Stand: 08.2024
Aktuellere Entwicklungen im Themenkomplex
Lärm und Schallschutz,
ergänzendes Thema:
Aktiver Schallschutz
"Passiver Schallschutz" bedeutet, den Schall durch bauliche Maßnahmen so abzuschirmen, dass daraus kein oder nur reduzierter Lärm entsteht. Im Gegensatz zu bodengebundenen Lärmquellen kann Fluglärm nur in geschlossenen Räumen wirksam abgeschirmt werden.
Der folgende Text befasst sich mit den Aktivitäten zum passiven Schallschutz am Flughafen Frankfurt in den letzten 50 Jahren und gliedert sich wie folgt:
Dieses Plakat hat die BIFR schon bei vielen einschlägigen Demos dabei gehabt.
Das
Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm
(FluLärmG) soll nach § 1
"in der Umgebung von Flugplätzen bauliche Nutzungsbeschränkungen und baulichen Schallschutz zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen durch Fluglärm"
sicherstellen. Es setzt damit den Punkt 2 "Flächennutzungsplanung und -verwaltung" des
ausgewogenen Ansatzes
um, der von der 'Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation' (ICAO) bereits 2001 als Empfehlung beschlossen und von der EU durch eine entsprechende
Verordnung
in für alle Mitgliedsstaaten geltendes Recht umgesetzt wurde.
Dazu regelt es einerseits die
Ansprüche,
die Anwohner von Flughäfen in Deutschland in Bezug auf passiven Schallschutz an den Flughafen-Betreiber stellen können. Vor allem aber schützt es Flughäfen durch
Bauverbote
und
Siedlungsbeschränkungen
vor einer Einschränkung ihrer "Entwicklungsmöglichkeiten".
Das Gesetz stammt im Kern aus dem Jahr 1971, wurde aber 2007 in allen wesentlichen Teilen, inklusive dem dazugehörigen untergesetzlichen Regelwerk, neu gefasst. Allerdings wurde dabei von dem ursprünglich festgestellten Verbesserungsbedarf, auch aufgrund
intensiver Lobbyarbeit
u.a. der Fraport, nicht allzu viel umgesetzt. Gegenüber den alten Fassungen wurden die Grenzwerte verschärft, dafür aber die Berechnungsverfahren so verändert, dass sich faktisch keine allzu grossen Veränderungen ergaben.
Immerhin wurde damals im Gesetz festgelegt, dass es alle zehn Jahre überarbeitet und auf den neuesten Stand gebracht werden soll. Die zuständige Behörde, das Umweltbundesamt, hat auch 2017 fristgerecht einen
Bericht
vorgelegt und Vorschläge für eine Reform entwickelt. Das Umweltministerium ignorierte in seinem
Berichtsentwurf
fast alle diese Vorschläge. Die damalige Bundesregierung liess sich nochmal ein Jahr Zeit, einen durch "Abstimmungen" mit den anderen Ressorts und den Ländern nun komplett verwässerten
Entwurf
dafür vorzulegen, aber selbst der wurde bisher nicht umgesetzt. Im Wahlkampf 2021 wurde das Thema
nochmal aufgegriffen,
aber auch danach passierte nichts.
Da das Gesetz primär darauf abzielt, störende Nutzungen von Flughäfen fern zu halten, definiert es als Erstes "Lärmschutzbereiche", in denen Siedlungs- und Nutzungsbeschränkungen gelten. Die genaue Festlegung dieser Bereiche wird in der ersten Verordnung zu diesem Gesetz geregelt, der 1. FlugLSV. Soweit in diesen Zonen noch Bebauung zulässig oder schon vorhanden ist, muss sie bestimmten Schallschutz-Anforderungen genügen.
Die Grenzwerte, die für die Ausdehnung der jeweiligen Bereiche maßgebend sind, sind im § 2 FluLärmG festgelegt. Dass für diese Festlegung nicht (allein) medizinische Gründe eine Rolle gespielt haben, sieht man schon daran, dass hier 4 Fälle unterschieden werden. Es gibt nicht nur eigene Werte für zivile und militärische Flughäfen, es wird auch noch zwischen "bestehenden" und "neuen oder wesentlich baulich erweiterten" Flugplätzen unterschieden - als ob es für die Lärmwirkungen darauf ankäme.
Eine besondere Frechheit enthält noch die
Anlage zu § 3 FluLärmG.
Dort wird festgelegt, dass die Berechnung erfolgen soll für die
"Summe über alle Flugbewegungen ..., wobei die prognostizierten Flugbewegungszahlen für die einzelnen Betriebsrichtungen jeweils um einen Zuschlag zur Berücksichtigung der zeitlich variierenden Nutzung der einzelnen Betriebsrichtungen erhöht werden."
Für alle Bereiche
"beträgt der Zuschlag dreimal die Streuung der Nutzungsanteile der jeweiligen Betriebsrichtung in den zurückliegenden 10 Jahren (3 Sigma)".
Faktisch bedeutet das, dass der Schallschutz danach dimensioniert wird, wie hoch der Lärm im Jahresmittel über mehrere Jahre ist. Eine solche Berechnung kann bestenfalls dafür benutzt werden, Belastungen bei unterschiedlichen Nutzungsszenarien zu vergleichen. An einem gegebenen Ort wie in Raunheim bedeutet es, dass der Schallschutz zu gering ist, um den Lärm hinreichend zu dämmen, wenn er auftritt, während er zu anderen Zeiten sowieso nutzlos ist.
Diese Regel hat 2007 die sog. "Realverteilung" ersetzt, die noch ungeeigneter war, war aber dennoch heftig umstritten. Von Lärmschützern wurde die 100/100-Regel gefordert, bei der der Lärm so berechnet wird, als würde jede Betriebsrichtung zu 100% der Zeit genutzt.
Im Vorfeld der Novellierung wurden
Alternativen diskutiert,
und die Beibehaltung der 100/100-Regel war eine der fünf Kernforderungen der Umweltverbände in der
Anhörung des Umweltausschusses
des Bundestags zur Novellierung des Fluglärmgesetzes im April 2006 wie auch bei der
Aktion vor dem Reichstag
im Juni 2006. Auch in den Diskussionen um die überfällige Überarbeitung des Fluglärmgesetzes wurde die Forderung
erneut vorgebracht
und spielt weiter eine Rolle.
Karten der Lärmschutzbereiche für Raunheim
(Für vergrösserte Darstellung in neuem Fenster
jeweilige Grafik anklicken)
Die konkrete Festsetzung der Lärmschutzbereiche ist nach
§ 4 FluLärmG
Sache der jeweiligen Landesregierungen. Für den Frankfurter Flughafen hat die hessische Landesregierung zuletzt im Herbst 2011 eine entsprechende
Verordnung über den Lärmschutzbereich
erlassen. Die Karten, in denen die Bereiche eingezeichnet sind, kann man sich nur als Gesamtpaket herunterladen, die Kartenausschnitte für Raunheim gibt es hier für den
Tagschutzbereich
und den
Nachtschutzbereich.
Der gleiche Paragraf legt auch fest, dass alle zehn Jahre zu prüfen ist,
"ob sich die Lärmbelastung wesentlich verändert hat oder innerhalb der nächsten zehn Jahre voraussichtlich wesentlich verändern wird",
wobei auch
"besondere Umstände eine frühere Prüfung erforderlich machen"
können. Demnach ist eine solche Prüfung spätestens seit Herbst 2021 überfällig.
Wann und auf welcher Grundlage diese Prüfung erfolgen wird, ist derzeit offen. Würden die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Stand der Technik berücksichtigt, wären drastische Änderungen in der Ausdehnung der Bereiche zu erwarten.
Würde zuerst die noch länger überfällige Prüfung des Fluglärmschutzgesetzes durchgeführt und dabei die dort festgelegten Grenzwerte den
realen Erfordernissen
angepasst, würden bereits dadurch wesentlich grössere Gebiete im Umfeld des Flughafens unter "Schutz" gestellt werden müssen. Werden im Zusammenhang damit auch die Berechnungsverfahren für Schall-Emissionen und -Ausbreitung den
europäischen Standards angepasst,
ergäben sich nochmals weitere Vergrösserungen, wie das Umweltbundesamt in einer Analyse der
Lärmkartierung 2022
gezeigt hat.
Wie man aus den Karten ersehen kann, geht es in den Lärmschutzbereichen zwar immer noch, aber längst nicht mehr primär darum, nicht bebaute Gebiete in ihrer Nutzung einzuschränken und Bauverbote durchzusetzen. Vielmehr liegen inzwischen etliche Kommunen ganz oder teilweise in einem solchen Schutzbereich, für den Siedlungsbeschränkungen, Bauverbote, Schallschutz-Anforderungen an Neubauten und, ganz zuletzt, auch Ansprüche auf Zuschüsse für Schallschutzmaßnahmen im Bestand festgelegt wurden. Art und Umfang dieser Ansprüche werden im Detail in der 2. FlugLSV, der sog. Flugplatz-Schallschutzmaßnahmenverordnung, geregelt.
Die Räume, für die überhaupt ein Schutzanspruch bestehen soll, werden in
§ 2
auf "Aufenthaltsräume", d.h. im Wesentlichen Wohn- und Schlafräume, beschränkt. Die technischen Anforderungen, denen der bauliche Schallschutz da genügen muss, werden in
§ 3
festgelegt. Wer wofür bezahlen muss, unterliegt komplizierteren Regelungen. Die wesentlichen Bestimmungen dazu stehen in
§ 5,
und bereits dort sind eine Reihe von Einschränkungen formuliert, die technisch, medizinisch oder juristisch keinerlei Grundlage haben, aber die Kosten drücken sollen.
So werden die Bauschalldämm-Maße für Bestandsbauten generell um 3 Dezibel, oder, wenn bereits frühere Schallschutzprogramme möglich waren, um 8 Dezibel reduziert. Am wirkungsvollsten ist aber wohl die Beschränkung der erstattungsfähigen Aufwendungen auf 150 € pro Quadratmeter Wohnfläche, unabhängig davon, welcher Schutz damit letztendlich tatsächlich erreicht werden kann.
In der sog. 'Nachtschutzzone' existiert ein Anspruch schon nach § 9 FluLärmG nur für "Räume, die in nicht nur unwesentlichem Umfang zum Schlafen benutzt werden", hier allerdings auf "Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen ... einschließlich des Einbaus von Belüftungseinrichtungen". Für Letztere gilt wiederum nach § 3 der 2. FlugLSV: "Die Eigengeräusche von Belüftungseinrichtungen in Schlafräumen dürfen nicht höher sein, als nach dem Stand der Schallschutztechnik im Hochbau unvermeidbar", und die "Lüftungsleistung schallgedämmter Lüftungsgeräte für die dezentrale Belüftung ... in Schlafräumen ist unter Beachtung des Standes der Schallschutztechnik im Hochbau zu bemessen" - Anforderungen, die interpretierbar sind, wie sich gezeigt hat.
In der Verordnung wird mehrfach auf die "DIN 4109, Ausgabe November 1989" mit dem Titel "Schallschutz im Hochbau" Bezug genommen. Diese DIN wurde in der Zwischenzeit mehrfach geändert und ist immer noch in einem Prozess der Weiterentwicklung. Auch aus einer Anpassung an diese Veränderungen können sich künftig Änderungen in den anzuwendenden Maßnahmen ergeben.
Die Verordnung wurde zusammen mit dem Fluglärmgesetz vom Umweltbundesamt evaluiert und der entsprechende Bericht 2016 vorgelegt. Dort finden sich neben zahlreichen Kritikpunkten auch eine Reihe von Vorschlägen, die im Zusammenhang mit der Novellierung des Gesetzes umgesetzt werden sollten. Da die Gesetzesnovelle noch aussteht, liegen die derzeit ebenfalls auf Eis.
Am 20.08.13 hat die Bundesregierung die "Dritte Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm"
mit dem schönen Namen "Fluglärm-Außenwohnbereichsentschädigungs-Verordnung -
3. FlugLSV"
beschlossen. Zweck ist nach
§ 2
"die Entschädigung für fluglärmbedingte Beeinträchtigungen des Außenwohnbereichs ... nach der Schutzwürdigkeit ... und nach der Wertminderung".
Danach können Besitzer von sog. "Aussenwohnbereichen" nach
§ 3,
d.h. Balkonen, Terassen und
"ähnliche Außenanlagen, die der Wohnnutzung im Freien dienen",
in dem durch
§ 4
bestimmten Gebiet, d.h. der Tagschutzzone 1, eine Einmalzahlung erhalten dafür, dass dort künftig dauerhaft Fluglärm herrscht. Das Gebiet ist nochmal untergliedert in Bereiche mit einem 'äquivalenten Dauerschallpegel' kleiner oder grösser 65 dB(A), was aber am Flughafen Frankfurt keine Rolle spielt, weil es nicht einmal in Raunheim Wohnungen im lauteren Bereich gibt.
Es handelt sich bei dieser Entschädigung nicht, wie im Volksmund oft formuliert, um ein "Schmerzensgeld" für die Menschen, die dort wohnen, sondern um einen Ausgleich für den Wertverlust für die Immobilienbesitzer. Entsprechend sind die Pauschalen nach § 5 und die Ausnahmeregelungen nach §§ 6-8 nach Qualität und Wert der Immobilie gestaffelt. So können Besitzer hochwertiger Häuser oder Wohnungen statt der Pauschalen einen prozentualen Anteil am Verkehrswert geltend machen, und der Betrag kann durchaus höher sein - frei nach dem christlich-liberalen Motto: Wer viel hat, dem wird auch mehr gegeben.
Details der Umsetzung am Flughafen Frankfurt wurden 2015 in einer Präsentation des RP Darmstadt in einer Sitzung der Fluglärmkommission erläutert.Entsprechend der damals noch vorherrschenden Befriedungsstrategie wurde ein relativ guter Service angeboten, insbesondere auch eine vereinfachte, kostenlose Verkehrswert-Ermittlung, mit der eventuell ein paar Euro mehr als die Pauschale erreicht werden konnten.
Karte des Anspruchsbereichs für Raunheim
(Für vergrösserte Darstellungen in neuem Fenster
jeweilige Grafik anklicken)
Um die Empörung über den unzureichenden Lärmschutz rund um den Frankfurter Flughafen nach Inbetriebnahme der Nordwestbahn 2011 etwas zu dämpfen, hat die hessische Landesregierung 2012 das sog. Regionalfonds-Gesetz auf den Weg gebracht. In diesem Regionalfonds standen zunächst zusätzlich ca. 120 Mill. Euro für Schallschutzmaßnahmen und "nachhaltige Regionalentwicklung" zur Verfügung, davon mind. 100 Mill. aus Steuergeldern. Zusätzlich wurden noch 150 Mill. Euro für zinsgünstige Kredite bereitgestellt.
Über Umfang und Verteilung der Mittel wurde im "Forum Flughafen und Region"
längere Zeit gefeilscht.
Im Ergebnis wurde ein
Kriterienkatalog
(mit
Anhang)
und entsprechende
Förderrichtlinie
entwickelt, wonach in einem eigens definierten "Anspruchsgebiet" ca. 17.300 Haushalte mit max. 4.350 Euro pro Wohneinheit gefördert werden sollten.
Die Kriterien, was gefördert werden konnte, waren flexibler als die der Maßnahmeverordnung nach Fluglärmgesetz, allerdings bestand auch kein Rechtsanspruch auf diese Förderung. Gegen die Entscheidung des Regierungspräsidiums gab es im Falle der Ablehnung nur die Möglichkeit eines Einspruchs bei einer sog. "Härtefall-Kommission" - und wenn das Geld verbraucht war, sollte es ebenfalls keinen Anspruch mehr geben. Dazu kam es allerdings nicht.
Ein wichtiges Ziel des Regionalfonds war es, beim baulichen Schallschutz
"die Wartezeit für eine Erstattung (sechs Jahren nach Festsetzung des Lärmschutzbereichs)"
für Privatpersonen zu verkürzen. Allerdings musste man, um die Mittel in Anspruch nehmen zu können, vorher die Ansprüche nach FluLärmG geltend gemacht haben, was von Anfang an zu einiger Verwirrung bei den jeweils geltenden Fristen führte.
Endgültiges Ende der Antragsfrist für Privathaushalte sollte fünf Jahre nach Inkrafttreten der Förderrichtlinien, also am 31.12.2017 sein. Aber da die bis dahin erreichten Ergebnisse absolut unzureichend waren (s. unten),
wurde diese Frist noch um einige Jahre verschoben.
Insbesondere aber sollten die Mittel für den "Lastenausgleich" für vom Fluglärm betroffenen Kommunen, die bisher eine geringere Rolle gespielt hatten, deutlich ausgeweitet und mit einem
Regionalfonds II
"verstetigt" werden. Auch dazu entwickelte das FFR wieder
Kriterien,
die von der Landesregierung zunächst in
neue Förderrichtlinien
umgesetzt wurden. Damit wurden die bisherigen Förderinstrumente bis zum 31.12.2021 verlängert.
Im Dezember 2017 trat für den "Regionalen Lastenausgleich" ein eigenes Gesetz, das
Regionallastenausgleichsgesetz
in Kraft, das zunächst ebenfalls bis Ende 2021 befristet war, aber per
Änderungsgesetz
(zunächst?) bis 2026 verlängert wurde. Damit wurden die bisherigen 25 Mio. € für "nachhaltige Kommunalentwicklung" um weitere 45,3 Mio. € aufgestockt. Dieser Fonds sollte nach
Angaben der Landesregierung
"aus den Dividendeneinnahmen des Landes für die Aktienanteile an der Fraport AG finanziert werden",
aber da Fraport seit der Corona-Pandemie keine Dividenden mehr zahlt, handelt es sich um allgemeine Steuergelder.
Die
Ausführungsbestimmungen
sind recht großzügig formuliert, und der
Katalog
der bis Ende 2020 umgesetzten Maßnahmen zeigt, dass die Kommunen auch sehr vielfältige Aktivitäten damit finanzieren.
Dahinter steckt erkennbar die Absicht, die im FFR mit Landesregierung und Fraport kooperierenden Kommunen noch stärker einzubinden und damit den Protest gegen die vom Flughafen ausgehenden Belastungen weiter zu schwächen.
Federführend für das Fluglärmgesetz und die zugehörigen Regelwerke ist das Bundesministerium für Umwelt, das in allen fachlich damit zusammenhängenden Fragen unterstützt wird vom Umweltbundesamt, das alle Lärmthemen bearbeitet und einen eigenen Bereich Fluglärm hat. Bei allen Regelungen zu Verkehrslärm hat es sich allerdings mit dem Verkehrsministerium abzustimmen, das traditionell primär die Interessen der jeweils beteiligten Konzerne vertritt.
Aufsichtsbehörde für den Flughafen Frankfurt ist das
Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlichen Raum,
das einen (mittlerweile schwer zu findenden) Bereich
Luftverkehr
hat, wo neben viel Grundsätzlichem auch einiges an Aktuellem präsentiert wird. Dort ist auch die
Stabsstelle Fluglärmschutz
und die Fluglärmschutzbeauftragte mit Mail-Adresse und Telefonnummer, aber ohne eigene Inhalte, zu finden.
Die Aufgaben im Bereich des (passiven)
Lärmschutz,
insbesondere die Durchführung der jeweiligen Maßnahme-Programme, aber auch der
Lärmaktionsplanung
sind weitestgehend an das Regierungspräsidium Darmstadt ausgelagert.
1984, nach der Eröffnung der Startbahn West und der West-Verschiebung des Parallelbahn-Systems, gab es passiven Schallschutz nur für Alt-Raunheim.
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Fraport behauptet gerne, sie habe "bislang drei Programme zum Passiven Schallschutz für die Region durchgeführt". Vom ersten Programm dieser Art hat die Region allerdings nicht viel mitbekommen, denn es wurde in den achtziger Jahren nur im alten Teil Raunheims und an einigen wenigen Häusern an den Nordosträndern von Zeppelinheim und Neu-Isenburg durchgeführt.
Nach Aussagen von Zeitzeugen (Dokumente haben wir ausser der hier gezeigten Karte dazu (noch?) nicht gefunden) war die Durchführung eines solchen Programms bereits im Vorfeld des Baus der Startbahn West von Fraport (damals noch FAG) und Landesregierung mit betroffenen Kommunen diskutiert, aber nicht vereinbart worden. Dabei wurde davon ausgegangen, dass neben den durch die Startbahn West neu betroffenen Kommunen im Süden auch Raunheim, das durch die gleichzeitig durchgeführte Verschiebung des Parallelbahn-Systems nach Westen massiv betroffen war, davon profitieren solle.
Nach Vorliegen der Lärmberechnungen für das neue 3-Bahnen-System stellte sich allerdings heraus, dass die Anwendung auf einen Bereich innerhalb einer Isophone, die relevante Teile der Südkommunen (Mörfelden, Gross-Gerau etc.) einbeziehen würde (z.B. die 60 dB(A)-Isophone), auch grössere Gebiete im Westen und Osten umfassen würde. Da der Aufwand dafür als zu hoch eingeschätzt wurde, wurde die 62 dB(A)-Isophone gewählt, die alle bebauten Gebiete bis auf den alten Kern von Raunheim elegant ausschliesst.
In diesem Bereich wurde der Einbau von Schallschutzfenstern bezuschusst, die genauen Konditionen konnten wir allerdings nicht mehr nachvollziehen. Die Fördersumme soll damals ca. 15 Mio. DM betragen haben, was allerdings ziemlich übertrieben erscheint.
Der Effekt war in jedem Fall sehr beschränkt, denn im dortigen Altbau-Bestand mit Schlafzimmern überwiegend unter ungedämmten Dächern war mit gedämmten Fenstern allein insbesondere nachts kein wirklicher Schutz zu erzielen.
Als Teil der Befriedungs-Strategie für die Region liess sich Fraport nach dem Ausbau-Beschluss im Jahr 2000 von der Landesregierung freiwillig verpflichten, ein weiteres Schallschutz-Programm, diesmal für grössere Teile der Region, aber begrenzt auf den Schutz der Nachtruhe, d.h. also auf Schlafräume, durchzuführen.
Das Instrument, das für diese Verpflichtung benutzt wurde, war bemerkenswert: die Auflagen wurden mit Hilfe von zwei Bescheiden formuliert, mit denen die Betriebsgenehmigung des Flughafens geändert wurde. Den Text des eigentlichen, ersten Bescheids konnten wir nicht mehr finden, aber die wesentlichen Inhalte sind in der Antwort auf eine
Kleine Anfrage
im hessischen Landtag nach Durchführung des Programms formuliert:
Mit den Bescheiden vom 26. April 2001 und Ergänzungsbescheid vom 25. November 2002 wurde die Fraport AG verpflichtet, bauliche Schallschutzmaßnahmen in dem definierten Nachtschutzgebiet an Wohngebäuden anzubieten und durchzuführen oder durchführen zu lassen. Das Nachtschutzgebiet ist von der Umhüllenden einer berechneten "Isophone 6 x 75" (sechsmalige Überschreitung des Maximalpegels 75 dB(A) außen und der Isophone 55 dB (A) Leq (3) außen gebildet. Zielgerichtet soll sichergestellt werden, dass im belüfteten Rauminnern in zum Schlafen geeigneten Räumen bei geschlossenen Fenstern am Ohr des Schläfers ein Maximalpegel von 52 dB(A) Lmax nicht regelmäßig überschritten wird. Ferner wird die Fraport AG baulichen Schallschutz nach den vorgegebenen Kriterien für Krankenhäuser, Altenwohnanlagen, Schulen und Kindertagesstätten und ähnlich besonders schutzwürdige Einrichtungen sicherstellen, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen zu dienen bestimmt sind, sofern sich diese Einrichtungen in dem definierten Nachtschutzgebiet befinden.Einige weitere Daten lassen sich noch einem Bericht des Öko-Instituts über "Erfassung und Darstellung passiver Schallschutzmaßnahmen an großen europäischen Verkehrsflughäfen" entnehmen, der im November 2006 veröffentlicht wurde.
Das Programm wurde von 2001 bis 2006 durchgeführt, also vor der Novellierung des Fluglärmgesetzes. Daher galten auch die dort festgesetzten technischen Anforderungen, insbesondere die der
Maßnahme-Verordnung,
dafür nicht. Damit ist auch unklar, welche Anforderungen damals an die Belüftung der Räume gestellt wurden. Bekannt ist allerdings, dass die von Fraport finanzierten Lüfter auch damals keinen grossen Anklang fanden.
Zu Aufwand und Beteiligung insgesamt gibt es unterschiedliche Aussagen. Während die Landesregierung in ihrer Antwort (vor dem endgültigen Abschluss des Programms) von "ca. 4.000 Anträgen" und "25,5 Mio €" bewilligter Mittel berichtet, gibt das Öko-Institut (nach Abschluss) an, dass
"die Eigentümer von ca. 17.500 Wohneinheiten (ca. 40.000 Menschen) in 14 Orten anspruchsberechtigt"
waren und
"die Beteiligungsquote ... nach Ablauf der Antragsfrist bei über 80 % ..., bei den schutzbedürftigen Einrichtungen ... bei 94 %"
lag. Fraport selbst berichtete in einer
Pressekonferenz
im Jahr 2012
"Schallschutz in ca. 13.600 Wohneinheiten installiert, Volumen: rd. 50 Mio. €".
Im Casa-Programm kaufte Fraport in einem sehr eigenwillig definierten "Fördergebiet" Immobilien auf bzw. zahlte Entschädigungen.
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Im Jahr 2005 ergänzte Fraport seine Bemühungen, die Ausbau-Kritik einzudämmen, mit einem "europaweit einzigartigen Immobilien-Ankauf- und Ausgleichsprogramm für Wohnimmobilien, die besonders niedrig überflogen werden": Fraport Casa.
Adressaten des Programms waren
"Eigentümer von Wohnimmobilien, die ein Haus oder eine Eigentumswohnung im Vertrauen darauf, dass diese nicht in einer Einflugschneise mit besonders niedrigen Überflügen liegt, erworben oder errichtet haben".
Denen bot Fraport an,
"ihre direkt in der Einflugschneise der geplanten Landebahn Nordwest befindlichen Wohnimmobilien zum Verkehrswert zu erwerben ... Für Eigentümer, die im Bereich der Einflugschneise der geplanten Landebahn Nordwest eine Wohnimmobilie erworben oder errichtet haben,bietet die Fraport AG eine gestaffelte Ausgleichszahlung an".
Aber die Großzügigkeit ging noch weiter:
"Damit diejenigen, die durch das bestehende Start- und Landebahnensystem gleichermaßen betroffen sind, nicht leer ausgehen, bieten wir hier ebenfalls eine gestaffelte Ausgleichszahlung an."
Die Grenzen der Großzügigkeit wurden in der Abgrenzung der "Fördergebiete" deutlich. "Direkt in der Einflugschneise" meinte wortwörtlich den Bereich unterhalb der Tragflächen der einfliegenden Flugzeuge plus einer gewissen Schwankungsbreite (die "Kernzone"), "im Bereich der Einflugschneise" weitere 120 Meter auf beiden Seiten, nochmal in zwei Zonen gegliedert.
Auch die "Ausgleichszahlungen" waren nicht gerade üppig bemessen. Fraport bot für Flörsheim und 6 Grundstücke im Taubengrund in Kelsterbach
"in der Kernzone ... € 150 Ausgleich pro Quadratmeter Wohnfläche, ... in der Übergangszone I ... € 100, ... in der Übergangszone II ... € 50", sofern die Immobilie vor dem 10.06.2002, dem Tag der Festlegung der Nordwestbahn als Ausbau-Variante, gebaut oder gekauft wurde. In Raunheim und für alle, die später gekauft oder gebaut hatten, gabs auch in der Kernzone nur 100 €, andere Kommunen waren von dem Programm nicht betroffen.
Der eigentliche Pferdefuß des Programms, und wohl auch das primäre Motiv für Fraport, lag aber woanders.
"Wer die Ausgleichszahlung in Anspruch nehmen möchte, verpflichtet sich im Gegenzug zur Eintragung einer Dienstbarkeit im Grundbuch auf Duldung des Flughafen-Betriebs."
Die Details dieser "Dienstbarkeit" hatten es in sich:
"Der jeweilige Eigentümer bzw. der jeweilige Erbbauberechtigte ist verpflichtet, sämtliche Einwirkungen (Lärmimmissionen und sonstige Beeinträchtigungen), die vom derzeitigen und künftigen Flugbetrieb ... ausgehen, zu dulden und insoweit auch auf privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Ansprüche auf Unterlassung, Schutzvorkehrungen/-vorrichtungen und dergleichen, auf Entschädigung oder sonstigen finanziellen Ausgleich und Schadensersatz, die zum Inhalt des Grundstückseigentums bzw. eines Erbbaurechts gehören, zu verzichten".
Mit anderen Worten: wer die Zahlungen kassierte, liess sich damit jede Möglichkeit abkaufen, juristisch gegen den Flughafen vorzugehen, egal, welche Zumutungen künftig noch kommen würden. Und das sollte nicht nur für den Lärm, sondern z.B. auch für die Schadstoff-Belastung gelten. Ob so etwas juristisch haltbar sein würde, wurde unseres Wissens noch nicht getestet. Für Fraport muss aber die Möglichkeit, die Kläger*innen mit den grössten Belastungen und damit den grössten Erfolgsaussichten in Prozessen gegen die neue Bahn, bereits vorab ruhigzustellen, sehr verlockend gewesen sein.
Anfang 2012, nach Inbetriebnahme der Nordwestbahn, wurde das Programm unter dem Namen
Casa2
nochmal erweitert. Nun bot Fraport den Neu-Betroffenen in allen "Förderzonen" in Flörsheim und Kelsterbach den Ankauf der Immobilie an. Die Ausgleichszahlungen blieben unverändert, in Raunheim wurde das Programm beendet.
Nach
Angaben
der "Allianz für Lärmschutz 2012", an der Fraport beteiligt war, wurde damit die
"Anzahl der verkaufsberechtigten Wohneinheiten auf über 1.000"
erhöht, das Gesamtprogramm hätte damit
"ein Volumen von über 100 Millionen Euro"
gehabt. Nach einer
Zwischenbilanz
Ende 2012
"haben mehr als 130 lärmgeplagte Anwohner ihr Haus an die Flughafenbetreiber verkauft, ... liegen 219 weitere Anträge von Anliegern vor, ... seien rund 26 Millionen Euro für Häuser und Wohnungen ausgegeben worden. Pro Immobilie investiert Fraport nach eigenen Angaben durchschnittlich 200.000 Euro".
Nach Beendigung des Programms Ende 2014
teilte Fraport mit
"Bis heute erfolgte in Flörsheim der Ankauf von 245 Wohnobjekten und es wurden bislang 125 Ausgleichzahlungen geleistet, ... in Raunheim ... wurden 122 Ausgleichszahlungen an Wohneigentümer geleistet. Weitere 156 Anträge auf Ausgleichszahlung sowie 118 Anträge auf Ankauf müssen noch bearbeitet werden".
2016 versuchte die rechte Mehrheitskoalition im Flörsheimer Stadtparlament in einem Antrag, auf eine "Kooperation mit der Fraport AG als einer der größten Wohnimmobilienbesitzer in der Stadt", der auch eine "soziale Verantwortung ... für unsere Stadt" habe, bei der Bereitstellung von Sozialwohnungen zu drängen. Aus diesem Anlass war in einem Bericht der FNP zu lesen: "Die Fraport Casa GmbH, eine Tochtergesellschaft der Fraport AG ..., ist nach dem Ankaufprogramm einer der größten Immobilieneigentümer im Stadtgebiet. Rund 300 Wohnobjekte, darunter auch Reihenhäuser, gehören der Casa GmbH". Nach Hinterzimmer-Gesprächen der CDU mit Fraport las sich der dann folgende Änderungs-Antrag schon wieder ganz anders, und kurz danach meldete die Rundschau, Fraport habe die Flörsheimer CDU wissen lassen: "Als privatwirtschaftlich organisiertes Unternehmen, das im harten Wettbewerb stehe, könne man nicht die Aufgaben der öffentlichen Hand übernehmen und den sozialen Wohnungsbau finanzieren".
Und so verwaltet die
Fraport Casa GmbH
nach wie vor die Immobilien in Flörsheim, auch wenn sie inzwischen personell und räumlich nur noch ein Anhängsel der 'Fraport Casa Commercial GmbH', die grössere Immobiliengeschäfte abwickelt, zu sein scheint. Aufgrund der Wertsteigerungen auf dem Wohnungsmarkt stehen inzwischen Sachwerte in der Bilanz, die die ursprünglichen Investitionen deutlich übersteigen, und die laufenden Mieteinnahmen auf dem "freien Markt" sind sicher auch nicht zu verachten.
Ob damit inzwischen schon das gesamte "Casa-Schallschutzprogramm" der Fraport refinanziert ist, lässt sich nicht abschätzen, aber ein gutes Geschäft war es für Fraport auf jeden Fall.
Mit Inkrafttreten des überarbeiteten
Fluglärmschutzgesetzes
änderten sich 2007 die Rahmenbedingungen für den passiven Schallschutz. Die
Bereiche,
in denen Anspruch auf Schutzmaßnahmen bestand, unterlagen nicht mehr ausschließlich der Willkür von Flughafen-Betreiber und Landesregierung, und auch für den Umfang der
Maßnahmen
waren bestimmte Mindeststandards gesetzt.
Das war allerdings nicht unbedingt ein Vorteil für die Anwohner. Das Umweltbundesamt stellt in seinem Fluglärmbericht 2017 fest:
Während vor der Novelle 2007 bei Planfeststellung oder luftfahrtrechtlicher Genehmigung von Flugplätzen jeweils einzeln die Maßstäbe erörtert und verhandelt wurde, welche aus Sicht der Lärmwirkungsforschung für immissionsschutzbezogene Regulierungen heranzuziehen seien, wurde dies mit dem FluLärmG 2007 beendet. ... Hiermit wurde einerseits Rechtsicherheit geschaffen, aber andererseits de facto eine materielle Verschlechterung des passiven Lärmschutzes. ...
Dies zeigt sich beispielsweise an dem ersten Planfeststellungsbeschluss seit der Novelle des FluLärmG: dem des größten deutschen Verkehrsflughafens Frankfurt/Main, der mit den vorgesehenen Regelungen zum passiven Schallschutz und der Außenwohnbereichsentschädigung genau die Anforderungen des FluLärmG umsetzt – aber eben auch nicht darüber hinausgeht.
Die zuletzt vor der FluLärmG-Novelle erlassenen Planfeststellungsbeschlüsse zur Änderung wichtiger Flughäfen (v.a. Leipzig/Halle LEH und Berlin Schönefeld BER) wiesen ambitioniertere Schutzkonzepte und -niveaus auf.
Für die Betroffenen wurden die neuen Bedingungen am Frankfurter Flughafen erst mit Inkrafttreten der
Verordnung über den Lärmschutzbereich
der hessischen Landesregierung im Oktober 2011 spürbar, zeitgleich mit der Inbetriebnahme der Nordwestlandebahn. Damit begann auch eine für (einige) betroffene Anwohner wichtige Frist zu laufen, denn
§ 9 Fluglärmgesetz
sagt im allerletzten Satz (§ 9 (7) Satz 2):
"Der Anspruch ... kann nur innerhalb einer Frist von fünf Jahren nach Entstehung des Anspruchs geltend gemacht werden."
Mit der Definition der Lärmschutzbereiche wurde auch festgelegt, wer Ansprüche geltend machen durfte.
Bei der Novellierung des FluLärmG wurde allerdings auch eine allgemein als
Lex Fraport
kritisierte Fristen-Regelung eingeführt, die den "weniger belasteten" Anwohnern des äusseren Lärmschutz-Bereichs erst nach fünf Jahren Schutzansprüche einräumen sollte (§ 9 (1) Satz 4 bzw. (2) Satz 3). Allerdings musste sich Fraport nach massiven Protesten nach der Eröffnung der Nordwestbahn mit der Einführung des
Regionalfonds-Gesetz
2012 "freiwillig" verpflichten, die Erstattungen für alle umgehend auszuzahlen.
Für die Ablauf-Fristen blieb aber der gesetzlich festgelegte Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs relevant, und das war für die Bewohner der "inneren" Schutzzonen der Oktober 2016, während für alle Anderen die Frist erst fünf Jahre später ablief. Und da der Regionalfonds nochmal eigene Fristen hatte, war die Frage, wer wann welche Ansprüche geltend machen konnte, von Anfang an relativ komplex.
Tatsächlich ergaben sich aus den Abläufen noch mehrere Verlängerungen, bis das RP Darmstadt letztendlich Ende 2021
mitteilen konnte:
"Seit Inkrafttreten der Lärmschutzbereichsverordnung am 13. Oktober 2011 konnten Anwohnende des Frankfurter Flughafens bis zum 12. Oktober 2021 Anträge auf baulichen Schallschutz sowie auf eine finanzielle Entschädigung für die eingeschränkte Nutzung ihres Außenwohnbereichs nach dem Fluglärmschutzgesetz beim Regierungspräsidium Darmstadt stellen. Für die Beantragung von Fördermitteln für bauliche Schallschutzmaßnahmen aus dem Regionalfonds endete die Antragsfrist am 31. Dezember 2021.
Eine Antragstellung ist somit für keines der Verfahren nach Ablauf der oben genannten Fristen mehr möglich."
Einen ersten
Bericht
über die erreichten Ergebnisse hat das RP Darmstadt bereits im Februar 2017 in der Fluglärmkommission vorgelegt. Zu diesem Zeitpunkt waren allerdings eine Vielzahl von Maßnahmen noch nicht abgeschlossen.
Eine tatsächliche Bilanz der durchgeführten Maßnahmen lieferte erst der
UBA-Bericht
Anfang 2024. Die darin enthaltenen Ergebnisse für Frankfurt wurden mit mehr Details bereits Mitte 2023 in einer
Präsentation
des Öko-Instituts für die Fluglärmkommission vorgelegt. Die vom UBA diagnostizierte "materielle Verschlechterung des passiven Lärmschutzes" wurde darin sehr deutlich.
Die restriktiven Bestimmungen der
Maßnahme-Verordnung
führten dazu, dass vielen AntragstellerInnen Maßnahmen verweigert oder so eingeschränkt wurden, dass sie ohne erhebliche Eigenmittel nicht sinnvoll umgesetzt werden konnten. Insbesondere die Deckelung auf eine Summe von 150 Euro je Quadratmeter Wohnfläche reichte für die meisten Bestandsbauten nicht aus, um auch nur halbwegs akzeptable Schalldämmwerte zu erreichen.
In der Praxis führten die Beschränkungen dazu, dass nur für knapp ein Viertel aller anspruchsberechtigten Wohneinheiten Förderung nach diesem Gesetz in Anspruch genommen werden konnte. Für die meisten wurden gerade einmal Schallschutzfenster und Rolllädenkästen und die berühmt-berüchtigten Lüfter für die Schlafräume gefördert.
Differenziert nach "Schutzzonen" sieht die Bilanz so aus: 12.500 Wohneinheiten lagen sowohl in der Tagschutzzone 1 (TSZ1) als auch in der Nachtschutzzone (NSZ) und hatten damit Anspruch auf Förderung der Schalldämmung für alle "Aufenthaltsräume". Nur in der deutlich grösseren NSZ lagen zusätzlich noch 69.000 WE (in Raunheim sind das Bereiche nördlich der Ringstrasse/Jakobstrasse und im äussersten Süden). In der TSZ1 wurden 11.100 Anträge gestellt und 9.700 bewilligt, davon wurden etwa 2/3 tatsächlich auch umgesetzt. In der NSZ wurden 28.600 Anträge gestellt, 25.000 bewilligt, aber nur rund 1/3 umgesetzt.
Diese Zahlen machen deutlich, dass der passive Schallschutz rund um FRA
nachweislich unzureichend
ist. Wenn z.B. bei über 80.000 Wohnungen, die vor nächtlichem Fluglärm zu schützen wären, nur etwas über 1.000 Dächer (1,25%) schallgedämmt wurden, obwohl in Schlafzimmern, die häufig unter dem Dach liegen, ohne eine derartige Dämmung kein ungestörter Schlaf möglich ist, beweist das, dass die Nichtinanspruchnahme nicht an fehlender Notwendigkeit, sondern an unzumutbaren Angeboten lag.
Im Bereich des passiven Schallschutz stehen formal etliche Veränderungen an. Seit Jahren überfällig sind die Novellierung des Fluglärmschutzgesetzes
und der
Lärmschutzbereiche
des Frankfurter Flughafens. Auf europäischer Ebene sind die Methoden zur Berechnung des Fluglärms weiterentwickelt worden und werden auf nationaler Ebene umgesetzt.
Im Bereich des baulichen Schallschutz haben Gerichte
neue Mindestanforderungen,
z.B. im Bereich der Lüftung, formuliert, die perspektivisch überall umzusetzen sind.
Die medizinische Forschung hat
neue Erkenntnisse
über die gesundheitliche Wirkung von Lärm zusammen getragen, die bei der Formulierung der Schutzziele berücksichtigt werden müssen.
Damit sind grundsätzlich Möglichkeiten gegeben, den passiven Schallschutz für Fluglärm-Betroffene quantitativ und qualitativ wesentlich zu verbessern. Ob dies wirklich geschehen wird, und wer dafür bezahlt, sind jedoch politische Fragen, die von den jeweiligen Kräfteverhältnissen abhängen. Diesbezüglich gibt es derzeit wenig Anlass für Optimismus.
Wenn es nicht gelingt, wesentlich mehr Betroffene dafür zu mobilisieren, ihre Interessen zu formulieren und nachdrücklich an die politisch Verantwortlichen heran zu tragen, wird die Luftverkehrs-Lobby alle ernsthaften Veränderung verhindern.