wachsen' will, so sei hier nochmal daran erinnert: CORSIA hat keinerlei Einfluss auf die tatsäch­lichen Emis­sionen des Luft­verkehrs. Es soll ledig­lich dafür sorgen, dass alle Emissionen, die über das Niveau, das 2020 erreicht wird, hinaus­gehen, durch Einspa­rungen in anderen Sektoren kompen­siert werden. Wie gut das funktio­nieren kann, ist offen. Nach wie vor ist die Gefahr gross, dass es nur zu Buch­halter-Tricks führt, die viel­leicht die Öffent­lichkeit, nicht aber den Klima­wandel beein­flussen können.

Natürlich wäre an den Szenarien noch vieles zu kriti­sieren. Generell ist ihre Dokumen­tation in diesem Arbeits­papier sehr ober­flächlich (der ICAO-Umwelt­report, der eventuell genauer darauf eingeht, ist noch nicht veröffent­licht), so dass man den Wert dieser Aussagen nicht im Detail beur­teilen kann. Auch die gewählten Para­meter sind diskus­sions­würdig. So ist die gewählte Schwelle für Fluglärm­belastung recht will­kürlich, und die Grösse der belasteten Fläche sagt nichts darüber, wieviele Menschen betroffen sind. Bei den Stick­oxid-Emis­sionen greift die Beschrän­kung auf den LTO-Zyklus nur den Aspekt der lokalen Luft­qualität heraus (und unter­schätzt die Belastung da wahr­schein­lich deutlich), aber Stick­oxide spielen auch global eine Rolle. Und CO2 macht eben höchstens die Hälfte der Klima­belastung durch den Luft­verkehr aus, wahr­schein­lich aber deutlich weniger.
Das ebenfalls im Papier enthaltene Szenario für 'particulate matter', also Feinstaub, disku­tieren wir hier garnicht, weil da nur der 'grobe' Staub beschrieben wird. Der ist zwar nicht unwichtig, aber gerade bei Flugzeug­abgasen spielt der Ultra­feinstaub die viel entschei­dendere Rolle.
Eigentlich relevant sind aber die Trends, die man aus den Szenarien ablesen kann, und insbe­sondere die Tatsache, dass in allen Bereichen die Belastungen (wie auch immer sie genau gemessen werden) so stark wachsen, dass alle denk­baren tech­nischen Gegen­maßnahmen nicht ausreichen, dieses Wachstum zu kompen­sieren, geschweige denn die heute schon viel zu hohen Belas­tungen wirksam zu reduzieren.

Es ist ja nicht wirklich neu und wurde gerade in der letzten Zeit oft genug geschrieben: Luftverkehr ist ein Klimakiller und schadet der Gesundheit, und es gibt keine auch nur halbwegs ausrei­chenden tech­nischen Maß­nahmen dafür, das zu ändern. Es hilft wirklich nur, ihn einzu­schränken, und das geht nur mit hohem politischen Druck und hart­näckiger Über­zeugungs­arbeit. Und dafür ist es doch sehr hilfreich, dass die Gegenseite selbst ihr Problem so deutlich und eindrück­lich beschreibt.




Karte UFP-Stationen

Die drei UFP-Meßstationen im Frankfurter Süden. Die gerade neu eingeweihte Station auf dem Alten Friedhof in Oberrad (auf der Karte ganz rechts) liegt im Schnittpunkt von An- und Abflugrouten grundsätzlich günstig.

24.07.2019

UFP-Messungen: wieder ein kleiner Fortschritt

Die Stadt Frankfurt hatte zur feier­lichen Einweih­ung geladen, und der Ober­bürger­meister war persön­lich da, aber das Presse­echo war gering. Von den grossen Frank­furter Tages­zeitun­gen berich­tete nur die Rund­schau über die (Wieder-)­Inbetrieb­nahme der zweiten Frank­furter Ultra­feinstaub-Meß­station. Dabei ist der Vorgang durchaus interes­sant.

Die 'Stabs­stelle für Fluglärm­schutz' beim Ober­bürger­meister hatte ja schon Anfang letzten Jahres zwei Meßgeräte ange­schafft, die Ultra­feinstaub messen können, aber erst nach längerem Gerangel um die Zuständig­keit für die Messungen im Magistrat und um die Standorte der Geräte wurde ab Oktober 2018 an zwei Stand­orten in Sachsen­hausen gemessen. Im April dieses Jahres wurden erste Ergeb­nisse der Station an der Martin-Buber-Schule vorge­stellt, aller­dings nicht von der Stadt oder der HLNUG, die die Stationen mess­technisch betreut, sondern vom BBI-Arbeits­kreis Feinstaub und der BI Sachsen­hausen. Die zweite Station, deren ursprüng­licher Standort wegen tech­nischer Unzu­länglich­keiten besonders umstritten war, wurde irgend­wann abgebaut, umgerüstet und nun am neuen Standort wieder in Betrieb genommen.

Dieser neue Anlauf hat eine Reihe von positiven Aspekten. Das Geräte misst die Gesamt-Partikel­anzahl­konzen­tration in einem Größen­bereich (ab 7 Nano­meter), wie er für Flug­zeug­emis­sionen typisch ist, und in einer zeit­lichen Auf­lösung, die ausreicht, um die Wirkung einzelner Überflüge sehen zu können. Der Standort liegt direkt an einem Schnitt­punkt einer Anflug­route bei Betriebs­richtung 25 (Anflug aus Osten) und einer Abflug­route bei Betriebs­richtung 07, so dass die Wirkungen von An- und Abflügen dokumen­tiert werden können. In direkter Nachbar­schaft steht eine Flug­lärm-Meß­station, so dass Über­flüge auch akustisch dokumen­tiert werden können.
Einen Mangel hat der Standort aller­dings. Er ist fast 14 km vom Flug­hafen entfernt, so dass die Station in relativ grosser Höhe überflogen wird und die Emis­sionen der über­fliegenden Flug­zeuge, abhängig von Wind und Wetter, nur mehr oder weniger verdünnt dort ankommen. Zwar wissen wir aus anderen Messungen rund um den Flughafen, dass die Effekte auch in dieser Entfer­nung noch deutlich zu sehen sind, aber ein Nachweis des Zusammen­hangs zwischen Überflug und Messwert gelingt natür­lich umso besser, je stärker das Signal ist.
Es ist daher bedauerlich, dass die Station nicht an dem anderen Schnitt­punkt von An- und Abflug-Routen, nämlich in Niederrad in der Nähe der Commerz-Arena, aufgestellt wurde. Der ist nur etwas über 6 km vom Flughafen entfernt, und hier würde man den Zusammen­hang sicher noch deutlicher nach­weisen können. Dass dort keine Lärm-Meß­station steht, kann eigent­lich kein Problem sein. Eine solche könnte man für kleines Geld leicht ergänzen. Aber warum auch immer nun dieser Kompromiss gewählt wurde: er wird nicht verhindern, dass auch diese Meß­station die für Fraport so unlieb­same Wahrheit dokumen­tieren wird: der von über­fliegenden Flug­zeugen emittierte Feinstaub kommt am Boden an und erzeugt dort erhöhte Belas­tungen. Die Stadt Frankfurt, allen voran der Ober­bürger­meister und die Umwelt­dezer­nentin, sollten schon mal beginnen, zu über­legen, was sie dagegen tun könnten.




Grafik Flugspuren

Drei Situationen, die es nach den Sicherheitsregeln eigentlich nicht geben dürfte. Die Bahnen sind so dicht belegt, dass bei Zwischenfällen improvisiert werden muss. Das ist bisher gut gegangen ...

21.07.2019

Schon wieder Chaos auf FRA

Brauchte es zum Bekannt­werden des Vorfalls vom letzten Samstag noch eine direkte Beo­bachtung, so musste man diesmal einfach nur hinhören. Zwei deutlich hörbare Überflüge von Ost nach West über Raunheim signali­sierten ein Problem, und eine Betrach­tung der Flugspuren vom Wochen­ende (bis Sonntag Nach­mittag) zeigte recht schnell, dass nicht nur zweimal, sondern dreimal Flugzeuge durch­starten mussten und jedesmal eine proble­matische Situation entstand.
Zwar kam es nicht zu einer kritischen Annähe­rung oder gar zu einem Unfall, aber zu Situa­tionen, die ohne recht­zeitiges und richtiges Ein­greifen der zustän­digen Lotsen dahin hätten führen können.

Es begann am Samstag um kurz nach Zwölf. Ein A320 der Lufthansa musste auf der Nordwest­bahn durch­starten (warum, wissen wir nicht). Und obwohl gleich­zeitig eine Embraer 190 der Lufthansa zur Landung auf der Südbahn ansetzte, erhielt eine B767-300 der Condor Start­erlaubnis auf der Centerbahn, vermut­lich für die Nordwest-Abflug­route. Da die aber durch das Durchstart­manöver blockiert war, dröhnte die Boeing geradeaus über Raunheim - mit satten 80 dB(A).
Offenbar war eine kurze Warte­zeit, bis die Situa­tion auf der Nordwest­bahn geklärt war, schon zuviel - und Krach ist in Raunheim doch sowieso.

Zweieinhalb Stunden später der nächste Fall: eine Boeing 737-800 von Ryanair muss auf der Südbahn durch­starten. Trotzdem starten (unmittelbar vor der Nase der durch­startenden Maschine) ein A330 der Lufthansa auf der Startbahn West und (direkt nebendran) auf der Centerbahn eine Boeing 787-900 der Air Canada.
Auf den Bahnen war es damit enger als erlaubt, aber da die beiden (regulär) startenden Maschinen nach Norden bzw. Süden abdrehten, konnte der Durch­starter sogar südlich an Raunheim vorbei geführt werden.

Der dritte Fall am Sonntag gegen 12:40 wurde dann wieder laut. Wieder musste eine Maschine auf der Südbahn durch­starten, diesmal eine Avro RJ 85 (das ist ein vier­strahliges Kurz­strecken-Flugzeug(!)) der Lufthansa. Die Nordwest­bahn war wieder durch eine Landung einer B737-800 der Ukraine Airlines belegt. Und trotzdem startete auch hier wieder ein A320 auf der Centerbahn, der dann anschlies­send übers Ort dröhnte.
Auch hier wieder sichere Abflugroute mit vermeidbarem Lärm, weil die Start­freigabe zu diesem Zeitpunkt nicht hätte gegeben werden dürfen - jedenfalls nicht nach den Regeln, zu denen sich die DFS früher mal ver­pflichtet hatte.

Aber genau hier liegt wohl das Problem. Die Sicher­heits­philo­sophie, nach der der Betrieb auf FRA organisiert wird, hat sich schleichend verändert. Wurden die ersten Problemfälle nach Inbetrieb­nahme der Nordwest-Landebahn im Oktober 2011 von der Bundes­stelle für Flug­unfall­unter­suchung BFU noch als "schwere Störung" bewertet und die Einführung von Verfahren gefordert, die "systemisch sicher" sein sollten, ist davon heute keine Rede mehr.

Hatte die DFS noch im Februar 2015 die sog. 'Tabuzone' vor der Südbahn, die von Lande­anflügen frei sein musste, wenn eine Start­freigabe für die Centerbahn erteilt werden sollte, von 5 auf 6 nautische Meilen verlängert, so scheint heute ein gleich­zeitiger Start- und Lande­betrieb auf Süd- und Center-Bahn fast schon der Normal­zustand zu sein. Die 'systemische Sicherheit', die durch zeitliche Staffe­lungen sicher­stellen sollte, dass es nicht zu Problemen kommen kann, ist ersetzt durch das Vertrauen darauf, dass die Lotsen schon eine Lösung finden werden, wenn es mal eng wird.
Das alles dient dazu, die wahn­witzigen Kapa­zitäts­anforde­rungen der Fraport zu erfüllen und Verzöge­rungen im Betriebs­ablauf auch dann zu verhindern, wenn das Verkehrs­aufkommen das 'normale' Maß übersteigt.

Eine öffentliche Diskussion darüber wurde nach unserem Wissen nie geführt. Verfahrens­änderungen und Aufhebung von Beschrän­kungen hat die DFS nie kommuni­ziert; die betroffenen Anwohner­*innen müssen irgend­wann mal zur Kenntnis nehmen, dass es jetzt anders ist, und ob sie das tolerabel finden, ist irrelevant.
Die Rechtfertigung dafür ist, dass die Experten schon wissen, was sie tun, und bisher ja auch alles gut gegangen ist. Zumindest letzteres ist zwar richtig, aber keine zulässige Begründung. Wenn der mögliche Schadens­fall darin besteht, dass mehrere hundert Menschen ihr Leben verlieren, dann muss das Risiko, dass dieser Schadens­fall eintritt, schon wesent­lich deut­licher minimiert werden.

Dass die Sicherheits­philosophie in der Luft­verkehrs­wirtschaft generell herunter­gekommen ist, zeigt auch das Beispiel des Problem­flugzeugs 737 MAX. Hier hat Boeing, um Kosten zu sparen, ein veraltetes Flugzeug-Design so umkon­struiert, dass es mehr Kapazität bringt, aber dafür inherent instabil geworden ist. Diese Instabi­lität sollte durch zusätz­liche Sensoren und Software ausge­glichen werden, was nicht funktioniert und zu zwei Abstürzen mit mehreren Hundert Toten geführt hat. Derzeit stehen alle Flugzeuge dieses Typs auf dem Boden, aber Hersteller und Aufsichts­behörde suchen krampf­haft nach Wegen, dieses inherent unsichere Produkt doch wieder in die Luft zu bringen, und Airlines wie Ryanair wollen die Empfehlung von US-Präsident Trump umsetzen, den Flug­zeugtyp einfach umzu­benennen, damit die Kunden nicht verun­sichert werden.

Auch so etwas wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen, aber diese verän­derten Grund­haltungen prägen inzwischen die gesamte Luft­verkehrs­industrie. Wenn wir viel Glück haben, werden die derzei­tigen Praktiken auf FRA also noch mal überdacht, wenn es mal extrem eng wird, aber noch gut geht. Wenn wir Pech haben, passiert es erst, wenn es mal zu eng geworden ist.
Es wäre wohl an der Zeit, dass die kommunalen Vertreter in der Fluglärm­kommission im Interesse der Bürger­*innen, über deren Köpfen diese Manöver statt­finden, inter­venieren und die DFS zwingen, zumindest offen­zulegen, nach welchen Regeln aktuell eigent­lich geflogen wird. Daran anschliessen müsste sich eine offene Diskus­sion darüber, was vertretbar ist und was nicht, und im Ergebnis wären Regeln neu festzulegen. Aber das wäre wohl zu schön, um wahr zu werden.




Grafik Klimaaktion

17.07.2019

Klimastreiks - notwendiger denn je

CDU-Kultus­minister Lorz ist noch nie durch positive Leistungen aufge­fallen, aber das Interview, das er als aktueller Vorsit­zender der Kultus­minister-Konfe­renz gegeben hat, ist auch für ihn ein Tief­punkt. Arro­ganter, dümmer und noch weiter an der Sache vorbei kann man sich mit den Anliegen der strei­kenden Schüler­*innen und Jugend­lichen kaum auseinander setzen.

Sein paterna­listisches Geschwafel darüber, was die eigent­lich noch alles lernen müssten, bevor sie wirklich mitreden könnten, gewürzt mit einer Reihe von Drohungen, gipfelt in der Aussage: "Aber nun haben die Schüler ihr Ziel erreicht. Der Klima­schutz hat auf der politi­schen Bedeutungs­skala einen Riesen­satz nach oben gemacht und ist als zentrales Thema in Politik und Medien ange­kommen. Jetzt noch weiter der Schule fernzu­bleiben bringt nichts." Statt dessen sollten sie sich in den eta­blierten Politik-Apparat inte­grieren, um nach 10 bis 20 Jahren Partei­karriere gelernt zu haben, dass man doch nichts ändern kann.

Die Reaktionen kamen natürlich prompt und vielfältig und wurden z.B. bei den letzten Frank­furter Freitags-Protesten so auf den Punkt gebracht: "Wir streiken, bis ihr handelt. Was, Kultus­minister Lorz, haben Sie daran nicht verstanden?"
Was Herr Lorz alles nicht verstanden hat, fasst ein Kommentar in der Frank­furter Rund­schau recht gut zusammen. "In Wahrheit aber steckt in Lorz’ Aussage noch viel mehr, nämlich der Wunsch, dass alles so bleibt wie bisher: Die Kinder gehen zur Schule, es gibt Flüge von Frank­furt nach München, und wer will, kann mit seinem Diesel jeden Tag die Straßen verstopfen. So wird es aber nicht weiter­gehen, so kann es nicht weiter­gehen. Alexander Lorz hat das nur noch nicht verstanden." Aber da ist er keineswegs der Einzige.

An der Spitze der Ignoranten steht wie immer die Luft­verkehrs­wirtschaft. Was der deutsche Dach­verband BdL schon vor zwei Monaten vorge­geben hat, wird nun vom europä­ischen Dach­verband A4E wieder­holt: die Luft­verkehrs­wirtschaft zahlt ja schon unheim­lich viel an Gebühren und Steuern und investiert trotzdem noch gigan­tische Summen in den Klima­schutz. Dabei ist es ausge­rechnet Ryanair-Chef O-Leary, der als amtierender Vorsitzender diese Aussagen verkaufen muss, obwohl er noch vor Kurzem die gesamte Klima­diskus­sion als Unsinn bezeichnet hat.
Beide machen sich natürlich nicht die Mühe, auf die Kritik einzu­gehen, die ja u.a. auch von Inves­toren-Gruppen und der EU-Kommis­sion geäussert wird, sondern jong­lieren lieber mit beein­druckenden, aber völlig aus dem Zusammen­hang geris­senen Zahlen. Derweil ist mit Blick auf die Fakten deutlich, dass die Maß­nahmen, die aktuell diskutiert werden, nicht geeignet sind, den Beitrag der Luft­verkehrs­wirtschaft zum Klima­schutz auf ein auch nur halb­wegs ange­messenes Niveau zu bringen, und der Traum von schnellen Inno­vationen, die nach­haltiges Fliegen ermög­lichen sollen, so schnell nicht wahr wird. Im Gegenteil zeigen neue Studien, dass die Klima­wirkungen von Flug­zeug-Emis­sionen in großen Höhen, die von den bisher disku­tierten Maßnahmen garnicht erfasst werden, drastisch zunehmen werden.
Dass auch die intelli­genteren Vertreter der Luft­verkehrs­wirtschaft die Lage als kritisch einschätzen, deutet der fast schon verzweifelt klingende Appell des ICAO-Umwelt­chefs Gill an die Mitglieds­staaten an, sich stärker für den Kompen­sations­mecha­nismus CORSIA zu engagieren, eine weitere Verwäs­serung seiner Kriterien zu verhindern und die darüber hinaus gehenden, für die ferne Zukunft versprochenen Maßnahmen jetzt anzugehen. Er wird wohl wissen, dass inzwischen auch der letzte Rest von Glaub­würdigkeit dieses Programms auf dem Spiel steht.

Derweil zeigen die aktuellen Entwick­lungen in den verschie­denen Teilen der Erde, von der Arktis bis zur Antarktis, von Latein­amerika über Afrika bis Südost­asien, dass selbst die drama­tischen Appelle des Weltklima­rates Ende letzten Jahres noch zu opti­mistisch waren und die Klima­verände­rungen immer schneller voran schreiten, während die politischen Reaktionen immer unange­messener werden und viele Menschen hierzu­lande sich immer noch so verhalten, als sei ihnen alles egal.
Daher ist es besonders wichtig, dass die Akivist*innen, die schon weiter sind, sich nicht entmutigen lassen und ihre Anstreng­ungen verstärken. Konsequent ist dabei auch der Aufruf, die nächste inter­nationale Aktions­woche vom 20. bis 27. September über den Kreis der bisher Aktiven auszu­dehnen und für den 20. zu einem generellen Streik für das Klima aufzurufen. Die Vorberei­tungen laufen - und sie sind jede Unter­stützung wert.




Grafik Flugspuren

Zu nah dran: eine auf der Nordwestbahn durchstartende und eine auf der Centerbahn startende Maschine überqueren die 'Airport City West' in gleicher Höhe und mit viel zu geringem seitlichem Abstand von unter 1.000 Meter. (für vollständige Flugdaten Grafik anklicken)

15.07.2019

Mal wieder ziemlich nah dran

Schon im Frühjahr mussten wir eine Reihe von Beispielen dafür berichten, dass die Sicher­heits­regeln am Frank­furter Flughafen nicht mehr ernst genommen werden. Jetzt gibt es einen neuen Fall.

Am Samstag, den 13.07., beobachtete der Sprecher der Bürger­initia­tive für Umwelt­schutz Edders­heim, Frank Wolf, eine gefähr­liche Annähe­rung zweier Flugzeuge im Abflug vom Frank­furter Flughafen über der 'Airport City West' (ehem. Ticona-Gelände). Aus den von DFS und Fraport routine­mäßig zur Verfügung gestellten Daten (über die Programme Stanly Track und den Fraport Noise Monitor FraNoM) lässt sich der Vorfall zumindest grob rekon­struieren.
Die statische Flugspur-Darstel­lung der DFS zeigt, dass der Minimal­abstand zwischen den beiden Flug­bahnen etwa 850 Meter betrug, die Flug­höhen waren in diesem Bereich nahezu identisch. Die dynamische Darstel­lung bei FraNoM macht deutlich, dass die beiden Flieger diesen Punkt der grössten Annähe­rung nur mit einem zeitlichen Versatz von wenigen Sekunden passiert haben. Insgesamt lässt sich daraus ableiten, dass der seit­liche Abstand der beiden Flugzeuge in diesem Bereich weniger als 1.000 Meter betrug und der Höhen­abstand äusserst gering war - ein klarer Verstoss gegen die Sicher­heits­regeln.
In Reaktion darauf wichen beide Flugzeuge von den vorge­gebene Flug­routen ab und flogen direkt über die Wohn­gebiete von Edders­heim und Raunheim; das eine zum erneuten Lande­anflug, das andere auf dem Weg nach China.

Ein solcher Fall sollte normaler­weise von der DFS an die Bundes­stelle für Flug­unfall­unter­suchungen BFU gemeldet werden, und die Öffent­lichkeit sollte zumindest kurz davon in Kenntnis gesetzt werden. Ob das Erste passiert ist, wissen wir nicht, vom Zweiten war jedenfalls nichts zu hören.
Da bleibt zunächst also nur der Versuch, selbst zu bewerten, was von diesem Vorfall zu halten ist und welche Konse­quenzen daraus gezogen werden sollten.

Durchstarten ist kein extrem seltener, aber auch kein ganz gewöhn­licher Vorgang; er kann durch relativ triviale Ursachen, aber auch durch schwer­wiegende Störungen bedingt sein. Aus Sicher­heits­gründen ist daher davon auszu­gehen, dass eine durch­startende Maschine in ihrer Manö­vrier­fähig­keit stark beschränkt sein kann. Deswegen müssen alle möglichen Abflug­routen von Hinder­nissen soweit wie möglich frei­gehalten werden.
Startmanöver gehören zwar zu den notwendigen Flugphasen jedes Fluges, sind aber trotzdem kritische Phasen, in denen von den vorge­gebenen Routen nur begrenzt abge­wichen werden kann.
Beides zusammen führt dazu, dass nach den geltenden Sicher­heits­regeln Starts nur dann zulässig sind, wenn sie ein Durch­starten nicht gefährden können. Dies setzt voraus, dass eine parallel landende Maschine entweder noch weit genug weg oder bereits sicher gelandet sein muss, ehe der Start erfolgen darf. Diese Regel wurde offen­kundig verletzt; ob durch einen Flug­lotsen, der eine unzu­lässige Start­frei­gabe erteilt hat, oder durch den Piloten, der verfrüht oder verspätet gestartet ist, kann nur eine Unter­suchung klären.

Die Annäherung war in diesem Fall schon kritisch, aber noch nicht extrem. Die darauf folgenden Ausweich­routen führten nicht nur zu einer ungewöhn­lichen Lärmbe­lastung, sie stellen grund­sätzlich auch ein zusätz­liches Risiko für die über­flogene Bevölke­rung dar.
Problematisch an diesem Vorgang ist insbe­sondere die Tatsache, dass es sich nicht um etwas völlig Ungewöhn­liches oder durch einmalige Umstände Bedingtes handelt. Vielmehr ist aufgrund der Häufung solcher Fälle zu befürchten, dass schon der Betrieb auf dem heutigen Niveau immer wieder zu 'Ausnahme­situationen' führt, in denen Sicher­heits­regeln gebeugt oder gebrochen werden, um den Betrieb noch irgendwie abwickeln zu können. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Frank­furter Flughafen die Grenzen seines möglichen Wachstums bereits über­schritten hat und es dringend erforder­lich ist, die Beschrän­kungen durchzu­setzen, die für einen sicheren und nach­haltigen Flugbetrieb notwendig sind. Und das wiederum bedeutet nicht mehr, sondern deutlich weniger Flugbewe­gungen als heute.


Aviation Herald headline

Nicht ganz leicht zu lesen, aber hochkompetent: die Meldungen des Aviation Herald

Update 18.07.2019:

Am 17.07. hat auch der Aviation Herald, eine Online-Plattform, die Luft­verkehrs-Zwischen­fälle auf der ganzen Welt registriert und analysiert, den Vorfall aufge­griffen. Die Analyse bestätigt die von uns ermit­telten Daten, liefert aber, zusammen mit der auf der Platt­form dazu geführten Diskus­sion, noch eine ganze Reihe weiterer Infos.
Inzwischen haben auch andere Medien den Fall gemeldet, darunter die Main-Spitze, die AZ Mainz und die Hessen­schau. Sie tragen aber partiell eher zur Verwir­rung bei, weil sie Aussagen der im Fach­jargon formu­lierten AvHerald-Meldung falsch inter­pretieren.
Um wirklich Klarheit zu bekommen, muss man wohl die Unter­suchungen zunächst der DFS und anschliessend wahr­schein­lich der BFU abwarten. Aus dem vom AvHerald ausge­werteten Funk­verkehr geht aber zumindest schon hervor, dass die zur Landung ansetzende CRJ durch­gestartet ist, weil die Maschine im Lande­anflug instabil und "nearly uncontroll­able" wurde. Das bedeutet natürlich ein zusätz­liches Risiko­moment, denn bei einer Maschine, die für ein normales Lande­manöver zu instabil ist, kann man natürlich auch nicht sicher sein, dass sie ein nach­folgendes Ausweich­manöver sicher abfliegen kann. Offen­sicht­lich hat das aber funktio­niert.
Einige Miss­verständ­nisse kann man aber jetzt schon ausräumen. Weder ist "der Cityliner scharf nach unten geflogen, dabei sei es kurz­zeitig brenzlig geworden", wie die Hessen­schau meldet, noch hat sich die A340-Crew "entschieden, eben­falls nach rechts abzudrehen", wie die AZ schreibt. Vielmehr haben beide Flieger das getan, was sie tun sollten: die CRJ-900 ist nach dem Durch­starten zunächst geradeaus geflogen, der A340 hat nach dem Abheben nach rechts auf die Nord­west-Abflug­route gedreht. Das Problem ist, das beides nicht hätte gleich­zeitig statt­finden dürfen. Warum es dazu kommen konnte, muss die Unter­suchung klären. Richtig ist aber: dieser Vorfall reiht sich ein in eine Reihe von mehr oder weniger gefähr­lichen Situa­tionen, die dadurch bedingt sind, dass die Sicher­heit des Flug­betriebs auf FRA nur durch Regeln gewähr­leistet werden kann, deren Einhaltung in Zeiten hohen Verkehrs­aufkommens offen­sicht­lich nicht immer sicher­gestellt ist. Bisher ist es immer gut gegangen - aber wird das auch so bleiben?




Logos Fraport UN-HumanRights

11.07.2019

Fraport und Menschenrechte - das passt nicht zusammen.

Dass die Fraport AG auf die Menschen, die in der Umgebung ihrer Flughäfen wohnen, wenig Rücksicht nimmt, wissen alle Betrof­fenen aus eigener Erfahrung. Dass sie, wenn die Rahmen­bedingungen es zulassen, auch Menschen­rechte mit Füssen tritt, dürfte weniger bekannt sein.
Zwar war schon, als Fraport zu Beginn letzten Jahres den Betrieb zweier brasilia­nischer Flughäfen über­nommen hat, klar, dass die geplanten Erweite­rungen zu Konflikten führen würden, aber es hat eine Weile gedauert, bis sich die Lage zugespitzt hat. Jetzt ist es soweit.

In der Fraport-Haupt­versamm­lung am 28. Mai hat ein Vertreter der "Kriti­schen Aktio­näre", die die Machen­schaften von Fraport schon länger begleiten, die versam­melten Aktionäre aufge­fordert, den Vorstand wegen des Vorgehens der hundert­prozen­tigen Fraport-Tochter Fraport Brasil in Porto Alegre nicht zu entlasten. Die Vorwürfe, die auch vom BUND erhoben werden, bein­halten die Miss­achtung der Wohn- und Eigentums­rechte der Menschen in den Siedlungen, die der Verläng­erung der Rollbahn im Weg sind, sowie die Organi­sation von Zwangs­räumungen.
Die Behauptung von Fraport-Chef Schulte, man habe mit diesen Beschlüssen nichts zu tun, wird von der brasilia­nischen Schwester­organi­sation des BUND strikt zurück­gewiesen. Auch die brasil­ianische Staats­anwalt­schaft ist dieser Meinung. Kurz nach der Haupt­versamm­lung hat sie Fraport Brasil ein Schreiben mit dem Hinweis über­geben, dass Fraport die alleinige, auch finan­zielle, Verant­wortung für die Umsied­lungen trägt und dass die Menschen dort keines­falls gegen ihren Willen zwangs­umge­siedelt werden dürfen. Fraport will gegen diese Verpflich­tung vor Gericht ziehen. Zwar dürfte sie nach einem Rechts­check der 'Koope­ration Brasilien' dafür eigent­lich keine allzu guten Karten haben, aber Recht haben und Recht bekommen sind auch in Brasilien mitunter zwei ganz verschie­dene Dinge.
Wohl auch deshalb hat Fraport vor Ort bereits eine Firma engagiert, die die Umsied­lungen organi­sieren soll und die für ihre ruppigen Methoden bekannt ist. Nach dem derzei­tigen Ausbau­plan muss das Gelände bis Oktober dieses Jahres geräumt sein, wenn es nicht zu Verzöge­rungen kommen soll.

Diese Vorgänge müssen vor dem Hinter­grund der Geschichte und der aktuellen politischen Vorgänge in Brasilien gesehen werden. Nach Jahrhun­derten Kolonial­geschichte, Jahr­zehnten von Militär- und anderen Diktaturen haben heftige soziale Kämpfe und ein kurzes Inter­mezzo einer eher sozial­demokra­tisch orien­tierten Regierung zwar einige Fort­schritte erzielt, dennoch ist Brasilien weit von einem Rechts­staat entfernt, und grosse Teile der Bevölkerung leben in Armut. Insbe­sondere der Landbesitz ist extrem ungleich verteilt, und viele Menschen leben auf Land, für das sie keinen Besitz­titel haben.
Auch die Siedlungen, die für den Flughafen­ausbau geräumt werden sollen, existieren zwar schon seit über 60 Jahren, sind aber im formalen Sinn weit­gehend 'illegal'. Genau darauf setzt Fraport-Chef Schulte wohl, wenn er sagt, dass alles 'nach Recht und Gesetz' abge­wickelt würde.
Faktisch aber bedeutet es, dass Familien aus ihren ange­stammten, wenn auch elenden Wohnungen vertrieben und von ihren den Lebens­unter­halt sichernden, wenn auch prekären und ungesunden Arbeits­möglich­keiten getrennt und an die Peri­pherie abgeschoben werden sollen, wo sie im günstigsten Fall eine stabilere Wohnung, aber auch Arbeits­losigkeit und Krimi­nalität erwarten. Die Menschen­rechte auf soziale Sicher­heit und Arbeit werden dabei komplett missachtet.

Staatlichen Widerstand muss Fraport nicht ernsthaft fürchten. Seit Jahres­beginn ist ein rechts­extremer Präsident im Amt, der eine extrem konzern­freund­liche Politik betreibt und alle sozialen Errungen­schaften der letzten Jahre zurück­drehen möchte. Und die EU, die in Sonntags­reden ihren Einsatz für die Menschen­rechte feiert, hat trotz deutlicher Warnungen von Wissen­schaftler­*innen, zivil­gesell­schaft­lichen Organisa­tionen und Politikern ein Frei­handels­abkommen mit den Mercosur-Staaten, zu denen auch Brasilien zählt, ausver­handelt. Die Inhalte sind noch nicht voll­ständig bekannt, aber nach ersten Analysen von Europa­abgeord­neten der Grünen und der Linken waren die War­nungen mehr als berechtigt.
Und während der deutsche Entwicklungs­minister sich schon darüber freut, dass die neue brasil­ianische Regierung ihm überhaupt zuhört, bemüht sich Deutschland in der EU, strengere Regeln für Konzern­verant­wortung zu verhindern.

Wie schon in Griechenland, kann sich Fraport auch hier auf die Unter­stützung der deutschen und europäischen Politik verlassen. Der Antrag der 'Kritischen Aktionäre' wurde in der Fraport-Haupt­versamm­lung ebenfalls abgelehnt, so dass der Fraport-Vorstand für seinen menschen­rechts-verach­tenden Kurs auch die Rücken­deckung der Mehrheit der Aktionäre hat. Bliebe noch der Aufsichts­rat, in dem Vertreter­*innen von Gewerk­schaften und Parteien, die offiziell eben­falls die Menschen­rechte hoch­halten, eine Mehrheit haben. Bisher herrscht aber auch dort Schweigen.

Bleibt auch hier wieder nur die Aktivität der Zivil­gesellschaft, die Verän­derungen bringen könnte. Die nächste Gelegen­heit dazu besteht mit dem Aktionstag am 12. Oktober, der sich gegen die Sonder­schieds­gerichts­barkeit für Konzerne, die Regula­torische Koope­ration in den Frei­handels­abkommen und gegen die endgültige Verab­schiedung des Frei­handels­abkommens EU-Kanada, CETA, wendet.
Warum diese Frei­handels-Mecha­nismen auch für den Kampf gegen die Belastungen durch den Luftverkehr höchst relevant sind, haben wir in der Vergangen­heit schon aus­führlich begründet, u.a. in Bezug auf die Förderung des Wachstums des Luft­verkehrs oder für die Erhaltung und Ausweitung des Nacht­flug­verbots. Es gibt also viele Gründe für die BIs, diesen Aktions­tag zu unter­stützen.




Grafik UFP-Messungen

05.07.2019

Ultrafeinstaub - Fraport leugnet weiter das Offensichtliche

Fraport hat vor ein paar Tagen ohne öffent­lichen Aufwand den Luft­hygieni­schen Jahres­bericht 2018 online gestellt. Er enthält zunächst die Ergeb­nisse der vorge­schriebenen Luft­qualitäts-Messungen, aber wie schon im letzten Jahr auch noch einige Seiten zu Ultra­feinstaub.

Interessant daran ist insbe­sondere die Grafik, die Mess­ergeb­nisse der HLNUG-Sta­tionen in Raunheim und Schwanheim zusammen­fasst. Man sieht dort, dass in Raunheim die Anzahl-Konzen­tration an Partikeln der kleinsten gemessenen Größen­klasse (wie sie aus Flug­zeug-Turbinen emittiert werden) am grössten ist, wenn der Wind aus nordöst­lichen Rich­tungen weht. Grössere Partikel sind deutlich weniger vorhanden und treten bei allen Wind­richtungen auf. Die Station in Schwanheim zeigt ein ähnliches Ergebnis, aller­dings treten die hohen Konzen­trationen bei Wind aus südlichen Rich­tungen und in den untersten 2-3 Grössen­klassen auf.

Die Interpretation dieser Ergebnisse scheint auf der Hand zu liegen. Raunheim wird bei Wind aus nordöst­lichen Richtungen von landenden Flugzeugen überflogen; deren Partikel­emissionen bestehen über­wiegend aus sehr kleinen Teilchen, die an der Meßstation direkt nachge­wiesen werden. Wenn Raunheim bei anderen Wind­richtungen nicht überflogen wird, sind die Partikel­zahlen deutlich niedriger.
In Schwanheim, wo die Station etwas weiter von der nächsten Anfluglinie entfernt ist, steigen die Partikel­zahlen, wenn auf der Nordwest­bahn aus Richtung Osten gelandet wird und südliche Winde die Emissionen in Richtung der Meß­station wehen. Da die Partikel bis dorthin etwas länger unterwegs sind, 'altern' sie und klumpen teilweise zusammen, so dass auch etwas mehr grössere Partikel dort ankommen.
Im Detail ist das Ganze natürlich kompli­zierter, aber grund­sätzlich stimmen Theorie und Praxis hier recht gut überein. Das Problem ist nur, dass das nicht wahr sein darf.

Fraport versucht nämlich, das Dogma aufrecht zu erhalten, dass UFP in rele­vanten Mengen nur am Flughafen direkt emittiert werden und die Überflüge für die Immis­sionen keine Rolle spielen. Die dazu entwickelte Argumen­tation ist an Kurio­sität wohl kaum noch zu über­bieten.

Zunächst wird noch ganz korrekt fest­gestellt, was alles nicht zu diesem Dogma passt. Die Unter­schiede in den Grössen­verteilungen an den beiden Stationen sind gerade falsch herum, weil Raunheim weiter vom Flughafen entfernt ist als Schwanheim und daher dort mehr 'gealterte', grössere Partikel ankommen müssten. Das verwendete Ausbreitungs­modell kann nicht beschreiben, wie die gemessenen Partikel­anzahlen zu den Meß­stationen trans­portiert werden sollten. Die weitaus über­wiegende Anzahl der Partikel am Flughafen wird bodennah emittiert und kann sich garnicht über grössere Strecken ausbreiten.
Dann aber beginnt der Bereich wilder Speku­lationen - von einer Qualität, bei der man einem Mathe­matik-Studenten im ersten Semester empfehlen würde, sich doch lieber im Bereich der Künste zu engagieren oder sonst irgendwo, wo unge­hemmte Phantasie eine positive Rolle spielen kann. Hier ist sie fehl am Platz.
Zwar wird zunächst zuge­geben, dass das verwen­dete Aus­breitungs­modell einige für die Partikel-Aus­breitung relevante Prozesse nicht darstellen kann. Das wird aber nicht als Mangel gesehen, sondern nur als Hinweis darauf, dass man ja gar keine Überein­stimmung zwischen Modell­ergebnissen und Realität erwarten darf. Und dann fallen jegliche Hemmungen: der "subjektive Eindruck von gemein­samen Mustern in den Zeit­reihen von Messung und Modell soll quanti­tativ erhärtet werden", trotz "der nur begrenzt gültigen statis­tischen Voraus­setzungen", und wenn sich auch dabei nur eine "schlechte Korre­lation ... mit den gemes­senen Partikel­anzahlen" ergibt, so "scheint sich hier der starke Einfluss der nicht modellier­baren, flüch­tigen, sekundär gebil­deten Partikel auf die Mess­ergeb­nisse bemerkbar zu machen". In Kürze: Wir bilden uns einen Zusammen­hang ein, rechnen mit untaug­lichen Methoden nach, finden ihn trotzdem nicht und haben damit gezeigt, dass er durch andere Mecha­nismen bewirkt sein muss.
Und so geht es weiter. Auch, wenn die Korre­lationen schlecht und die Prozesse nicht model­lierbar sind, legen die Ergeb­nisse "nahe, dass ein beträcht­licher Anteil der gemessenen ultra­feinen Partikel in Raunheim und Schwanheim zwar mit dem Flug­hafen- bzw. Flug­betrieb verknüpft ist, aber nicht aus primären Triebwerks­emissionen, d.h. nicht aus Ruß besteht. Dies hätte auch Konse­quenzen für die Beur­teilung ihrer Wirkung. Während die gesund­heits­schädigende Wirkung von Ruß unbe­stritten ist, muss dies für andere, sekundär gebildete Partikel nicht oder nicht in gleichem Maß der Fall sein, insbe­sondere wenn es sich um lösliche Sekundär­produkte der gasförmigen Vorläufer Schwefel­dioxid und Stickoxide handelt." Kurz zusammen­gefasst sagt das: unser Modell taugt nichts, wir können die Meß­ergeb­nisse nicht erklären, aber wir nehmen das als Hinweis dafür, dass alles ganz harmlos ist. Sowas muss man sich erst einmal trauen.

Diese Argumen­tation ist umso erstaun­licher, als es natür­lich Modelle gibt, die die genannten (und die verschwie­genen) Mängel nicht haben und die Partikel-Aus­breitung einiger­maßen realis­tisch dar­stellen können. Aktuell wird z.B. eins am Amster­damer Flug­hafen Shipol einge­setzt, um die Belastung der Bevölke­rung im Umland und die daraus resultie­renden Gesund­heits­risiken zu bestimmen.
Und es gibt auch zahl­reiche Belege für die Rolle der Überflüge zur Erklärung der Messungen in Raunheim und Schwanheim und anderswo. Ein Forscher hat es in der 23. Konferenz der ETH Zürich zu "Nano­partikeln aus Verbren­nungs­prozessen", die gerade zu Ende gegangen ist, bescheiden und prägnant so ausge­drückt: "Our results suggest that landing aircraft can help explain peak ambient UFP exposures.", in Deutsch: Unsere Ergeb­nisse legen nahe, dass landende Flugzeuge zur Erklärung lokaler UFP-Spitzen­belastungen beitragen können. Warum also der Widerstand gegen diese Erkenntnis?

Über die Verfasser dieses Berichts kann man speku­lieren, dass es die gleichen sind, die damit auch das UBA-Projekt in den Sand gesetzt haben, aber zumindest solange an ihrem geschei­terten Modell fest­halten müssen, bis der Abschluss­bericht veröffent­licht und die Rechnung bezahlt ist. Aber warum verbreitet Fraport derartigen Unsinn nun schon zum zweiten Mal?
Grundsätz­lich handelt Fraport bezüglich der durch den Flugbetrieb verur­sachten Schad­stoffe ebenso wie beim Lärm und bei den Klima­schäden völlig verant­wortungs­los. Gemessen wird nur, was gesetz­lich erzwungen wird, alles andere wird abge­schoben. Selbst die arbeits­rechtlich eigent­lich vorge­schriebene Vorsorge für die eigenen Mitarbei­ter*innen gibt es nicht, weil das zustän­dige Minis­terium keine konkrete Auflage formuliert. Und die ebenfalls betrof­fenen Passa­giere sind ihnen sowieso völlig egal.
Aber Fraport weiss natürlich, dass in der UFP-Diskussion Gefahren­potential steckt. Schon jetzt gibt es öffent­liche Aufmerk­samkeit für das Thema, und sollten sich Forde­rungen durch­setzen, die Belastung umfassend zu analy­sieren und ggf. zu redu­zieren, könnte es teuer werden und auch sonstige negative Konse­quenzen haben. Daher braucht es eine Argumen­tation, die solche Forde­rungen als grundlos erscheinen lässt. Die muss nicht besonders ausgefeilt sein, denn sie richtet sich in erster Linie an die gegen­über Fraport bekannter­maßen extrem gut­willigen Aufsichts­behörden sowie mit dem Thema befasste Institu­tionen wie die Flug­lärm­kommis­sion. Denen aber fehlt in der Regel die notwendige Fach­kompetenz und weitgehend wohl auch der Wille, sich mit Fraport und Landes­regierung bei so einem Thema anzulegen.

Bleiben also nur die Betrof­fenen, d.h. hier in erster Linie die Bewohner des Flug­hafen­umlandes und die Beschäf­tigten am Flughafen. Bei beiden Gruppen kann man davon ausgehen, dass ein gewisses Bewusst­sein für die Gefähr­dung gerade durch Ultra­feinstaub vorhanden ist (wie diffus auch immer). Was fehlt, ist eine Perspek­tive, dagegen vorzu­gehen. Die politischen Vertre­tungen haben hier bisher auf allen Ebenen, von den Kommunen bis zum Bund, völlig versagt. Aber auch die Umwelt­verbände kommen bei diesem Thema nicht voran, obwohl es perspek­tivisch durch die hohen UFP-Emissionen auch moderner Kfz-Motoren, die trotz neuer EURO-Normen längst nicht unter Kontrolle sind, immer dringender wird. Da bleibt noch viel zu tun.

Beiträge aus der ersten Jahreshälfte finden sich hier.
Beiträge aus anderen Jahren befinden sich im Archiv.


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