Ende Mai dieses Jahres hat das 'Forum Flughafen und Region' der Öffentlichkeit einen weiterentwickelten 'Frankfurter Fluglärmindex', den 'FFI 2.0'
vorgestellt. Die Gründe dafür wurden wie folgt benannt: Er
"ersetzt den seit 2009 verwendeten Index",
"berücksichtigt ... neue wissenschaftliche Erkenntnisse aus der NORAH-Studie" und ist
"noch genauer auf die Lärmwirkungen im Umfeld des Flughafens Frankfurt zugeschnitten".
Seine Aufgabe hat sich allerdings nicht geändert: Er dient als Kennzahl dafür,
"wie sich die Lärmwirkung in der Region um den Flughafen Frankfurt entwickelt", und zwar sowohl in der Vergangenheit ('Monitoring') als auch für die Zukunft,
"um zu prognostizieren, wie sich mögliche Maßnahmen des aktiven Schallschutzes auswirken würden". Mit anderen Worten, er soll ein Universal-Instrument "für die Bewertung von Lärmwirkung und Schallschutzmaßnahmen" sein.
Um beurteilen zu können, inwieweit er diese Ansprüche erfüllen kann, muss man sich die Grundkonstruktion des Frankfurter Fluglärmindex ansehen und überprüfen, was an der Version 2.0 neu ist. Als Grundlage dafür steht in erster Linie die
Dokumentation (im Folgenden kurz 'FFR-Doku') und die zugehörigen
Webseiten zur Verfügung, die das FFR bzw. das Umwelthaus bereitstellen.
Die FFR-Doku erklärt einige Eigenschaften dieses Index sehr ausführlich, lässt allerdings auch viele wichtige Fragen offen. Als zweite wichtige Quelle wird daher eine
wissenschaftliche Studie (im Folgenden kurz 'Index-Studie') zur Bewertung der im 'Regionalen Dialogforum' im Rahmen des sog. 'Anti-Lärm-Pakts' zum Flughafenausbau entwickelten Index-Vorschläge herangezogen. Dieser sind wichtige Aussagen zur Struktur des FFI zu entnehmen sowie Kritiken, die heute noch gültig sind.
Der FFI besteht auch in der Version 2.0 aus zwei Indexwerten, die sich durch das verwendete Maß für die Wirkung des Fluglärms unterscheiden: der Tagindex FTI für den Zeitraum von 6:00 - 22:00 Uhr, der die empfundene Belästigung zugrunde legt, und der Nachtindex FNI für die gesetzliche Nacht von 22:00 - 6:00 Uhr, der Aufwachreaktionen betrachtet. Da sowohl grundlegende Definitionen als auch bestehende Problematiken recht unterschiedlich sind, konzentrieren wir uns nachfolgend zunächst auf den Tagindex FTI.
Die FFR-Doku stellt die Berechnung des FTI in vier Schritten dar:
Dieser Schritt ist einfach. Es handelt sich lediglich um eine Normierung, die die Zahlenwerte verändert, ohne Einfluss auf die inhaltliche Aussage.
Der FTI verwendet als Grösse, die die Wirkung von Fluglärm beschreiben soll, die Anzahl der 'hoch-belästigten Personen', die im betrachteten Gebiet wohnen. Diese berechnete Personenzahl wird durch eine konstante Zahl geteilt, die Zahl der Personen, die in einem der Basisgebiete des FFI 2.0, dem sog. Tagindexgebiet 2, im Jahr 2007 hochbelästigt waren. Dadurch werden alle Indexwerte auf das Jahr 2007 normiert. Welchen Zahlenwert diese Konstante hat, wird nicht verraten, aber dadurch, dass diese Zahl mit 100 Indexpunkten gleichgesetzt wird, lassen sich alle künftigen Indexwerte für dieses Gebiet als prozentualer Wert der Ausgangs-Belästigung lesen. Werte grösser Hundert bedeuten dann eine Zunahme, kleiner Hundert eine Abnahme der Belästigung.
Da aber die Indexwerte aller Gebiete durch diese Konstante normiert werden, gilt dieser einfache Zusammenhang nur für das Tagindexgebiet 2. Für alle anderen Gebiete ist diese direkte Vergleichbarkeit nicht gegeben, und für kleine Gebiete (etwa Kommunen) können die Index-Werte wohl auch recht klein werden.
Das ist das Kernstück der Indexberechnung, und hier gibt es auch die bedeutenste Neuerung der Version 2.
Schall ist eine physikalische Grösse und kann in verschiedenen physikalischen Einheiten gemessen werden. Lärm setzt bereits voraus, dass dieser Schall gehört und negativ bewertet wird. Die meisten Lärm-Meßgrößen berücksichtigen bereits physiologische Besonderheiten dieses Empfangs-Prozesses, etwa die Tatsache, dass Menschen verschiedene Tonfrequenzen unterschiedlich gut hören können (z.B. durch die A-Bewertung, die zu dB(A)-Werten führt).
Der FFI sollte von Anfang an noch einen Schritt weitergehen und nicht den gehörten Lärm bewerten, sondern die Wirkung, die dieser Lärm auf Menschen hat. Die Begründung liegt darin, dass der gleiche Lärm auf verschiedene Menschen sehr unterschiedlich wirken kann, und dieser Zusammenhang zwischen Lärm und Wirkungs-Maß den lokalen Bedingungen angepasst werden kann.
Da Lärm viele verschiedene Wirkungen auf Menschen hat, gibt es eine große Auswahl an Wirkungs-Grössen, von physiologisch messbaren (etwa die Erhöhung des Blutdrucks) bis zu rein subjektiven (etwa die empfundene Belästigung). Die Wahl dieser Grösse soll hier nicht weiter diskutiert werden. Im Regionalen Dialogforum wurde bei Einführung des FFI beschlossen, dafür den Prozentsatz derjenigen Personen zu wählen, die sich bei einem bestimmten Lärmwert hoch belästigt fühlen.
Diese Wahl ist natürlich auch politisch vorteilhaft. Überspitzt formuliert: Man kann nicht gut argumentieren, dass man irgendwo statistisch betrachtet 1,2 zusätzliche Todesfälle pro Jahr in Kauf nehmen möchte, um anderswo 7,3 solche Fälle zu vermeiden. Jemanden zu belästigen, um viele andere dafür zu entlasten, klingt dann schon eher zumutbar.
Sie hat aber auch einen möglichen Nachteil. Da die Wirkung nach oben limitiert ist (mehr als 100% Hochbelästigte geht nicht), wird ab einem gewissen Lärmpegel keine Steigerung der Wirkung mehr erreicht, obwohl andere Lärmwirkungen natürlich weiter zunehmen und insbesondere die Gesundheitsgefahren deutlich grösser werden. Spätestens ab dieser Lärmbelastung taugt die Belästigung nicht mehr als Wirkungsmaß.
Abb. 1: Vergleich verschiedener Belästigungskurven
Um den Zusammenhang zwischen Fluglärm und Belästigung, die sog. Dosis-Wirkungs-Funktion, festzulegen, wurden weltweit etliche und im Rhein-Main-Gebiet zwei Studien durchgeführt. Die erste wurde noch im Auftrag des RDF zur Einführung des FFI durchgeführt und ergab eine lineare Beziehung zwischen Lärm und Belästigung, die im FFI auch benutzt wurde. Die bedeutendste Neuerung der Version 2.0 besteht darin, dass diese 'RDF-Funktion' nun durch eine Funktion ersetzt wird, die im Rahmen der NORAH-Studie ermittelt wurde.
Die wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Funktionen bestehen darin, dass zum einen die NORAH-Funktion für das gleiche Lärmniveau einen deutlich höheren Belästigungsgrad ermittelt als die RDF-Funktion, zum anderen aber auch darin, dass die mathematische Formulierung der NORAH-Funktion Schwächen vermeidet, die bei der RDF-Funktion heftig kritisiert wurden.
Um diese Neuerung bewerten zu können, wollen wir zunächst die empirischen Grundlagen und die daraus entwickelten Modellannahmen betrachten.
Abb. 1 zeigt verschiedenste Belästigungs-Funktionen. Auf der waagrechten Achse ist der Lärm in Form des 'äquivalenten Dauerschallpegels' im Mittel über die Tagesstunden von 6 bis 22 Uhr und die '6 verkehrsreichsten Monate' dargestellt, auf der senkrechten Achse der Prozentsatz der Personen, die sich bei einem gegebenen Pegel hochbelästigt fühlen. Die dargestellten Kurven haben alle eine ähnliche Form, denn es handelt sich bei allen um sog. logistische Funktionen. Die haben die Eigenschaft, dass sie erstens auf Werte zwischen Null und Eins (bzw. 0 und 100 %) beschränkt sind und zweitens beim Anwachsen der x-Werte zunächst schnell wachsen und dann einen Wendepunkt erreichen, nach dem das Wachstum immer schwächer wird (d.h. die Kurven weniger steil werden).
Ein solches Verhalten ist für eine Wirkungs-Funktion plausibel, aber es ist keinesfalls zwangsläufig, dass die Funktion so aussehen muss. Im Gegenteil benutzen andere Indices (z.B. auch der Nachtindex) andere Funktionen, und auch in den vom DLR durchgeführten Studien zu diesem Thema werden in der Regel Polynome benutzt, die mit ähnlichen Beschränkungen konstruiert werden können. Grundsätzlich ist es eine Frage der Mathematik, welche Funktion gegebene empirische Werte am besten wiedergibt, eine Frage der jeweiligen Fachwissenschaft, wie der funktionale Zusammenhang grundsätzlich aussehen sollte, und eine Frage der Praktikabilität, welche Funktion letztendlich für Berechnungen genutzt wird.
Das oberste Diagramm (Abb. 1a) ist dem
Ergebnisbericht der NORAH-Studie entnommen. Man sieht dort die Ergebnisse der verschiedenen Befragungen in Form farbiger Symbole und die daraus abgeleiteten gleichfarbigen Funktionen. Man erkennt, dass die Ergebnisse der verschiedenen NORAH-Befragungen untereinander recht ähnlich sind, sich aber deutlich von den RDF-Ergebnissen unterscheiden. Letztere wurden vom NORAH-Team neu ausgewertet und sind dort ebenfalls durch logistische Funktionen dargestellt, die natürlich ebenfalls deutlich anders verlaufen als die NORAH-Funktionen.
Das mittlere Diagramm stammt aus der FFR-Doku. Hier wird eine Untergruppe der NORAH-Funktionen dargestellt (die im ersten Diagramm durch eine einzige Funktion repräsentiert ist). Im Text wird dazu erläutert, dass die Unterschiede zwischen diesen Funktionen minimal sind und sich deshalb durch die Wahl einer dieser Funktionen für den FTI 2.0 keine relevante Unsicherheit ergibt.
Die Rolle dieser Unterschiede soll das dritte Diagramm verdeutlichen (Abb. 1c). Die logistischen Funktionen werden alle durch Gleichungen der Form
p(HA) = exp( x + y Laeq ) / ( 1 + exp( x + y Laeq ) )
beschrieben, wobei exp() für die Exponentialfunktion e steht und x und y konstante Parameter sind.
Die verschiedenen Kurven in Abb. 1c kommen dadurch zustande, dass die Parameter x und y in unterschiedlicher Weise verändert werden.
Die blaue Kurve entspricht der FFI-Funktion. Die beiden rötlichen Kurven entstehen dadurch, dass die Parameter x und y beide um denselben Faktor vergrössert bzw. verkleinert werden. Man erkennt, dass sich die drei Kurven alle in einem Punkt (dem Wendepunkt) schneiden, aber sich in der Krümmung unterscheiden. Das gleiche Verhalten zeigen die Kurven in Abb. 1b. Die grünen und gelben Kurven entstehen, wenn man jeweils nur einen der beiden Parameter um einen bestimmten Betrag vergrössert oder verkleinert.
Um zu zeigen, wie sich solche Kurven als Dosis-Wirkungs-Funktionen unterscheiden, enthält das Diagramm noch ein einfaches Rechenbeispiel. Unter der Annahme, dass in einem bestimmten Gebiet in den auf der waagrechten Achse angegebenen 5 dB-Intervallen (42,5-47,5 dB, 47,5 - 52,5 dB usw.) jeweils gleiche Anzahlen von Personen leben, ergeben sich die auf der senkrechten Achse gezeigten Prozentwerte für den jeweiligen Anteil an Hochbelästigten. Man sieht, dass die blaue und die beiden roten Kurven sehr ähnliche Ergebnisse liefern (67, 65 und 69%), während die anderen Kurven einen etwas breiteren Bereich abdecken. Insgesamt reichen die Ergebnisse von gut 60 bis knapp 80 Prozent.
Das ist natürlich nur ein einfaches Beispiel, aber es weist darauf hin, dass die Dosis-Wirkungs-Funktionen schon deutliche Unterschiede zeigen müssen, um auch unterschiedliche Ergebnisse zu liefern.
Abb. 2: FTI-Belästigungskurve in den definierten Indexgebieten
und Vergleichswerte
Dosis-Wirkungs-Funktionen in Form einer Gleichung erwecken leicht die Illusion, sie seien über den gesamten möglichen Bereich der unabhängigen Variablen (d.h. hier der dB-Werte) gleichmäßig gültig und geeignet. Dies ist in der Regel nicht der Fall, aber die Einschränkungen werden selten klar deutlich gemacht.
Für Fluglärm-Wirkungs-Funktionen werden in der 'Index-Studie' einige Betrachtungen für niedrige Pegelwerte angestellt, eine systematische Diskussion gibt es aber auch dort nicht. Eine Vernachlässigung dieses Aspekts kann aber durchaus zu Problemen führen.
Wie Abb. 2 verdeutlicht, kommt die Dosis-Wirkungs-Funktion im FFI nur in einem begrenzten Bereich überhaupt zum Einsatz. Dargestellt ist wieder der Dauerschallpegel, allerdings nur für den Bereich 48 - 64 dB, für den Indexgebiete (dazu unten) definiert sind. Die Abschnitte der Funktion, die in den verschiedenen Gebieten zur Wirkung kommen, sind in verschiedenen Blautönen dargestellt. Die graue Gerade links zeigt die maximale Steigung der FFI-Funktion, die bei ungefähr 50 dB erreicht wird, die grüne Gerade rechts unten zum Vergleich dazu die lineare RDF-Funktion.
Ausserdem sind die in der NORAH-Studie ermittelten Belästigungswerte für diesen Bereich aus Abb. 1a als lila Sterne eingetragen.
Wie man sieht, gibt die FFI-Funktion die NORAH-Werte in diesem Bereich nicht wirklich gut wieder, was natürlich daran liegt, dass die Kurvenanpassung über den gesamten dB-Bereich vorgenommen wurde, der aber nur zur Hälfte genutzt wird. Man erkennt auch, dass die RDF-Funktion zwar dem Betrag nach deutlich daneben liegt, aber die Zunahme der Belästigung pro dB-Zunahme (das ist nichts anderes als die Steigung) mindestens genauso gut wiedergibt.
Eine Dosis-Wirkungs-Funktion, die die NORAH-Werte im für relevant gehaltenen dB-Bereich korrekt darstellt, müsste mathematisch betrachtet also anders aussehen als die RDF-Funktion, aber auch anders als die nun gewählte FFI-Funktion.
Ob man aber dem NORAH-Ergebnis, wonach die Belästigung bei hohen dB-Werten bei weiterer Lärmsteigerung nur noch wenig zunimmt (und eine relevante Anzahl Personen sich nicht belästigt fühlt, egal wie laut der Krach ist), wirklich glauben will, ist eine ganz andere Frage. Um die zu beantworten, wäre es notwendig, weitere Ergebnisse der Lärmwirkungsforschung heranzuziehen. Dafür wäre der Aufwand bei der Renovierung des FFI aber wohl zu groß geworden.
Wenn dieses NORAH-Ergebnis aber tatsächlich richtig wäre, würde es auch die Sinnhaftigkeit der Wahl der Belästigung als alleinig zu berücksichtigender Fluglärmwirkung für den Index in Frage stellen. Es würde nämlich bedeuten, dass man ab einem Dauerschallpegel von 60 dB(A), also im Hochbetroffenen-Gebiet, beliebig viel Lärm dazupacken kann, ohne den Index wesentlich zu steigern, also ohne das Maß für die Wirkung zu erhöhen. Das aber wäre etwa gleichbedeutend mit der Aussage, dass den Hochbetroffenen sowieso nicht mehr zu helfen ist und es schon egal ist, was mit denen passiert (nur zur Erinnerung: ganz Raunheim liegt in diesem Gebiet).
Diesen Schritt können wir wieder sehr kurz abhandeln. Die FFR-Doku diskutiert verschiedene mögliche Datenquellen für die Einwohnerzahlen in den jeweils betrachteten Gebieten bezüglich Aktualität, Genauigkeit und Beschaffungsaufwand, und daran ist nicht viel auszusetzen.
Interessant ist allerdings eine Festlegung für den 'Monitoring-Index', also die Anwendung des FFI, die die Entwicklung der Lärmbelästigung in der Vergangenheit darstellen soll. Dazu heisst es in der FFR-Doku: "Der Monitoringindex hat zum Ziel, die Effekte flugbetrieblicher Veränderungen (Bewegungszahl, Flottenmix, genutzte Routen etc.) über die Zeit hinweg aufzuzeigen. Um diese Aussagen nicht mit Veränderungen in den Bevölkerungsdaten zu vermischen, sollen diese daher konstant gehalten werden." Das heisst konkret, dass für alle Darstellungen der Belästigung durch Fluglärm bis zurück ins Jahr 2007 so getan wird, als wäre die Bevölkerungs-Zahl und -Verteilung immer die von 2018 gewesen.
Das klingt zunächst seltsam, ist aber eine berechtigte Fragestellung. Der Einfluss sich verändernder Bevölkerungszahlen kann in der Tat erheblich sein, wie das Beispiel Zürich zeigt, wo die dort festgelegte Lärmobergrenze immer wieder auch dadurch gerissen wurde, dass die Bevölkerung und damit auch die Zahl der Betroffenen gewachsen ist. Will man nur wissen, wie die Veränderungen des Flugbetriebs sich ausgewirkt haben, muss man mit einer konstanten Bevölkerungs-Zahl und -Verteilung rechnen.
Dann darf man allerdings nicht mehr behaupten, dass die Veränderung der Indexwerte ein Maß dafür sei, "wie sich die Lärmwirkung in der Region um den Flughafen Frankfurt entwickelt", denn wenn das Maß für diese Wirkung die Zahl der Hochbelästigten sein soll, dann muss man auch die jeweils hoch Belästigten zählen und nicht fiktive Bevölkerungszahlen zugrunde legen. Oder, wie es die Autoren der 'Index-Studie' formulieren: "Zur Berechnung der jährlichen Indices müssen die aktuellen Einwohnerzahlen benutzt werden. Die jährliche Erhebung der Einwohnerzahlen dient dazu, den Einfluss der räumlichen Veränderung der Wohnbevölkerung auf die Indices zu quantifizieren".
Dieser Empfehlung wollen die Herren der Indices nun nicht mehr folgen. Kurios ist allerdings, dass es sie offensichtlich nicht stört, dass die Bevölkerungszahlen die Indexwerte in einer ganz anderen Weise noch sehr viel stärker beeinflussen. Dazu aber mehr im nächsten Abschnitt.
Abb. 3: Die tatsächliche FFI-Dosis-Wirkungs-Funktion für das Indexgebiet 2
Dies ist der zweite Bereich, für den für den FFI 2.0 wesentliche Veränderungen eingeführt wurden. Sie betreffen neben der Abgrenzung der Gebiete, in denen die Berechnungen durchgeführt werden (die 'Indexgebiete'), auch die Art und Weise, wie der jeweils vorhandene Lärm berechnet wird.
Bei der Begründung, warum überhaupt spezielle Auswertegebiete festgelegt werden sollten, bleiben sowohl die FFR-Doku als auch sonstige Texte bemerkenswert oberflächlich. So heisst es dort u.a., dies geschehe, um "von Anfang an die unterschiedlichen Lärmbetroffenheiten in der Region zu berücksichtigen". Das ist wenig plausibel.
Geht man davon aus, dass man eine Dosis-Wirkungs-Beziehung hat, die über den gesamten Pegelbereich gültig ist, braucht es keine weitere Berücksichtigung 'unterschiedlicher Lärmbetroffenheiten'. Vielmehr ergibt sich damit automatisch, dass die Regionen, in denen nur niedrige Fluglärm-Pegel vorkommen, auch nur eine geringe Anzahl von Hochbelästigten stellen und damit nur wenig zur Gesamtwirkung beitragen. Einen Grenzwert einzuführen, unterhalb dessen die Wirkung als vernachlässigbar betrachtet wird, bedeutet, die Dosis-Wirkungs-Beziehung so zu verändern, wie es in Abb. 3 gezeigt ist.
Unterhalb des Grenzwerts (hier 50 dB) wird die Wirkung gleich Null gesetzt, d.h. die in den Gebieten ausserhalb des Indexgebiets wohnenden Hochbelästigten werden nicht berücksichtigt. Entscheidend ist dann die Frage, inwieweit die dann noch mögliche Aussage durch diese Vernachlässigung eingeschränkt wird.
Die FFR-Doku führt dazu aus: "Bei Schaffung des FFI wurden Werte von etwa 25 % durch Fluglärm Hochbelästigte als Relevanzschwelle angenommen". Weiter wird festgestellt, dass "Werte von etwa 25 % Hochbelästigten am Standort Frankfurt nun bereits bei Dauerschallpegeln um 43 dB(A) erreicht" werden, d.h. mindestens bis zu diesem Pegel müsste das Indexgebiet reichen. Durch die Setzung der Grenze für das in der Regel betrachtete Indexgebiet 2 bei 50 dB(A) fallen aber nun Gebiete mit ca. 50% Hochbelästigten bereits aus der Betrachtung heraus.
Als Grund dafür wird angegeben, dass das aus den gesetzlichen Festlegungen für die Bestimmung von Lärmschutzbereichen übernommene Berechnungsverfahren, die sog. AzB08, nur "für Gebiete innerhalb von 25 Kilometern um den Flughafen" halbwegs genaue Ergebnisse liefert, während die Lärmbelastungen deutlich darüber hinausgehen. Nun wäre es natürlich möglich, andere Verfahren als die AzB08 zur Berechnung der Lärmbelastung zu verwenden. Der Aufwand dafür wurde aber wohl als zu hoch eingeschätzt.
Schon die Autoren der 'Index-Studie' haben diese Problematik gesehen und eindeutige Empfehlungen formuliert:
"Heutige Berechnungsverfahren können aktive Schallschutzmaßnahmen nur grob und pauschal modellieren. Grundsätzlich sind größere Eingriffe in die bestehenden Berechnungsverfahren und eine erhebliche Verbesserung der Datenlage nötig, damit das angestrebte Controlling aktiver Schallschutzmaßnahmen zielführend wird"
und
"Die Gebietsabgrenzung sollte für den FTI wie beim FNI wirkungsseitig festgelegt werden. Als Abbruchkriterium
wird ein HA-Anteil vorgeschlagen, der zwischen der Ansprechschwelle (0% HA) und der abwägungsrelevanten Schwelle von 25% HA liegt. Ein pragmatischer Ansatz wäre die Festlegung des Abbruchkriteriums bei einem HA-Anteil von 12,5%, was einem 16-Stunden-Mittelungspegel von 46 dB entspricht. Praktikabel wäre auch ein HA-Anteil von 20%. Dieser Wert sollte jedoch zur Festlegung eines Abbruchkriteriums nicht überschritten werden".
Ein HA-Anteil von 50%, wie er nun gewählt wurde, wäre demnach deutlich ausserhalb des akzeptablen Bereichs. Warum diese Einschätzung nun nicht mehr gelten soll, wird nicht erklärt.
Abb. 4: Zeitliche Entwicklung des 'Frankfurter Tagindex' (1.0),
der Zahl der Flugbewegungen (im Jahr und in den '6 verkehrsreichsten Monaten') und der Personen im Indexgebiet insgesamt (oben)
und der Indexpunkte für die Kommunen Raunheim und Flörsheim
für den Zeitraum 2007 bis 2016 (unten).
Die Nicht-Berücksichtigung einer hohen Zahl von Betroffenen ist aber nur eins der Probleme, die die Festlegung von anhand von Pegelwerten definierten Indexgebieten mit sich bringt. Abb. 4 verdeutlicht noch zwei weitere.
Gezeigt ist im oberen Diagramm die zeitliche Entwicklung des 'alten' FFI und einiger Eingangsparameter von 2007 bis 2016. Nur für diesen Zeitraum sind Daten in den Indexberichten auf der Webseite des UNH veröffentlicht. Die Daten sind auf den Wert des Ausgangsjahres 2007 normiert, um die zeitlichen Veränderungen zu verdeutlichen. Man kann die Zahlen als Prozentwerte des Ausgangswertes 2007 lesen, Zahlen grösser 100 bedeuten eine Zunahme, kleiner 100 eine Abnahme gegenüber diesem Jahr.
Aus der oberen Abbildung wird unmittelbar deutlich, dass der Indexwert (Tagindex FTI, blaue Kurve) in der Tat sehr deutlich von den Schwankungen in der Bevölkerungszahl (hellblaue Kurve) abhängt, denn er folgt deren zeitlicher Entwicklung sehr eindeutig. Allerdings sind diese Schwankungen in der Personenzahl nicht durch Wanderungen im Rhein-Main-Gebiet bedingt (die gab es in dieser Form nicht), sondern dadurch, dass zur Vorbereitung auf das neue Betriebsregime auf dem 4-Bahn-System ab Oktober 2011 bereits Veränderungen durchgeführt wurden, die zu Verschiebungen der Pegelbereiche und damit der Indexgebiete und der berücksichtigten Personengruppen führt. Rechnet man den Einfluss der schwankenden Personenzahl (annähernd) heraus (blau-grüne Kurve), folgt der Indexwert im Wesentlichen der Zahl der berücksichtigten Flugbewegungen (orangefarbene Kurve).
Im unteren Diagramm ist die zeitliche Entwicklung der Indexwerte für die beiden Gemeinden Raunheim und Flörsheim gezeigt. Für Raunheim ist die Entwicklung gekennzeichnet von einem Absinken des durchschnittlichen Wertes für den Zeitraum 2007 bis 2010 von 7,3 auf 6,7 für den Zeitraum 2012 bis 2015. Das ist plausibel, denn 2011 wurde die Nordwestbahn eröffnet, wodurch ein Teil der Landeanflüge über Raunheim wegverlagert wurde.
Für Flörsheim ist der Indexwert für die gleichen Zeiträume trotz dieser Verlagerung allerdings ebenfalls gesunken, sogar noch stärker von 8,1 auf 6,6. Das kommt daher, dass Flörsheim aus drei Ortsteilen besteht, von denen einer zwar durch die Nordwestbahn stärker belastet wurde, die beiden anderen aber durch die Reduzierung der Abflüge auf der Nordwestroute sukzessive aus dem Indexgebiet herausgefallen sind. In der Summe ergibt das für Flörsheim eine Entlastung. Ob die Menschen in Weilbach und Wicker sich aber wirklich nicht mehr durch Fluglärm belästigt fühlen, wäre noch zu klären.
Sowohl die Entwicklung des Gesamtindex als auch die Entwicklung des Wertes für Flörsheim zeigen, dass der zeitliche Verlauf der Werte sehr leicht von besonderen Effekten geprägt werden kann, die nur aufgrund der willkürlichen Abgrenzung des betrachteten Gebiets zustande kommen. Das ist aber genau das, was man für einen robusten Index, der zuverlässig den tatsächlichen Trend wiedergeben soll, nicht brauchen kann.
Durch die Einführung des FFI 2.0, der durch diese Grenzziehung sogar noch höhere Anteile von Hochbelästigten ausschliesst, werden diese Effekte nur noch verstärkt.
Die Bestimmung der flugbetrieblichen Daten und die darauf aufbauende Berechnung der resultierenden Lärmemissionen werden in der FFR-Doku zu den Grundlagen gezählt, die dem Tag- und Nacht-Index gemeinsam sind. Auch hier hat es Veränderungen gegeben, die von zweifelhaftem Wert sind.
So werden zum einen die Lärmwerte der verschiedenen Flugzeugtypen, die in der AzB08 zugrunde gelegt werden, durch selbst ermittelte "Zu- oder Abschläge" verändert. Schon die Beschreibung ist schönfärberisch, denn in der beigefügten Tabelle gibt es nur einen einzigen minimalen Zuschlag (für den Typ Boeing 747-800), während alle anderen Veränderungen zum Teil sehr deutliche Abschläge enthalten. Einige davon mögen berechtigt sein, aber da gibt es z.B. auch einen Abschlag von 1,5 dB für die Airbusse der A320-Serie für den gesamten Landeanflug, wenn sie mit den sog. Wirbelgeneratoren ausgerüstet sind. Die Wirkung dieser Generatoren ist aber unstrittig auf einen Bereich in grösserem Abstand vom Flughafen beschränkt. Im Nahbereich, insbesondere im Bereich der Hochbetroffenen, haben sie keine Wirkung, aber der Abschlag wird trotzdem angerechnet.
Zum anderen wird in der FFR-Doku zwar zugestanden, dass "die geflogene Betriebsrichtung einer der zentralen Einflussfaktoren für die lokale Verteilung der Lärmbelastung" ist, aber dennoch soll "im FFI 2.0 ... kein sogenannter „3-Sigma-Zuschlag“" mehr erfolgen.
Für die Monitoring-Anwendung ist das irrelevant, denn da wurde und wird ohnehin immer mit der tatsächlich geflogenen Verteilung gerechnet. Für die Prognosen des Maßnahme-Index wurde aber bisher die Unsicherheit in der künftigen Verteilung der Betriebsrichtung dadurch berücksichtigt, dass jede Richtung um die statistische Größe '3-Sigma' (grob gesagt, ein Maß für die Unsicherheit des Mittelwertes der BR-Anteile) höher gewichtet wurde, so wie es der gesetzlichen Regelung für die Berechnung der Lärmschutzzonen entspricht.
Tatsächlich ist diese '3-Sigma-Regelung' in der AzB08 auch nur ein unzureichender Ersatz für die früher geltende '100/100-Regelung', wonach die Zonen so berechnet wurden, als würde jede Betriebsrichtung zu 100% geflogen. Hintergrund dafür war die (realistische) Annahme, dass eine lange Phase hoher Belastung durch eine Betriebsrichtung nicht durch Phasen geringerer Belastung bei der anderen Betriebsrichtung kompensiert werden kann.
Für die Belästigung durch eine lärmverschiebende Maßnahme könnte man mit guten Gründen genauso argumentieren. Auch hier wird die empfundene Belästigung nicht durch einen abstrakten Mittelwert, sondern viel mehr durch die Phasen höchster Belastung bestimmt. Die 100/100-Regelung hier nicht anzuwenden und auch noch den kruden Ersatz '3-Sigma' wegfallen zu lassen, ist nicht zu rechtfertigen.
Die Begründung dafür ist auch noch völlig absurd. Wörtlich heisst es: "Aufgrund der Zuschläge ist oftmals nicht mehr eindeutig zu unterscheiden, ob Veränderungen der Indexwerte durch den Sigma-Zuschlag selbst oder durch andere Faktoren verursacht wurden". Ein Mathematiker, der bei Anwendung eines überschaubaren Berechnungsverfahrens nicht mehr in der Lage ist, den Einfluss eines bestimmten Parameters abzuschätzen, sollte ernsthaft darüber nachdenken, den Beruf zu wechseln.
Eine andere Veränderung, die schon lange überfällig ist, wurde dagegen auch jetzt nicht vorgenommen. Wie bereits im Abschnitt über die Auswertegebiete zitiert, wurde in der Index-Studie schon vor 10 Jahren gefordert, die Verfahren zur Berechnung des Lärms deutlich zu verbessern. Bereits damals wurde darauf hingewiesen, dass bei den damaligen (und bis heute angewendeten) Verfahren die Unsicherheiten der Berechnung oft grösser sind als die Unterschiede, die sich durch verschiedene Varianten einer zu bewertenden Maßnahme ergeben. Mit anderen Worten: ob und wie sich zwei Maßnahme-Varianten, die geringfügig unterschiedliche Indexwerte ergeben, tatsächlich unterscheiden, kann häufig nicht mit Sicherheit gesagt werden.
Und was für den Maßnahme-Index gilt, gilt natürlich auch für den Monitoring-Index. Hier gibt es noch ein weiteres grundsätzliches Problem. Wie die FFR-Doku noch einmal ausdrücklich betont, ist die Basis für die Berechnung der Lärmwerte nicht der reale Flugbetrieb, sondern ein sog. Datenerfassungssystem DES, dass jeden durchgeführten Flug auf der Basis einiger festgelegter Standard-Parameter beschreibt. Vereinfacht gesagt: das DES beschreibt, wie der Flug hätte ablaufen sollen. Ob er wirklich so abgelaufen ist und die erwarteten Lärmwirkungen hatte, bleibt offen. Welche Daten im dann sog. 'Real-DES' aktualisiert werden, ist nicht dokumentiert.
Eine Umstellung der Grundlagen der Lärmberechnung auf die Basis realer Flugdaten, die die Lärmquellen zeitlich und räumlich exakter beschreiben, sowie eine deutlich bessere Erfassung der Lärmemissionen in grösserem Abstand vom Flughafen (wofür die AzB08 nicht ausgelegt ist), wären die dringlichsten Reformen, um dem Index mehr Aussagekraft zu geben. Sie sind aber offenkundig nicht geplant.
Der FFI 2.0 ist gegenüber dem FFI nicht wirklich neu. Es gibt einige Veränderungen, und manche gehen auch in die richtige Richtung, z.B. die neue Dosis-Wirkungs-Funktion auf Basis der NORAH-Daten. Die Neuerungen wurden jedoch nicht konsequent bis zum Ende durchgeführt, und dabei neu aufgetretene Probleme, z.B. bei der Gebietsabgrenzung, nicht gelöst. Andere, viel wichtigere Verbesserungen, die schon vor mehr als 10 Jahren angemahnt wurden, werden weiter schlicht ignoriert.
Dringend nötig wäre auch eine solidere Beschreibung dessen, was der Index aussagen kann und was nicht. Derzeit ist er mit Erwartungen überfrachtet, die er nicht erfüllen kann, und er wird zur Begründung von Aussagen und Entscheidungen herangezogen, für die er keine Basis liefert.
Solange sich das nicht ändert, kann der Index keine positive Rolle in der Diskussion der Fluglärmbelastung im Rhein-Main-Gebiet spielen.
Diskussionspapier, Stand: 09.09.2019