Für eine deftige Schlagzeile vergisst die BILD-Zeitung schon mal, für wen sie normalerweise schreibt. Im Stil aber bleibt sie sich treu: wenn schon nicht völlig frei erfunden, dann zumindest maßlos übertrieben. Wie die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen in ihrem
Untersuchungsbericht feststellt,
war der kleinere Flieger noch ca. 30 Meter von der theoretischen Grenze des Wirbelschleppenbereichs des Airbus entfernt. Nun ist das aber ein berechneter Sicherheitsbereich, und niemand weiß genau, wo und wie stark die Wirbelschleppen aktuell tatsächlich sind - nur eben ausserhalb des Bereichs mit ziemlicher Sicherheit nicht. Auch kann es zwar für die Insassen eines kleinen Flugzeugs ziemlich unangenehm werden, in die Wirbelschleppe eines großen zu geraten - zum Absturz kommt es aber dabei erst, wenn noch weitere unglückliche Umstände dazu kommen und/oder der Pilot Fehler macht.
Aber auch wenn es diesmal nicht so dramatisch war und gut gegangen ist: der Bericht weist auf "systemische Fehler" hin, die ohne grundlegende Änderung des An- und Abflug-Systems (mit entsprechender Reduzierung der Kapazität) nicht vollständig beseitigt werden können (zur grundsätzlichen Problematik der Südumfliegung, die für diese spezifische Gefahren-Konstellation verantwortlich ist, ein immer noch aktueller Kommentar aus dem Jahr 2013).
Tatsächlich sind in der Folgezeit trotz aller Bemühungen der DFS, solche Pannen zu vermeiden, ähnliche Situationen bekannt geworden.
So sieht es aus, wenn es auf FRA eng wird ...
Während der durchstartende A343 abdreht, startet die B777 (oben) ...
... aber der vorher gestartete A321 wurde auf eine Notabflugroute über Raunheim gelenkt (unten).
Im August 2013 berichtet wiederum die BILD-Zeitung über eine "gefährliche Annäherung" zweier Flugzeuge, allerdings mit Fragezeichen. Am Mittwoch, den 07.08., gegen 8:45 Uhr, startet ein Airbus A380 der Singapur Airlines auf der Centerbahn Richtung Westen. Gleichzeitig startet eine Boeing 747 der Lufthansa, die auf der Südbahn landen sollte, durch und fliegt eine Zeitlang parallel, aber höher, zu dem Airbus. Der nimmt glücklicherweise nicht die Südumfliegung, die eigentlich standardmäßig für diesen Flugzeugtyp vorgesehen ist, sondern dreht nach Norden auf die alte Abflugroute ab. Ein echter Kollisionskurs wird daher vermieden - angeblich ohne das Eingreifen der Fluglotsen. Trotzdem scheint der Abstand zwischen den beiden nach den verfügbaren Daten zeitweise geringer, als die Regeln vorsehen - die DFS bestreitet das allerdings vehement, und auch die BFU sieht diesmal keinen Anlass für eine Untersuchung.
Im April 2014 macht eine Pressemitteilung des BBI einen ähnlichen Fall öffentlich, die DFS widerspricht in der lokalen Presse (siehe z.B.
hier und
hier), und auch die BFU möchte nicht untersuchen. Aber auch hier bleiben wieder Fragen offen. Die
Flugrouten der beiden Flugzeuge (ein startender A380 der Lufthansa und eine durchstartende russische B747) liegen zunächst über dem Waldsee eng beieinander, die
Flughöhen an dieser Stelle sind allerdings unterschiedlich. Der zeitliche Abstand, in dem sie diesen Punkt passierten, lag nach
Lärmmessungen der Station Raunheim Nord nur bei rund 35 Sekunden.
Aufgrund von Anzeigen hat das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung dann doch noch eine Untersuchung eingeleitet, als deren Ergebnis aber zunächst nur verkündet wurde, dass keine "gefährliche Annäherung" stattgefunden hat. Ob aber auch die gültigen Regeln für den abhängigen Betrieb zwischen Center- und Südbahn nicht verletzt wurden, sagt die Meldung nicht, und Einblick in die Akten möchte das BAF auch nicht gewähren.
Der nächste Fall dann Anfang Juli: am 03.07.14 kurz nach 14:00 Uhr bricht ein A343 der Lufthansa die geplante Landung auf der Südbahn ab. Auf der Centerbahn startet kurz vorher ein A321 und nimmt eine Notabflugroute direkt über Raunheim. Unmittelbar nach ihm, noch während der A343 über der Südbahn nach Süden abdreht, startet auf der Centerbahn eine B777 und nimmt die Nordwestabflugroute. Auch hier wieder offene Fragen: warum nimmt der A321 eine Route über Raunheim, obwohl die Nordwestabflugroute frei war? Wieso durfte die B777 starten, obwohl parallel das Durchstartmanöver auf der Südbahn lief?
Auch 2015 hat die DFS das Problem nicht im Griff. Wie der Aviation Herald berichtet, musste am 21. Mai eine aus Moskau kommende B747-400 Frachtmaschine auf der Südbahn durchstarten. Der Fluglotse wies die gleichzeitig auf der Centerbahn startende B767-300 Passagiermaschine nach Kanada an, den Start abzubrechen, was der Pilot trotz fast erreichter Startgeschwindigkeit auch tat. Die Konsequenzen waren heftig: da die Bremsen eines Flugzeugs nicht dafür ausgelegt sind, eine vollbeladene Maschine bei annähernder Startgeschwindigkeit schnell zum Stehen zu bringen, musste die Flughafen-Feuerwehr in einem Notfalleinsatz die heiss gewordenen Bremsen kühlen. Anschliessend musste die Maschine zur Reparatur, um Reifen und Bremsen auszutauschen und das Fahrwerk zu überprüfen. Die Passagiere wurden erst am folgenden Tag mit einer anderen Maschine ans Ziel gebracht. Auch wenn es hier nicht zu einer "gefährlichen Annäherung" kommen konnte, weil die 767 gar nicht erst abgehoben hat, ist das Problem doch das gleiche wie in den früheren Fällen.
Auch wenn in keinem dieser Fälle akute Kollisions- oder Absturzgefahr drohte, zeigen sie, dass die gewählten Flugverfahren nicht, wie gefordert, "systemisch sicher" sind. Aktuell denkt die DFS darüber nach, durch einen Tausch der Start- und Landebahn bei Betriebsrichtung 25 (dann also Landungen auf der Centerbahn, Starts auf der Südbahn) für etwas mehr Sicherheit zu sorgen. Damit wird aber das Grundproblem nicht gelöst, das darin liegt, dass viel zu viele Flugbewegungen auf einem dafür nicht geeigneten Bahnsystem abgewickelt werden sollen. Es ist allerdings zu befürchten, dass sich diese Erkenntnis nur sehr langsam durchsetzen wird. Wir werden also mit einem erhöhten "Restrisiko" leben, dass es doch einmal zur Katastrophe kommt.
Dann bleibt ja auch noch die Tatsache, dass bei aller Sicherheit des Luftverkehrs insgesamt eben doch immer mal wieder Flugzeuge vom Himmel fallen - aus unterschiedlichsten, nicht vorhersagbaren Gründen, aber immer noch bevorzugt bei Starts oder Landungen. Es liegt zwar schon über sechzig Jahre zurück, aber auch in Raunheim gab es schon drei Tote bei einem Absturz. Insgesamt kam es am Frankfurter Flughafen nach den Archiven des Bureau of Aircraft Accidents Archives zu 12 Abstürzen von Verkehrsmaschinen (der letzte 1967), davon 9 bei Landungen. Und je häufiger die Maschinen über die Köpfe fliegen, je häufiger man von übermüdeten Piloten, schlampiger Wartung und unvorhergesehenen Problemen bei neuen Flugzeugtypen liest, desto unangenehmer wird das Gefühl.
Und manchmal bleibt es nicht beim Hörensagen - als am Freitag, den 21.06.2013, gegen 12:45 Uhr ein Flugzeug mit lautem Geknatter und brennendem Triebwerk von Süden auf Raunheim zuflog und über dem Stadtgebiet Richtung Flughafen abdrehte, da wurde es vielen BeobachterInnen Angst und Bange. Auch diesmal ging alles gut. Die Maschine, die kurz vorher auf der Startbahn West gestartet war und ein Triebwerksproblem bekommen hatte, landete sicher auf der Südbahn. Trotzdem macht dieser Vorfall eine an sich lange bekannte Tatsache nochmal sehr deutlich: wer so kurz vor der Landebahn liegt, der wird überflogen, wenn eine Maschine herunter muss - egal, wie beschädigt sie sein mag. Ehe man entscheidet, einen Flieger ins Feld fallen zu lassen und die Insassen zu opfern, wird man versuchen, ihn doch noch heil herunter zu bringen - auch wenn man dabei einen Absturz über bewohntem Gebiet riskiert. Das ist, bei allem Verständnis, kein angenehmer Gedanke für diejenigen, die das fragliche Gebiet bewohnen.
Um aber unnötigen Ängsten vorzubeugen, hat Fraport in der Planfeststellung die Wahrscheinlichkeit berechnen lassen, dass im Umkreis des Flughafens mal ein Flugzeug abstürzt, und ist zu dem beruhigenden Ergebnis gekommen, dass das nur einmal in 17,4 Millionen Jahren passiert. Bei den Abflügen sind es sogar knapp 24 Millionen Jahre, hingegen muss man bei den Anflügen schon in den nächsten 13,7 Millionen Jahren mit einem Absturz rechnen. Wer also unter den Anfluglinien wohnt, sollte etwas besser aufpassen.
Dies umso mehr, als zwar die offizielle militärische Nutzung des Frankfurter Flughafens Ende 2005 beendet wurde, die besonders langen Landebahnen aber weiterhin bei militärischen Notfällen gerne genutzt werden. Dies wurde zuletzt am 6.11.2014 deutlich, als ein US-Militärtransporter vom Typ Globemaster C-17, der eigentlich zur US-Base nach Ramstein wollte, mitten in der Nacht nach Frankfurt umgeleitet wurde, weil es Probleme mit den Landeklappen gab und offenbar befürchtet wurde, dass die Landung in Ramstein problematisch werden könnte (die Bahnen dort sind 3,2 bzw. 2,8 km lang, die Südbahn in Frankfurt dagegen 4 km, was durchaus einen Unterschied machen kann, wenn das Bremsen schwer fällt). Passiert ist offenbar nichts. Was hätte passieren können, weiss man nicht - wie üblich wird nicht bekannt gegeben, was dieser Transporter geladen hatte.
Spektakulärere Fälle von militärischen Notlandungen liegen schon etwas länger zurück. Vor 35 Jahren, 1979, liess sich bei der Landung eines Militärtransporters vom Typ C5A Galaxy (der größte, über den die US Air Force verfügt) das Bugrad nicht ausfahren. Für die Landung mußte daher ein Schaumteppich ausgelegt werden, was offenbar genügte, um grössere Schäden zu verhindern. Da die Rhein-Main Air Base damals noch in vollem Betrieb war, fiel der Fall ausserhalb des Flughafens kaum auf.
Das war ganz anders vor 20 Jahren, als im Juni 1994 ein Rockwell B1-Bomber zur Notlandung nach Frankfurt umdirigiert wurde. Die Maschine war auf dem Weg zu einer Flugschau in England, als die Piloten feststellten, dass sich die Schwenkflügel (ein Charakteristikum dieses Flugzeugtyps) nicht mehr für den Langsamflug ausfahren liessen. Für eine Landung im High-Speed-Modus wurde daher die längste überhaupt existierende Bahn ausgesucht - die Frankfurter Südbahn. Der Hochgeschwindigkeitsanflug dieser mittelschweren Maschine fiel schon in grosser Entfernung als extrem laut auf - aber selbst lärm-gewohnte Raunheimer haben den Endanflug noch als donnerndes Inferno in Erinnerung. Der Krach war so extrem, dass die Air Force in den Wochen danach eine Reihe von Versammlungen in den betroffenen Städten besuchte, um den Vorfall zu erklären - oder zumindest, um guten Willen zu zeigen, ohne wirklich etwas zu sagen. Die meisten Informationen zu dem Vorfall wurden erst später bekannt, wie z.B. die Tatsache, dass bei der Landung die Reifen völlig abradiert wurden und die glühenden Felgen Hydrauliköl in Brand setzten. Aber immerhin konnte die Maschine noch auf der Bahn zum Stillstand gebracht und der Brand schnell gelöscht werden. Die Besatzung wurde später für kostenbewusstes Verhalten geehrt - dieser Landemodus wurde offenbar vom Oberkommando als so riskant eingeschätzt, dass es schon die Freigabe erteilt hatte, mit dem Fallschirm auszusteigen und die Maschine ins Meer fallen zu lassen.
Die Unruhe unter der Bevölkerung war damals nicht nur wegen des extremen Lärms groß, sondern auch, weil bekannt war, dass die B1 als Atomwaffenträger tauglich ist - und die Air Force sich wie üblich weigerte, irgendwelche Details über Auftrag und Ausstattung der Maschine bekannt zu geben, obwohl die geplante Flugschau-Teilnahme sicher ein gutes Argument dafür war, glaubhaft zu machen, dass keine Atomwaffe an Bord war.
Obwohl alle diese Fälle ohne grössere Schäden abgingen, machen sie doch deutlich, dass die Anwohner des Rhein-Main Flughafens einem besonderen Risiko ausgesetzt sind. Alle kritischen Fälle, bei denen eine längere Landebahn von Vorteil sein kann, werden auch künftig hierher dirigiert werden - und ob irgend eine Ladung oder Bewaffnung dafür als zu hohes Risiko angesehen würde, ist keineswegs sicher.
Es brauchte immerhin mehrere Dutzend Todesopfer, um eine andere Form der Bedrohung durch militärische Aktivitäten endlich abzuwehren. Als beim Flugtagunglück von Frankfurt am Pfingstsonntag, den 22. Mai 1983, ein kanadischer Düsenjäger vom Typ F-104 Starfighter bei einer Flugvorführung abstürzte und Trümmer sechs Mitglieder einer Pfarrersfamilie töteten, erklärten der damalige Verteidigungsminister Wörner und sein Staatssekretär Würzbach (beide CDU) noch eiskalt, dass solche Veranstaltungen sicherheitspolitisch notwendig seien und nicht verboten werden könnten. Erst nach der Katastrophe bei einer Flugschau auf der Ramstein Air Base am 28. August 1988, als drei Flugzeuge einer italienischen Kunstflugstaffel vom Typ Aermacchi MB-339 kollidierten und abstürzten und eines davon in die Zuschauer raste, wobei insgesamt 71 Menschen starben und Tausende verletzt wurden, wurde in Deutschland ein Verbot militärischer Kunstflugschauen verhängt. Die Militärs bestanden allerdings weiterhin auf der Notwendigkeit solcher "Übungen" und haben inzwischen auch dieses Verbot schon wieder weitgehend verwässert, auch wenn Zivilflughäfen immer noch davon verschont bleiben. Die Hinterbliebenen kämpfen allerdings auch noch 30 Jahre später mit den Folgen.
Wie die zitierten Dokumentationen mehr als deutlich belegen, war und ist für das Militär (in allen beteiligten NATO-Staaten) Geheimhaltung oberstes Prinzip, und zivile Stellen haben praktisch keinen Einfluss auf die "Bearbeitung" solcher Störfälle, weder was die konkreten Rettungsmaßnahmen noch was die anschließende Ursachen-Klärung angeht. Auch deshalb ist die Tatsache, dass eine militärische Nutzung von FRA nach wie vor nicht völlig ausgeschlossen ist, Grund zur Sorge.
Ca. fünf mal ein Meter gross und 50 kg schwer
- aber zum Glück "nur" im Wald gelandet.
Und letztendlich - es muss ja nicht gleich ein ganzes Flugzeug herunter fallen, auch Teile davon können Schaden anrichten. Bei älteren Maschinen gab es das Problem des "Blue Ice": Eisbrocken, die vermutlich aus den Toiletten stammten und im Landeanflug aus niedriger Höhe noch heil unten ankamen. Auch in jüngerer Zeit wurden noch Eisbrocken oder Metallteile gefunden, die da, wo sie waren, eigentlich nur von oben hingekommen sein können. In Raunheim, Flörsheim und Bischofsheim sind aus der Vergangenheit Fälle bekannt, in denen Eisbomben vom Himmel Dächer beschädigt hatten.
Spektakuläre Fälle in jüngster Zeit in Rhein-Main waren ein Eisbrocken, der in Niederjosbach gefunden wurde (der nach Fraport-Angaben nicht von einem Flugzeug stammte, das in FRA an- oder abgeflogen war, wofür sie aber trotzdem die Sachschäden bezahlten), und eine Landeklappe, deren Fall am 8.10.2014 beobachtet wurde, die aber erst am 14.10. im Frankfurter Stadtwald gefunden wurde. Letzteres kam auch fünf Jahre vorher schon mal vor, und vermutlich handelte es sich dabei um den gleichen Flugzeugtyp und die gleiche Airline (B747-400F der Korean Air).
Die gefundene Landeklappe konnte von der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen untersucht werden, sie stellte fest, dass der Bruch "in einem korrosiven Bereich" erfolgte (BFU-Bulletin, S. 18). Das Flugzeug war 12 Jahre alt. Im abschliessenden
Untersuchungsbericht, der erst im März 2018 erschienen ist, wird nur lakonisch festgestellt: "In der Geschichte des Flugzeugmusters kam es immer mal wieder zu Beschädigungen
bzw. Verlusten von Landeklappen oder Teilen davon". Als Konsequenz gibt es lediglich zwei knappe 'Sicherheitsempfehlungen', wonach die Betreiber die Klappen dieses Typs untersuchen und ggf. austauschen sollten, und der Hersteller die Korrosionsbeständigkeit der betroffenen Teile verbessern sollte.
Im Juni 2018 fand ein Bürger in Mainz-Hechtsheim
ein Kunststoffteil in seinem Garten, das offensichtlich auch von einem Flugzeug stammte. Da der Verlust eines solchen Teils für den Flugbetrieb als nicht sicherheits-relevant eingestuft wurde, hat die BfU den Fall nicht untersucht - für die Sicherheit der Bevölkerung am Boden ist sie nicht zuständig.
Am 30.07.2018 hat die Bundesregierung eine
Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen, die aus diesem Anlass gestellt wurde, veröffentlicht. Darin finden sich auch statistische Daten. Danach wurden in Deutschland von 2008 bis heute 57 solcher Fälle im zivilen und 351 im militärischen Bereich registriert - wobei keineswegs sicher ist, dass alle Vorfälle erfasst werden. Bisher ist nicht bekannt, dass Mensch oder Tier mal von so einem Teil getroffen wurden - was aber nicht heißt, dass es immer so bleibt.
Auch hier hat Fraport aber noch ein beruhigendes Gutachten zur Hand. Die "Aufenthaltsdauer, um von den Folgen eines Flugzeugunfalls betroffen zu sein", liegt bei "ununterbrochenem Aufenthalt" in der Umgebung des Flughafens zwischen 100.000 und 10 Millionen Jahren - und wer bleibt da schon so lange?
Zwei Einwände gibt es hier allerdings. Zum Einen betrachtet die Studie nur den kleineren Teil der Risiken, die oben geschildert wurden. Militärische Risiken bleiben völlig aussen vor, und kritische Flugverfahren wie die Südumfliegung wurden nicht speziell untersucht. Und zum Anderen ist zum Beispiel für das Raunheimer Stadtgebiet das Risiko, dass man hier durch einen Flugzeugunfall umkommt, etwas höher als das nach einem anderen, ähnlich aufgebauten Gutachten berechnete Risiko, dass hier durch Wirbelschleppen ein Dach beschädigt wird. Aber dazu mehr im nächsten Abschnitt.
Wirbelschleppen sind ein in der Luftfahrt lange bekanntes Phänomen, und die Sicherheitsabstände, die im Flugbetrieb
eingehalten werden müssen, werden wesentlich durch sie bestimmt (s. oben unter "Absturzgefahren"). Daran wird auch intenstivst
geforscht: vor dem Ausbau haben DLR, DFS und andere umfangreich gemessen und modelliert, um die ICAO-Vorgaben für die Staffelung bei An- und Abflug zumindest bei bestimmten Wetterverhältnissen umgehen zu können und Starts und Landungen auf dem alten Parallelbahnsystem dichter zu packen. Mehrere Forschungsprojekte wurden erfolgreich abgeschlossen, aber für eine Einführung neuer Verfahren hat es (bisher?) nicht gereicht. Immerhin hat die DLR ein
Verfahren patentieren lassen, das den Abbau von Wirbelschleppen beschleunigen soll - leider nur im Bereich unmittelbar vor dem Aufsetzpunkt landender Flugzeuge.
Allgemein verständliche Literatur dazu ist rar, aber kürzlich hat die DLR zumindest einen
Übersichtsartikel veröffentlicht.
Kurioser Weise wird aber häufig noch übersehen oder sogar geleugnet, dass Wirbelschleppen auch am Boden Schaden anrichten können. Flughäfen möchten dieses Thema weltweit gerne totschweigen, oder, wie eine britische Berater-Firma nett formuliert: "Die Sensitivität des Themas macht den Zugang zu Daten über Wirbelschleppen-Vorfälle an anderen Flughäfen schwierig." ("The sensitivity of the issue makes access to data on vortex damage incidence at other airports difficult." Halcrow Group Limited, London City Airport Wake Turbulence Study, Final Report, December 2010).
In Raunheim ist der Effekt schon lange bekannt (s. Karte). Seit Eröffnung der Nordwestbahn im Oktober 2011 ist auch Flörsheim stärker betroffen, mit einer besonderen Häufung der Schäden während der langen (Nord-)Ostwind-Wetterlage von Februar bis April 2013 (s. Karte). Dabei gab es auch neue Phänomene: zum Einen mussten Zeugen erleben, dass auch Boote auf dem Main durch Wirbelschleppen gefährdet werden können. Bei Ostwind ist daher ab sofort das Mainstück unter der Anflugroute auf die Nordwestbahn für Ruderer und Paddler tabu, wenn sie nicht riskieren wollen, zu kentern. Zum Anderen wurde ausser Ziegel auch andere Dacheinbauten beschädigt, u.a. ein Solarmodul und ein Dachfenster.
Aber die Aufsichtsbehörden versuchen in aller Regel, das Thema herunter zu spielen. Dabei hatten selbst Gutachten für das Hessische Wirtschaftsministerium vor dem Bau der Nordwestbahn die Funktionsweise und die Folgen solcher Wirbelschleppen mit aller Klarheit beschrieben (s. Auszug hier), ohne dass das allerdings im Ministerium oder anderswo irgendwelche Konsequenzen gehabt hätte. Im Gegenteil: noch nach der Schadensserie in Flörsheim liess das Ministerium verlauten, man bezweifele den Zusammenhang zwischen Wirbelschleppen und Dachschäden.
Auch Fraport hatte im Planfeststellungsverfahren gutachterlich feststellen lassen, dass Wirbelschleppen-Schäden im Raunheimer Stadtgebiet nicht auftreten können, und der Verwaltungsgerichtshof in Kassel hat 17 Seiten lang begründet, warum er dieser Einschätzung folgt, obwohl gegenteilige Fakten vorgelegt wurden. Den Gipfel der juristischen Auslegungsakrobatik zeigt die Grafik rechts.
Die oben zitierte englische "London City Airport Wake Turbulence Study" kommt übrigens noch 2010 nach Begutachtung der vorliegenden Forschungsergebnisse zu der Schlussfolgerung, dass das Absinken und die Abschwächung von Wirbelschleppen nicht hinreichend genau vorhergesagt werden können, so dass Risikobetrachtungen nicht auf Modellrechnungen, sondern auf vorliegende Statistiken über Schadensfälle gestützt werden müssen. Deutsche Gutachter und Gerichte haben solche Skrupel offensichtlich nicht.
Immerhin war dem Bundesverwaltungsgericht dieser schreiende Widerspruch zwischen Theorie und Praxis peinlich genug, um die Revisionsklage nicht einfach abzuweisen, sondern sie dadurch aus der Welt zu schaffen, dass Fraport verpflichtet wurde, die Dächer im Besitz der Klägerin durch Klammern zu sichern, und damit die Klage für erledigt zu erklären. Von städtischen Gebäuden (acht an der Zahl) flogen danach keine Ziegel mehr.
Eine laut Gutachter "deutliche geschwächte" Wirbelschleppe schleudert Ziegel auf den Gehweg
Im restlichen Stadtgebiet wurden aber weiterhin Ziegel angehoben oder herausgerissen, und landeten da, wo sich sonst Menschen und Tiere aufhalten - was bisher zum Glück noch nie gleichzeitig der Fall war.
Nach der Schadensserie in Flörsheim (und vor den Landtagswahlen im Herbst 2013) wurde der politische Druck aber so groß, dass sich das Ministerium zum Handeln gezwungen sah und einen Planergänzungsbeschluss nebst
Anlage erließ, der zwar immer noch verbal den Zusammenhang zwischen Dachschäden und Wirbelschleppen in Frage stellte, aber aus Vorsorgegründen nun doch Fraport verpflichtete, Dächer zu sichern. Form und Inhalt dieses Beschlusses dokumentierten jedoch nur einmal mehr die völlige Unfähigkeit des Ministers, mit dem Problem adäquat umzugehen (Details dazu s. hier und hier).
Daran hat sich auch nach dem Wechsel von FDP-Mann Rentsch zum Grünen Al-Wazir nichts geändert. Zwar sah sich letzterer im Frühjahr 2014 nach neuerlichen Vorfällen in Raunheim genötigt, Rentschs Planergänzung nochmals zu ergänzen
(Planergänzungsbeschluss II nebst
Anlage II) und dabei das "Vorsorgegebiet" auf ganz Raunheim auszudehnen und die absurde "Stichtagsregelung" aufzuheben, aber die grundlegenden Mängel hat das nicht beseitigt. Insbesondere ist nach wie vor völlig unklar, wie gefährdete Dacheinbauten und andere Bereiche, die von Wirbelschleppen getroffen werden können (Balkone, Terrassen, Gärten usw.) geschützt werden sollten.
Offiziell ist das Sicherungsprogramm Ende Juni 2013 angelaufen. Die rechtlichen Grundlagen können auf der
Website des Ministeriums nachgelesen werden, Details der Durchführung enthält eine
Informationsbroschüre der Fraport AG. Eine spezielle
Info-Seite liefert Informationen über die Antragstellung.
Im Anspruchsgebiet der ersten Planergänzung lagen ca. 3.000 Dächer, und dafür lagen nach Fraport-Aussagen in der Presse nach einem Jahr 862 Anträge vor, von denen ca. 2/3 formal bearbeitet werden konnten. In der Summe heißt das, dass in diesem Gebiet (irgendwann einmal) ca. 20% der Dächer gesichert sein könnten.
Mit der zweiten Planergänzung kamen schätzungsweise noch einmal so viele Dächer dazu, und man kann vermuten, dass das Interesse an einer Sicherung hier auch nicht grösser war. Nach dem schweren Wirbelschleppen-Schaden in Raunheim am 15.09.14 berichtete die Hessenschau, vermutlich auf Basis von Fraport-Angaben, das von 6.000 anspruchsberechtigten Gebäuden für 1.177 Anträge gestellt wurden (d.h. für knapp 20%), wovon 721 (12%) erledigt seien. Achteinhalb Monate später lauten diese Zahlen nach einem Bericht der Main-Spitze: 1.941 Anträge (ca. 30%) eingegangen, 824 Dächer (ca. 14%) gesichert.
Am 10. August 2015 freute sich Fraport in einer Pressemitteilung, dass " an über 1.000 Gebäuden in den definierten Gebieten die Dacheindeckungen zur Prävention von Wirbelschleppenschäden gesichert" wurden. Exakt wurden bis zum 7. August "die Dachsicherungsmaßnahme ... bei bislang 1.026 Objekten vollständig abgeschlossen; bei weiteren 651 Objekten wurden bereits alle Vorarbeiten abgeschlossen und die Dachsicherungs-maßnahme als nächster Schritt anvisiert oder bereits begonnen. Bei weiteren 222 Objekten laufen derzeit die Vorarbeiten, wie z.B. eine Terminabstimmung mit dem Eigentümer zur Besichtigung des Daches vor Ort." In zwei Jahren und drei Monaten, wurden also rund 17% der nach Meinung des Ministeriums gefährdeten Dächer gesichert, bei weiteren knapp 15% ist die Sicherung mehr oder weniger fest geplant. Insgesamt sind also nicht einmal ein Drittel der Dächer (32%) von dem Programm erfaßt. Bei gleichbleibendem Tempo wäre das Programm etwa 2030 beendet.
Ob man angesichts dieser Zahlen noch "von einer schnellen und deutlichen Verringerung des Gefahrenpotenzials" ausgehen kann, wie das der Hessische Verwaltungsgerichtshof in der
Ablehnung eines Eilantrags der Stadt Flörsheim im Juli 2013 getan hat, darf bezweifelt werden. Der VGH hat in seinem Urteil zur Klage der Stadt Flörsheim im April 2015 aber selbst diese bescheidene Forderung fallen lassen, so dass man nun wieder auf das Bundesverwaltungsgericht warten muss.
Im Herbst 2013 startete Fraport eine kleine Image-Offensive zum Thema. In einer Pressemitteilung wurde dem staunenden Publikum mitgeteilt, dass ein im April 2013 bei der DLR in Auftrag gegebenes Gutachten nun vorliege und das Fraport-Vorgehen "grundsätzlich" bestätige. Zwanzig Schadensfälle seien untersucht worden, nur für sieben davon seien Wirbelschleppen als Ursache "plausibel" (wobei dies im Einzelfall immer noch vor Ort nachgewiesen werden müsse), und alle sieben Fälle lägen im jeweiligen "Anspruchsgebiet". Veröffentlichen wollte Fraport das Gutachten aber lieber nicht, angeblich wegen noch bestehender "Rechtsstreitigkeiten". Der Verein "Für Flörsheim" hatte allerdings von dieser Heimlichtuerei irgendwann genug und hat das der Stadt Flörsheim zur Verfügung gestellte Exemplar ins Netz gestellt.
Wie meist in solchen Fällen, sind die Fraport-Angaben hier nicht einmal die halbe Wahrheit und damit eine ganze Lüge. Was die DLR-Gutachter tun, ist, ein Modell der Wirbelschleppen-Ausbreitung, das für andere Zwecke entwickelt wurde, nun für das Absinken von Wirbelschleppen aus grösseren Höhen zum Boden anzuwenden. Da das Modell dafür nie umfassend verifiziert wurde, hat es diesbezüglich auch keinerlei Beweiskraft, und da es ohnehin nur mit Wahrscheinlichkeits-Aussagen arbeitet, muss man die von Fraport genannten Kategorien "plausibel", "bedingt plausibel" und "unplausibel" übersetzen mit "kann mit dem Modell gut / weniger gut / nicht erklärt werden". Wenn aber ein Modell die Realität nicht erklären kann, darf man daraus nicht schliessen, dass die Realität falsch ist. Vielmehr liegt erst einmal der Verdacht nahe, dass das Modell nicht geeignet sein könnte.
Bestärkt wird diese Annahme durch die Tatsache, dass die gleichen Autoren mit dem gleichen Modell für die dritte Bahn in München (die zum Glück bisher nicht gebaut wurde) ein Wirbelschleppen-Risikogebiet
berechnet haben, das noch deutlich kleiner ist als das des katastrophal falschen Gutachtens aus dem Planfeststellungsverfahren für die Nordwestbahn. Daraus muss man schliessen, dass entweder die bayrische Luft anders ist als die hessische und sich nicht so schnell und dauerhaft in Wirbel versetzen läßt - oder aber, dass die Gutachter ihre Modellparameter gehörig "modifiziert" haben, um wenigstens die offensichtlichen Wirbelschleppenschäden in Flörsheim und Raunheim halbwegs erklären zu können. Wissenschaft geht anders.
Wie zuverlässig dieses Modell sein kann, geht auch daraus hervor, dass ein anderes DLR-Institut schon seit Jahren an einem System forscht, das es Flugzeugen erlauben soll, Wirbelschleppen von vorausfliegenden Flugzeugen zu umfliegen. Selbst mit genauen Daten über den Wirbelschleppen-Erzeuger (Gewicht, Position, Geschwindigkeit, Wetterbedingungen usw.) ist es immer noch nicht möglich, die genaue Position der Wirbelschleppen in einigen hundert Meter Entfernung vorherzusagen. Flugversuche Ende 2016 haben laut DLR-Pressemitteilung gezeigt, "dass der gewählte Ansatz prinzipiell gute Wirbelprognosen liefert und das Situationsbewusstsein der Piloten schärft" - aber eben noch keine exakten Aussagen liefert.
Aber auch wer den Gutachtern gerne glauben möchte, erlebt eine Überraschung, wenn er einen Blick auf die Karte in diesem "Geheimgutachten" werfen darf. Die Wirbelschleppenschäden werden keineswegs immer unplausibler, je weiter die Schadensorte vom Flughafen entfernt sind. Im Gegenteil liegen vier von den sieben als "unplausibel" eingestuften Schadensfällen im Osten Raunheims, also unstreitig mitten im Risikogebiet, während ein Fall in Rüsselsheim(!), weit ausserhalb des "Anspruchsbereichs", als "bedingt plausibel" eingeschätzt wird. Daraus folgt, dass zumindest einige der Schadensfälle nur als "unplausibel" eingestuft wurden, weil im konkreten Fall gerade die Windbedingungen laut Modell nicht passten, grundsätzlich aber an diesen Stellen sehr wohl Wirbelschleppenschäden auftreten können. Andererseits hält das Modell Wirbelschleppenschäden an Stellen für möglich, die weit ausserhalb des "Anspruchsbereichs" liegen. Und das wiederum heißt, dass das Risikogebiet, in dem Wirbelschleppen auftreten können, auch gegenüber dem in der zweiten Planergänzung neu definierten Bereich ganz erheblich ausgedehnt werden müsste.
Man darf gespannt sein, ob irgend jemand irgend wann einmal diese und andere notwendige Konsequenzen aus diesem Gutachten ziehen wird. Eine davon wäre z.B. auch, dass das Gutachten für die Münchner Bahn dringend überprüft werden müsste. Gerichte tun das von sich aus nicht, wie die im Juli 2014 vorgelegte Urteilsbegründung des Bayrischen VGH zeigt (S. 178, Rn 567):
"Wie von Gutachterseite sowohl im Gutachten selbst als auch in der mündlichen Verhandlung (vgl. Niederschrift vom 16.5.2013, S. 13) im Einzelnen nachvollziehbar erläutert, erreichen lediglich 0,4 Prozent – und damit nur ein winziger Bruchteil – der von überfliegenden Flugzeugen erzeugten Wirbelschleppen Bodennähe ...Diese Aussage erging in voller Kenntnis der Situation am Frankfurter Flughafen und vor dem Hintergrund der Tatsache, dass mit dieser Bahn bebautes Gebiet in weniger als 100 m Höhe überflogen werden soll. Es gibt offensichtlich nichts, was deutsche Gutachter nicht behaupten und deutsche Gerichte nicht glauben können, wenn es nur im Interesse hinreichend starker wirtschaftlicher Mächte ist.
Insgesamt verdichten sich die Anzeichen, dass Fraport beim Thema Wirbelschleppen einen anderen Kurs fahren will. Hatten sie früher versucht, das Thema aus der Öffentlichkeit heraus zu halten, indem sie Schäden möglichst schnell und lautlos regulierten, sollen jetzt, nachdem das Dachsicherungsprogramm nicht verhindert werden konnte, Geschädigte zumindest von weiteren Ansprüchen abgeschreckt werden.
Die seit Juli 2013 veröffentlichte Dokumentation gemeldeter Dachschäden und ihrer Beurteilung durch Fraport enthält inzwischen bereits 35 Fälle, die angeblich "nicht auf Wirbelschleppen zurückzuführen" sind (bei 23 "anerkannten" Fällen im gleichen Zeitraum, Stand September 2015). Man muss wohl davon ausgehen, dass die Betroffenen die Ablehnung stillschweigend hingenommen haben, weil sie sich aus welchen Gründen auch immer nicht in der Lage sahen, ihren Anspruch vor Gericht durchzusetzen.
Der politische Skandal liegt hier darin, dass die zuständigen Behörden, allen voran das Wirtschaftsministerium, die Betroffenen alleine lassen und Fraport erlauben, sich mit windigen Behauptungen aus der Verantwortung zu schleichen. Fraport nimmt die Schadensmeldungen entgegen, bestellt die Gutachter, beurteilt deren Ergebnis und entscheidet, was zu passieren hat - alles ohne jegliche Kontrolle. Es gibt keine Beschwerdestelle, keinen neutralen Dritten, der hinzu gezogen werden könnte, es gibt nur den Weg vors Gericht. Und wer den antritt, braucht nicht nur starke Nerven, sondern auch eine gute Rechtsschutzversicherung oder viel Geld.
Hauptsächlich möchte Fraport wohl verhindern, dass anerkannt wird, dass ausser Ziegeln auch anderes beschädigt werden kann. So selbstverständlich es eigentlich ist, dass alles, was durch Sturm geschädigt werden kann, auch durch Wirbelschleppen kaputt gehen kann, so massiv werden entsprechende Meldungen abgeblockt. Ob Solarmodul oder Dachfenster - es darf nicht sein, dass sowas durch eine WIrbelschleppe beschädigt wird, weil dann die Fragwürdigkeit des gesamten "Sicherungsprogramms" deutlich würde und echte Sicherungsmaßnahmen wieder auf die Tagesordnung kämen.
Aber sie werden das Thema nicht loswerden. Solange sie nicht weniger und höher fliegen, wird es immer wieder Schäden geben, und sie werden die Diskussion darüber nicht ewig unterdrücken können.
Vogelschlag definiert Wikipedia als Zusammenprall von Vögeln mit Objekten. In der Luftfahrt entstehe dadurch weltweit ein jährlicher Schaden von über einer Milliarde Dollar, und die Flugsicherheit werde erheblich gefährdet. Nicht so in Frankfurt. Erste Gutachten zum Ausbau stellten noch lapidar fest, dass es zwar in dem Wald, wo die Bahn hin sollte, viele Vögel gäbe, die ja aber mit dem Wald verschwinden würden und daher kein Problem bestehe. Erst später setzte sich die Erkenntnis durch, dass auch am Main Vögel leben und je nach Jahreszeit auch in grösseren Schwärmen durchziehen. Einige wollten auch nicht so schnell vergessen, dass der Mönchwaldsee mal ihr Schutzgebiet war, und hielten sich immer noch dort auf.
Also wurde die neue Bahn Richtung See mit einem Vorhang verhängt, und am Main wurde ein Vorwarnsystem namens
Mivotherm installiert, das vor Vogelschwärmen warnen soll, sofern sie vorschriftsmäßig in definierter Höhe den Main entlang fliegen. Beide Maßnahmen sind von zweifelhafter Wirksamkeit, aber bisher konnte noch kein Versagen nachgewiesen werden. Zwar berichteten nach Inbetriebnahme der Landebahn Nordwest z.B. die
Frankfurter Rundschau, das
Echo und die
Allgemeine Zeitung, z.T. erst mit erheblicher Verspätung, über Vogelschlag-Vorfälle, aber die
passierten in beiden Flugrichtungen und gingen glimpflich aus. Auch wenn z.B. mal im Landeanflug eines A320 der Lufthansa ein Triebwerk durch Vogelschlag ausfiel, genügte das zweite glücklicher Weise für eine sichere Landung.
Im Jahr 2016 wurde bekannt, dass Fraport das 'Mivotherm'-System durch ein Radarsystem ersetzen will, es ist allerdings unklar, warum.
Auch anderswo muß man sich mit dem Problem auseinandersetzen. So musste ein Airbus A321 am 24. November 2012 auf dem Weg von Berlin nach Frankfurt kurz nach dem Start wieder umkehren, weil ein Triebwerk durch Vogelschlag ausfiel. An Bord war neben 198 anderen Passagieren auch der hessiche SPD-Vorsitzende Schäfer-Gümbel - er wird nun im Gegensatz zu vielen anderen Politikern wissen, wovon beim Thema Vogelschlag die Rede ist.
Weniger Glück hatte ein Airbus A320, der am 15. Januar 2009 von New York nach Seattle wollte. Sechs Minuten nach dem Start geriet er in einen Gänseschwarm, beide Triebwerke fielen durch Vogelschlag aus. Der Pilot segelte darauf hin zum Hudson River und setzte auf dem Wasser auf. Das Flugzeug konnte komplett evakuiert werden, ehe es unterging. Aber das ist Amerika - der Main wäre für eine solche Aktion nicht breit genug.
(Ironie am Rande: der US-Pilot, Chesley Sullenberger, wurde für seine fliegerische Meisterleistung zum Nationalheld, fiel aber kurz danach wegen unbotmäßig-kritischer Äusserungen bei einem Kongress-Hearing über Arbeitsbedingungen und Entlohnung sowie Sicherheitsaspekte in der US-Luftfahrt in Ungnade. Auch seine Bezüge wurden gekürzt.)
Bei einem ähnlichen Vorfall in Berlin-Schönefeld blieb ein Triebwerk intakt, so dass die betroffene Boeing 737 normal zum Flughafen zurückkehren konnte.
Offizielle Stelle für alle Auskünfte, Hintergründe und Statistiken zum Thema Vogelschlag ist der Deutsche Ausschuss zur Verhütung von Vogelschlägen im Luftverkehr e. V. DAVVL. Dessen Ehrenvorsitzender Hild hat auch das einschlägige Gutachten im Planfeststellungsverfahren zum Ausbau erarbeitet sowie eine nachträgliche Stellungnahme, die die Begründung für die oben genannten 'Schutzmassnahmen' enthält.
Die Südwest-Ecke des Mönchwaldsees mit "Vorhang" zur "Reduzierung des Vogeleinflugs auf das Flughafengelände". Er soll "die Wirkung optischer Signale und Störreize ... von der Landebahn auf den See" unterbinden. (Für Gesamtansicht Foto anklicken)
Und so sieht der sichtbare Teil dieser "Schutzmaßnahmen" aus: gerodete Ufer, ein meterhoher Zaun direkt dahinter - so wird in Hessen das Profitstreben vor den Belangen der Natur geschützt. Aber auch hier gibt es selbstverständlich ein Gutachten, das bestätigt, dass das Schutzgebiet durch die Baumassnahme nicht beeinträchtigt wird. Man betrachte nur die Abbildungen im Gutachten auf den Seiten 36 und 37 und die nachfolgenden Fotos, um zu verstehen, wie weit dieses Gutachten von der Realität entfernt ist.
Dreister Weise wird dieses Stück verschandelte Landschaft trotzdem noch als Schutzgebiet ausgewiesen, es zählt zum "Landschaftsschutzgebiet Untermainschleusen", das zugleich auch Vogelschutzgebiet ist.
So werden formal die Vorgaben erfüllt, die negativen Folgen des Flughafenausbaus zu minimieren. Das Schutzgebiet existiert ja noch - dass es seine ursprüngliche Funktion nicht mehr erfüllen kann, steht auf einem anderen Blatt.
Tatsächlich kann man eigentlich nur hoffen, dass die Wasservögel intelligent genug sind, dieses 'Schutzgebiet' zu meiden. Schließlich führt Vogelschlag zwar nur relativ selten zu Schäden für die Flugpassagiere - aber immer zu Totalschaden für die beteiligten Vögel.
Auch die Reste des Kelsterbacher Waldes, die immer noch als FFH-Schutzgebiet ausgewiesen sind, erholen sich nur mühsam. Das Hessische Umweltministerium weiss in der Darstellung dieses Gebietes übrigens immer noch nichts vom Bau der Nordwestbahn, und auch beim Regierungspräsidium Darmstadt ist nur das Luftbild, aber nicht die Karte halbwegs aktuell. Wie es wirklich aussieht, kann man z.B. einer Karte des Kreises Gross-Gerau entnehmen, die alle NATURA-2000-Gebiete im Kreis auflistet. Ein Vergleich der Darstellungen findet sich hier.